Wichtige App-Entwickler wie Netflix und Epic Games (Fortnite, Unreal Tournament) fühlen sich vor allem von Apple ausgenutzt. Sie versuchen nun, die ihrer Ansicht nach überhöhten Gebühren im App Store zu umgehen. Auch die Kosten für Android-Apps im Google Play Store sind ihnen zu hoch.
Wenn bei Entwicklern der Geduldsfaden reißt
Microsoft und Blackberry wissen ein Lied davon zu singen: Erfolg oder Misserfolg einer mobilen Plattform hängt wesentlich auch davon ab, wie viele und welche Apps es dafür gibt. Apple und Google haben es besser geschafft, Entwickler für ihre Angebote zu gewinnen. Wobei das ein sich selbst verstärkender Prozess war: Umso mehr Geräte und Apps es gab, umso attraktiver war die jeweilige Plattform für Entwickler. Eine Zeit lang überboten sich die Betreiber der App-Marktplätze daher mit Meldungen zur Zahl der bei ihnen verfügbaren Anwendungen.
Dass das meiste davon Mist war, den niemand brauchte oder haben wollte, war eigentlich egal. Und wenn ein paar hundert oder gar ein paar tausend Malware-verseuchte Apps dabei waren, war das auch nicht so schlimm. Insbesondere Google tat sich lange schwer, bei Google Play eingereichte Apps gründlich und vernünftig zu prüfen.
Apple gelang das besser. Der fast zwanghafte Kontrollwahn des Unternehmens machte sich da wenigstens einmal positiv bemerkbar. Auch wenn das manche ISVs zur Verzweiflung trieb: In einem Fall musste der Betreiber einer Nachrichten-App seine Anwendung mit der jeweils erforderlichen Kontrollschleife mehrfach einreichen, weil sie nicht den Richtlinien entsprach - bis er schließlich herausfand, dass sich Apple an dem Bild eines Samsung-Smartphones auf einem der zur Illustration verwendeten Screenshots störte.
Doch diese aus Sicht der Betreiber der App-Marktplätze schönen Zeiten der absoluten Dominanz könnten bald vorbei sein. Zwar schimpften App-Entwickler schon immer über die ihrer Ansicht nach zu hohen Gebühren und Abgaben für die Nutzung des Apple App Stores und von Google Play, jetzt stehen ihnen aber endlich Möglichkeiten zur Verfügung, diese zu umgehen. Und dabei handelt es sich nicht um windige App-Entwickler aus China, die sich in einer Grauzone bewegen. Nein, Vorreiter sind Firmen wie der Streaming-Dienst Netflix, der Spieleentwickler Epic Games und Valve, der Betreiber der Spiele-Plattform Steam.
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Sie haben nun endgültig die Nase voll davon, 30 Prozent ihrer Einnahmen lediglich dafür abgeben zu müssen, dass Apple für sie den Kontakt zu den Besitzern eines iPhones herstellt und dann auch noch saftige Provisionen für die im Geschäftsmodell der Anbieter unerlässlichen In-App-Käufe kassiert. Sie glauben - wohl zu Recht - dass ihre Apps so begehrt sind, dass sie ihren Weg auf die Smartphones der Nutzer auch ohne Hilfe von Apple und Google finden. Spotify vertrat schon 2015 diese Ansicht. Damals forderte der Musik-Streaming-Dienst seine Nutzer auf, über den Apple App Store abgeschlossene Abos wieder zu kündigen.
Der Streit um Kommissionen im App Store
Das war noch ein Einzelfall. Doch vor ein paar Wochen brach der Streit auf breiter Front aus. Im Mai 2018 hatte Apple die App Steam Link aus dem App Store entfernt. Sie ermöglicht es Nutzern, Steam-Spiele etwa von einem Windows-Rechner auf iPhone, iPad oder Apple TV zu übertragen und dort zu spielen. Dadurch lassen sich Steam-Spiele aber auch ohne die sonst bei iOS üblichen In-App-Kaufmethoden erwerben. Dadurch entgeht Apple die Provision für Käufe in der App.
Apples Marketing-Chef Phil Schiller erklärte damals, dass Valves Steam-iOS-App, "gegen eine Reihe von Richtlinien in Bezug auf benutzergenerierte Inhalte, In-App-Käufe, Content-Codes usw. verstößt." Und weiter: "Wir haben klare Richtlinien, die alle Entwickler befolgen müssen, um sicherzustellen, dass der App Store ein sicherer Ort für alle Benutzer und eine faire Möglichkeit für alle Entwickler ist."
Die Ansichten darüber, was "fair" ist, gehen aber seitdem zwischen Apple und den Entwicklern zunehmend auseinander. Jetzt stehen offenbar auch Netflix und Epic Games, das zum Beispiel die millionenfach genutzten Apps "Fortnite" und "Unreal Tournament" anbietet, kurz davor, sich endgültig Methoden auszudenken, um zu verhindern, dass Apple und Google bei jedem Kauf in ihren Apps die Hand aufhalten.
Zur Eskalation beigetragen hat auch Apple. Kurz nach dem Vorfall mit der Steam-App aktualisierte das Unternehmen seine Richtlinien für die App-Überprüfung. Damit wurde ausdrücklich jeder Versuch untersagt, in einer App eine Art eigenen App Store anzubieten. Konkret heißt es nun, dass alles untersagt ist, was es ermöglicht, nach Software zu suchen, Software auszuwählen oder Software zu kaufen, die dem Nutzer nicht bereits gehört oder noch nicht von ihm lizenziert ist.
Damit könnte es zum Beispiel in Zukunft auch schwer werden, im Rahmen eines pauschalen Streaming-Angebots für Premium-Filme eine Zuzahlung zu verlangen. Netflix hat daher diese Woche angefangen, versuchsweise Nutzer für In-App-Käufe auf seine Website zu lotsen. Die Abrechnung über Google Play hat Netflix für neue Kunden schon im Mai 2018 abgeschaltet.
Für Apple und Google geht es um alles
Warum Google und insbesondere Apple so allergisch auf diese Versuche der App-Entwickler reagieren, ihre Maut-Stationen zu umgehen, hat jetzt der Analyst Ben Schachter von Macquarie vorgerechnet. Gegenüber Bloomberg erklärte er, dass es um Milliarden von Dollar geht. Würden die Kommissionen zum Beispiel grundsätzlich auf 15 Prozent reduziert (wie das jetzt bei Google schon für einige Bereiche üblich ist), würden Apple 21 Prozent seiner Einnahmen wegbrechen, schätzt das Analystenhaus.
Aber auch Google würde dadurch bis zu 20 Prozent seiner Einnahmen einbüßen. Bei Einnahmen vor Steuern von jeweils über 50 Milliarden Dollar im Jahr 2020, so die Prognose von Bloomberg, geht es also jeweils um gut zehn Milliarden Dollar. Darüber kann man sich schon einmal in die Haare geraten.
Aber auch für die einzelnen Entwickler steht viel auf dem Spiel. Epic Games hat Schätzungen von Branchenexperten zufolge, zum Beispiel seit dem Start von Fortnite im Apple App Store 200 Millionen Dollar eingenommen. Im selben Zeitraum sackte Apple 135 Millionen Dollar an Gebühren dafür ein.
Google und Apple verteidigen die Gebühren seit Jahren generell damit, dass sie Fake Apps und Malware aus ihren Stores heraushalten würden und den Entwicklern dabei helfen, die Apps einem breiten Publikum anzubieten. Außerdem übernähmen sie die Identitätsprüfung und die Abwicklung des Bezahlvorgangs. Diese Argumente treffen für alle kleineren App-Anbieter auch noch zu.
Wenn einige große ISVs jetzt aber gangbare Wege finden, das Geschäft mit Apps ohne die Marktplätze von Apple und Google erfolgreich zu betreiben, dann könnte sich in Windeseile ein neues Ökosystem entwickeln. Denn auf dieser neuen Plattform müssten Entwickler nur einen Bruchteil der Gebühren berappen, die ihnen derzeit noch bei Apple und Google anfallen. Die Lawine wäre losgetreten.