Das Geschäft mit der Scham

Porno-Streaming-Abmahnungen erfassen Zehntausende

11.12.2013
Abmahnungen sind ein Massengeschäft, in Windeseile abgewickelt von Gerichten und spezialisierten Kanzleien. Der jüngste Fall sprengt jedoch alle Dimensionen. Zehntausende sollen online urheberrechtlich geschützte Pornos aufgerufen haben. Die Details lassen aufhorchen.

Es ist wohl eines der peinlicheren Anwaltsschreiben, die ein Internetnutzer erhalten kann. Über den eigenen Netzanschluss seien urheberrechtlich geschützte Sexfilmchen online aufgerufen wurden, heißt es darin. Das solle man künftig unterlassen und 250 Euro an die Rechteinhaber zahlen.

Zehntausende Menschen in Deutschland haben nach Schätzungen von Anwälten ein solches Schreiben erhalten. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter ("lawblog.de") spricht von einer "gigantischen Abmahnzahl". Fachleute halten es für die größte Abmahnwelle in Deutschland. "Es ist in gewisser Art und Weise ein Geschäft mit der Scham", sagt Anwalt Tobias Röttger. Eine Abmahnung wegen Pornoguckens wollten die wenigsten ihrem Partner erklären. Daher seien viele Betroffene versucht, einfach zu bezahlen.

Dabei ist der Ausgang des Falls weniger offensichtlich als das Ende eines Pornofilms. Denn gleich mehrere Fragen sind rechtlich umstritten. Zum einen handelt es sich bei der fraglichen Pornoseite um ein Streaming-Portal zum Filmeschauen. Das Prinzip funktioniert so ähnlich wie bei YouTube, selbst der Name hört sich so an: Die Sexfilmseite heißt Redtube. Im Gegensatz zu Tauschbörsen werden die Filmdateien beim Streaming nicht heruntergeladen und weitergetauscht, sondern nur kurz zwischengespeichert, damit das Bild nicht ruckelt. Ob damit überhaupt das Urheberrecht verletzt wird, ist auch unter Juristen umstritten.

Dennoch ordnete das Kölner Landgericht an, die Namen und Adressen von Zehntausenden angeblichen Redtube-Nutzern herauszugeben. Möglicherweise fiel den Richtern nicht auf, dass es sich in dem Fall nicht um eine Tauschbörse, sondern um eine Streaming-Seite handelte. Die Anträge selbst blieben in diesem Punkt schwammig, sagen Anwälte. "Es ist so formuliert, dass es nicht so eindeutig ersichtlich ist", sagt der Mainzer Anwalt Röttgers. "Das Landgericht Köln ist davon ausgegangen, dass es sich hier um einen Tauschbörsenfall handelt."

Hinzu kommt die schiere Masse. Allein 16 Zivilkammern des Kölner Landgerichts bearbeiteten Anträge mit jeweils 400 bis 1000 Betroffenen. Bei 62 Anträgen ordneten sie die Herausgabe von Namen und Adressen der Kunden an, wie ein Gerichtssprecher sagte. Immerhin in 27 Fällen sagten Richter in Köln "Nein" oder stellten so viele Rückfragen, dass die Anwälte der Archive AG ihre Anträge zurückzogen.

"Das sind Massenverfahren", sagt Vetter. Die Abmahnungen wurden so flächendeckend verschickt, dass selbst Kriminelle auf den Zug aufsprangen. Mit gefälschten Abmahnschreiben per E-Mail versuchten sie, Nutzern Schadsoftware unterzujubeln.

Unklar ist, wie die Vertreter des Rechteinhabers der Sexfilme an die IP-Adressen der Betroffenen gekommen sind. Über diese Nummern, praktisch die Hausnummer eines Computers im Web, werden Name und Adresse der Nutzer bei den Internetanbietern erfragt. Dass Redtube die IPs seiner Nutzer freiwillig an die Anwälte herausgab, scheint zumindest unwahrscheinlich. Nun wird spekuliert, dass die IP-Adressen möglicherweise über platzierte Werbebanner auf der Pornofilmseite gesammelt wurden. Das wäre zumindest frech.

Auch für das Landgericht scheint der Fall eher unangenehm. Er erweckt den Eindruck, als würden die Richter massenhaft vorgelegte Anträge von Abmahnanwälten einfach durchwinken, ohne im Einzelfall ernsthaft zu prüfen, ob tatsächlich die Adresse eines Anschlussinhabers herausgegeben werden darf. "Ich gehe nicht davon aus, dass das Landgericht Köln in Zukunft noch mal solche Beschlüsse erlassen wird", sagt der Kölner Anwalt Christian Solmecke. (dpa/tc)

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