Das ist das Resümee einer bereits im Oktober 2015 veröffentlichten Studie von Accenture: “Nur fünf Prozent der befragten Unternehmen glauben, dass eine Digitalisierung allein ihnen einen Wettbewerbsvorsprung gibt.“ Wettbewerbsvorteile erreicht man in der Tat mit einer Kundenorientierung oder, wie man bei Forrester sagt, "Kunden-Besessenheit".
Aber Kundenorientierung braucht Digitalisierung, denn der Kunde von heute ist zum digitalen Kunden geworden, der sich über seine digitale Vernetzung und Kommunikation definieren lässt. Er nutzt unterschiedliche digitale Plattformen - nicht nur Facebook - und hinterlässt seine Spuren in der digitalen Welt. Diese Spuren verteilen sich so über die unterschiedlichen traditionellen und neuen Kanäle zum Kunden. Diese Spuren zu identifizieren, zu interpretieren und zu nutzen, ist somit eine der wesentlichen Aufgaben bei der Digitalisierung von Kundenorientierung. Das Ziel ist es, per Kundenerlebnismanagement den Kunden zu begeistern und im Effekt zum treuen Kunden zu machen.
Kundendatenmanagement - Basis der Digitalisierung von Kundenorientierung
Digitalisierung im Kontext von Kundenorientierung beginnt daher mit Kundendatenmanagement. Eine 360°-Sicht auf den Kunden ist zwar schon immer das Ziel von Kundendatenmanagement gewesen, aber mit Blick auf den digitalen Kunden heute unabdinglich. Denn der digitale Kunde erwartet ein Kundenerlebnis, welches seinen Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Das bedeutet, man muss ein tiefgehendes Wissen über seine Kunden aufbauen.
Mit anderen Worten: Man braucht vollständige und verlässliche Kundendaten. Die müssen quer über alle Kanäle kontinuierlich erfasst und mit externen demografischen, soziografischen, firmografischen, geografischen und auch anderen Daten angereichert und stets aktuell gehalten werden. Die Digitalisierung bietet mit Big Data jetzt zusätzlich viele neue Quellen wie Social Media, Blogs, Foren, Internetseiten, Lokalisierungs- und Navigationsdaten sowie viele andere, die alle zu evaluieren sind und entsprechend zur Anreicherung dienen können.
Kundendatenmanagement im Rahmen der Digitalisierung bedeutet also, aus Big Data "Smart Data" zu machen. Das heißt, seine Kundendaten nicht nur aktuell zu halten, sondern auch neue Daten und Datenquellen kontinuierlich und schnell den jeweiligen Kunden zuzuordnen. Nur so kann man sich stetig einer 360°-Sicht auf den Kunden annähern und entsprechend im Sinne von Kundenorientierung smart handeln. Big Data so genutzt, dass man diese 360°-Sicht bekommt, gibt Smart Customer Data. Smart ist dabei das Synonym für einfach, intelligent und effizient.
Smart bedeutet aber auch eine bimodale Umsetzung der entsprechenden Projekte, denn die IT eines digitalen Unternehmens muss bimodal, also mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten arbeiten können: sowohl agil als auch stabil beziehungsweise traditionell. Das erfordert neue Wege in Bezug auf Systemarchitektur, Werkzeuge und Projektmethodik. Zu Beginn der unternehmensweiten Herstellung einer 360°-Sicht auf den Kunden sowie bei der Umsetzung von vollkommen neuen Marktanforderungen ist ein agiler Ansatz oft sinnvoll um im Projekt schnell voranzukommen, um "Quick Wins" zu ermöglichen und um die internen und externen Anforderungen möglichst gut zu treffen. Anderseits ist es bei fortschreitender Realisierung in der Regel angebracht, die Systeme in einen "stabilen" Modus zu überführen. Insbesondere wenn die Verfügbarkeit der neuen Anwendungen unternehmenskritisch wird, oder es um die Integration mit traditionellen Systemen geht.
Insofern ist es wesentlich darauf zu achten, dass die einzusetzenden Werkzeuge einen bimodalen Ansatz unterstützen und dass das Projektteam, das die Systeme umsetzt, über Erfahrung in agilen und in traditionellen Customer-Data-Management-Projekten verfügt. Die Frage beim Aufbauen einer zentralen 360°-Sicht auf den Kunden lautet also nicht "agil oder traditionell" - sondern smart, also sowohl als auch.
Kundenstammdatenmanagement - der Golden Customer Record
Datenmanagement basiert bekanntlich auf Stamm- und Metadatenmanagement, was im Wesentlichen dazu dient, die richtigen Daten mit dem richtigen Kunden zu verknüpfen. Dabei sind zwei Aufgaben zu lösen. Zuerst müssen die unterschiedlichen Datensilos, in denen sich jeweils pro Kanal oder auch nach anderen Kriterien geordnete Kundendaten befinden, zusammengeführt werden. Das geschieht mit Hilfe von Datenintegrationsmethoden, auf die wir gleich zurückkommen werden.
Gleichzeitig muss die Frage beantwortet werden, welche Spuren in welchem Kanal zu welchen Kunden gehören. Das ist vor allem im Big Data keine einfache Aufgabe, denn Kunden surfen zum Teil unter Pseudonymen und machen auch nicht immer konsistente Angaben über sich. Hier setzt Customer Entity Resolution an. Sie hat zur Aufgabe, Unternehmen bei diesen Herausforderungen im Umgang mit Kunden-Identitätsdaten zu helfen. Das bedeutet Daten, die spezifisch und korrekt einen Kunden, einen Lieferanten, einen Interessenten, einen Meinungsmacher, einen Patienten, einen Steuerzahler oder einen Kriminellen quer über die unterschiedlichen Quellen betreffen, zu identifizieren.
Das Ergebnis ist dann der sogenannte Golden Customer Record, in dem alle Daten aus allen unterschiedlichen internen und externen Datenquellen, geordnet nach verschiedenen Kundendatentypen, zusammengefasst werden. Zu den Kundendatentypen gehören typischerweise beschreibende Kundendaten, Kunden-Charakteristika, Kunden-Interaktionsdaten und Kunden-Transaktionsdaten.
Der Golden Customer Record ist also ein Kundenstammdatensatz, der die Attribute eines Kunden aus allen Datenquellen vereinigt; er ist somit die Grundlage für eine 360°-Kundensicht. Er enthält auch die Links zu allen Stammdatensätzen in den verschiedenen Datenquellen, in denen Attribute aus dem Golden Record verwendet werden. So kann sichergestellt werden, dass bei der Änderung eines Attributs in einer beliebigen Datenquelle diese Änderung in allen anderen betroffenen Quellen nachgezogen wird. Die Stammdaten bleiben konsistent und brauchen nicht physikalisch bewegt und damit redundant gespeichert werden.
Aus dem Golden Record wird ein Golden Profile
Technisch gesehen gibt es verschiedene Ansätze, eine 360°-Kundensicht aufzubauen:
Aufbau einer zentralen Kundenstammdatenbank, in der die Golden Customer Records gespeichert werden. Gleichzeitig werden die Golden-Customer-Record-Attribute in die verschiedenen Datensilos zurückgeschrieben. So bekommt man konsistente und qualitätsgesicherte Kundenstammdaten quer über alle Datensilos. Auch können alle Altapplikationen unverändert weiterlaufen und neue Applikationen profitieren vom Golden Customer Record, der jetzt die aktuelle 360°-Sicht auf den Kunden wiederspiegelt.
Das ist der Idealfall, der aber in den meisten Fällenaufgrund der Komplexität solcher Projekte nur schwer erreichbar ist . Dabei gibt es nicht nur technische Probleme beim Zurückschreiben in operative Systeme mit einem entsprechend hohen Aufwand, sondern vor allem auch politische Probleme im Unternehmen. Dazu zählen zum Beispiel verschiedene Interessenlagen von Fachabteilungen, die insbesondere die Frage der Verantwortlichkeit für Daten betreffen. Solche Diskussionen verhindern vielfach agile Vorgehensweisen und schnelle Entscheidungen wie sie in einem digitalen Unternehmen notwendig sind.
Aufbau eines Golden Customer Profiles (s. Abb.). Es baut auf dem Golden Customer Record auf und enthält zusätzlich Transformationsregeln. Dadurch können beispielsweise neue analytische oder Marketing-Anwendungen mit Hilfe dieses Golden Customer Profiles sowohl die 360°-Sicht auf den Kunden bekommen als auch koordiniert auf Interaktions- und Transaktionsdaten in den verschiedenen Datensilos zugreifen. Wenn man die Transformationsregeln auch noch mit Datenqualitäts-Services anreichert, entstehen so auch qualitätsgesicherte Daten. Auf ein Zurückschreiben der Stammdaten in die Datensilos kann verzichtet werden.
Dieses Verfahren erlaubt ein agiles und schnelles Vorgehen und Implementieren, wie im digitalen Unternehmen gefordert. Dieser Ansatz kann als hybrid bezeichnet werden: Er kombiniert die Vorteile von Agilität und Geschwindigkeit durch Datenvirtualisierung mit den Vorteilen des Golden Customer Records als einheitlichem, vollständigem und aktuellem Referenzpunkt an zentraler Stelle („single point of truth“): Qualitätsgesicherte Stammdaten werden zentral angeboten und können bei Bedarf auch in die Quellsysteme zurückgeschrieben werden.
Die Fachabteilungen, die die Datensilos weiterbetreiben, haben jetzt die Wahl, ob sie die qualitätsgesicherten Daten in ihren Altanwendungen einsetzen wollen oder nicht. Dementsprechend sind die Erfolgsaussichten von solchen Stammdatenmanagement-Projekten deutlich höher. Zusätzlich bietet das Golden Customer Profile eine transaktionale Komponente, die neuen Anwendungen über die Transformationsregeln erlaubt, direkt und optional sogar mit Qualitätssicherung auf die Interaktions- und Transaktionsdaten in den Quellsystemen zuzugreifen. Eine solche Datenvirtualisierung bietet eine Reihe weiterer Vorteile, wie wir gleich sehen werden.
Technologien zum Aufbau eines Golden Customer Profiles kommen aus dem Umfeld von Stammdatenmanagement und Datenvirtualisierung. Man findet solche Technologien bei den Marktführern wie Informatica, als OpenSource bei Talend, bei Unternehmen, die neu in den DACH-Markt wollen wie Denodo, und es gibt auch schon fertige Lösungen wie bei Uniserv.