Arbeitsmarkt 2030

Gewagte Digitalisierungsprognosen

28.04.2016 von Christoph Lixenfeld
Digitalisierung ist kein Jobkiller, sondern sie wird den Arbeitskräftemangel deutlich lindern, so eine aktuelle Studie von PwC und WifOR. Eine kühne These.
 
  • PwC und WifOR rechnen Jobverlust und -gewinne gegeneinander.
  • 2030 fehlten in Deutschland 4,2 Millionen Arbeitskräfte, und Digitalisierung lindere den Mangel.
  • Eine seriöse Aussage über 2030 ist aber gar nicht möglich.

Was jahrelang "das Internet" war, ist heute "die Digitalisierung": Ein schwer definierbares Dings, dass abwechselnd als Heilsbringer gefeiert und als Dämon gefürchtet wird. In der einen Woche vernichtet es angeblich sämtliche noch vorhandenen Arbeitsplätze, in der nächsten verschafft es uns Freiheit und eine Lebensqualität, von der wir kaum zu träumen wagen.

Und zu jeder Prognose erscheint eine Studie, die mit betonharten Zahlen und alternativloser Methodik das Behauptete belegen. Neuestes Beispiel ist die Untersuchung "Der Einfluss der Digitalisierung auf die Arbeitskräftesituation in Deutschland", die PwC gemeinsam mit WifOR, einem unabhängiges Wirtschaftsforschungsinstitut, das als Ausgründung aus dem Fachgebiet Finanz- und Wirtschaftspolitik an der TU Darmstadt entstanden ist, durchgeführt hat.

Unsere Arbeit wird sich in den kommenden Jahren massiv verändern. Das ist aber so ziemlich alles, was sich zum Thema seriös voraussagen lässt.
Foto: Dell

Die Studie beschäftigt sich mit der Frage, welche Wirkungen Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt haben wird. PwC will damit die "häufig sehr emotional geführte Debatte zu den Auswirkungen der vierten Industriellen Revolution auf den Arbeitsmarkt" versachlichen. Bisher sei die Debatte, findet PwC-Vorstandssprecher Norbert Winkeljohann, "weitgehend von Ängsten geprägt."

Engpass von 4,2 Millionen Arbeitskräften wird halbiert

Einer der Gründe für die diffuse bis negative Haltung in Sachen Digitalisierung sei die Tatsache, "dass es bisher noch wenig konkrete Prognosen zu den Auswirkungen der Digitalisierung gibt, besonders im Hinblick auf die große Gruppe der Arbeitnehmer." Diese Lücken glauben PwC und WifOR jetzt schließen zu können.

Das Besondere an der Untersuchung ist nach Angaben ihrer Macher, dass sie nicht nur Rationalisierungseffekte betrachtet, sondern auch den Faktor Demografie sowie den strukturellen Wandel in vielen Branchen berücksichtigt.

Vor diesem Hintergrund lautet die Quintessenz Studie: Durch Digitalisierung verringert sich der bis 2030 erwartete Engpass von 4,2 Millionen Arbeitskräften in Deutschland um die Hälfte. Deshalb sei Digitalisierung keineswegs ein Jobkiller, sondern sie schaffe einem Mangel Abhilfe. Die Zahl von 4,2 Millionen beruht auf Berechnungen aus einer anderen Untersuchung, die bei Erscheinen der hier besprochenen Digitalisierungsstudie noch nicht veröffentlicht war.

Seriöse Aussagen über 2030 sind unmöglich

Unabhängig davon, wie dieser Wert ermittelt wurde: Die Prognose ist mit großer Vorsicht zu genießen, weil eine seriöse Aussage über die Verhältnisse im Jahre 2030 gar nicht möglich ist.

Das Verkaufspersonal könnte zu den großen Verlierern der Digitalisierung gehören.
Foto: Picture-Factory - Fotolia.com

Arbeitsmarkt ist abhängig von der Politik

Auf den Arbeitsmarkt wirken unzählige Effekte ein, die vor allem von politischen Entscheidungen abhängen. Drei einfache Beispiele sollen das verdeutlichen.

Nimmt man nur diese drei Einflussfaktoren zusammen, dann könnten sie dazu führen, dass sich die von PwC und WifOR behauptete Lücke in ihr Gegenteil verkehrt; eine Lücke, die andere in dieser Größe ohnehin nicht sehen, zum Beispiel das Bundesarbeitsministerium.

Autoren entkräften das eigene Argument

Die Fabrik der Zukunft braucht deutlich weniger Arbeitskräfte als die der Gegenwart.
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Prognosen sind schwierig, sagte Carl Valentin einmal scherzhaft, besonders, wenn es sich um die Zukunft dreht. In Bezug auf den Arbeitsmarkt gilt das in besonderem Maße: Noch im Jahre 2005 gingen fast alle Experten davon aus, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland (weiter) zurückgehen werde. Bekanntlich trat das genaue Gegenteil ein…

Dass Vorhersagen dieser Art prinzipiell mit Vorbehalt zu sehen sind, räumt WifOR auf Nachfrage zwar ein, in der Studie findet sich eine solche methodische Einordnung aber leider nicht.

Das Gegenteil ließe sich auch belegen

Sollte der Arbeitskräftemangel in den kommenden Jahren deutlich kleiner ausfallen als behauptet, die berechneten Effekte der Digitalisierung aber eintreffen, dann bedeutet das für die Arbeitnehmer nichts Gutes.

Vor allem im Handel und in der Industrie, nach den öffentlichen bzw. privaten Dienstleistungen die beiden größten Sektoren in Deutschland, gehen PwC und WifOR von massiven Rückgängen der Arbeitskräftenachfrage infolge der Digitalisierung aus.

Das heißt, dass die Autoren in gewisser Weise ihr eigenes Argument entkräften. Sie behaupten, Digitalisierung sei kein Jobkiller, und präsentieren Zahlen, die ebenso gut als Beleg für das Gegenteil dienen können.

Auch an den Positiveffekten gibt es Zweifel

Jedenfalls braucht es zwingend die gewagte Prognose von den 4,2 Millionen fehlenden Arbeitskräften, um die "Alles-halb-so-Schlimm"-These halten zu können. Hinzu kommt: Auch an den positiven Beschäftigungseffekten von Digitalisierung auf Hochqualifizierte sind Zweifel angebracht.

PwC und WifOR schreiben dazu: "Viele Tätigkeiten im Bereich der gehobenen Fachkräfte und akademischen Berufe können eine weitere Aufwertung erfahren."

Wenn es gut läuft, möchte man hinzufügen. Wenn nicht, werden auch viele dieser Jobs durch Digitalisierung verschwinden. Laut einer aktuellen Umfrage der Evans Data Corp., einem Markforschungsunternehmen für die IT-Branche, unter 550 Software-Entwicklern in den USA, fürchten fast dreißig Prozent von ihnen, künstliche Intelligenz könnte sie demnächst überflüssig machen.