In einigen Monaten fängt das neue Ausbildungsjahr an. Mit wie vielen Auszubildenden der IKT-Branche rechnen Sie?
Daniel Breitinger: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Auszubildenen im Informatik-Bereich stark gestiegen. So konnten wir in den Jahren 2015 bis 2019 einen Anstieg von fast 30 Prozent auf rund 26.000 Auszubildene verzeichnen. Für das kommende Ausbildungsjahr liegt uns keine Prognose vor. Doch die aktuellen April-Zahlen des Bitkom-ifo-Digitalindex zeigen das positive Geschäftsklima in der Digitalbranche. Die Mehrheit der Unternehmen will in den kommenden drei Monaten demnach zusätzliche Arbeitskräfte einstellen. Ich bin also zuversichtlich, dass sich der positive Trend fortsetzen wird.
Die Branche klagt gerne über Fachkräftemangel. Ist das nicht auch zu einem großen Teil selbst verschuldet, weil die Betriebe immer noch nicht genug Nachwuchskräfte ausbilden?
Breitinger: Der Mangel an IT-Experten betrifft längst nicht mehr nur die IT-Branche, sondern die gesamte Wirtschaft und auch Verwaltung, Behörden und Wissenschaft. Viele Unternehmen suchen händeringend nach IT-Profis. Branchenübergreifend sind 86.000 Stellen vakant. Wenn der Nachwuchs nicht fehlen würde, könnte die Job-Bilanz weitaus positiver ausfallen. Die Corona-Krise hat in allen Branchen Defizite bei der Digitalisierung aufgezeigt und einen Digitalisierungsschub ausgelöst, der die Nachfrage nach IT-Spezialisten noch weiter ansteigen lässt. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, brauchen wir neben einer besseren Aus- und Weiterbildung sowie neben der Förderung qualifizierter Zuwanderung auch eine Stärkung von Frauen in der Branche. Insgesamt betrachtet müssen wir das Problem des mangelnden Nachwuchses aber an der Wurzel anpacken - nämlich in der Schule. Hier müssen Schülerinnen und Schüler weitaus früher und intensiver mit der Digitalisierung in Kontakt kommen, etwa durch die flächendeckende Einführung von Informatik als Pflichtfach oder in Zusammenarbeit mit Vorbildern aus dem IT-Sektor. Auch bei der Berufsorientierung und bei der Werbung für IT-Ausbildungsberufe ist weiterhin noch Luft nach oben.
Junge Unternehmen und Startups tun sich mitunter schwer mit dem klassischen deutschen Ausbildungssystem. Muss Ausbildung flexibler werden, um den modernen Anforderungen des Marktes gerecht zu werden?
Breitinger: Die neue Arbeitswelt bedarf auch neuer Ausbildungswege - insbesondere in der Digitalbranche mit ihren rasanten wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Es war daher ein notwendiger und wichtiger Schritt, dass die Ausbildungsverordnungen der IT-Berufsausbildung angepasst wurden und seit vergangenem Jahr Auszubildende im Bereich Informationstechnik zwischen vier neu gestalteten Berufen wählen können. Die bestehenden Berufe wurden von Grund auf umstrukturiert und an aktuelle Entwicklungen angepasst. Neben der klassischen Informatikausbildung muss langfristig auch ein Umdenken stattfinden, damit neue Gestaltungskompetenzen für die Digitalisierung in Studiengängen und Ausbildungen vertieft werden. Die Idee der 'Digitalen Bauhäuser', die wir als Bitkom entwickelt haben, könnte dafür als Konzept dienen. Hierbei soll die Idee des Staatlichen Bauhauses für die Digitalisierung weiterentwickelt und eine neue Stufe für die Gestaltung der Digitalisierung geschaffen werden. Die Komplexität zukünftiger Fragestellungen erfordert die Bauhaus-Kombination aus Hochschule, Labor und Thinktank, die den Menschen partizipativ in den Mittelpunkt stellt. Wie das Staatliche Bauhaus sollen auch die Digitalen Bauhäuser den Studierenden Werte wie Menschenzentrierung, Zukunftssinn, Pioniergeist und Mut vermitteln, um positive Visionen und ein europäisches Zielbild für die Digitalisierung in Europa zu entwickeln.
Was könnten Unternehmen tun, damit sie für junge Bewerber attraktiver werden?
Breitinger: Die Attraktivität der Branche ist für viele junge Menschen bereits sehr hoch. Für Frauen könnten die Unternehmen ihre Attraktivität aber noch stärker hervorheben. Frauen sind in IT-Jobs bisher noch unterrepräsentiert. Nur sieben Prozent der Informatik-Auszubildenen sind weiblich. In der gesamten Branche liegt der Frauenanteil bei 17 Prozent. Für Unternehmen bedeutet das, dass bei der Digitalisierung in Deutschland noch nicht das gesamte Potenzial ausgeschöpft wird, das auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Ein unternehmensseitiger Ansatz, um die Attraktivität zu steigern, kann zum Beispiel die Schaffung von flexiblen Arbeitszeitmodellen sein, um Beruf und Familie besser zu vereinen. Gleichzeitig braucht es auch Anreize von politischer Seite sowie ein grundlegendes Umdenken in der Bildungskette. Schon in jungen Jahren sollten Mädchen für digitale Technologien begeistert und an das Programmieren herangeführt werden. Die digitale Welt muss auch von Frauen gestaltet werden. Die Erfahrung zeigt, dass auch talentierte Mädchen ihr Interesse an technischen Themen verlieren, wenn sie darin nicht gezielt gefördert werden.
Wird die Corona-Pandemie Ihrer Ansicht nach negative Auswirkungen auf die kommende Ausbildungsgeneration haben?
Breitinger: Die Pandemie trifft insbesondere die Schülerinnen und Schüler und damit die kommende Ausbildungsgeneration hart. Etwa ein Viertel hat Lernlücken, die es aufzuholen gilt. Das ist eine große Herausforderung und Belastung. Ich möchte aber auch etwas Positives hervorheben: Durch die Pandemie hat die aktuelle Schul-Generation wichtige Fähigkeiten für ihre Zukunft erlernt. Die Schülerinnen und Schüler lernen jetzt, kollaborativ zu arbeiten und sich im digitalen Raum zu bewegen, weil sie ständig vor neue Lern-Herausforderungen gestellt werden. Das sind gefragte 'Soft Skills', die Schülerinnen und Schülern künftig helfen werden, kreativ mit Problemen umzugehen, diese zu erfassen und sie gemeinsam mit anderen zu bewältigen.
Nicht nur durch Covid-19 gibt es erhebliche Defizite im deutschen Bildungswesen. Was muss sich ändern, damit künftige Generationen besser auf IKT-Berufe vorbereitet sind?
Breitinger: Wir müssen bereits in den Schulen digitale Kompetenzen aufbauen. Nur so können wir Schülerinnen und Schülern die Teilhabe an der digitalisierten Arbeitswelt und Gesellschaft ermöglichen. Doch dazu braucht es gute digitale Bildung. Mit dem 'DigitalPakt Schule', dessen Gelder nun endlich abfließen, geht der Bund einen wichtigen Schritt zur Finanzierung der passenden Infrastruktur. Doch hier dürfen wir nicht stehenbleiben. Neben langfristigen Finanzierungskonzepten bedarf es auch passender pädagogischer Inhalte sowie der Weiter- und Fortbildung der Lehrkräfte.
Was können Sie als Branchenverband dazu beitragen, damit sich die Ausbildungssituation für alle Beteiligten verbessert?
Breitinger: Der Bitkom nimmt eine Vermittlungsfunktion ein zwischen Politik, Unternehmen und Gesellschaft. Wir treiben den Dialog zwischen unseren Mitgliedsunternehmen und der Politik aktiv voran, um die beste Ausbildungssituation für alle Beteiligten zu schaffen. Zudem müssen wir in der Öffentlichkeit Aufklärungsarbeit leisten und die Attraktivität der Digitalbranche auch für Frauen weiter steigern. Das Klischee des IT'lers als klassischer Männerberuf hält sich hartnäckig. Wir wollen diese Stereotype durchbrechen und gerade jungen Mädchen zeigen, dass sie mit digitalen Technologien die Gesellschaft aktiv mitgestalten können. Wenn Schülerinnen und Schüler an IT denken, soll ihnen in den Sinn kommen: Das ist die Zukunft, ich kann sie verändern - und genau das will ich machen.
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