Die Presse und die Verantwortung
Drinnen erklärt dann Kleinfeld, dass die Veröffentlichungen der Presse nahezu "in Realtime" "Werte vernichtet" hätten. Dass aber nicht die Presse, sondern Siemens für die ununterbrochene Fortsetzung der Korruptionsschlagzeilen sorgte, indem es häppchenweise Einzelheiten der Schmiergeldtöpfe veröffentlichte, in der Regel, nachdem die gescholtene Presse Neues veröffentlicht hatte, sagt er nicht.
Es mag sein, dass Kleinfeld es der für ihn offensichtlich homogen erscheinenden Presse übel nimmt, sich nicht vor der Berichterstattung bei Siemens erkundigt zu haben, ob sie etwas veröffentlichen darf - bei den Aktionären kommt diese Kritik weniger an.
"Es geht um Verantwortung und nicht darum, was die Zeitungen schreiben", meint ein Ingenieur, der extra zur Hauptversammlung aus Baden Württemberg angereist ist. Er hätte sich gewünscht, dass die Vorstände sich ernsthaft darüber Gedanken machen, wie "so viele Fehler zum Bild passen, das der Vorstand von Siemens malen will", sagt er.
Er werde, wie so viele andere Kleinanleger, den Vorstand nicht entlasten, sagt er in die Runde. Die nimmt seine Ankündigung beifällig auf. "Wenn ich so arbeiten würde!" empört sich eine Dame und versichert, auch sie werde den Vorstand nicht entlasten.
Der kämpft gerade um sein Ansehen. Angesichts der Rednerbeiträge verschiedener Aktionärsvertreter ist das auch dringend nötig. "Weltspitze", betont Kleinfeld, sei Siemens, das zeigten die gerade veröffentlichen Quartalszahlen, das zeigten die 5,7 Milliarden Euro, die der Konzern für Forschung im vergangenen Jahr ausgegeben habe, die täglich rund 20 Patentanmeldungen - und die Tatsache, dass über 460.000 Mitarbeiter "sehr gerne" bei Siemens arbeiteten. Im Übrigen habe Siemens im letzten Jahr 1.900 neue Mitarbeiter eingestellt.
Das bringt einen geduldig Zuhörenden dann doch aus der Fassung. "Selektiv" nennt er diese Aussage, Kleinfeld müsse auch von den Tausenden Entlassungen sprechen, die die vergangene Jahre prägten. Er sollte mal "in die Hofmannstraße fahren", schlägt er vor.
In dieser ehemaligen Siemens-Hochburg in München arbeiten heute statt ehemals 25.000 gerade noch 4.000 Mitarbeiter.
"Kleinfeld mag das passen oder nicht: Siemens ist in der Krise, und er und seine Kollegen sollten nicht so tun, als könnten sie nichts dafür." (wl)