Es wird nicht erwartet, dass aufgrund eines Verdachtes in Bezug auf rechtliche Wertungen eine Rüge auszusprechen ist. Die Rechtsprechung und die Vergabekammern verweisen darauf, dass eine solche Rüge das Verhältnis zur Vergabestelle belastet. Es wird zumindest ein Zustand bestehen müssen, in dem ein beanstandetes Vergabeverhalten in rechtlicher Hinsicht als problematisch einzustufen ist und der Sachverhalt für einen Antragsteller in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend geklärt ist. Zweifel an einer Rechtslage schließen eine positive Kenntnis aus. Es besteht seitens des Bieters bei ungewissen rechtlichen Bedenken keine Pflicht, anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine Grenze besteht dann, wenn sich ein Bieter mutwillig gegen die Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes verschließt. An diesen Formulierungen ist zu bemerken, dass die Grenze zwischen dem "Erkennen eines Verstoßes" und dem "Nicht-Erkennen" fließend ist. Insoweit ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob eine Rügepflicht besteht.
Der Gesetzgeber erwartet eine unverzügliche Rüge. Es soll damit sichergestellt werden, dass ein Auftraggeber aufgetretene Fehler noch korrigieren kann.
Soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, sind diese spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung ebenfalls zu rügen. Ungeklärt ist dabei die Frage, ob auf einen objektiven Maßstab eines durchschnittlichen Antragstellers oder auf den subjektiven Maßstab des konkreten Antragstellers abzustellen ist, um zu klären, ob ein Vergabeverstoß erkennbar war. Die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang widersprüchlich.
Überwiegend wird von den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten nicht erwartet, dass einer Rüge eine Vollmacht beigefügt ist. Um Diskussionen zu diesem Punkt zu vermeiden, sollte aber eine Bevollmächtigung nachgewiesen werden. Auch gilt für die Rüge keine Formvorschrift. Sie kann also per E-Mail oder mündlich erfolgen. Im Rahmen einer weiteren oder weitergehenden rechtlichen Auseinandersetzung ist allerdings der Bieter darlegungs- und beweispflichtig, dass er die Rügeobliegenheit erfüllt hat. Insoweit empfiehlt sich immer eine schriftliche Rüge.
Aufgrund der Rüge hat ein Auftraggeber die Möglichkeit, beanstandete Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Die Rüge sollte klar und deutlich formuliert sein und möglichst den Sachverhalt und den konkreten Vergaberechtsverstoß benennen. Allerdings wird nicht eine umfassende rechtliche Würdigung erwartet. Insgesamt genügt es, wenn aus den Äußerungen des Bieters aus Sicht der Vergabestelle eine Beanstandung zu entnehmen ist. Die zunehmend verbreitete Unsitte, Anträge zur Verlängerung von Angebotsfristen zu stellen oder eine allgemeine und pauschale Kritik am Vergabeverfahren zu äußern, sind nicht als Rügen anzusehen.
In der Praxis ist zu beobachten, dass viele Nachprüfungsverfahren an dem formalen Kriterium der Einhaltung der Rügeobliegenheiten aus dem Gesetz scheitern. Insoweit ist seitens eines Bieters und Antragstellers darauf zu achten, dass die diesbezüglichen rechtlichen Anforderungen eingehalten werden. (mf)