In den vergangenen Jahren ist Microsoft den zahlreichen Veränderungen im Smartphone- und Tablet-Bereich hinterhergelaufen, statt sie mitzubestimmen. Hier haben die großen Gegner Apple und Google profitiert. Jetzt steht Microsoft mit Windows 8 am Anfang einer seiner größten Augenblicke.
Mit Windows 8 breche eine neue Ära an - "eine Ära mit unglaublichen Möglichkeiten", schrieb Steve Ballmer kürzlich. Zum ersten Mal setzen die Betriebssysteme für Smartphone, Tablet und PC auf einer gemeinsamen Plattform auf. Als offizieller Erscheinungstermin ist der 26. Oktober 2012 angesetzt. Zeitgleich sollen auch die ersten Geräte mit Windows 8 und Windows RT ("Windows on ARM") erscheinen. Kurz danach werden auch erste Smartphones mit Windows Phone 8 auf dem Markt erscheinen.
Bei Microsofts neuem Betriebssystem spaltet sich jedoch die User-Gemeinde wie bei keinem anderen davor. So verschieden wie das Bedienkonzept von Windows 8 für die verschiedenen Endgeräte wie den Desktop-PCs mit Maus und Tastatur und den Touch-optimierten Geräten auch ist, so unterschiedlich lesen sich auch die meisten Meinungen zu Windows 8.
Mario Myrenne, Geschäftsführer bei IQ GmbH, stimmt mit seinen Worten "Windows 8 ist der Beginn einer neuen Ära" dem Microsoft-Geschäftsführer Ballmer voll zu. Auch Klaus Weinmann, Vorstandsvorsitzender bei der Cancom AG, vermutet eine spürbare Dynamik im IT-Markt durch Microsofts Neuling: "Windows 8 wird die IT-Welt verändern und weiter beschleunigen."
Mit der neuen plattformübergreifenden Software schafft Microsoft eine Rundumerneuerung, die auf allen Vorteilen des stabilen Windows 7 aufbaut. Laut Jörg Mecke, Service-Line Manager IT-Consulting & Area CTO bei Comparex Deutschland, stellt Windows 8 eine konsequente Weiterentwicklung von Windows 7 dar: "Microsoft hat Windows 8 in den Punkten angepasst, nach denen viele verlangten." Dabei setzt er folgende Ansprüche der Anwender in den Vordergrund: mehr Produktivität, Tablet-Unterstützung, Performance-Verbesserungen und keine Kompatibilitätsprobleme zu Windows-7-Anwendungen. All diese Anforderungen soll Windows 8 dem User bieten können, so Microsoft.
Noch immer eckt die Kachel an
Trotzdem tauchen weiterhin negative Bemerkungen zur neuen Oberfläche (= Modern User Interface (UI) Style) auf. Diese wird bei vielen Anwendern mehr negativ als positiv bewertet. Es wird klar, dass das neue Oberflächendesign mit interaktiven Kacheln vordergründig für die Bedienung auf berührungsempfindlichen Displays gedacht ist. Zwar ist die Touch-Oberfläche der bei Apple und Google sehr ähnlich, wie Jochen Rapp, Solution Manager bei Computacenter, erklärt. Trotzdem sei die Kachelstruktur seiner Meinung nach ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Bei vielen wirkt sie immer noch befremdlich und löst vor allem dann Kopfschütteln aus, wenn es um das neue Startmenü geht. Der Verzicht auf den gewohnten Start-Button ist alteingesessenen Nutzern unverständlich, primär an Desktop-PCs.
Auch Alexander Spohr, Business Unit Manager PCC bei der Tech Data GmbH, ist die neue Oberfläche noch nicht ganz geheuer: "Windows 8 sieht komplett neu aus und fühlt sich wirklich ungewohnt an." Womöglich wird es eine gewisse Einarbeitungszeit benötigen, merkt Spohr an. Anderer Meinung ist hier Sven Buchheim, Vorstand Vertrieb und Marketing bei der Bluechip Computer AG: "In Windows 8 findet man sich recht schnell zurecht, was die von Microsoft beabsichtigte intuitive Bedienung unterstreicht." Für ihn geht es jedoch mehr um die Tatsache, dass mit Windows 8 ein plattformübergreifendes Betriebssystem entwickelt wurde. Microsoft schafft sich damit einen großen Wiedererkennungswert auf einer Vielzahl unterschiedlicher Endgeräte und erleichtert dadurch das Arbeitsverhalten und die Benutzung des Anwenders. "Vermutlich wird das der größte Pluspunkt von Windows 8 sein.", betont Buchheim.
Die zuvor angesprochene Einarbeitungszeit ist auf keinen Fall nur für den Endbenutzer gedacht. Auch der Wiederverkäufer, der vermehrt eine Beraterstellung einnimmt, muss sich intensiv mit Windows 8 beschäftigen. Um seine Kunden auf den bevorstehenden Start des Windows-7-Nachfolgers vorzubereiten, sei es wichtig, auf Demonstrationen und anschauliche Vorstellungen des neuen Betriebssystems zu setzen. "Nur so können unsere Kunden Windows 8 hautnah erleben, die Fragen stellen, die ihnen auf der Seele brennen, und damit eventuelle Bedenken aus dem Weg räumen", erklärt Jörg Mecke. Thorsten Schwecke, Senior Manager Software bei Ingram Micro, setzt zudem auf eine enge Zusammenarbeit mit seinen Hardwarepartnern: "Im Zusammenspiel mit neuen, auf den Markt kommenden Geräten können wir unseren Kunden die Vorteile von Windows 8 bestmöglich vermitteln."
Windows 8 braucht Zeit und einen guten Preis
Ob sich Microsofts neues und hardwareübergreifendes Konzept schnell am Markt behaupten kann, stellt Mario Myrenne trotz seiner großen Anfangsworte infrage: "Möglicherweise braucht das Konzept Zeit, um ausreichend von neuer Software unterstützt zu werden und sich bei den Usern durchzusetzen." Für Klaus Weinmann, Vorstandsvorsitzender bei der Cancom AG, hängt der Erfolg davon ab, was Windows 8 im Vergleich zu Apples Betriebssystem iOS leisten oder auch nicht leisten kann. Microsoft wird sich überwiegend gegen Apple beweisen und vor allem zeigen müssen, dass man im höherpreisigen Marktsegment genauso erfolgreich sein kann wie die Produkte aus Cupertino.
Laut Analysten sollen ab 2016 mehr Tablets als Notebooks verkauft werden. Diesen Markt teilen sich bisher Apples iPad mit 70 Prozent und die Hersteller von Android-Geräten. Der Vorsprung ist enorm und kaum aufholbar. Trotzdem wird Windows 8 anfangs im Tablet-Markt eine größere Rolle spielen können als im Desktop-Bereich. Für die Kaufentscheidungen in diesem Umfeld erwartet Sven Buchheim besonders starke Impulse: "Gerade die neuen Endgeräte sind prädestiniert für die Touch-Bedienung und können nur mit Windows 8 verkauft werden." Experten rechnen jedoch damit, dass sich Microsofts Tablet-System Windows RT etwa im gleichen Preissegment ansiedeln wird wie einige iPad-Modelle. Bei einem Preis von 600 Dollar dürfte sich dann aber kaum ein Kunde für ein Windows-8-RT-Tablet und gegen ein iPad von Apple entscheiden.
Trotz der stetigen Reduzierung von Client-Landschaften könnte Windows 8 mit den entsprechenden Endgeräten der große Freund der IT-Abteilungen werden, prognostiziert Jochen Rapp. Einen Anstieg im Client-Bereich erwartet Comparex-Manager Mecke dennoch: "Es wird nicht lange dauern, bis Windows 8 zehn Prozent der Marktanteile bei Client-Betriebssystemen erreicht hat."
Für alle Kundenbereiche
Mit dem Windows-8-Launch werden jede Menge neue Formfaktoren Einzug halten - in erster Linie im Notebook und Tablet-Bereich. Deshalb rechnet Alexander Spohr damit, dass sich Microsofts Neuling am schnellsten im Privatkundenfeld ansiedeln wird. Für Mecke stellt Windows 8 keine Frage von Kundensegmenten dar: "Ob öffentlicher Dienst, Handel oder Industrie; alle werden von Windows 8 profitieren." Dies begründet er damit, dass Personen, die viel unterwegs sind, keine zwei Geräte mit sich herumtragen möchten und weder Zeit noch Lust haben, sich auf immer andere Oberflächen einzustellen. Der gleichen Meinung ist auch Riehn: "Windows ist Windows und wird in allen Segmenten zum Einsatz kommen."
Obwohl sich Windows 8 anfangs vermehrt im Endkundenmarkt verbreiten wird, ist es nicht auszuschließen, dass das neue Betriebssystem auch in Unternehmen Einzug hält. Auch Microsoft verfolgt den Ansatz "Consumerization of IT”. Das bedeutet nichts anderes, als dass Unternehmen versuchen, privat genutzte Endgeräte, wie das iPad oder Android-Smartphones, in deren IT-Umgebung zu integrieren. Das ist aus technischer Sicht sehr anspruchsvoll, besonders dann, wenn es um die Sicherheit geht. "Viele Firmen werden abwarten, ob sich die gesteigerten Sicherheitsmöglichkeiten und das vielfältige Softwaremanagement in ihren Unternehmen umsetzen lassen", sagt Jennifer Weber, Head of Business Unit Microsoft bei Also Actebis. Durch die "Consumerization of IT" verschmelzen Arbeits- und Privatwelt zunehmend. Dadurch wird es der Mitarbeiter in der Rolle als Consumer sein, der die Migrationsprozesse im Unternehmen beschleunigen könnte, so Buchheim.
Dessen ungeachtet setzen viele Unternehmen noch immer Windows XP ein und werden zuerst auf das ausgereifte Windows 7 wechseln. Andere stecken gerade mitten in der Migrationsphase oder haben diese erst kürzlich hinter sich gebracht. Solche Firmen werden sich weniger mit dem neuen Betriebssystem beschäftigen. Jedoch könnte eine Triebfeder der Meilenstein Windows Server 2012 darstellen, erklärt Mario Myrenne.
Schlussendlich vollzieht Microsoft mit Windows 8 eine große Zäsur. Distributoren und Systemhäuser sind gerüstet und erwarten zumeist positive Ergebnisse, vor allem zum baldigen Weihnachtsgeschäft. Ob jedoch die anfängliche Abneigung am Ende siegt oder nicht, hängt allein vom Verbraucher ab. (kv)