E-Mail ist eine der größten Erfolgsgeschichten der Informationstechnologie, aber gleichzeitig klagen fast alle darüber. Sie ist für viele Nutzer die Schaltzentrale ihrer Kommunikation geworden, erstickt aber auch ihre Arbeit. Übervolle Postkörbe sind der Normalzustand und werden allenfalls durch Größenbeschränkungen der Mail-Systeme begrenzt – sehr zum Leidwesen der Anwender, die dann gehalten sind, ihre Eingangsordner aufzuräumen. Auf E-Mail angewiesen zu sein, heißt leider viel zu oft im Informationschaos leben.
Hier lesen Sie ...
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welche alternativen Kommunikationstechnologien helfen, die E-Mail-Überflutung einzudämmen;
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in welcher Form das klassische Vorgangs-Management wiederkehren wird;
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was Mashups und Composite Applications für die E-Mail der Zukunft bedeuten.
Ewig wachsen die Postkörbe
Nach den Ursprüngen Mitte der 1960er Jahre hat sich E-Mail langsam als elektronische Alternative zum Papierbrief (zur Hauspost in Unternehmen) entwickelt und spätestens mit dem Internet in den 1990ern auf breiter Front durchgesetzt. Dabei sind die Mechanismen ähnlich geblieben: Wie der herkömmliche Briefverkehr ist E-Mail ein asynchrones Medium – der Absender hat keinerlei Kontrolle, ob und wann er eine Antwort bekommt. In beiden wird Wert auf eine formal ordentliche Sprache gelegt, sie beginnen in der Regel mit einer formalen Anrede und schließen "Mit freundlichen Grüßen". Beide gelten als Beweismittel (E-Mails allerdings nur mit digitaler Signatur).
Geschäftliche Briefe wurden früher in Ordnern sortiert abgelegt. Das erledigt heute der elektronische Postkorb mit seiner hierarchischen Struktur. Ein großer Unterschied besteht darin, in E-Mails elektronisch suchen zu können, was auch dazu verleitet, Postkörbe anwachsen zu lassen. Somit gibt es zwei wesentliche Bearbeitungsprinzipien bei Postkörben: die Suche in allen Dokumenten und das "Last in – first out", bei dem zuerst das bearbeitet wird, was zuletzt hineingekommen ist. Man könnte auch sagen "Aus den Augen, aus dem Sinn", denn was sich nicht mehr auf den ersten ein bis zwei Seiten befindet, wird nur noch selten betrachtet und gerät in Vergessenheit.
Einen wesentlichen Beitrag zum Informationschaos leisten Anhänge, die es erlauben, den Postkorb auch noch als Dokumenten-Management-System zu missbrauchen. Unter dem Gesichtspunkt effizienter Informationsverarbeitung gibt es keinen Grund, auf eine Mail-Datenbank mit einer Größe von einem oder gar mehreren Gigabyte stolz zu sein.
Das richtige Werkzeug nutzen
Ein Ausweg ist erst in Sicht, wenn man E-Mail wieder auf das beschränkt, wofür sie einst entwickelt wurde: seriöse, asynchrone Kommunikation. Für andere Arten des Informationsaustausches stehen sowohl bewährte Technologien als auch neue Ansätze aus dem Web 2.0 zur Verfügung. Zum einen empfiehlt sich die synchrone Kommunikation mittels Telefon oder Instant Messaging (IM), wobei diese beiden Medien immer weiter zusammenrücken (siehe: " Mail steuert Unified Communication"). So erlauben zahlreiche Anbieter heute schon IM über Handys.
Der Vorteil von synchroner Kommunikation liegt darin, dass man die Antworten meistens sofort erhält. Instant Messaging stört im Vergleich zum Telefon den Angesprochenen weniger und bietet zudem deutlich mehr Komfort. Dazu gehören die Anzeige des Online-Status sowie der mögliche Wechsel zu einer Voice-over-IP-Sprachverbindung. IM sollte das Medium der Wahl für schnelle, kurze Anfragen jeder Art sein. Der dort etwas lockerere Sprachstil erfordert auch weniger Zeit zum Formulieren (siehe: "Instant Messaging knackt Hierarchien"). Auch wenn es noch nicht üblich ist, kann man die Chats auch speichern, so dass sie nicht verloren sind, wenn ihr Inhalt später noch benötigt wird.
Web 2.0 bietet Alternativen
Nach Meinung von Analysten der Gartner Group sind bis zu 80 Prozent der Abläufe in Unternehmen strukturiert und könnten größtenteils über elektronische Formulare abgewickelt werden – statt über E-Mail und Papier. Gerade Medienbrüche führen zu langen Verzögerungen und hohen Kosten. In Verbindung mit automatisierten Workflows lassen sich weitere Vereinfachungen erzielen. Die Mitarbeiter müssen lediglich noch benachrichtigt werden, wenn von ihnen Aktionen erwartet werden. Im Idealfall geschieht das über einen separaten Alarm-Manager oder Instant Messaging aus dem Workflow heraus und nicht über den allgemeinen Postkorb.
Auch das Steuern von normalen Vorgängen sollte eigentlich nicht per E-Mail-Ping-Pong erfolgen. IBM arbeitet an einem Vorgangs-Management-System ("Activity Explorer"), das mit der E-Mail kooperiert, aber den Postkorb entlastet (siehe: "Notes erhält Technik von Workplace"). Mitarbeiter sammeln gemeinsam alle Aktivitäten, die zu einem Vorgang gehören, in einem virtuellen Ordner. Das umfasst unter anderem Mails aus beliebigen Systemen, Intranet- oder Internet-Seiten, Chats oder Dokumente aus dem Dateisystem. Dazu können Aufträge vergeben und deren Erledigung verfolgt werden. Der Zugriff auch auf einzelne Aktivitäten in den Vorgängen kann von den Mitarbeitern selbst gesteuert werden. Und wenn der Verantwortliche für den Vorgang in Urlaub geht, kann er die Dokumente mit einem einzigen Klick genauso weitergeben wie einst den Papierordner. Das mühsame Zusammensuchen der notwendigen Informationen im Postkorb und anderen Datenquellen entfällt.
Auch Wikis helfen, den E-Mail-Verkehr zu begrenzen. Statt immer wieder abschnittsweise bearbeitete Dokumente hin- und herzusenden, können beispielsweise die Mitarbeiter eines Projekts die Dokumentation komfortabel in einem Wiki gemeinsam edieren und gegenseitig verbessern – ohne Postkörbe zu belasten (siehe "Wikis bündeln das Mitarbeiterwissen"). Ähnliches gilt für die Sammlung der gesamten Projektunterlagen in einem virtuellen Teamraum. Gibt es Veränderungen im Wiki oder Teamraum, kann man sich per Feed-Technologie informieren lassen.
Diese Möglichkeit, Informationen aus verschiedensten Quellen per RSS oder ATOM zu abonnieren, ist eine der wichtigsten Neuerungen des Web 2.0 (siehe: "Vom Web 2.0 zu Enterprise 2.0"). Da sich diese Feeds auf fast jede Art von Information ausweiten lassen, würde allein die Menge der dort auflaufenden Benachrichtigungen zum endgültigen Zusammenbruch des Mail-Systems führen. Hier macht sich ein separater Feed-Reader viel besser – aber er sollte im Kontext der E-Mail einsehbar sein, damit man immer einen Gesamtüberblick der aktuell wichtigen Information bekommen kann.
Die Zukunft der E-Mail
Wenn Analysten behaupten, dass die E-Mail ihren Zenit bereits überschritten hat, dann ist das bezogen auf ihre Rolle als universelles Werkzeug der Informationsversorgung vermutlich richtig (siehe "E-Mail: Totgesagte leben länger"). Der Anspruch, zentral über alles aktuell Wichtige informiert zu werden, bleibt aber unverändert bestehen. E-Mail wird darin ein wichtiger Baustein bleiben, aber eben nicht der einzige. Andere, spezialisierte Tools werden wichtige Aufgaben übernehmen und dadurch das Mail-Chaos verringern.
Gleichzeitig heißt das nicht, dass man den Wunsch nach einer zentralen Informationsstelle aufgeben muss. Neue Technologien erlauben auf der Basis offener Standards das Zusammenstellen von Informationsfenstern (Portlets, Plugins, Widgets) zu Composite Applications oder Mashups (der Begriff stammt ursprünglich aus der Hiphop Musikszene und bedeutet dort Soundschnipsel zusammenfügen). In diesem Zusammenhang sind E-Mail und der Kalender nur noch zwei Komponenten neben vielen anderen, zum Beispiel dem Activity Explorer, dem Feed Reader und der Buddy-Liste von IM-Systemen. Die Technologien dahinter sind Portale oder auch ein guter Bekannter aus der E-Mail-Szene: Die 2007 zu erwartende Version von Lotus Notes (Codename "Hannover") wird auf Basis des offenen Eclipse-Frameworks zukünftig auch zusammengesetzte Anwendungen darstellen können und einige der im Web 2.0 üblichen Werkzeuge schon selbst mitbringen. (ws)