"True Dungeon" mag das erste Escape Game gewesen sein. Aber der echte, wirkliche Kerker versteckt sich in Köln, Aachener Straße 748. Getarnt als Zentrale der Unitymedia scheint das Gebäude erst einmal harmlos. Aber hier sitzt die IT, im zweiten Untergeschoss, hinter der Sprinklerzentrale. Das Tageslicht hat den Besucher längst verlassen, als die Brandschutztür aufknarzt. Dahinter räkelt sich ein ITler hinter zwei 24-Zoll-Monitoren und grinst genüsslich, während sich seine vier Gefangenen im Escape Room abarbeiten. Hier wird IT geschult.
CIO Ulrich Irnich hat den Gefangenen folgende Geschichte erzählen lassen: Ein Hacker ist hinter die Sprinkleranlage gekrochen. Er hat sich des Systems "Cable Master" bemächtigt. Cable Master ist die CRM-Lösung, die Unitymedia im Umgang mit seinen rund 7,2 Millionen Endkunden einsetzt. Das Ding war mal eine Standardlösung von Netcracker, ist aber über die Jahre so erfolgreich verbogen worden, dass nur noch wenige Mitarbeiter den Code wirklich kennen. Und ein Hacker, der einen Trojaner eingepflanzt hat. Die Aufgabe an die vier Gefangenen im Escape Room lautet: Kommt hier in 60 Minuten raus, um den Trojaner zu stoppen. "Machen sie gar nicht so schlecht", meint der ITler hinterm Monitor.
Fiktive Aufgabe, realer Lerneffekt
Die Aufgabe ist fiktiv, der Lerneffekt real: Ganz nebenbei begreift jeder Teilnehmer, dass er in punkto IT-Sicherheit mitdenken muss. Und die Gruppe wächst zusammen. Seit April schicken Fachbereiche Teams von vier bis sechs Personen in den Raum. An drei Tagen der Woche dürfen drei der insgesamt 170 IT-Mitarbeiter sich dann von ihren eigentlichen Aufgaben fernhalten, um ins zweite UG hinabzusteigen. Sie gehören zu dem Team, das sich das Escape Game im Rahmen der Unitymedia-HR-Maßnahme "Tell Your Story" ausgedacht haben.
"Ich hatte ihnen dann 3000 Euro gegeben, damit sie den Raum bauen können", erzählt Irnich. Die Kollegen sind mit eigenen Akkuschraubern angetreten, um unter anderem ein Regal im Raum zu fixieren, dem eine Schlüsselrolle im Spiel zukommt. Mehr wird nicht verraten. Wer einmal aus dem Escape Room herausgekommen ist, darf auch nichts vom Lösungsweg weiterplappern. Nur so viel: "Der ist schon anspruchsvoll", sagt Irnich: "Meine Erwartungen wurden weit übertroffen."
Nicht ganz so günstig, aber ähnlich erfolgreich ist ein Projekt, dass 15 ITler Anfang des Sommers realisiert haben: In nur sechs Wochen haben sie eine Testumgebung gebaut und 150 APIs (Application Programming Interfaces) neu gestrickt. Auf der Shortlist für den API-Hub standen Apigee (2016 von Google gekauft) und Mulesoft (2018 von Salesforce gekauft).
API-Hub erleichtert IT-Anbindung
Arcana hatte es nicht auf die Shortlist geschafft, obwohl Unitymedias ehemaliger Besitzer Liberty genau diesen API-Hub nutzte. Irnich wählte seine Shortlist aus, kurz nachdem Liberty gerade die dezentrale Phase eingeläutet hatte und die IT-Entscheidungen zurück in die Regionen delegierte. Wenig später kam dann von Vodafone die Entscheidung dazu, Unitymedia und weitere osteuropäische Kabelnetzbetreiber für 18 Milliarden Euro von Liberty Global zu kaufen. Irnich, der vor seiner Zeit als CIO beinahe mal zu Vodafone gegangen wäre, schmunzelt: "Mich hätten die auch für weniger Geld kriegen können."
Am Ende lief das Rennen um den API-Hub also nur zwischen Google und Salesforce. "Die haben sich von der Lösung nur noch wenig unterschieden", meint Irnich: "Am Ende waren es dann wirklich Kleinigkeiten und der bessere Draht zu unseren langjährigen Kontakten bei Mulesoft." Allerdings war das noch vor dem Kauf von Mulesoft durch Salesforce. "Da hatte ich erst Bedenken", sagt Irnich: "Oh, jetzt werden die Abstimmungen komplexer und langwieriger. Aber das hat sich gar nicht gezeigt." Manchmal habe man zwar länger über die passende Lizenz verhandelt, als der Release gedauert habe. Insgesamt sei es aber immer noch schnell gegangen. Auch die Ansprechpartner seien noch die alten.
Programmierschnittstellen gibt es bei Unitymedia reichlich, denn zum einen laufen im Unternehmen noch Systeme wie die schöne alte IBM AS400. Unitymedia gibt es zwar erst seit 2005. Die IT hat aber offensichtlich schon mit etwas Legacy angefangen. Der CIO kann auch gar nichts Schlimmes an den Altsystemen finden: "Man muss fair sein", sagt Irnich: "AS400 oder P9 fahren wie Öltanker. Das schnuckert alles."
Zum anderen multipliziert sich die Anzahl der Schnittstellen mit der Anzahl an Partnern, die an die Systeme angebunden sein wollen. Media Saturn, Check24 und die vielen anderen Servicepunkte würden auch gerne wissen, wo nun tatsächlich Kabelfernsehen oder schnelles Internet läuft. "Im Kabelmarkt ist immer wichtig: Ist das Produkt an der Heimatadresse des Kunden verfügbar?", so Irnich. "Und wenn es noch nicht vorhanden ist, muss ich dem Kunden sagen können, wann das Produkt verfügbar sein wird."
Alles in allem kommt Irnich auf 600 APIs, die er gerne umbauen möchte: "Dann würde ich sagen, es gibt jetzt keinen Service mehr, den wir nicht mehr zur Verfügung stellen." Ein gutes Viertel konnte Unitymedia also schon während der ersten Projektphase realisieren. Allerdings fallen in diese Phase auch die APIs, die keine große Mühe machen. Die Anbindung an Salesforce zum Beispiel, dessen CRM auch Unitymedia im B2B-Umfeld nutzt. Mulesoft ist seit 2018 Teil von Salesforce. Die Firma von Mark Benioff hat sich den API-Hub 6,5 Milliarden Dollar kosten lassen. Klingt teuer. Passt aber genau ins Konzept der Kalifornier, die von allen Schnittstellen im Mulesoft-Portfolio natürlich Salesforce-APIs besonders pflegen. "Das war dann total leicht und innerhalb von Minuten realisiert", sagt Irnich.
Schwieriger lassen sich die Schnittstellen in die Mainframe-Welt nachbauen. "Wir kommen aus einer Zeit, in der die API so gebaut wurden, dass sie alle Daten zur Verfügung gestellt haben", erläutert der CIO: "Meistens brauchen sie aber nicht die Historie über die letzten zwölf Jahre." Also bastelt der Kabelnetzbetreiber jetzt an APIs, die keine intergalaktischen Anfragen stellen - oder wenn, dann nur möglichst selten. "Wie kriege ich ein Caching hin, dass nicht dauernd auf die Mainframes zugegriffen wird?" lautet Irnichs Kernfrage. Die Lösung würde er dann auch noch gerne in einem Microservice abgebildet sehen: "Ich hoffe, dass der Traum der Service-orientierten Architektur irgendwann noch mal wahr wird. Der alte Ansatz, die alten Systeme zu überführen und dann abzuschalten, scheint ja nicht zu funktionieren."
Am ersten August 2019 hat Unitymedia seine Systeme vom Vorbesitzer Liberty zu Vodafone migriert. Der API-Hub habe geholfen, schneller an Vodafone Anschluss zu finden, sagt Irnich. Die Marke "Unitymedia" wird mittelfristig verschwinden. Und wie sieht Irnich die Zukunft seiner API-Lösung? "In zehn Jahren reden wir nicht mehr über Code oder API, sondern dann ziehen Sie sich das über eine optische Website", erklärt er: "Da teile ich tatsächlich mal die Gartner-Sicht: Dann werden die Designer wichtiger sein als die Entwickler."