Zukunftsforscher Horx: "Die nächste Runde gehört den Wissensmanagern"

11.04.2002
Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, leitet Deutschlands einziges Zukunfts- und Prognose-Institut in Frankfurt. Der Autor sprach mit ComputerPartner-Chefreporterin Marzena Fiok über smarte Technologien, künstliche Intelligenz und neue Werte.

Der Konjunkturkrise und den Terroranschlägen vom 11. September folgte eine wirtschaftliche Depression. Nun prognostizieren viele Marktforscher bereits für die zweite Jahreshälfte einen deutlichen Aufschwung. Wie wird es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Horx: Es kann und wird wieder zu großen Terrorattentaten kommen, und solche "Events" können wir natürlich nicht hundertprozentig präzise vorhersagen. Das wird den Konjunkturmotor jedenfalls noch heftig durcheinanderbringen. In der Trend- und Zukunftsforschung interessieren wir uns allerdings weniger für die Frage von ein oder zwei Prozent mehr oder weniger Wachstum. Wichtiger sind die Anatomien der großen Übergangsprozesse - wie die Transformation vom Industrie- ins Wissenszeitalter, die wir heute erleben. Das ist ein weitaus größerer und spannenderer Zyklus als der Konjunkturzyklus.

Der Einbruch hat insbesondere die vielgepriesenen Unternehmen aus der New Economy und der IT-Branche hart getroffen. Hat diese modernste Industrie ihre Bedeutung als wirtschaftlicher Wachstumsmotor endgültig verloren, oder leidet sie nur ein einem konjunkturellen Schnupfen?

Horx: Die große Informationsrevolution ist ein langfristiger Prozess, der von vielen Rückschlägen und Zwischenphasen begleitet ist. Es hat schließlich auch fast hundert Jahre gedauert, bis das Auto ein Massenverkehrsmittel wurde. Wir erleben derzeit eine Konsolidierungs- und Plateauphase. Es geht in den nächsten Jahren vor allem um Integrationsfragen: Wie kann ich die gigantische Flut der Information bändigen? Wir müssen eine Art "Informations-Ökologie" entwickeln - nachhaltige Wissenskreisläufe. Wir brauchen "smarte" Technologien - menschennah, einfach zu bedienen, simpel, elegant. Das ist alleine mit schnelleren Rechnern und bunteren Bildern, wie sie uns immer wieder als Fortschritt verkauft werden, nicht mehr zu haben. Die nächste Runde gehört den Wissensmanagern und den "Humantechnologen", die die menschlichen Gewohnheiten verstehen, anstatt immer mehr Gimmicks zu entwerfen.

Der von vielen Marktforschern prognostizierte E-Commerce-Boom ist bislang ausgeblieben. Welche Rolle wird das Internet künftig für die Wirtschaft spielen?

Horx: E-Commerce hat sich in einigen Branchen prächtig entwickelt - in den USA werden heute 15 Prozent aller Reisen im Web gebucht. Aber das Internet wird auf absehbare Zeit mehr eine Rolle in der Firmen- und Business-Welt spielen als im Konsumentenmarkt. Die Netzwerkwirtschaft beginnt in den Organisationen, indem die Wertschöpfungsketten radikal verändert werden. Die Netzwerkwirtschaft entsteht - und die alten industriellen Hierarchien zerbrechen.

Es sieht so aus, als ob den Entwicklungen in der Computerbranche derzeit eine deutliche Grenze gesetzt ist. Aus welchen Bereichen werden die nächsten Innovationen kommen, die das Leben und Arbeiten der Menschen so revolutionär verändern werden wie seinerzeit der PC?

Horx: Der nächste große Megamarkt wird die "Erweiterte Gesundheit", also körperliches, seelisches, geistiges "Empowerment": Sport, Fitness, Wellness, Naturerfahrung, Spiritualität, "Healing" - hier spielt die große Nachfrage-Musik, und das hat mit Technologie allenfalls am Rande zu tun. Mittelfristig werden dann Gen- und Nanotechnologien unsere Welt verändern - zum Beispiel durch eine massive Steigerung der Produktivität durch völlig neue Materialien.

Allen Ankündigungen zum Trotz dümpelt die künstliche Intelligenz derzeit auf dem Niveau eines Mäusehirns herum. Wird der PC jemals die Leistungsfähigkeit eines menschlichen Gehirns erreichen?

Horx: Nein, beides ist nicht vergleichbar. Man müsste dem Computer schon einen organischen Körper verleihen, um ihn menschliches Denken zu lehren. Denn Denken ist räumlich, körperlich, es hat mit Fühlen und mit Sterblichkeit zu tun. Computer aber können nur rechnen. Und egal, wie schnell sie das tun, es hat mit organischen Intelligenzformen nichts zu tun.

Der Fortschritt spaltet die Gemüter: Die einen bejubeln eine digitalisierte Welt, die anderen warnen vor Gefahren. Wie schätzen Sie die Lage ein: Wird der Unterschied zwischen Arm und Reich künftig von den technischen Fähigkeiten des Einzelnen abhängen?

Horx: Nicht unbedingt. Ich muss nicht unbedingt einen Computer bedienen können, um in der Wissenswelt Erfolg zu haben. Ich brauche Bildung, umfassende, universale, emotionale Bildung. Technische Intelligenz ist dabei wünschenswert, aber nicht das Nonplusultra. Sonst müsste jeder Computerfreak reich und berühmt sein.

Nach wie vor sind in den Führungsebenen vor allem Männer zu finden, das Interesse der Frauen an IT-Berufen hält sich in Grenzen. Dennoch sagen Sie den Frauen eine große Zukunft in den Unternehmen voraus. Die Gleichberechtigung mag sich inzwischen zwar auch bis zum Arbeitgeber herumgesprochen haben, doch am Problem "Familienplanung gleich Karrierebremse" wird sich doch auch in den nächsten Jahrzehnten - egal in welcher Branche - wohl kaum etwas ändern.

Horx: Oh doch. Weil unsere Gesellschaft sich den Bedürfnissen der gebildeten jungen Frauengeneration anpassen wird. Weil Firmen flexible Arbeit und die Politik Ganztagsschulen einführen werden. In der heutigen Wirtschaftswelt können Unternehmen nicht auf die weiblichen Talente verzichten - Frauen sind heute im Durchschnitt hochgebildeter als Männer, und gerade in den neuen Kommunikationsberufen braucht man ihre Fähigkeiten. Außerdem bleiben etwa 30 Prozent der Frauen kinderlos, und diese Frauen können inzwischen auch knallhart Karriere machen. Sie dürfen die Situation im rückständigen Deutschland nicht mit den Trends in der Welt vergleichen: In Frankreich, Skandinavien, England, USA sind heute die Frauen längst im Management angekommen und erobern auch die oberen Etagen. In Italien, wo das aus kulturellen Gründen viel schwieriger ist, treten sie in Gebärstreik - dort werden nur noch 1,1 Kinder pro gebärfähige Frau geboren. Damit können Sie ein Volk innerhalb eines Jahrhunderts auf nahezu Null reduzieren.

Nach der "Generation X" hatten wir die "Generation Golf" und jetzt die "Generation SMS". Wie würden Sie die kommende Generation bezeichnen? Welche Eigenschaften werden sie auszeichnen, welche Werte werden ihr wichtig sein?

Horx: Ich bin kein Freund dieser schnuckeligen Generationswörter. Die Individualisierung zerstört außerdem zunehmend die Identität von "Gesamtgenerationen". Wir erleben heute wahrscheinlich die erste reale "Ich-Generation", aber damit meine ich keineswegs Egoisten, sondern vernünftige, individualisierte, sehr widersprüchliche junge Leute, die gelernt haben, pragmatisch und neugierig in die Zukunft zu blicken.

www.zukunftsinstitut.de

Matthias Horx

Matthias Horx, 1955 in Düsseldorf geboren, studierte Soziologie in Frankfurt und schlug in den achtziger Jahren eine journalistische Laufbahn ein: Er arbeitete als Redakteur und Autor für "Die Zeit", das "Zeit-Magazin", "Tempo" und "Merian". 1992 wandte sich Horx der jungen Disziplin der Konsum-Trendforschung zu. Er gründete mit dem Kommunikationsprofessor Peter Wippermann das Trendbüro Hamburg. 1996 schied Horx dort aus und gründete sein eigenes Zukunftsinstitut in Frankfurt.

Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Erkennung langfris-tiger Megatrends in Ökonomie, Gesellschaft, Technologie und Märkten. Matthias Horx gilt inzwischen als einflussreichster Trendforscher des deutschsprachigen Raumes und ist ein begehrter Zukunfts-Referent bei Wirtschaft und Politik.

Er hat bis heute 15 Bücher geschrieben. Sein aktuelles Werk "Smart Capitalism - das Ende der Ausbeutung und der Weg in die Next Economy" handelt vom kurzen Frühling der Dotcoms und den fundamentalen Veränderungen der Arbeitswelt der Wissensökonomie. Matthias Horx ist mit einer englischen Journalistin verheiratet, hat zwei Kinder und lebt als passionierter Europäer in Wien, Frankfurt und London. (mf)