Der Launch von Windows 10 steht kurz bevor, aber es gibt noch jede Menge offener Fragen dazu.
Unsere Schwesterpublikation Computerworld sprach mit dem Gartner-Analysten und Microsoft-Experten Steve Kleynhans und stellte ihm zehn Fragen zum neuen Betriebssystem. Wir geben seine Antworten etwas gekürzt wieder.
Wird sich Windows 10 besser verkaufen als Windows 7? Damals waren nach einem Jahr 22 Prozent aller Windows-PC mit dem neuen Betriebssystem ausgestattet.
"Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Windows 10 sich besser verkaufen wird als Windows 7 - und zwar aus drei Gründen", so Kleynhans. "Zum einen wird das kostenlose Upgrade dafür sorgen, dass sehr schnell sehr viele Rechner mit Windows 10 bestückt sind. Zum zweiten haben viel mehr Anwender die Option des automatischen Updates gewählt als noch vor sechs Jahren (als Windows 7 auf den Markt kam). Und zum dritten ist Windows 7 zu Windows 10 sehr viel kompatibler als Windows XP zu Windows 7, damit geschieht der Übergang sehr viel nahtloser als damals."
"Allerdings wird die Diffusion in Unternehmen im ersten Jahr nicht sehr viel schneller passieren. Insgesamt gesehen werden die Firmen aber zügiger auf Windows 10 als damals auf Windows 7 umsteigen, schließlich können sie das in den ersten 12 Monaten kostenlos machen. Zudem gibt es weniger Hürden, die Windows 10 nehmen muss, so gibt es etwa keinen neuen Internet Explorer. Unterm Strich werden die Firmen etwas länger brauchen als Endanwender, aber in beiden Fällen wird die Diffusionsrate höher sein als bei Windows 7."
Wann geht es bei den Unternehmen so richtig los?
"In Unternehmen geschieht nichts wirklich schnell. Abgesehen von einigen Early Adopters wird der Großteil der Unternehmen im Laufe des kommenden Jahres umsteigen - allerdings erst Ende des Jahres. Vorher werden sie sich das Betriebssystem erst genau ansehen und eventuell einige Piloten fahren", so Kleynhans. "Wahrscheinlich werden wir den großen Run erst Anfang 2017 sehen."
Was bringt Windows 10 den Firmen?
"Zwei Dinge: Zum einen mehr Sicherheit, zum anderen vereinfachtes Management. Es gibt eine Reihe neuer Sicherheitsfunktionen, angefangen bei biometrischen Logins bis hin zu hardwarebasierten Security-Features, die speziell im Unternehmen benötigt werden. Sehr attraktiv sind auch ein Store, in dem die Anwender stöbern können, neue Selbstbedienungsfunktionen und eventuell neue BYOD-Optionen."
"Unabhängig von allen Vorteilen, die Windows 10 bieten wird, ist das Ende des Lebenszyklus von Windows 7 das entscheidende Verkaufsargument."
Was ist das größte Problem für Unternehmen bei der Einführung von Windows 10?
"Wahrscheinlich Trägheit", so Kleynhans. "In weiten Teilen ist weder Hardware- noch Software-Kompatibilität ein Hindernis, wenngleich es bei Third-Party-Software etwas anders aussehen mag, insbesondere in stark regulierten Industriesektoren. Nichtsdestotrotz ist eine großangelegte Windows-Migration immer eine Herausforderung. Und auch wenn Microsoft verspricht, dass sei die letzte Migration - sie muss erstmal durchgestanden sein."
"Wie jedes große Projekt wird auch dieses viel Zeit und Ressourcen verschlingen. Es wird störend sein. Und es gibt einiges neues zu integrieren, etwa ein neues Service-Modell sowie Änderungen in der Verwaltung."
(Computerworld konnte nicht widerstehen und fragte nach, ob Kleynhans wirklich glaubt, dass dies das letzte Update sein wird, das Unternehmen selber durchführen müssen. "Microsoft scheint dies jedenfalls zu glauben", lautete die Antwort. "Aber wer weiß das schon so genau. In zehn Jahren kann sich viel ändern.")
Werden die Unternehmen Microsofts neue Patching und Update-Services akzeptieren, oder werden sie Windows 10 genauso behandeln wie Windows 7 und Geräte mit LTSB (Long-Term Servicing Branch) nicht zulassen?
"Einige Firmen werden sich ohne jeden Zweifel auf LTSB einlassen, weil es zunächst sicher und gewohnt aussieht", so der Analyst. "Ich vermute aber, dass sie sehr schnell bemerken werden, wie eingeschränkt man dadurch wird. Für viele Anwender geht LTSB gar nicht."
"Reflexhaft werden einige Firmen LTSB auf möglichst viele Anwender ausweiten, nur um dann immer mehr davon auszunehmen. Ich schätze, ein Großteil der Unternehmen wird LTSB zunächst den meisten Beschäftigten aufnötigen und dann immer mehr Ausnahmen machen. Schätzungsweise 2019 werden keine zehn Prozent der Belegschaft mehr mittels LTSB upgedatet."
Wird Windows 10 Microsoft messbare Vorteile im Mobile-Bereich verschaffen?
"Naja, schaden kann es nicht", so Kleynhans. "Die Entscheidende Frage ist, ob es Microsoft gelingen wird, die Entwickler dazu zu bringen, Apps genauso für Windows 10 zu entwickeln, wie sie das heute schon für iOS und Android tun."
"Was einzig wirklich hilft ist Marktanteil. Wenn die Entwickler Windows 10 als lohnenswertes Ziel ausmachen. Lohnenswert ist es, wenn man sich das gesamte Windows-10-Ökosystem vor Augen führt. Betrachtet man allerdings ausschließlich Windows auf dem Handy, dann sieht der Marktanteil sehr viel geringer aus - genau wie das Interesse der Entwickler."
Universal Apps und Windows as a service
Was ist mit Microsofts Universal App-Strategie? Wird das einschlagen?
"Microsoft hofft das jedenfalls", so Kleynhans. "Aber das wird sich erst langsam aufbauen. Es handelt sich schließlich nur um eine unter vielen Optionen für Entwickler. Und selbst wenn sich diese auf den PC versteifen: Die Frage ist immer noch, ob ich eine Web App bauen soll, oder eine traditionelle Windows App - oder setze ich doch lieber weiter auf .NET?"
"Ich denke, dass Entwickler, die sich auf den PC konzentrieren, auf eine Kombination aus Web und Universal App setzen werden. Das wird allerdings erst 2018 oder später Auswirkungen zeigen, wenn eine kritische Masse an Windows 10-Geräten erreicht ist."
"Universal Windows Apps sind besonders interessant für Unternehmen, die etwas bauen wollen, auf das man sowohl vom Tablet als auch vom PC zugreifen kann. Das wird Windows 10 unter Gesichtspunkten der Mobilität durchaus etwas bringen. Kurzfristig wird sich das bei Spielen auswirken, weil sich die Leute gern ablenken, auch auf dem PC."
Wird es im Januar 2020 wieder eine Kampagne geben wie im Falle von Windows XP, als man ja förmlich gezwungen wurde, auf Windows 7 upzugraden?
"Heutzutage sind sich die Leute über das Ende von Windows 7 sehr viel mehr bewusst als das bei Windows XP der Fall war", meint Kleynhans. "Viele Unternehmen erinnern sich noch an den letzten Umstieg, und das Ende von Windows 7 ist in den meisten Roadmaps der IT-Abteilungen fest vermerkt."
"Generell agieren Firmen heute viel proaktiver und werden versuchen, 2019 nicht vom Umstiegszwang überrascht zu werden. Aber es liegt in der Natur der Sache und des menschlichen Geistes, nachlässig zu werden - insofern werden wir einige Tumulte sehen, aber nicht so viel wie zum Ende von XP."
Wird Microsoft weiterhin Geld für sein Betriebssystem verlangen können oder muss der Konzern auf ein neues Geschäftsmodell, basierend auf Services, umsteigen?
"Microsoft wird weiterhin für jedes Windows einen Preis verlangen", so Kleynhans. "Die Frage ist nur, ob die Anwender es überhaupt noch mitbekommen, dass sie für Windows bezahlen."
"Die meisten Anwender werden Windows als Teil eines Gerätes kaufen, das Betriebssystem ist also quasi ein Teil wie etwa der Akku oder der Bildschirm. So lange Sie sich keinen eigenen PC bauen, sehen Sie die Kosten für Windows ja gar nicht. Und da auch die Updates nichts kosten, ist es den meisten nicht bewusst, dass sie jemals für Windows Geld ausgegeben haben."
"Auf der anderen Seite werden Unternehmen allmählich in Richtung eines Software Assurance-Modells mit flexibler und tiefgehender Unterstützung getrieben, wobei zusätzliche Verwaltungs- und Sicherheitsfunktionen die Karotten für sie darstellen und traditionelle Volumenlizenzierung alt aussehen lassen. Die Zukunft gehört dem Abo-Modell."
Im Rückblick sieht es so aus, als ob Microsoft 2014 bereits viele Schritte hin auf Windows 10 gemacht hat, hier seien etwa der erzwungene Umstieg auf Windows 8.1 binnen vier Monate genannt, oder das Auslaufen diverser IE-Versionen außer der 11. War das alles genau so geplant oder hat Microsoft einfach herumprobiert?
"Vermutlich handelte es sich mehr um einen evolutionären Prozess als um einen Masterplan. Sicherlich hatte Microsoft immer die Absicht, dass die Anwender stets die neuste Version des IE nutzen. Das Timing im vergangenen Jahr stand aber sicherlich bereits, als Windows 10 noch nicht Gegenstand der Planung war."
"Ich halte die Updates für Windows 8.1 für Testläufe für eine schnellere Update-Praxis und nicht für langfristige Schritte hin zu einer neuen Praxis. Bedenken Sie: Bei Microsoft haben wir gerade einen Regimewechsel gesehen, aktuell erleben wir den Umstieg auf die Pläne und Vorstellungen der neuen Chefs - natürlich immer unter veränderten Marktbedingungen." (mje)