Wer kennt nicht diese auch zum Teil wunderbar klar strukturierten Workshops, die mit guter Fragestruktur die Denk- und Entscheidungsprozesse der Gruppe leiten und Ergebnisse in Form von Maßnahmenplänen produzieren. Alle Workshop-Teilnehmer haben sich dafür kostbare Zeit genommen und sich in Kleingruppen und im Plenum für eine gute Lösung eingesetzt. Meist gehen sie mit einem guten Gefühl und einem Bündel "To Do's" zurück an den Arbeitsplatz, wo sich inzwischen unzählige E-Mails und andere eilige Anforderungen angehäuft haben.
Selbstdisziplin
Der Alltag fordert den üblichen Einsatz und bietet nicht freiwillig Raum für die "To Do's" des Workshops. Hier braucht es viel Selbstdisziplin, diese einzuordnen und angemessen zu priorisieren. Bis dann diese individuellen Schritte der Umsetzung passieren, vergeht Zeit und das Gefühl der Wirksamkeit des im Workshop gemeinsam erarbeiteten Spirits. Die meisten erinnern nicht mehr, was die anderen machen sollten und was daraus geworden ist. Viele warten auf das Fotoprotokoll oder wissen nicht, wo es auf dem gemeinsamen Server abgelegt ist; außerdem ist es optisch mühsam, die Schrift auf den Moderationskarten im pdf-Format zu lesen, oder in der abgetippten Version das wiederzufinden, was einem im Workshop wichtig war.
Dieses Erleben von eigener Unsicherheit und fehlender Gesamt-Orientierung führt dazu, dass man nicht unbedingt bei anderen nachfragt und der Alltag die erarbeiteten Ergebnisse "verschluckt". Wenn man sich selbst sehr konstruktiv erlebt hat im Workshop und letztendlich unklar ist, was passiert ist, führt das zu Frustration und Verärgerung über andere, die ja "schuld sein müssen, weil ich war ja konstruktiv dabei". Die Motivation für einen nächsten Workshop ist denkbar gering.
Wer Glück hat, kriegt einen Follow up-Workshop, in dem man gemeinsam feststellen kann, was umgesetzt wurde und was nicht, so dass ein gemeinsamer Eindruck von Nachhaltigkeit erreicht werden kann. Leider entsteht hier auch meist ein gemeinsamer Eindruck von "im Team klappt es leider nicht so, wie es sollte".
Vor, im und nach dem Workshop
Einige Jahre konnte ich diese Diskrepanz zwischen guter Moderationsstruktur in Verbindung mit konstruktiven Teilnehmern zu der Wirksamkeit im Alltag erleben und habe folgende Klarheit erlangt:
- Vor dem Workshop passiert nichts, weil alle auf den Workshop warten.
- Im Workshop passiert nichts, weil dort alle nur darüber sprechen, was nach dem Workshop passieren soll.
- Nach dem Workshop passiert nichts, weil der Alltag das Fotoprotokoll "verschluckt".
Seither verzichte ich in Team-Coachings weitestmöglich auf Maßnahmenpläne und das Erarbeiten von schriftlichen Ergebnissen. Ich achte bereits im Auftragsprozess darauf, welcher Veränderungsschritt erlebt werden muss, und stelle das Workshop-Konzept gezielt auf dieses Erleben ab. Das erfolgreiche Erleben ist in jedem Teilnehmer dann gespeichert und weitaus wirksamer als alles, was auf einem Flipchart stehen könnte. Und auch der Versuch, das Erleben in Worte zu fassen, z.B. als Resümee, Maxime, Wert, Regel, Vereinbarung, nimmt die Wirksamkeit in der Person eher weg als sie zu verstärken, weil dann die Aufmerksamkeit wieder auf das Papier gelenkt wird - weg von den Aktionsträgern.
Team-Coachings werden oft aus folgenden Gründen angesetzt:
Bereitschaft zum und Organisation des Change
Optimierung der Prozesse
Steigerung der Kooperation
Konfliktklärung im Team
Inspiration
Steigerung der Motivation
Steigerung der Verlässlichkeit
u.v.a.m.
Veränderungsschritte
Erforderliche Veränderungsschritte sind dann je nach Situation des Teams z.B. das Erleben,
dass gegenseitige Einbeziehung einen Mehrwert hat
dass Andersartigkeit nicht unsympathisch sein muss
dass man auch im Unbekannten Orientierung finden kann
dass man mehr kann als man denkt
wie Dynamiken im Team entstehen und beruhigt werden können
dass eine direkte Aussprache die Beziehung verbessert statt ihr zu schaden
dass es nicht um Schuldzuweisung gehen muss und jenseits der Schulddenke die Welt der Möglichkeiten anfängt
dass in den Persönlichkeiten der Kollegen mehr steckt, als man bisher vermutete
dass die eigene Leidenschaft (wieder) aufwachen kann
dass die persönlichen Nöte und Bedürfnisse ähnlich sind und das Team darin in einem Boot sitzt
dass es eine tiefere Wahrheit gibt und es hilft, sie auszusprechen
u.v.a.m.
Für diese Themen von Team-Coachings braucht es gezielte Aufgaben und Übungen, die die o.a. Erlebnisse ermöglichen. Dazu braucht man nicht gleich Outdoor-Übungen, deren Erlebnisse oft so intensiv sind, dass sie den Team-Effekt überlagern. Die Aufgabenstellungen können je nach Stil des Teams und der Führungskraft sehr sachorientiert oder auch mehr experimenteller Natur sein.
Eine sehr praxisnahe Variante könnte sein, dass das Team ein reales Meeting abhält, bei dem jedoch nur die Hälfte der Team-Mitglieder teilnimmt und die andere Hälfte gezielte Beobachtungs-Aufgaben erhält, die zum erforderlichen Veränderungsschritt passen, z.B. Durch welche Aussagen und Haltungen entsteht die übliche Dynamik? Oder: Wie kommt hier der Schuldgedanke rein? Welche Aussage würde ihn an welcher Stelle wegnehmen? Die Übung könnte mit der zweiten Halbgruppe wiederholt werden und / oder nach der Besprechung der Beobachtungen gleich in einer weiteren Meeting-Übung umgesetzt werden.
Wer sich hierbei selbst neu erlebt und dabei die positive Wirkung erlebt und gespiegelt bekommt, braucht keinen Maßnahmenplan. Die innere Wirkung ist bereits viel größer.
Eine tiefere Ebene erreichen
Nach meiner Erfahrung hat es eine unerwartet große positive Wirkung, wenn im Workshop erstmalig eine tiefere Ebene von Wahrheiten besprechbar wird, als es im Alltag mit all den sicherheitsorientierten Image-Automatismen möglich war. Wer einmal erlebt, dass diese tiefere Ebene im Kreis der Kollegen und des Chefs möglich ist, kann künftig andere tiefe Wahrheiten einbringen - ein Effekt, der die Wirksamkeit des Teams enorm erhöht. Vertrauen wurde erzeugt statt nur vereinbart.
Maßnahmenpläne und Flipchart-Vereinbarungen sind nur für Workshops auf der rein fachlichen Ebene (operativ bis strategisch) geeignet und werden meistens überschätzt. Die darin erzeugten Commitments braucht es meist nicht, wenn sich der Einzelne als verantwortlich, wirksam und mit seiner eigentlichen Wahrheit integriert erlebt. (OE)
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