Change und kein Ende

Woran es an der Unternehmenskultur krankt

16.03.2012
Was der stete Wandel für Firmen bedeutet, sagt die WSFB Gruppe im Gespräch mit Bernhard Kuntz.


Im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich in den Unternehmen - von der Arbeitsstruktur bis zur Unternehmenskultur - fast alles verändert. Und dieser Change-Prozess wird sich in einem stets rasanteren Tempo fortsetzen. Davon sind die Geschäftsführer der WSFB Beratergruppe Wiesbaden überzeugt. Daraus resultieren neue Herausforderungen an die Unternehmen.

Seit zehn Jahren führt WSFB Organisationsberater-Ausbildungen durch? Was hat sich in diesem Zeitraum in den Unternehmen verändert?

Rainer Flake: Fast alles - von der Organisationsstruktur über die Arbeitsprozesse und -beziehungen bis hin zur Unternehmenskultur.

Was war der wesentliche Treiber der Veränderung?

Flake: Der technische Fortschritt - insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Er ermöglichte es, die Arbeits- und Kommunikationsprozesse in den Unternehmen und zwischen ihnen ganz neu zu gestalten und war damit der Motor der Veränderung.

Hans-Werner Bormann: Sowie der Globalisierung. Ohne die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie wäre die Globalisierung, wie wir sie erleben, nicht möglich gewesen. Wobei uns im Rückblick selbst immer wieder überrascht, mit welch rasanter Geschwindigkeit sich diese Entwicklung vollzogen hat.

Projektarbeit ist vielfach Regelarbeitsform

Warum?

Bormann: Vor zehn Jahren waren - vereinfacht formuliert - in den meisten Unternehmen gerade Mal die Büroarbeitsplätze mit PCs ausgestattet, und die Betriebe waren noch vollauf damit beschäftigt, diese zu vernetzen, um die internen Arbeitsprozesse zu optimieren. Das Internet jedoch? Es steckte noch in den Kinderschuhen. Und die sozialen Netzwerke wie Facebook? Sie waren noch nicht einmal erfunden. Und heute? Heute ist es nicht nur selbstverständlich, dass die Unternehmen via Internet miteinander kommunizieren, was ganz neue Formen der Zusammenarbeit - weltweit - ermöglicht. Sie kommunizieren auch mit ihrer Umwelt via Internet sowie zunehmend mittels der Social Media.

Inwiefern haben sich hierdurch die Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen in den Unternehmen verändert?

Johann Scholten: Vor zehn Jahren waren die meisten Betriebe noch sehr hierarchisch strukturiert, und sie waren weitgehend darum bemüht, die einzelnen Bereiche wie zum Beispiel die Produktion zu optimieren. Heute hingegen haben fast alle Großunternehmen eine Matrix-Organisation.

Um die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu forcieren?

Scholten: Richtig.

Flake: Woraus auch neue Anforderungen an die Mitarbeiter resultieren. Nehmen Sie das Beispiel Team- und Projektarbeit. Vor zehn Jahren waren die meisten Unternehmen noch damit beschäftigt, diese in einzelnen Bereichen wie dem IT- oder Forschungsbereich einzuführen. Heute hingegen ist die bereichs- und vielfach auch unternehmensübergreifende Team- und Projektarbeit in vielen Betrieben bereits die Regelarbeitsform.

Die Kultur hinkt der Struktur oft hinterher

Inwiefern hat sich durch die veränderte Organisationsstruktur auch die Kultur der Unternehmen gewandelt?

Bormann: In der Organisationsstruktur eines Unternehmens spiegelt sich auch dessen Kultur wider. Deshalb hat ein Wandel der Organisationsstruktur sowie der Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen auch einen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Unser Eindruck ist jedoch: In vielen Unternehmen hinkt die Kultur der Entwicklung der Organisationsstruktur hinterher. Und dies ist ein zentraler Hemmschuh für ihre weitere Entwicklung.

Warum hinkt die Unternehmenskultur der Organisationsstruktur hinterher?

Flake: Weil man sie im Gegensatz zur Organisationsstruktur nicht top-down - oder salopp formuliert per Vorstandsbeschluss - verändern kann. Denn damit sich die Kultur eines Unternehmens wandelt, müssen die für sie tätigen Personen ihre Einstellungen sowie Denk- und Verhaltensmuster ändern. Dieser Prozess vollzieht sich nicht von heute auf morgen, denn den meisten Menschen - auch uns - fällt ein Verändern ihrer Denk- und Verhaltensmuster schwer.

Warum?

Bormann: Weil ihre Einstellungen ein Teil ihrer Persönlichkeit sind. Und ihre Verhaltensmuster? Sie vermitteln ihnen Sicherheit.

Scholten: Hinzu kommt ein weiterer Punkt. Alle Betriebe stehen vor dem Dilemma, dass sie einerseits eine gewisse Hierarchie und ein bestimmtes Regelwerk brauchen. Ansonsten wäre die Organisation nicht steuerbar. Zugleich steht dieses Regelwerk aber vielfach ihren Mitarbeitern im Weg, wenn sie die gewünschten, neuen Verhaltensmuster zeigen möchten. Hier stets aufs Neue die richtige Balance zu finden, ist für alle Unternehmen eine große, permanente Herausforderung.

Unternehmen stoßen an ihre Grenzen

Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Scholten: Ja. Viele Unternehmen fordern von ihren Mitarbeitern "Ihr müsst unternehmerisch denken und handeln". Oder nicht ganz so anspruchsvoll formuliert: "Ihr müsst eigenverantwortlicher handeln und beim Wahrnehmen eurer Aufgaben sowie Suchen neuer Problemlösungen mehr Eigeninitiative zeigen". Tun dies die Mitarbeiter aber, dann stellen sie oft fest: Das firmeninterne Regelwerk steht mir hierbei im Weg und im Extremfall werde ich, wenn ich ein solches Verhalten zeige, sogar sanktioniert. Die Folge: Sie behalten ihre alten Verhaltensmuster bei - auch wenn in den Firmenverlautbarungen etwas anderes verkündet wird.

Bormann: Insgesamt ist unser Eindruck: Viele Unternehmen stoßen, wenn es um das Bewältigen der Herausforderungen, die aus dem Wandel des Unternehmensumfelds resultieren, an ihre Grenzen. Sie hinken der Entwicklung stets hinterher.

Warum?

Flake: Weil die Veränderungen so vielfältig sind und sich so schnell vollziehen.

Scholten: Woraus eine Komplexität resultiert, die nur noch bedingt zu erfassen und zu managen ist. Nehmen Sie das Beispiel Social Media. Welche Konsequenzen sich aus ihrem Siegeszug für die Unternehmen in den nächsten Jahren ergeben, ist heute für alle Betriebe nur bedingt vorhersehbar. Entsprechend schwer können sie sich sozusagen präventiv auf diese einstellen.

Change-Projekte bedingen und überlappen sich

Flake: Deutlich spiegelt sich diese Veränderung im Bereich Projektmanagement wieder. Vor zehn Jahren lautete das Credo vieler Unternehmen noch: Nach einem Veränderungsprojekt muss in einer Organisation zunächst mal wieder Ruhe einkehren, damit sich diese wieder stabilisieren kann - getreu der alten Maxime von Kurt Lewin "erst auftauen, dann verändern, dann einfrieren". Heute ist dieses "Einfrieren" in vielen Unternehmen nicht mehr möglich, weil ein Changeprojekt das andere jagt und sich diese wechselseitig überlappen und bedingen. Der Change ist zum Dauerzustand in den Unternehmen geworden.

Scholten: Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Viele Projekte sind heute nicht mehr vom Ziel her planbar, weil sich im Projektverlauf die Rahmenbedingungen so stark ändern, dass das Ziel neu definiert werden muss.

Was folgt daraus für die Unternehmen?

Scholten: Sie müssen in die Projekte mehr Reflexionsschleifen einbauen, in denen sie überprüfen: "Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg, oder müssen wir unser Vorgehen oder gar Ziel ändern?" Und sie müssen viel stärker als früher die Intelligenz der Organisation nutzen, um ihr Ziel zu erreichen.

Mehr Kompetenz in Sachen Change-Management

Was heißt das?

Flake: Früher genügte es meist, wenn einige Experten in der Organisation - zum Beispiel im Bereich Organisationsentwicklung - fit in Sachen Changemanagement waren. Heute hingegen muss überspitzt formuliert jeder Mitarbeiter eine gewisse Grundkompetenz im Umgang mit Veränderungen haben. Das haben viele Unternehmen erkannt.

Woran erkennen Sie das?

Flake: Unter anderem daran, dass heute viele Unternehmen nicht nur ihre Projektmanager, sondern auch ihre Führungskräfte als Changemanager ausbilden lassen. Zudem ist das Thema Change-Management inzwischen ein fester Bestandteil jedes Führungskräfteentwicklungsprogramms.

Bormann: Auch an den drei offenen Organisationsberaterausbildungen, die wir jährlich starten, neh-men heute deutlich mehr Firmeninterne als vor zehn Jahren teil.

Scholten: Ein weiteres Indiz dafür, dass sich diesbezüglich ein Bewusstseinswandel vollzogen hat, ist, dass viele Großunternehmen in den zurückliegenden Jahren interne Consulting-Bereiche aufgebaut haben.

Steckt dahinter nicht primär das Motiv, externe Beraterhonorare zu sparen?

Scholten: Nein, so wird dies zwar vielfach in der Beraterszene diskutiert. Doch dies ist eine Fehleinschätzung. Faktisch steckt dahinter die Erkenntnis: Wir stehen, wenn es darum geht, unsere Organisation zukunftsfit zu machen, vor einem so großen Changebedarf, dass wir diesen mit externen Beratern allein, die temporär für uns arbeiten, nicht stemmen können. Wir brauchen mehr Kompetenz in Sachen Changemanagement im eigenen Haus.

Flake: Und diese Einschätzung ist richtig, weshalb wir als Organisationsberater den Aufbau interner Consulting-Bereiche begrüßen.

Mitarbeiter müssen "Selbstentwickler" werden

Lässt sich auch der Coaching-Boom der vergangenen Jahre mit dem gestiegenen Veränderungsdruck erklären, unter dem die Unternehmen stehen?

Bormann: Ja.

Inwiefern?

Bormann: In den letzten Jahren setzte sich in den Unternehmen folgende Erkenntnis durch: Es genügt heute nicht mehr, den Mitarbeitern das erforderliche Wissen zu vermitteln, um ihre Aufgaben zu erledigen, da sich die Herausforderungen an sie zu schnell wandeln und somit ihr Wissen sehr rasch veraltet. Stattdessen müssen wir den Mitarbeitern zunehmend die Kompetenz vermitteln, dass sie weitgehend eigenständig und -verantwortlich Lösungen für die Herausforderungen und Probleme entwerfen können, vor denen sie im Arbeitsalltag stehen.

Scholten: Mit dem übergeordneten Ziel, dass die Mitarbeiter sozusagen Selbstentwickler werden, die selbst erkennen, wo bei ihnen zum Beispiel aufgrund der veränderten Anforderungen ein Entwicklungsbedarf besteht oder entsteht, und die zudem selbstständig für sich Strategien entwerfen können, um diesen zu befriedigen.

Bormann: Richtig, um den Erwerb dieser Kompetenz geht es letztendlich beim Coachen. Denn ansonsten können die Unternehmen den Qualifikationsbedarf, der aus den Veränderungen resultiert, gar nicht mehr befriedigen - auch weil der Qualifizierungsbedarf der Mitarbeiter immer spezieller wird, weshalb er sich mit Standardprogrammen, die zum Beispiel die Personalabteilung entwickelte, immer weniger bewältigen lässt.

Haben Sie aufgrund des Coaching-Booms auch einmal erwogen, Ihre Organisationsberater-Ausbildung umzubenennen - zum Beispiel in Changecoach-Ausbildung?

Flake: Ja, aber wir haben uns dagegen entschieden.

Das System Unternehmen muss lernen

Warum?

Flake: Wir sind systemische Berater, die organisational ausgerichtet sind. Das heißt, unser Hauptaugenmerk liegt stets auf dem System Unternehmen, das sich entwickeln muss. Das Coaching hingegen legt den Fokus primär auf das Individuum. Dadurch dass der einzelne Mitarbeiter sich entwickelt beziehungsweise etwas lernt, ist aber noch lange nicht sichergestellt, dass das System Unternehmen sich entwickelt. Da aber Letzteres bei unserer Arbeit als systemische Berater stets unser Ziel ist, haben wir uns gegen ein Umbenennen unserer Ausbildung in Changecoach-Ausbildung entschieden,

Aber müssen sich nicht auch die einzelnen Mitarbeiter entwickeln, damit sich das System Unternehmen entwickelt?

Bormann: Selbstverständlich. Die Kernfrage ist aber: Wie betrachte ich als Organisationsberater den einzelnen Mitarbeiter mit all seinen Denk- und Verhaltenspräferenzen, Stärken und Schwächen? Wir betrachten ihn stets primär als einen Teil des Gesamtsystems, in dem er aufgrund seiner Position gewisse Aufgaben zu erfüllen hat. Das heißt, seine Entwicklung ist nie Selbstzweck, sondern hat be-zogen auf das Erreichen der Unternehmensziele eine dienende Funktion. Dieses Denken haben wir als Organisationsberater auch im Hinterkopf, wenn wir Mitarbeiter von Unternehmen coachen. Und diesen Grundgedanken, dass er aufgrund seiner Position in der Organisation gewisse Aufgaben zu erfüllen hat, vermitteln wir beim Coachen auch dem Mitarbeiter.

Das ist ein sehr pragmatischer Ansatz.

Bormann: Und ein realistischer. Denn nicht nur wir als Berater werden vom Unternehmen bezahlt - auch der Mitarbeiter. Deshalb darf das Unternehmen auch Forderungen an ihn und uns stellen.

Danke für das Gespräch.

Bernhard Kuntz ist Inhaber der Die PRofilBerater GmbH, Darmstadt, www.die-profilberater.de
Weitere Informationen unter www.wsfb.de