Herr Werner, Viele Elektronikhändler - zum Beispiel Media-Saturn im stationären Bereich oder Cyberport im Online-Umfeld - haben sich heute eine Multichannel-Strategie auf die Fahnen geschrieben. Wo steht Conrad in dieser sich wandelnden Handelswelt?
Jörn Werner: Viele traditionelle Händler haben das Web lange als Gefahr wahrgenommen und sind dann zu einer "Me too"-Strategie übergegangen. Bei Conrad haben wir dagegen vor drei Jahren beschlossen, dass wir unseren genetischen Code, den Katalog, verlassen und zu einem E-Commerce-Unternehmen werden. Das heißt nicht, dass wir Amazon kopieren - wir gehen unseren eigenen Weg und das bedeutet für uns Multichannel in einer hochentwickelten Form. Unser Ziel ist es, dass wir auch unsere Filialen in den E-Commerce-Prozess miteinbeziehen. Kunden sollen zum Beispiel in unseren Stores künftig auf dem Smartphone per App einkaufen können.
Wie weit sind Sie mittlerweile in dieser Transformation fortgeschritten?
Werner: Ziemlich weit. Sie müssen sich dazu nur unser Abschneiden im Multichannel-Reife-Check von IBM anschauen. Wir sind auch bei vielen unauffälligen, aber dafür umso wichtigeren Backend-Prozessen viel weiter als andere Marktteilnehmer. Wenn ich mir anschaue, was der Wettbewerb jüngst als Multichannel präsentiert hat, dann bedeutet das nur, dass sie ihre Printwerbung ins Web verlagert haben. Bei Conrad dagegen haben wir durchgängig alle Verkaufsprozesse zwischen Filialen und Onlineshop verknüpft und können beispielsweise sämtliche Warenverfügbarkeiten in Echtzeit online darstellen.
"Unser Ziel ist es, den Handel ein Stück weit neu zu erfinden"
Wie verändert sich durch einen solchen Wandel der POS?
Werner: Unsere Filialen werden in Zukunft ein anderes Gesicht haben. Wir wollen dem Kunden nicht nur Produkte verkaufen, sondern ihm helfen, sein Anwendungsproblem zu lösen, zum Beispiel auch über vordefinierte Pakete. Schon heute versuchen wir, unseren Kunden am POS zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel durch die Integration von Online-Inhalten mittels Tablets, mit denen wir unsere sogenannten "Highlight-Möbel" ausgestattet haben.
Reichen solche technischen Gimmicks aus, um den Handel der Zukunft zu gestalten?
Werner: Nein, so etwas wie unsere "Highlight-Möbel" ist nur eine Übergangstechnologie. Die Zukunft ist vielmehr das "Mobile Device", zum Beispiel das Smartphone und die App-Technologie. Wir verstehen die Conrad-App als Navigations-Tool, das den gesamten Kaufprozess beherrschen muss, von der Vereinbarung eines Beratungstermins in der Filiale über die Navigation zum gewünschten Produkt bis hin zum Bezahlen auf dem Smartphone.
Welche Funktion nimmt in Ihrer Strategie die neu gelaunchte Online-Community von Conrad ein?
Werner: Die Community geht noch einen Schritt weiter als unser bisheriges E-Commerce-Engagement. Unser Ziel ist es damit, den Handel ein Stück weit neu zu erfinden. Denn es reicht heute nicht mehr, die Ware nur zu verkaufen. Der Kunde muss diese auch erleben. Sowohl vor als auch nach dem Kauf will der Kunde von seinem Händler betreut werden. Das ist schließlich unser großes Unterscheidungsmerkmal zum reinen Online-Handel: bei uns arbeiten echte Menschen, die auch nach dem Kauf noch mit dem Kunden in Kontakt bleiben. Unser Ziel ist es, Kunden zu Fans zu machen.
"Filialen in den Multichannel-Prozess einbinden"
Klassischerweise kommt Conrad aus dem Katalog- und Filialgeschäft, mit dem Online-Handel ist in den letzten Jahren ein starkes drittes Standbein dazugekommen. Welche Bedeutung haben diese jeweiligen Kanäle heute für Ihr Unternehmen?
Werner: Ganz klar: der gedruckte Katalog geht immer weiter zurück. Das, was wir einmal unsere "Bibel" genannt haben, gibt es heute im B2C-Geschäft gar nicht mehr, nur noch in einigen Nischen. Auch im B2B-Bereich fahren wir den Katalog zurück, doch funktioniert dieser dort noch ganz gut. Erst wenn es uns gelingt, die Artikelkategorisierung im Web so fein darzustellen wie im Katalog, wird dieser auch im Geschäftskundenbereich überflüssig werden. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns komplett von Print verabschieden: auch in Zukunft können zum Beispiel kurze, gedruckte Newsletter mit den individuellen Interessen der Kunden durchaus Sinn machen. Unsere Strategie ist es aber, dass unser Kern künftig im E-Commerce liegt. Die Filialen werden wir dabei in den Multichannel-Prozess einbinden.
Können Sie den Umsatzanteil, den Online heute für Conrad ausmacht, beziffern?
Werner: Online macht bei uns inzwischen rund 50 Prozent aus. Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um einen Kanalwechsel von Katalog ins Web.
Wo steht Conrad eigentlich umsatzseitig? Öffentlich einsehbar ist nur die Umsatzzahl von 866 Millionen Euro für das Jahr 2012. Mit den Beteiligungen im E-Commerce-Bereich dürfte der Gruppenumsatz aber inzwischen deutlich höher liegen...
Werner: Unser Gesamtumsatz als Gruppe lag 2013 bei rund 1,2 Milliarden Euro. Und wir wachsen derzeit kräftig weiter. Das können Sie auch an dem neuen Logistikzentrum sehen, das wir Mitte November in Wernberg eröffnet haben und mit dem wir unsere Logistikkapazität von 9 Millionen Pakete pro Jahr auf 16 Millionen erhöhen. Dabei reden wir aber von einem profitablen Wachstum. Wir wollen nicht wachsen ohne Geld zu verdienen. Und unsere Strategie ist es auch nicht, durch Börsengänge Geld zu holen. Wir sind ein Familienunternehmen und diese Konstitution unterscheidet uns von vielen anderen Spielern. Unser Ziel ist es, Conrad nachhaltig profitabel zu halten.
"Conrad will nicht wachsen ohne Geld zu verdienen"
Viele Wettbewerber, die sich vom stationären Handel in den E-Commerce entwickeln, werden in den nächsten Jahren noch kräftig mit ihrer Flächenrentabilität zu kämpfen haben. Trifft das auch auf Conrad zu?
Werner: Wir sind nie so massiv in die Fläche gegangen wie einige Wettbewerber, die heute Probleme haben, ihre Flächen rentabel zu betreiben. Wir haben in Deutschland 25 Filialen und haben die weitere Filialexpansion auch erst einmal gestoppt. Bevor wir neue Filialen eröffnen, wollen wir das richtige Konzept für die stationäre E-Commerce-Integration erarbeiten, um uns damit zielgenau auf unsere Kunden auszurichten: Experten, sowohl im B2B-Bereich, aber auch engagierte Privatanwender.
Können Sie diese Zielgruppe genauer definieren?
Werner: Unsere Ausrichtung bezieht sich zunächst auf die Zielgruppe, die Conrad schon immer hatte, die Bastler und Tüftler. Aber auch auf Privatleute, die zunächst noch mit einem recht unscharfen Kaufbedürfnis zu uns kommen. Zum Beispiel ein Kunde, der eine Videokamera zu Hausüberwachung kaufen will. Im Beratungsgespräch findet man dann schnell heraus, dass es dem Kunden eigentlich um eine Diebstahlschutzlösung für sein Haus geht und er eigentlich ganz etwas anderes sucht, als nur eine Überwachungskamera. So etwas wollen wir künftig nicht nur im Laden, sondern auch online herausfinden und den Kunden dann passgenau dazu beraten.
"Kunden, die etwas Neues suchen, sollen als erstes zu Conrad gehen"
Seit Mitte des Jahres engagiert sich Conrad als Partner des Hardware Accelerators Berlin. Wie passt diese Kooperation in Ihre Strategie?
Werner: Unser Ziel ist es, neben den Standardsortimenten, die jeder hat, Kompetenz und Innovation zu bieten, unter anderem auch durch eigene Produktentwicklung. Heute bieten wir beispielsweise schon einen stark nachgefragten, komplett selbst entwickelten 3D-Drucker an und wollen künftig immer mehr eigene Produkte dieser Art bieten. Denn dann kommen wir wieder dahin, wo Conrad bereits vor vielen Jahren einmal war: dass Kunden, die etwas Neues suchen, als erstes zu Conrad gehen. Genau deshalb kooperieren wir über den Hardware Accelerator Berlin auch mit Startups, damit wir den Finger am Puls des Geschehens haben. Geld zu kriegen, ist heute für Startups nicht besonders schwer. Die passenden Komponenten kaufen diese Tüftler ohnehin schon bei uns. Und wir helfen dabei, die Ideen in fertige Produkte umzusetzen und zu vermarkten. Natürlich ist damit auch ein Risiko verbunden, aber wir sind bereit, dieses einzugehen.
Mit der Startup-Unterstützung stoßen Sie auch in Bereiche wie Wearables oder sogenannte Smart Devices vor - Wachstumsfelder, die sich heute viele Elektronik- und auch Mobilfunkhändler auf die Fahnen geschrieben haben. Wie würden Sie die Stellung von Conrad in diesem Anbieterfeld beschrieben?
Werner: Anders als manche Wettbewerber brauchen wir Wearables und Smart Devices nicht, um unseren Kunden Handys oder Verträge zu verkaufen. Unser Ansatz ist es, sehr beratungsintensive Produkte zu verkaufen - und gleichzeitig jemanden zu bieten, der diese auch entsprechend erklärt. Beschränkt man das Internet of Things auf das Thema Handy-Steuerung, wird der Ausschnitt zudem sehr klein. Wir bieten zum Beispiel auch eine Drohne als Fluggerät für Action-Cams an. Dafür arbeiten wir mit Startups zusammen, die überhaupt nichts mit Mobilfunk zu tun haben.
"Mit Getgoods wollen wir die Pure-Play-Mechanismen kennenlernen"
Reden wir über die Strategie von Conrad im E-Commerce-Geschäft: Sie sind auch auf Amazon und eBay vertreten. Welche Rolle spielt das Plattformgeschäft für Sie?
Werner: Marktplätze machen heute rund 30 Prozent unseres Online-Geschäfts aus. Es ist nun einmal so, dass viele Konsumenten bei einer Produktsuche gleich zu Amazon gehen. Deshalb sind wir bei Amazon dabei - aber mit angezogener Handbremse. Schließlich ist es unser Ziel, Kunden zu Fans von Conrad zu machen. Viele in der Branche kucken auf Amazon wie das Kaninchen auf die Schlange. Doch wir wollen nicht die anderen kopieren, sondern unseren eigenen Weg gehen. Was Amazon besser als alle anderen kann, ist Convenience. Aber Beratung, Know-How und das Wecken von Begehrlichkeiten für neue Produkte - das kann Amazon nicht. Deshalb setzen wir primär auf unseren eigenen Onlinestore, wo wir den Menschen eine andere Form des Dialogs bieten und diese auch ins Feld führen, wenn es darum geht, neue Technologien zu entdecken.
Neben Conrad.de betreiben Sie auch die Onlineshops Digitalo.de, Voelkner.de und haben Ende 2013 aus der Getgoods-Insolvenz die Vertriebsmarken Getgoods.de und HOH.de übernommen. Dabei tritt aber nie Conrad Electronic in Erscheinung sondern formal unabhängige Tochtergesellschaften. Was hat es mit diesem Versteckspiel auf sich?
Werner: Dabei handelt es sich um kein Versteckspiel. Conrad ist einfach nur sehr auf Conrad konzentriert und deshalb haben wir andere Aktivitäten gesellschaftsrechtlich anders geregelt. Als CEO habe ich diese Aktivitäten natürlich im Blick. Aber die Mannschaft soll sich ganz auf Conrad konzentrieren. Zudem handelt es sich vor allem bei den Getgoods-Shops um komplett alleinstehende Vehikel. Ich bin kein Fan von Integration, da man sonst schnell bei einer Subventionierung landet.
Wie unterscheidet sich die Strategie der in der Get-it Quick GmbH angesiedelten Onlineshops Getgoods.de und HOH.de von Conrad.de?
Werner: Zunächst mussten wir uns innerhalb von 14 Tagen entscheiden, ob wir die Getgoods-Shops übernehmen wollten oder nicht. Das war ein Markt, den wir vorher nicht kannten. Deshalb sind Getgoods.de und HOH.de gut für uns, um diese hochkonzentrierten Pure-Play-Mechanismen kennenzulernen. Aber die Shops müssen sich allein durchsetzen. Jetzt haben wir damit immerhin den Break-even erreicht und werden schauen, wie sich das weiter entwickelt. In der Gesamtsicht ist das Pure-Play-Geschäft aber recht marginal und auch kein großer Margenbringer.
Wie würden Sie demgegenüber die Rolle von Digitalo.de und Voelkner.de beschreiben?
Werner: Das ist für uns ein Testlabor für Pure-Play. Conrad ist extrem komplex, da kann man nicht einfach einmal A/B-Tests machen. Dafür nutzen wir Digitalo und Voelkner. Aber auch diese beiden Shops verfolgen ihr eigenes Geschäftsmodell und sind komplett eigenständig von Conrad.de. (mh)