ChannelPartner: Ihr Unternehmen scheint das "Early Adopter"-Talent tief in seiner DNA verankert zu haben. Ursprünglich spezialisiert auf klassische Infrastrukturthemen wie Virtualisierung, Netzwerk und Security sind Sie mit Microsoft Azure schon sehr frühzeitig ins Cloud-Geschäft eingestiegen. Heutzutage findet man kaum einen KI Event, auf dem Repräsentanten der CAIRO nicht als gefragte Sprecher auftreten. Wie kam es dazu?
Andreas Hoinisch: Den Einstieg in die künstliche Intelligenz haben wir dank meines Kollegen Dennis Maier gemacht. Er hat sich schon lange für dieses Thema interessiert und wollte sich in seiner Masterthesis auch mit diesem Bereich befassen. Damals haben wir uns zusammengesetzt und nach einer Möglichkeit gesucht, wie wir aus der Thesis etwas Sinnvolles fürs Unternehmen entwickeln können. Als wir dann eine Idee gefunden hatten, fingen wir an, uns mit den Voraussetzungen zu beschäftigen. Wir haben dafür jungen und motivierten Mitarbeitern den Raum gegeben, sich hier zu verwirklichen und sie von ihren aktuellen Projekten abgezogen. So entstand dann unser "junges, wildes" Team.
ChannelPartner: War das nicht riskant? Aufgrund einer Masterthesis einen neuen Geschäftszweig zu erschließen?
Hoinisch: Doch, sehr. Ich bin mir auch sicher, dass diese Idee bei den meisten Unternehmen auf taube Ohren gestoßen wäre. Und Stand heute hat das Ganze sich finanziell noch nicht gelohnt. Für die Zukunft rechnen wir uns allerdings wirklich gute Chancen aus, mit diesem Team einiges bewegen zu können. Es fühlt sich ein wenig an wie ein Startup im Unternehmen und hat dieselben Risiken: kann also durchaus noch schief gehen. Daher heißt es ein wenig Daumen drücken!
ChannelPartner: Was macht dieses Team nun ganz konkret?
Dennis Maier: Die Idee unseres Projektes ist, technische Zeichnungen zu erkennen und zu analysieren. Wir setzen hierbei die gleichen Technologien und Frameworks wie die großen Player ein. Wir eignen uns Know-how über technische Zeichnungen an, analysieren diese, konstruieren neuronale Netze sowie Pre- und Postprocessing Methoden. Alles in Allem entsteht letztlich ein KI-Service, der es uns erlaubt, die Art der Zeichnung festzustellen, Teilenummern und Symbole auszulesen und semantisch auszuwerten.
ChannelPartner: Erfahrungsgemäß sind es auf Kundenseite die großen Unternehmen und Konzerne, die neue Technologien zuerst einsetzen, erst dann folgt der Mittelstand. Wie finden Sie als mittelständischer IT-Dienstleister Ihre Kunden für KI-Projekte?
Alle Unternehmen können von KI profitieren
Maier: Wir sind starke Verfechter der "Demokratisierung der künstlichen Intelligenz". Daher adressieren wir zumeist den gehobenen Mittelstand, allerdings können auch kleinere Unternehmen von KI profitieren, sofern sie offen genug sind, sich mit neuen Lösungen zu beschäftigen und Budget haben. Meistens suchen wir den Kontakt zu den Fachabteilungen, da diese einfach "KI-affiner" sind und sie mit Tempo, Mut und Leidenschaft neue Wege gehen wollen, genauso wie wir.
ChannelPartner: Wie kann ich mir diese Ansprache konkret vorstellen?
Hoinisch: Wir fragen die Fachbereiche: "Was quält Euch? Was sind Eure Zeitfresser? Auf welche Tätigkeiten habt Ihr im Alltag keine Lust?" Auf dieser Basis entwickeln wir dann ganz individuelle Lösungen. So entstand zum Beispiel das "Weinberg-Projekt".
ChannelPartner: Konzentrieren Sie sich auf bestimmte Branchen?
Maier: Nein. Wir arbeiten aktuell an Lösungen für ein Kraftwerk, bei der die KI die Klassifizierung von Zeichnungen und die Detektion von Symbolen und Schnittstellen übernimmt, ebenso wie an medizinischen Lösungen zur Erkennung von Krankheiten. Ziel des letztgenannten Projekts ist es, die Diagnose des Arztes nicht nur auf die Symptome zu beschränken, die der Patient ihm beschreibt. Die KI ermittelt auf Basis von Werten ganz unabhängig von den sichtbaren oder gefühlten Symptomen mögliche Muster und erweitert damit den Horizont für die Diagnose. Die KI soll auf keinen Fall die Erfahrungen des Arztes ersetzen, sondern sie unterstützen.
Ein weiterer Einsatzbereich ist die Versicherungsbranche, bei der die KI prüfen und ermitteln kann, wer welche Leistungen für welche Ereignisse erhält. Dies ist mittels Data Mining schon länger möglich, durch den Einsatz von neuronalen Netzen und speziell entwickelter Hardware erreicht die Effizienz jedoch neue Dimensionen.
ChannelPartner: Für manche der genannten Einsatzszenarien - Beispiel Objekterkennung - gibt es doch auch schon Lösungen am Markt. Was unterscheidet Ihren Ansatz von bestehenden Lösungen?
Hoinisch: Das ist richtig. Es gibt bereits eine große Anzahl an KI-gestützten Lösungen am Markt, die ein Softwareentwickler mittels REST-Schnittstelle in sein Projekt einbinden kann. Der Client sendet seine Daten zum Service, diese werden in ein neuronales Netz gespeist und das Ergebnis wieder zurück zum Client gesendet. Das Problem ist, dass die KI Services für eine bestimmte Problemstellung gebaut und trainiert werden. Es gibt allerhand Services zur Erkennung von Personen, Tieren und Gegenständen - jedoch keinen für die Erkennung von technischen Zeichnungen. Das bedeutet, wir verwenden keine fertigen KI Services, sondern entwickeln diese selbst. Dies umfasst sowohl die software-technische Architektur als auch die der neuronalen Netze im Hintergrund.
Eine weitere Herausforderung ist das Training dieser Netze, denn dies benötigt Zeit, Daten und viel Rechenpower aus der Cloud. Das Nutzen von KI Services kann der Software enorm viele Vorteile bringen. Das Einbinden der Services ist wirklich einfach, Services selbst zu entwickeln ist hingegen enorm aufwendig und komplex - aber lohnend! Und für diese Aufgaben habe ich Kollegen wie Dennis Maier.
Maier: Der wesentliche Unterschied zu verfügbaren Produkten ist also: Wir schaffen nicht nur Schnittstellen zwischen zwei bestehenden Produkten. Wir sind ein Unternehmen, das KI-Lösungen selbst schaffen kann! Wir schreiben die KI-Software, die es am Markt noch nicht gibt. Wir sind gleichzeitig in der Lage, diese individuellen Lösungen in bestehende, auch On-premise-Umgebungen zu integrieren.
ChannelPartner: Aktuell wird das Thema Künstliche Intelligenz in den Medien sehr gehypt. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Enorme Fortschritte durch die Cloud
Maier: Wir alle kennen Themen, die in der Vergangenheit stark gehypt wurden und später mehr oder weniger erfolgreich waren. Bisher hat sich Gartners Hype Cycle immer bewahrheitet. Ich sehe das beim Thema KI ähnlich. KI und maschinelles Lernen gibt es bereits sehr lange. Glücklicherweise konnten wir durch neue Hardware-Technologien, Algorithmen und nicht zuletzt durch die Cloud in den letzten fünf Jahren enorme Fortschritte bei diesem Thema verzeichnen. Fast täglich erscheinen neue Methoden und Ideen zu neuronalen Netzen und Algorithmen, da Wissen frei zugänglich und Rechenkapazitäten erschwinglich werden. Das befeuert den Hype natürlich enorm.
Ich denke, dass dieser Hype gerechtfertigt ist, denn wir konnten einen großen technologischen Sprung machen und die Forschung sollte weiterhin starken Aufwind bekommen. AI wird in vielen Situationen eingesetzt, ohne dass es die Menschen sehen. Für die Gesellschaft ist KI nicht greifbar. Dass jedoch bereits heute hinter vielen Funktionen von Software neuronale Netze oder maschinelles Lernen eingesetzt wird, wissen die meisten nicht.
"KI hat unglaubliches Potenzial, wenn wir sie richtig einsetzen"
ChannelPartner: Wenn Sie KI in wenigen Worten beschreiben müssten, wie sähe dies aus?
Maier: Wenn wir von KI, AI bzw. von Deep Learning oder Machine Learning sprechen, meinen wir damit software-technische Bausteine, die auf die Erkennung bestimmter Muster trainiert werden. Eine Objektdetektion ist beispielsweise nichts anderes als die Erkennung von selbst erlernten Mustern in Bildern. Ob es sich nun um Bilder, Audio oder schlichte Daten handelt, spiel keine Rolle.
ChannelPartner: Worin sehen Sie die Herausforderungen für KI?
Hoinisch: Eine Herausforderung in der Entwicklung von KI sind die notwendigen Mengen an qualitativ hochwertigen Daten. Es ist schwierig an solche Datensätze zu kommen, gerade für kleinere Firmen ist das ein großes Hindernis. Außerdem sehe ich eine große Herausforderung darin, die Gesellschaft über KI aufzuklären. Sehr viele Menschen verbinden KI mit irgendwelchen Endzeit-Hollywood-Filmen. Die Gesellschaft muss KI zumindest im Groben verstehen und begreifen. Wir müssen letztlich für uns selbst entscheiden, ob wir KI im Tausch gegen die Offenlegung von Teilen unserer Daten einsetzen möchten.
ChannelPartner: Wo befinden wir uns Ihrer Meinung nach in 5 bis 10 Jahren?
Maier: Das ist eine schwierige Frage und eine Einschätzung in einem so dynamischen Bereich ist kaum möglich. Allerdings wünsche ich mir, dass wir in den kommenden Jahren KI beispielsweise zur Erkennung von Fake News und Hass einsetzen können. Dass die Medizin durch KI bessere Diagnosen erstellen kann. Dass wir unseren Ressourcenverbrauch reduzieren können oder dass wir persönliche Assistenten bekommen, die unsere alltäglichen Problemchen für uns lösen. Es gibt aktuell so viele tolle Projekte, die es gilt, erfolgreich werden zu lassen. KI hat unglaubliches Potenzial, wenn wir sie richtig einsetzen.
Hoinisch (schmunzelt): Und unser Chef wäre sicher sehr glücklich, wenn wir, neben dem wirtschaftlichen Aspekt, auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten würden. Schon heute spenden wir einen festen Prozentsatz unseres Gewinns im Rahmen der Aktion "CAIRO:cares" für Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, und alle hoffen den absoluten Betrag signifikant erhöhen zu können.
ChannelPartner: Die KI-Projekte, die Sie beschreiben, sind im Grunde maßgeschneiderte Individuallösungen. Wie bilden Sie das wirtschaftlich ab? Denn jede Entwicklung ist aufwändig und lässt sich nicht einfach skalieren…
Hoinisch: Wirtschaftlich haben wir uns hier auf zwei Beine gestellt: an erster Stelle erhalten wir Fördergelder vom Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, kurz ZIM, mit denen wir uns genügend Raum geschaffen haben, um forschen zu können. Das zweite Standbein sind meine Kollegen: alle Mitarbeiter und Aktionäre haben auf ihren Bonus verzichtet, um diese Investition möglich zu machen. Daran sieht man aber auch gut, dass dieses Thema bei uns wirklich geatmet und gelebt wird. Selbst die Leute, die nicht direkt beteiligt sind, haben hier einen immensen Beitrag geleistet.
Maier: Am Ende werden es aber die Kunden sein, die den Mehrwert erkennen und uns beauftragen bei der Lösung der Herausforderungen mittels AI zu unterstützen.
Zum Unternehmen
CAIRO wurde 1995 in Mannheim von fünf IT-liebenden Menschen als GmbH gegründet und verfolgt seitdem das Ziel, andere Unternehmen bei der Planung, Implementierung und Administration ihrer IT-Infrastruktur zu unterstützen. Seit der Umfirmierung im Jahre 2000 zur AG ist das Unternehmen überwiegend im Besitz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aktuell ist CAIRO Teil der ACCAS Gruppe mit 3 Standorten und über 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Mannheim, Darmstadt und Karlsruhe. CAIRO bietet in der Großregion Rhein-Main-Neckar und darüber hinaus Professional Services für komplexe IT-Infrastrukturen, deren Migration und Transformation.
Die Schwerpunkte liegen im Projektgeschäft mit speziellem Fokus auf Design und Umsetzung maßgeschneiderter Infrastrukturen unter Berücksichtigung von Network und Security sowie System Management und modern Workplace. Seit 2017 bewegt sich die CAIRO AG im Bereich der künstlichen Intelligenz und der Industrie 4.0 und hat sich damit neue Themenfelder erarbeitet. Mit dem Motto "IT von Menschen für Menschen" wurde von Anfang an gezeigt, dass man etwas anders sein wollte. Diesem Gedankengut ist es wohl auch zu verdanken, dass ein so "kleines" Unternehmen versucht auf dem globalen Markt mitzumischen.