Es war das beherrschende Thema in den Vortragspausen der IBM-Partnerkonferenz Ende Januar - und doch keine Sensation: der milliardenschwere Server-Deal von IBM und Lenovo. Zu oft war im vergangenen Jahr bereits spekuliert worden, IBM könnte sich von der x86-Server-Sparte trennen.
Kalt erwischt hatte die Vereinbarung beider Hersteller, die nur wenige Tage vor der Partnerkonferenz in Stuttgart publik wurde, keinen der Partner. Dass auch die Intel-basierten FlexSysteme mit zu Lenovo wandern, die IBM erst vor knapp eineinhalb Jahren auf den Markt gebracht hatte, erstaunte nur auf den ersten Blick. Das sei letztlich nur konsequent, so der allgemeine Konsens. Trotzdem: die Breakout Sessions zu x86-Themen auf der Partnerkonferenz waren überfüllt.
Der Zeitpunkt der Ankündigung hatte indes auch das Management hierzulande überrascht. Einige Präsentationen mussten angepasst werden, und bei IBM-Channelchef Stephan Wippermann glühte das Telefon. "Die Reaktion der Partner waren durchwegs positiv aufgrund der guten Erfahrungen, die Partner bereits mit dem Verkauf der PC-Sparte an Lenovo gemacht haben", berichtet er. Natürlich werde der Wettbewerb versuchen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Aussichten auf Erfolg hätten die zu erwartenden Abwerbungsversuche kaum: "Das x86-Team wird weiter an seinen ursprünglichen Zielen gemessen und wird deshalb genauso engagiert agieren wie bisher", versprach der Manager. Bis zum Tag der Übernahme wird sich für Kunden und Partner nichts ändern: "Wir werden den Übergang reibungslos gestalten." Künftig wird sich IBM allerdings auf die Weiterentwicklung der PowerSystems konzentrieren.
Eckdaten zum Server-Deal mit Lenovo
- Lenovo will alle weltweit für diese Sparte verantwortlichen 7.500 Mitarbeiter übernehmen.
- Windows- und Linux-Software-Plattformen für x86-Systeme warden von IBM weiterentwickelt.
- OEM & Reseller-Vereinbarung
- Einstiegs & Midragene Storwize Disk StorageSysteme, Tape Storage Parallel File System Software, SmartCloud-Einstiegsangebote, Teile des Software-Portfolios (unter anderem System Director und Platform Computing Software)
Cloud und White-Lable-Server kabbern an den Umsätzen
Zu den hinlänglich bekannten Gründen für den Verkauf äußerte sich IBM auf der Konferenz eher der Vollständigkeit halber: Das volumenträchtige x86-Geschäft passe eher zu Lenovo, mit dem man die langfristige, strategische Kooperation fortsetzen wolle. IBM werde sich auf höherwertige Leistungen rund um die Themen Cloud, Big Data, Social und Mobile konzentrieren - diese Botschaft hatte IBM bereits in den vergangenen zwei Jahren vermittelt.
Über eine weitere mögliche Ursache für den Verkauf schwieg sich IBM allerdings aus: Weltweit betrachtet sinken die Umsätze mit Server-Hardware nicht nur, weil die Virtualisierungtechnologie den Kauf zusätzlicher Hardware oft überflüssig macht. Vielmehr schwinden auch die Umsätze mit den Großabnehmern im Service-Provider-Umfeld. Denn viele von ihnen, allen voran Google, Amazon Web Services und Facebook bauen ihre Hardware-Infrastruktur selbst. Und dieser Trend wird sich fortsetzen, darin sind sich die Analysten einig.
Der Vormarsch der White Label Server gräbt damit den traditionellen Herstellern das Wasser ab. Wie IBM bekommen das Dell, HP, Oracle und Fujitsu ebenso zu spüren. Für Cisco wird die Entwicklung vermutlich weniger an den Absätzen mit UCS-Servern spürbar werden, aber den Trend zur Virtualisierung der Netzwerke dürfte den Hersteller in seinem Kerngeschäft ebenfalls treffen.
Die Ausfälle im Volumen-Segment für Server durch steigende Verkäufe an Unternehmenskunden zu kompensieren, wird nicht möglich sein. Denn dem wirken der Vormarsch der Virtualisierungstechnologie, gekoppelt mit der zunehmenden Verlagerung von Infrastruktur-Ressourcen in die Cloud entgegen.
60 Prozent der Unternehmen werden im laufenden Jahr Cloud-Dienste in ihre IT-Umgebung einbinden, schätzt das Analystenhaus Gartner. Bis 2017 soll der Markt für Cloud Computing weltweit sogar die Grenze von 244 Milliarden US-Dollar überschreiten.
Von diesem Kuchen will und muss sich IBM künftig ein größeres Stück sichern. Zumal von der Abwanderung in die Cloud bislang vor allem Amazon Web Services profitiert hat, was die Situation für die etablierten Hardware-Hersteller nicht einfacher macht.
IBM hat also auch unter diesem Aspekt mit dem Verkauf der x86-Sparte eine klare Entscheidung getroffen. Konsequenterweise wird jetzt das Cloud-Geschäft in Kombination mit den flankierenden Themen Big Data, Mobile und Social vorangetrieben.
Channel gewinnt an Einfluss
Bei der Umsetzung dieser Strategie will der Hersteller noch stärker auf Partner setzen - und das keineswegs nur im SMB-Umfeld. Schon seit Herbst 2013 werden beispielsweise alle Infrastrukturprojekte im Enterprise-Segment ausschließlich über Partner abgewickelt, unterstützt von IBMs Account Managern. Obendrein wurde in jedem Geschäftsbereich - Software, Hardware und Services - eine Channelorganisation verankert.
Bereits seit eineinhalb Jahren können sich Partner in ihrer Region als "Territory Partner" bestimmte Industriezweige und Themen sichern. Interessant ist das Modell vor allem für ISVs. Ähnlich funktioniert das City-Cloud-Programm, das es Systemhäusern, ISVs und MSPs ermöglicht, Kunden in ihrer Region unterschiedliche Cloud-Dienste anzubieten.
Das Konzept scheint aufzugehen: IBMs Managed Service Geschäft ist im vergangenen Jahr in der DACH-Region im Vergleich zum weltweiten Markt überproportional gewachsen, wie Wippermann berichtet: "Wir haben in dieser Region 100 neue Managed Service Partner für Infrastruktur und Software gewonnen", berichtet der Channelchef. Damit sei auch der Anteil des Partnergeschäfts am Gesamtumsatz weiter gestiegen - wenn auch nicht in der geplanten Höhe.
Die Fachabteilungen gewinnen
Er appellierte erneut an die Partner, sich bei ihren Kunden stärker um die Fachabteilungen zu bemühen. Denn laut Gartner werde diese Klientel bereits 2015 über die Hälfte der IT-Budgets entscheiden, 2020 sollen es sogar 90 Prozent sein.
Als treibende Kraft könnten sich die Fachabteilungen nicht nur beim Bezug und den Betrieb von IT-Diensten aus der Cloud erwiesen. Ebenso werden Projekte rund um Big Data, Social und Mobile nach Ansicht von IBM künftig stärker von Mitarbeitern der einzelnen Fachbereiche angestoßen. "Für Partner ist es deshalb äußerst wichtig sich für diese Themen zu engagieren, und auch, weil er darüber auch mit dem Kunden in die Diskussion über Geschäftsprozesse einsteigen und somit werthaltige Lösungen und Dienstleistungen vermarkten kann", erklärte der Channelchef.
"Sie müssen den Kunden in seiner jeweiligen Industriebranche verstehen", forderte auch IBM-Deutschlandchefin Martina Köderitz. Ansatzpunkte seien beispielsweise in der Automobilindustrie das vernetzte Auto, in der Energiewirtschaft die intelligente Steuerung und Vernetzung, im Gesundheitswesen vor allem Analytics-Lösungen, die eine personalisierte Medizin ermöglichten. Treiber dieser Verschmelzung von IT und Industrie sieht Köderitz im rapiden Datenwachstum und der Möglichkeit, diese Daten auch zu analysieren: "Daten werden Industrien und Geschäftsmodelle transformieren."
Vielfalt fördern und Partner vernetzen
Der wachsende Anteil an ISVs und MSPs in der Partnerlandschaft ist für IBM vor allem deshalb so wichtig, weil Projekte in den vier Kernthemen Cloud, Big Data, Social und Mobile von einem klassischen Infrastruktur-Partner kaum allein gestemmt werden können. "Lösungen im Bereich Big Data Analytics beispielsweise sind mittlerweile so komplex geworden, dass sie die intensive Zusammenarbeit mehrerer Partner einschließlich IBM erfordern", so Wippermann. Deshalb will IBM die Vernetzung dieser unterschiedlichen Partner fördern - mit Hilfe elektronischer Tools aber auch durch entsprechende Veranstaltungen sowie Maßnahmen der Distribution. Für zahlreiche Partner sind Kooperationen mit anderen Partnern heute schon fester Bestandteil der Wachstumsstrategie, wie beispielsweise die True-Blue-Allianz, aber auch die ChannelPartner-Systemhaus-Studie vom Sommer 2013 zeigt (siehe Bildergalerie).
Der Wunsch, die Vernetzung unterschiedlicher Partnern zu fördern, sei für IBM auch Anlass gewesen, zum diesjährigen Kick-Off weniger, aberdafür ausgewählte Partner einzuladen, wie Wippermann betonte: "Wir haben neben Cross-Brand-Partnern und Distributoren ein ausgewogenes Verhältnis an Systemintegratoren, ISVs, MSPs und Software-Spezialpartnern aus der gesamten DACH-Region für diese Veranstaltung nominiert, die miteinander kooperieren könnten".
Die Tatsache, dass die Konferenz dieses Jahr als zentraler Event für Partner der DACH-Region aufgesetzt war, aber weitaus weniger Teilnehmer zugelassen wurden als bei den rein deutschen Kick-offs der vergangen Jahre, interpretierten Partner allerdings anders: "Man spürt ein bisschen den Rotsift", hieß es dort.
IBMs Cloud-Strategie
Doch wie werden die Partner konkret in das Cloud-Geschäft eingebunden? Zumal IBM seit 2010 mehr als ein Dutzend Firmen akquiriert und dafür über sechs Milliarden Dollar locker gemacht hat. Jüngster Zugang war der PaaS- und Service-Provider SoftLayer, den IBM im Juni 2013 schluckte. SoftLayer brachte einen Kundenstamm von mehr als 21.000 Unternehmen mit. Seit der Übernahme kamen mehr als 1.500 neue Kunden hinzu.
Mit SoftLayer-Technologie lassen sich dedizierte Server, Private Clouds und Public Clouds in einem privaten Netzwerk auf Basis offener Standards zu Hybride Clouds kombinieren. Das eröffne IBM Geschäftspartnern die Möglichkeit, ihr Portfolio zu ergänzen. "Partner können SoftLayer als Reseller vermarkten sowie in ihre Gesamtlösungen einbeziehen", erläutert Wolfgang Grausam, IBM Cloud Channel Verantwortlicher für Deutschland, Österreich und die Schweiz, das Modell. "Mit SoftLayer ist unter anderem für ISVs (Independent Software Vendors) eine hoch flexible und kostengünstige Infrastruktur-Plattform verfügbar, die sie in ihrer Transformation zum Software-as-a-Service-Provider unterstützt."
SoftLayer löst SmartCloud ab
Im Zuge der SoftLayer-Integration hat IBM das Cloud-Angebot gestrafft: Public Cloud-Angebote laufen seit Ende Januar auf der SoftLayer-Plattform. Sie löste damit die bisherige SmartCloud Enterprise-Plattform ab. Bestandskunden unterstützt IBM bei der Migration.
Nach ITIL gemanagte Cloud Services stellt IBM auch weiterhin über die SmartCloud-Enterprise+-Plattform zur Verfügung. Die nach ITIL-Prozessen gemanagte, sichere und sofort einsatzfähige Cloud-Umgebung soll sich vor allem für Kunden mit unternehmenskritischen klassischen Anwendungen, SLA (Service Level Agreements) auf VM-Ebene und hohen Betriebsanforderungen eignen.
Sowohl bei den Public-Cloud-Anwendungen, die IBM weltweit in 13 Rechenzentren bereitstellt, als auch bei den SmartCloud Enterprise+-Angeboten können Kunden wählen, aus welchem Rechenzentrum sie den Service beziehen wollen und wo ihre Daten verarbeitet werden. Das europäische Rechenzentrum ist in Amsterdam angesiedelt, das deutsche Cloud Center ist in Ehningen bei Stuttgart.
IBM künftigte außerdem weitere 1,2 Milliarden Dollar in den Ausbau des Cloud-Angebots investieren zu wollen. Unter anderem soll die Zahl der lokalen Rechenzentren von aktuell 13 auf 40 erhöht werden, 15 davon sollen noch in diesem Jahr weltweit ans Netz gehen. 2015 will IBM mit seinen Cloud-Angeboten sieben Milliarden Dollar umsetzen und sich damit einen Großteil des vom weltweiten Markts sichern, der nach Einschätzung des Konzerns im Jahr 2020 ein Volumen von rund 200 Milliarden Dollar erreichen soll.
Private Modular Cloud
Ein weiteres Angebot, das IBM kürzlich auf den Markt brachte, soll Unternehmen dabei helfen, standardisierte Private Clouds exakter auf ihre individuellen Belange zuzuschneiden. "Private Modular Cloud" heißt das entsprechende Platform-as-a-Service-Angebot.
Die Plattform umfasst unter anderem eine Auswahl an mehr als 200 Software-Produkten von IBM und anderen Herstellern. Über ein personalisiertes Self-Service-Dashboard lasse sich damit eine Vielzahl spezifischer Anwendungsumgebungen binnen weniger Minuten für Fachabteilungen bereitstellen, verspricht IBM. Diese sogenannten "Blueprints" sollen automatisch implementiert werden, so dass Integrationsarbeiten entfallen. Auf mehr als 10.000 virtuelle Maschinen lässt sich die Infrastruktur so bei Bedarf erweitern. Das modulare Lösungsframework beinhaltet Best-Practices für Windows- und Linux-Systeme.
Präsentieren wird IBM die Lösung erstmals auf der CeBIT in Halle 2, am Stand A 10.