Die digitale Transformation setzt Großunternehmen seit einigen Jahren unter enormen Druck - und das nicht ohne Grund. Wie Frank Riemensperger auf dem "Accenture Innovationsforum 2016" in München im Rahmen seines Vortrags "Is Your Digital Strategy Good Engough to Survive?" anführte, seien seit 2000 etwa 52 Prozent der Fortune-500-Firmen verschwunden. Und aktuellen Prognosen zufolge werden in drei bis vier Jahren 28 Prozent der Umsätze von Großunternehmen digital sein.
Immerhin: Zahlreiche Firmen haben inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt. Aus der Erkenntnis heraus, dass sie nicht aus eigener Kraft binnen kurzer Zeit komplett neue Geschäftsmodelle entwickeln können, bevor ihr bestehendes Business wegbricht, wenden sie sich internen oder externen Startups zu. Schon heute sieht die Mehrheit der deutschen Manager genau diese Kooperationen mit Startups als fundamental für Innovation und Wachstum - und damit als echten Treiber der digitalen Transformation.
EnBW: Innovationen auf der grünen Wiese
Wie Uli Huener, Head of Innovation Management bei EnBW, bemerke, gebe es dabei allerdings keine Blaupause für Innovation: Jedes Unternehmen sei anders und müsse daher seinen eigenen Weg gehen, eine Strategie finden und das Ding auf die Straße bringen, erklärte er in einem Panel auf der Münchner Veranstaltung. Wichtig sei der Lerneffekt, dass es nicht reicht, "einfach mal ein bisschen" was zu machen.
Sein Arbeitgeber wählte als Antwort auf die Frage, wie man mit der fortschreitenden Marktveränderung - Stichwort Energiewende - umgehen soll, einen Start auf der grünen Wiese und errichtete in der Nähe des Rheinhafen-Dampfkraftwerks in Karlsruhe einen Innovationscampus. In diesem können sich Projektteams seit Sommer 2014 ganz auf die Ideen- und Produktentwicklung konzentrieren. Die Belegung: Corporate Startups von EnBW ergänzt mit externen Startups, für die EnBW extra einen Venture Capital Fonds aufgelegt hat. Der Fokus liegt dabei laut Huener auf "Startups, die für uns einen Wert haben, aber auch von uns profitieren."
Auf der Veranstaltung präsentierte EnBW auch gleich ein Ergebnis seiner Bemühungen, nämlich die aus einem internen Projekt im Innovationscampus hervorgegangene smarte Straßenlaterne SMIGHT (Smart City Light). Dabei handelt es sich um eine Lösung, bei der sich Straßenbeleuchtungsmasten modular mit WLAN-Hotspots, E-Ladestationen, Notrufsäulen oder Umweltmessstationen ausrüsten lassen. Der baden-württembergische Energiekonzern begnügt sich allerdings nicht mit der Bereitstellung der Straßenlaternen, sondern erhofft sich auch neue Geschäftsfelder mit der Analyse der Daten.
Ein solches Produkt hätten wir im Unternehmen nie in einem Jahr auf die Straße bringen können, erklärte Huener in diesem Zusammenhang. Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle funktioniere nicht von innen heraus, ein anderes Mindset sei nötig.
Huener warnte in diesem Zusammenhang auch davor, die Digitalisierung auf neue Technologien zu reduzieren: "Digitalisierung ist kein IT-Problem", betonte der Topmanager, es gehe vielmehr um eine Kultur-Transformation. Dabei seien weniger die Mitarbeiter das Problem, wichtiger sei, den Mut im Management freizusetzen.
Adidas: Mit Innovationen am Ball bleiben
Betrachtet man Entwicklungen wie die aktuelle Quantified-Self-Bewegung, dürfte schnell klar sein, wie wichtig es für einen Sportartikelhersteller wie Adidas ist, in Sachen Innovation am Ball zu bleiben. Wie Burkhard Dümler, Director Program & Projects IT Innovation bei Adidas, betonte, ist sein Unternehmen daher nicht erst mit der Übernahme von Runtastic in Sachen Fitness-Apps aktiv geworden, sondern habe bereits seit etlichen Jahren eigene Apps entwickelt.
Zu Beginn sei die Lernkurve dabei ziemlich steil gewesen, erklärte Dümler, angefangen von den Prozessen bei der App-Entwicklung bis hin zur Erkenntnis, dass die Anwender auch betreut werden wollen. Manche Dinge müsse man einfach machen, so der Diplominformatiker und zweifache RoboCup-Weltmeister, also etwa eine aktive Kundenbeziehung pflegen, also auf schlechte App-Bewertungen reagieren oder sogar Nutzern Support anbieten, wenn sich etwa GPS auf dem Smartphone nicht aktivieren lässt.
Weitere besonders innovative Produkte seien etwa mit Sensoren ausgestattete Sportbekleidung, die nicht zuletzt der deutschen Nationalmannschaft die Fitnesswerte der Spieler beim Training liefern (für Spiele sind die Trikots noch nicht zugelassen) oder der Adidas miCoach Smart Ball, der via App Feedback zu Kraft, Drall, Stärke und Flugbahn eines Schusses bereitstellt. Außerdem errichte der Konzern derzeit in Ansbach mit Speedfactory die erste autonome Schuhproduktion der Welt.
Dümler wies darauf hin, dass die Innovationen - anders als bei EnBW - nicht unbedingt der Erschließung neuer Geschäftsfelder dienten. Im Fokus von Adidas stehe die Kundenbindung, die dann indirekt wieder zu höheren Umsätzen führe.
Media Saturn: Mit frischen Ideen zu mehr Serviceeinnahmen
Martin Sinner, CEO der Electronic Online Group (EOG) der Media Saturn Gruppe und damit verantwortlich für den Accelerator Spacelab, wies am Beispiel seines Vorredners darauf hin, wie wichtig es sein kann, schon früh Geschäftsideen zu fördern. Dies sei deutlich günstiger als viel Geld für den Kauf eines bereits reiferen Startups auszugeben. So habe Axel Springer noch Ende 2013 einen Mehrheitsanteil (50,1 Prozent) an Runtastic für 22 Millionen Euro erworben. Im August 2015 sei der österreichische Fitness-App-Hersteller Company dann in einem 220 Millionen-Euro-Deal von Adidas übernommen worden.
Ein Schwerpunkt des von ihm geleiteten Accelerators sei es, Media Saturn mit frischen Geschäftsideen zu mehr Diensten zu bringen, erklärte Sinner. So erwirtschafte Media Saturn derzeit 95 Prozent seines Umsatzes mit dem klassischen Warenverkauf und nur fünf Prozent mit Dienstleistungen wie der Vermittlung von Handy-Verträgen oder Garantieverlängerungen. Bei den meisten Startups der Digital Economy drehten sich dagegen die Geschäftsmodelle um Services.
Als größtes Problem am Standort Deutschland, also zumindest bei den alteingesessenen Unternehmen, sieht der ehemalige Gründer des Vergleichsportals Idealo das fehlende Denken in Leistungskennzahlen (KPIs -Key Performance Indicators). Während die US-amerikanische GAFA-Ökonomie (Google - Amazon - Facebook - Apple) rein KPI-getrieben agiere, sei Deutschland eher unfokussiert. Hier dominiere noch die alte Management-Kultur, in der Problemlösung über Leadership und Herrschaftswissen betrieben werde.
DB Regio Bus: Das Startup als innovativer Beifahrer
"Wir haben den Trend zur individualisierten Mobilität verpasst", begründete Dr. Florian Krummheuer, Projektleiter Geschäftsentwicklung bei der DB Regio Bus, die Beteiligung seines Unternehmens an dem Startup Flinc, Betreiber einer digitalen Mitfahrzentrale. Im Mittelpunkt der Partnerschaft stehen dabei die Bemühungen, die Mobilität mit neuen Mitteln zu sichern.
"Wir haben mit unserem Schienen- und Omnibus-Angebot einen Versorgungsauftrag, müssen Mobilität gewährleisten", erklärte Krummheuer. Mit Flinc könne man daher in erster Linie Kosten vermeiden. Gleichzeitig würden aber auch neue Kunden für den ÖPNV gewonnen, die sonst mit dem Autos fahren würden. Als größte Herausforderung sieht Krummheuer dabei den Umstand, dass DB Regio nicht auf sich allein gestellt ist, sondern mit Subunternehmen zusammenarbeitet. "Wir müssen die Branche mitnehmen", erklärte er.
Evonik: Mit Open Innovation und Crowdsourcing Wert schaffen
Bei Evonik Industries haben immer kürzer werdende Innovationszyklen, die zunehmende Komplexität von Innovationen und nicht zuletzt die im Internet beinahe ubiquitär verfügbaren Informationen dazu geführt, dass der Spezialchemiehersteller beim Innovationsmanagement zunehmend auch externe Partner miteinbezieht. Der Leiter des Geschäftsbereichs Innovation Networks & Communications, Prof. Dr. Georg Oenbrink, setzt dabei auf eine Kombination aus Ideenwettbewerben, Crowdsourcing und ein über Social-Business-Plattform zusammengeführtes Innovationsnetzwerk.
Beim Ideation Jam etwa hätten Evonik-Mitarbeiter die Gelegenheit, zwei Wochen lang zu einem vorgegebenen Thema Ideen zu generieren, erklärte Oenbrink auf dem Accenture Innovationsforum 2016. Den besten 25 Teams werde dann die Möglichkeit geboten, ihren Vorschlag in zwei Wochen zu einem Business Case auszuarbeiten. Die letzten fünf Teams zögen dann in ein Boot Camp aus dem letztendlich ein Gewinner-Team hervorgehe.
Als Beispiel dafür, dass auch externes Crowdsourcing funktioniert, führte Oenbrink sogenannte Call for Research Proposals zu einem chemisch-technisches Problem an, die Evonik via E-Mail an 60 Dekane und 100 ausgewählte Professoren weltweit schicke.
Damit solche Aktionen gelingen, müsse man eine Möglichkeit schaffen, dass Mitarbeiter in Austausch gehen, also über eine Plattform, via Tools etc., so der Evonik-Manager. Daneben sei es wichtig, dass man ihren Wert gegenüber der Geschäftsleitung darstelle und Success-Story-Telling betreibe. Die Frage sei doch letztendlich: Wie führen wir Innovation?, so der Diplom-Chemiker. Sollte man dazu mehr dem Top-Management beibringen, neue Kompetenzen und Prozesse einführen, um das Wissen über digitale Innovation weiterzugeben, Entrepreneurship fördern? Beim Ideation Jam erhielten die Top25 Schulungen in Unternehmertum.