ChannelPartner: Vor 25 Jahren haben Sie Ihr IT-Systemhaus gleichen Namens gegründet. Inzwischen bieten Sie auch umfangreiche Managed Services an. Was waren oder sind für Sie die größten Herausforderungen beim Wandel vom klassischen Projektgeschäft zum MSP?
Kai Kapitän: Eine der schwierigsten Anforderungen, die ich auch noch nicht an allen Stellen zu 100 Prozent gelöst habe, war die Kalkulation - sowohl im Hinblick auf den Cashflow, als auch hinsichtlich der jeweiligen Dienste. Im klassischen Projektgeschäft gibt es den Einkaufs- und den Verkaufspreis sowie ergänzend bepreiste Service-Leistungen, aus denen heraus sich die Marge errechnet.
Diese Kalkulation funktioniert natürlich beim Pay-per-Use-Modell nicht mehr. Denn je nach dem mit dem Kunden vereinbarten Abrechnungszeitraum weiß man beispielsweise erst am Ende eines Monats, was der Kunde tatsächlich genutzt bzw. verbraucht hat. Diese völlig veränderte Kalkulation intern dahingehend anzupassen, war sehr schwierig.
ChannelPartner: Wie haben Sie diese Herausforderung gemeistert? Denn parallel zum wachsenden Managed Service Geschäft musste ja auch das weiterhin bestehende Projektgeschäft kalkuliert und abgebildet werden.
Kai Kapitän: Wir mussten selbstverständlich beides parallel handhaben. Das ist ein Riesennachteil. Denn beim klassischen Projekt fährt man die Erträge ab Liefer- bzw. Leistungsdatum sofort ein und verteilt diese Erträge auf die gesamte Laufzeit bis zum Renewal. Bei den Managed Services ändert sich dieser Zahlungsfluss, weil sich die Erträge über einen längeren Zeitraum mit jeweils monatlichen kleineren Beiträgen hinweg erstrecken. Es gibt also keine kurzfristigen, für das klassische Projektgeschäft typischen, Ertragsspitzen mehr.
Deshalb haben wir das Geschäftsmodell nur schrittweise Richtung Managed Services gedreht. Andernfalls entsteht schlicht eine große Liquiditätslücke.
ChannelPartner: Wie haben Sie die Preiskalkulation für die einzelnen Managed Dienstegelöst?
Kai Kapitän: Wir haben es gelöst, indem wir begonnen haben wie eine Versicherung, beispielweise eine Haftpflichtversicherung zu denken: Sie nimmt von vielen Kunden kleinere Geldbeträge ein und deckt damit Schäden ab, die bei einzelnen Kunden entstehen. Mit dieser quasi Massenkalkulation lässt sich der Gewinn kalkulieren.
Im ersten Schritt haben wir Managed Security Services angeboten. Sie umfassten Antivirus, Firewall und alle ergänzenden Dienstleistungen. Für dieses definierte Paket bezahlte der Kunde eine feste Pauschale, mit der er für alle Fälle - mit Ausnahme grober Fahrlässigkeit - abgesichert ist, unabhängig davon, welchen Aufwand wir als IT-Dienstleister für die Behebung eines größeren Problems, beispielsweise bei einem Virenbefall, erbringen müssten.
Anschließend haben wir unser Angebot schrittweise um weitere Managed-Service-Baukästen ergänzt: Es folgten Managed Services für PCs mit Vor-Ort-Service und Fernwartung, dann Office 365 und Exchange, anschließend alle Dienste rund um die Hardware, und inzwischen liefern wir alles, was wir anbieten, als Managed Service.
Entscheidend für uns war, den Administrationsaufwand, der bei Managed Services explodiert, möglichst weit zu minimieren. Deshalb haben wir standardisierte Bausteine definiert, die sich leicht skalieren lassen. Beispielsweise ein Rundum-Sorglos-Paket für einen Arbeitsplatz, der z.B. drei feste Leistungsmerkmale umfasst, die der Kunde wie bei einem Konfigurator auswählen kann. In diesem Paketpreis ist die gesamte Dienstleistung inkludiert, je nach Wunsch 24x7 oder 5x8 oder mit einer anderen fest definierten Reaktionszeit.
Für Services jenseits der vertraglich vereinbarten Managed Services nutzen wir die Zeiterfassung via Smartphone-App. Die erfassten Daten laufen dann automatisch für den jeweiligen Mandaten ins Warenwirtschaftssystem und werden dem Kunden in Rechnung gestellt.
ChannelPartner: Wie haben Sie herausgefunden, wie hoch die Pauschale pro Dienst sein muss?
Kai Kapitän: Wie heißt es so schön von Orwell: "Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft". Als Basis haben wir unsere Daten aus der Vergangenheit genutzt. Beispiel Security-Bereich: Wir haben analysiert, wie viele Geräte wir bislang mit welchem Zeitaufwand pflegen, welche Security-Dienste wir anbieten. Auf dieser Basis haben wir angefangen zu kalkulieren mit einem Aufschlag von 150 Prozent!
Im Ergebnis musste der Kunde beim Managed Service nur geringfügig mehr bezahlen als bisher. Und für uns ist es ein margenstarkes Geschäft.
ChannelPartner: Wie handhaben Sie die Bereitstellung der Dienste, die Abrechnung, das Vertragsmanagement und Reporting?
Kai Kapitän: Der Kunde zahlt einen fixen Betrag pro Monat und Arbeitsplatz und erhält dafür im vertraglich vereinbarten Turnus eine Gesamtrechnung.
Als sehr komplex hingegen entpuppte sich die Vertragsgestaltung, in der auch die genauen SLAs hinterlegt sind, basierend auf dem Baukastenprinzip, von dem ausgehend auch die Kalkulationen erstellt wurden. Orientiert haben wir uns auch hier an den Versicherungen, etwas vereinfacht dargestellt: Will der Kunde eine Vollkasko- oder Teilkasko-Versicherung abschließen? Auch entscheidet der Kunde, ob er für die postalische Zusendung seiner Rechnung einen Aufpreis zahlen möchte oder die kostenlose Versendung per Email.
Detaillierte Reportings bieten wir dem Kunden nicht an. Denn unserer Erfahrung nach kann dieser Schuss nach hinten losgehen: Wenn der Betrieb reibungslos funktioniert, neigen Kunden dazu, den Service, der im Hintergrund dennoch für den Fall des Falles aufrechterhalten werden muss, reduzieren zu wollen.
"Hersteller ohne Managed Service-fähiges Modell sind für uns nicht mehr sinnvoll"
ChannelPartner: Wie handhaben Sie die Bereitstellung der unterschiedlichen Managed Services?
Kai Kapitän: Wir nutzen für alle Kunden die gleichen Sensoren, um z.B. Lüftung, Updates, Zustand der Hardware, Security-Status etc. zu kontrollieren. Für die Überwachung und Provisionierung nutzen wir die jeweiligen Dashboards der Hersteller.
Da jeder Hersteller ein anderes Dashboard einsetzt, ist das sehr aufwändig. Und es gibt immer noch sehr viele Hersteller, die keine Dashboards für Managed Services zur Verfügung stellen. Das ist auch ein Grund, weshalb sich der Wandel zum MSP auch auf unser Herstellerangebot auswirkt. Denn zum einen haben wir die Anzahl der Hersteller reduziert, um die Flut an Dashboards einzudämmen. Und Hersteller, die kein Managed Service-fähiges Modell anbieten - beispielsweise Druckerhersteller ohne Online-Deployment oder Cost per Klick-Funktion, sind für uns nicht mehr sinnvoll. Nach diesen Gesichtspunkten wählen wir unsere Herstellerpartner aus.
ChannelPartner: Gibt es spezielle Warengruppen, bei denen die Managed Service Modelle der Hersteller besonders stark hinterherhinken?
Kai Kapitän: Meiner Ansicht nach trifft es vor allem auf die Printer-Sparte zu, in der häufig noch nicht komplette nutzungsabhängig bezahlbare und nahtlos in die Cloud integrierte Systeme angeboten werden. NAS-Systeme hinken an manchen Stellen auch noch hinterher. Die Integration zu Microsoft Online Active Directory, OneDrive oder Azure ist generell noch bei vielen nicht unbedingt gegeben. Eher bestehen die Integrationen zu AWS oder Google.
Bei vielen Herstellern steht das auf der Roadmap, aber sie können nicht sagen, wann konkret es funktioniert. Das behindert uns als IT-Dienstleister wirklich.
ChannelPartner: Hosten Sie Lösungen auch selbst?
Kai Kapitän: Ein eigenes Hosting ergibt für uns als kleines mittelständisches Systemhaus keinen Sinn. Abhängig von Kunden finden wir die für ihn passende Lösung. DATEV-Kunden beispielsweise sind ohnehin an das Rechenzentrum der DATEV angebunden. Was im Übrigen eine große Anforderung für den DATEV-Fachhändler darstellt, der nicht am QMTH-Program (Qualified Multitenant Hoster Program) und auch nicht Microsoft Azure als Virtualisierungs-Plattform nutzen. Für alle anderen Kunden nutzen wir andere Hosting-Systeme.
Erkennbar ist aber: SMB-Kunden in Deutschland wollen nicht alles in die Cloud verlagern. Die meisten wollen für bestimmte Daten immer noch ein Stück Blech sehen, wo ihre Daten liegen - sie fühlen sich damit wohler. Deshalb setzen wir sehr stark auf hybride Systeme, bei dem ein Teil der "hybriden Cloud" oft in den Räumlichkeiten des Kunden verbleibt.
Unsere Kunden liegen in der Größenordnung bis maximal 250 Arbeitsplätzen. Viele dieser Kunden können mit dem Begriff Managed Service gar nichts anfangen. Deshalb verwirren wir sie auch nicht mit Begriffen, sondern machen deutlich: "Du bekommst eine für Dich individuell passende Lösung und Du bestimmst welche Daten in die Wolke kommen und welche nicht.". Unsere Kunden wollen sich um ihr Geschäft kümmern, nicht um die IT. Viele formulieren das ganz unumwunden: "Ich bin kein IT-ler, also sprechen Sie Deutsch mit mir!"
ChannelPartner: Wie gewinnen Sie neue Kunden?
Kai Kapitän: Mit Abstand die meisten Kunden gewinnen wir durch die klassische Weiterempfehlung. An zweiter Stelle kommen Kunden, die wir über Kooperationen und Netzwerke gemeinsam mit anderen Partnern bedienen. Hinzu kommen Aktionen wie "Tag der offenen Tür", Endkundenveranstaltungen, Business-Frühstücke und regionale Veranstaltungen. Im Februar werden wir außerdem mit Instagram und einer Video-Akademie an den Start gehen, um auch im Netz stärker sichtbar zu sein und Interesse zu wecken.
Bei Bestandskunden übernehmen auch unsere Techniker einen Teil des Vertriebs sozusagen als "Scout". Denn sie sind auch vor Ort beim Kunden und können wahrnehmen, was er noch braucht - und können auch direkt vor Ort Dienste selbstständig zubuchen und sofort umsetzen. Früher hätte der Einkauf die Bestellung bzw. Buchung getätigt. Selbstverständlich ist das aber nur bis zu einer gewissen Kundengröße möglich.
Und wie jeder Partner wünschen wir uns natürlich auch, auf der Webseite der Hersteller und Microsoft "sichtbar" zu sein und gelistet zu werden, unabhängig davon ob als Managed oder Unmanagend Partner.
Löst die Geschäftsleitung interdisziplinäre Teams auf, dann scheitert die Transition
ChannelPartner: Parallel zum Wandel Ihres Systemhauses zum MSP übernahmen Sie auch IT-Consultant-Aufträge, um als Trainer andere Partner beim Wandel zum MSP zu unterstützen. Was waren die prägendsten Erkenntnisse, die Sie aus dieser Zeit mitgenommen haben?
Kai Kapitän: Das zentrale Einstiegsthema ist immer die Geschäftsführung. Sie kommt auf mich zu und sagt: "Wir brauchen Hilfe bei der Transformation. Hersteller können oder wollen uns hier nicht helfen und die Distributoren erzählen uns nur das, was für sie selbst wichtig ist." Das übersetze ich mit: Die Geschäftsführung hat Angst, sich zu bewegen und wegen Unwissenheit einen Fehler zu begehen. Ihre Auftragsbücher sind gefüllt. In der Regel wünscht sich die Geschäftsleitung, dass ich eine Schulung für die Mitarbeiter mache. Übersetzt bedeutet das: "Bitte übernimm meine Aufgabe für diese Zeit." Dann machen wir ein Konzept für Einkauf, Technik und Vertrieb. Bis dahin ist alles o.k., alle sind einverstanden.
Dann geht es an die praktische Umsetzung - beginnend mit einem Basis-Workshop für alle. Nach diesem Workshop ist für alle Mitarbeiter unmissverständlich klar: "Wir müssen raus aus der Komfort-Zone." Und an dieser Stelle beginnt ein Teil der Mitarbeiter immer die Innovationswege der Geschäftsführung unterschwellig zu boykottieren.
Wir haben einen Partner, mit dem wir seit zwei Jahren versuchen die Transition hinzukriegen, aber der Vertriebsleiter bremst.
Techniker wiederum sagen oft nicht einfach: "Das ist scheiße!", sondern suchen nach angeblichen Sicherheitsmängeln oder technischen Hindernissen, die meistens nie richtig recherchiert werden, als Begründung dafür, keine Managed Services zu machen. Dahinter steckt Angst gegenüber der Veränderung und das Leben als "Made im Speck" nicht aufgeben zu wollen. Ein Techniker, der bisher stundenlang Exchange-Server, Virtualisierungen und Sharepoint eingerichtet hat, fürchtet für diesen Job nicht mehr benötigt zu werden, weil sich das mit Managed Services in wenigen Minuten bewerkstelligen lässt.
Mit Mitarbeitern, die offen für Veränderungen und Innovationen sind, kann man dagegen alles rocken. Je homogener ein Team, desto langsamer ist der Prozess. Je heterogener das Team, desto kreativer sind die Prozesse, oder um es im Fachchinesisch zu sagen: Agile Frameworks - z.B. Scrum - schlägt Waterfall.
ChannelPartner: Wie lässt sich der Knoten lösen?
Kai Kapitän: Wichtig ist die Einstellung der Geschäftsleitung. Sie muss verstanden haben, dass jeder, auch sie selbst, seine Komfortzone, in der man jahrelang gut gelebt hat, verlassen muss. Die Geschäftsführung muss ganz klar sagen: "Das ist lebenswichtig für uns, wir müssen in diese Richtung gehen". Was sich für die Umsetzung immer wieder bewährt hat, sind interdisziplinäre Teams, in denen Menschen aus Einkauf, Vertrieb und Technik, die Lust haben auf diesen Wandel, zusammenarbeiten. Hierbei spreche ich nicht von den "Super-Köpfen" oder Leitern dieser Abteilungen, sondern von den möglicherweise unscheinbaren Mitarbeitern, die "brennen" sich zu verändern. Das ist reines Gold für jedes Unternehmen. Dann obliegt es der Geschäftsleitung, diese Teams zu pushen. Dann funktioniert die Transition. Denn im Idealfall ziehen diese Teams die "Bestandsverteidiger" im Unternehmen mit.
Wenn die Geschäftsleitung diese interdisziplinären Teams auflöst, weil sie die Mitarbeiter nur fürs "Tagesgeschäft" braucht, dann scheitert die Transition. Denn die Mitarbeiter müssen miteinander funktionieren.
Und viertens muss jeder Mitarbeiter, wirklich jeder, am liebsten auch die Terminplanung der Reinigungskraft, mit den Tools, die das Unternehmen verkaufen soll, auch arbeiten. Der alte Satz: "Eat your own dogfood" hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt. Transition funktioniert nicht, wenn man sie nicht lebt. Das wäre wie Autofahren auf Basis purer Theorie.
Wenn keiner merkt, dass ich nicht da bin, habe ich als Chef alles richtig gemacht
ChannelPartner: Welche Indikatoren gibt es, um herzauszufinden, ob ich als Geschäftsführer die Transition wirklich lebe und treibe - oder ob ich unbewusst blockiere, weil meine Eigenwahrnehmung getrübt ist?
Kai Kapitän:Transition ist permanent. Wer das Gefühl hat, er ist in der Transition, wird es merken.
Wenn ich als Geschäftsführer mein eigenes Unternehmen nicht mehr wiedererkenne, dann ist das schon ein guter Indikator. Wenn keiner merkt, dass ich nicht da bin, habe ich alles richtig gemacht. Wenn man alte Zöpfe loslassen kann. Letztlich muss das aber natürlich jeder für sich selbst wahrnehmen.
Ich stelle mir immer die gleichen vier Fragen:
Was passiert gerade?
Wie fühle ich mich dabei?
Was möchte ich ändern?
Was hält mich davon ab es zu ändern?
Es beginnt beim ersten SLA. Die entscheidende Frage ist aber immer: Gehört das Produkt, dass mein Hersteller vor maximal zwei Jahren auf den Markt gebracht hat schon zu meinem Tagesgeschäft? Diese Frage ist nie abschließend zu beantworten.
Immer wenn man denkt, man hat es verstanden, sollte ein Aha-Effekt folgen: "Oh! Es ist anders!" Im Kern geht es um die Bereitschaft, ewig zu lernen und als Geschäftsführer den Mitarbeitern dieses dauerhafte Lernen zu ermöglichen und auch einzufordern.
Ich verwende als ersten Indikator eine "Masochismus-Tabelle", an der ich erkenne, ob die Geschäftsleitung bereit ist für die Transition oder nicht. Der Geschäftsführer sollte in dieser kurzen, einfach gehaltenen Liste meine vorgeschlagene ToDos zur Transition mit geschätzten Kosten und Konsequenzen eintragen. Wenn er das nicht priorisieren kann oder es verschiebt, ist er noch nicht so weit. Geschäftsführer sagen sie immer: "Wir wollen die Transition." Oder: "Wir sind schon mittendrin" oder "schon fast damit abgeschlossen." Die Masochimsus-Tabelle sagt meist etwas anderes.
Und da muss ich für Microsoft eine Lanze brechen! Denn letztlich kann ihr Verhalten damit interpretiert werden: "Was sollen wir mit KMUs, die sich nicht transformieren wollen. Darauf können wir verzichten." Nur sage ich: "Scheißt bitte nicht auf alle KMUs! Der größere Teil der KMUs möchte gerne die neuen Techniken vorantreiben, wird aber durch fehlende Unterstützung von Herstellern im "Keim erstickt".
Zum Video: Wie IT-Dienstleister die Angst vor der Transformation überwinden
So lange wir Einzelkämpfer bleiben, wird es uns schlecht gehen
ChannelPartner: 2017 gründeten Sie auch vor diesem Hintergrund den "Captains365.Club". Welche Anliegen und Ziele verfolgen Sie mit diesem Netzwerk?
Kai Kapitän: Der "Captains365.club" hat seine Anfänge im Jahre 2015 und wird seit 2017 aktiv betrieben. Es ist ein unabhängiger und impulsgebender Club mit mehr als 650 angeschlossenen IT-Systemhäusern. Wir stehen den Partnern mit geprüften Konzepten im kaufmännischen und technischen Microsoft-Dschungel zur Seite und auch als "verlängerte Werkbank" bei Projekten. Zudem unterstützen wir unsere Partner im Rahmen unserer technischen Roadshow quer durch Deutschland ein bis zwei Mal im Jahr.
Ich möchte gerne unsere wichtigsten Alleinstellungsmerkmale nennen:
USP: Wir stehen unseren Partnerunternehmen an 365 Tagen täglich bis 22:00 Uhr für technische und kaufmännische Angelegenheiten zur Verfügung. Ein Techniker, der am Sonntagabend noch beim Kunden ist und ein Problem lösen möchte, ist froh, wenn er bei uns anrufen kann und jemanden findet, der mit ihm das Problem bespricht bzw. löst.
USP: Unsere Partnerunternehmen erhalten ganz pragmatische, praxisorientierte Hilfe für alle Belange ihres Tagesgeschäfts, und zum anderen auch wertvolle Unterstützung für ihre strategischen Fragen und Ausrichtungen an die Hand.
USP: Wir übernehmen für unsere Partnerunternehmen die Pflege des MPN (Microsoft Partner Network) oder die gezielte Empfehlung von Workshops die von Microsoft z.B. im Rahmen von "Intelligent Bootcamps" veranstaltet werden.
USP: Auf Anfrage treten wir im Namen unsere Partnerunternehmen auf und helfen beim Presales, Realisierung des Projekts als Consultant oder Endkundenschulungen / Veranstaltung.
kein USP: Der "Klassiker" der Vernetzung, des Networkings der Unternehmen untereinander bietet inzwischen jeder Verbund und ist heutzutage nicht mehr erwähnenswert.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass entgegengesetzt der Gerüchteküche: Jegliche Art von Verkäufen, ob Software, IT oder Provisionsbeteiligungen bei uns ausgeschlossen ist, damit unsere Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Empfehlungen von Herstellern oder Produkten tätigen wir ausschließlich aus Überzeugung. Wir finanzieren uns durch Consulting-Leistungen und Mitgliedschaftsgebühren.
ChannelPartner: Welche Zielgruppe adressiert der Club?
Kai Kapitän: Unsere Mitglieder sind KMU IT/ITK-Systemhäuser mit drei bis 40 Mitarbeitern, vereinzelt auch größere. An uns können sich nur beratende IT/ITK-Systemhäuser anschließen. Die meisten sind "Unmanaged Partner". Hierbei liegt der Fokus klar auf der Microsoft: Office 365, Sharepoint, CRM, Azure, Maschine Learning / AI und IoT. Unternehmen wie E-Tailern, reine Online-Shops oder ähnliche sind von der Teilnahme ausgeschlossen.
ChannelPartner: Weshalb der starke Fokus auf Microsoft?
Kai Kapitän: Microsoft ist dabei, quasi ihre eigene, abgerundete, komplett integrierte Produkt-Domäne zu schaffen: Betriebssysteme (Win10), Azure (Server/Virtualisierung), Serverdienste (Flow, PowerApps, BI), Dynamics, Anwendungen (Collaboration Tools, Office 365) ergänzt die große ISV-Community. Die saubere Integration die mit WindowsPhone - leider - gescheitert ist, ist spätestens mit Windows 10 sehr gut gelungen.
Mir fällt kein anderer Hersteller ein, der diesen Umfang in gleicher Weise anbietet.
Der zweite Grund: Microsoft sagt, wir wollen Dein "Bestes", Dein Geld. Als Gegenleistung bieten wir Dir eine hochverfügbare Datensicherheit an und wir fassen Deine Daten nicht an. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem Microsoft Schindluder mit den Daten getrieben hätte. Da sind sie extrem sensibilisiert, ich kann in Bezug auf die "German-Angst" Microsoft sehr ruhigen Gewissens empfehlen.
ChannelPartner: Anfang Juli 2019 hatte Microsoft die kostenlose Lizenznutzung für Partner ohne Vorwarnung massiv eingeschränkt. Eine Petition mit Tausenden Unterstützern ließ Microsoft zurückrudern. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Kai Kapitän: In der Tat war ich in meinem Vertrauen gegenüber Microsoft sehr erschüttert, als Microsoft am 08.07.2019 die IUR Lizenzen (Internal Use Rights), die Microsoft Action Pack-, Silver-, oder Gold-Partner für eigene Zwecke produktiv nutzen können, zum Ende des Fiskaljahres zum 30.06.2020 eingestellt hatte.
Als ein Aufschrei und viele Petitionen durch die Händlerlandschaft gingen, waren wir alle umso erleichterter, als am 12.07.2019, Gavriella Schuster, Coporate Vide President von One Commercial Partner (Microsoft USA) die Abschaltung der IURs zum 30.06.2020 rückgängig machte. Wann die Abschaltung erfolgen wird, kann ich nicht beurteilen.
Wenn man mit Microsoft länger zu tun hat, stellt man fest, dass sie gerne heute "Hü" und morgen "Hott" rufen. Das muss man akzeptieren - es ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das nun mal sehr "agil" arbeitet. Und sie beherrschen die Rolle rückwärts exzellent.
Das entzieht aber dem Partner auch Planungssicherheit für seine Kunden und sein Geschäft. Denn oft werden große Innovationen - beispielsweise 2015/2016 Microsofts "Deutschland Cloud", treuhändisch über T-Systems - auf der DPK 2016 angekündigt. Und plötzlich, mit Schallschutzdämpfer, leise im Jahre 2018 Scheibchen für Scheibchen abgeschaltet, damit es keine große Welle schlägt.
Händler, die ihre Kunden in die Deutschland Cloud (T-Systems) migriert hatten, mussten gegenüber ihren Kunden wirtschaftliche und insbesondere Vertrauensverluste hinnehmen. Aber diese Verluste scheint Microsoft nicht zu hören.
Außerdem beliebt ist die Salami-Taktik: Was heute entschieden wurde, wird nicht immer sofort kommuniziert.
Ich gehe davon aus, dass Microsoft noch nicht verstanden hat, dass Systemhäuser in Deutschland und die deutschen Gesetze bezüglich der Haftung bei einem Werksvertrag und Einhaltung der DSGVO anders sind als in den USA. Da hilft es auch nicht, dass zum Q4/2019 und für 2020 die "neue" Deutschland-Cloud an den Start gebracht wurde. Die Händler bleiben natürlich misstrauisch.
ChannelPartner: Es gibt inzwischen eine große Anzahl unmanaged Partner. Wie bewerten Sie diese Strategie Microsofts?
Kai Kapitän: Microsoft fokussiert sich auf seine 350 Managed Partner, will aber nicht riskieren, dass alle anderen 12.700 Partner zu Microsoft-Gegnern werden. Diese sollen von den Distributoren oder durch den IAMCP e.V. - einem angebliche unabhängige Microsoft Verein - für eine Zahlung von 390 Euro im Jahr "aufgefangen" und "betreut" werden - und sich dann wie Managed Partner fühlen.
Bei genauerem Hinsehen und kritischen Fragen stellt man fest, wer dort in Wirklichkeit die Zügel in der Hand hat und welche "Betreuung" man erfährt. Ich selbst war für ein Jahr Mitglied bei diesem Verein, um die IAMCP intensiv kennenzulernen und meinen Partnern zu empfehlen. Ich habe fristgerecht meine Mitgliedschaft gekündigt.
ChannelPartner: Gibt es eine Alternative?
Kai Kapitän: Da wir keine wirkliche Alternative haben, sollten wir KMU-Partner eine gemeinsame Stimme bilden. Denn dann haben wir Gewicht! Dann wird man auf uns hören "wollen". Wenn wir das nicht tun, werden wir in zwei bis drei Jahren auch die vorhin angesprochenen IUR-Lizenzen nicht mehr nutzen können. Folge: "Eat your own Dogfood" funktioniert dann nicht mehr. Denn dann sprechen wir bei einem IT-Dienstleister mit 30 Mitarbeitern über Kosten von jährlich 7.200 Euro (30 Mitarbeiter x 20 Euro / Lizenz x 12 Monate) - für nichts!
Ich finde das keinen schönen Gedanken. Für Microsoft wäre es eine gute Einnahmequelle.
Auch prophezeie ich die drastische Abänderung der Remote-Desktop Services auf Windows Server Onpremise Systemen, in Abhängigkeit zu Office Pro Plus, nur um einige von mehreren Marktveränderungen zu nennen.
Solange wir kleinen und mittelständischen Häuser, die den Großteil des Markts bedienen, Einzelkämpfer bleiben, wird es uns schlecht gehen. Tun wir uns zusammen, wird es uns gut gehen.
ChannelPartner: Worauf müssen sich Microsoft-Partner einstellen?
Kai Kapitän: Generell müssen sich alle unmanaged Partner darauf einstellen, dass sie auch künftig nicht mehr von Microsoft gemanagt werden, weil sie für den Hersteller uninteressant sind. Microsoft verweist sie an die Distribution bzw. an ihren eigenen "Selbstbeweihräucherung-Verein".
In zwei bis drei Jahren wird sich die Produktwelt weiter aufsplitten in Produkte, die von jedem Partner vermarktet werden können, und Linien, die exklusiv nur von ausgewählten Partnern und von Microsoft direkt - das seit 2013 eingeführte Advisory-Modell - vermarktet werden. Das ist heute schon vereinzelt zum Beispiel bei Cognitive Services, Dynamics, O365 usw. erkennbar.
ChannelPartner: Was empfehlen Sie den Partnern angesichts dessen?
Kai Kapitän: Erstens brauchen wir eine Art Interessenvertretung, eine wirkliche unabhängige Lobby, Netzwerke, um eine gemeinsame Stimme zu haben. Wenn eine Gemeinschaft mit tausenden Partnern aufsteht und etwas fordert, wird das Microsoft das auch hören wollen. Es gibt sehr spannende Netzwerke in D-A-CH. Wir sollen uns alle unter einem unabhängigen Schirmherrn vernetzten. Ich bin für Kooperation und Anfragen offen, solange damit die Anliegen und der Respekt der KMU-Partner gestärkt werden.
Zweitens empfehle ich Partnern dringend, neueste Techniken, insbesondere im Bereich Künstlicher Intelligenz, in Referenzprojekten mit ausgewählten Kunden aufzusetzen, ein gesamtes Szenario mit Cognitive Services. Jeder sollte seine Nische finden und sich dort "verbeißen". Gemeinsam mit dem Kunden etwas "Neues" ausprobieren.
Ein eigenes interdisziplinäres Team zu haben, das darauf brennt, auch mal einfach nur "geiles Zeug" zu machen. Und genau diesen Mitarbeitern auch die Arbeitszeit dafür geben. Der ROI ist simpel kalkulierbar und wirklich kein Hexenwerk.
Die Zukunft gehört meiner Meinung nach den proaktiven "T-förmigen" Mitarbeitern ("T-shaped employee"), die sich mit anderen vernetzen können weil sie weder sich selbst als "King-of-Kotelett" sehen, noch Verlustängste oder Profilierungsprobleme haben.
Treffen Sie Kai Kapitän persönlich bei c.m.c.!