Bis 2011 hatte Media-Saturn den Trend zum Online-Shopping verschlafen und diskutierten ernsthaft, ob 70 Prozent Offline-Markt nicht auch reichen. Doch das Internet stellte den Unique Selling Point der Retail-Kette - die angestrebte Preisführerschaft und das größte Sortiment - auf den Kopf. In eine ähnliche Bredouille will man bei der Digitalisierung des Handels - bei Media-Saturn auch als Handel 4.0 bezeichnet - nicht noch einmal kommen. Deshalb arbeitet das Unternehmen, so Martin Wild, Chief Digital Office bei Media Markt und Media-Saturn, an neuen digitalen Features und Kanälen, die künftig beim Shopping eine Schlüsselrolle spielen sollen. "Dabei erfüllt die Digitalisierung keinen Selbstzweck", erklärt der CDO, "sondern muss entweder das Kundenerlebnis verbessern oder neue Business-Modelle liefern."
2011 begann die digitale Reise
Letztlich zwang der vernetzte Kunde, der jederzeit und überall per Knopfdruck an Produktinformationen und Preise kommt, auch die Ingoldstädter Media-Saturn zu Veränderungen. "Zumal Hoffnung definitiv keine Lösung war", beschreibt Wild, "wir versuchen nun das Beste aus beiden Welten zu vereinen und ein Omni-Channel-Strategie zu fahren". Dahinter steckt die Überzeugung, dass ein Kunde sehr bewusst auswählt, welchen Channel er nutzt. Offline wolle der Kunde etwa ein Produkt berühren und es sofort kaufen, online stehe dagegen die Bequemlichkeit, die volle Preistransparenz sowie die Auswahl im Vordergrund. Des Weiteren sieht Wild zwei Trends bei den Kunden: Personalisierung und Mobile. Unter Personalisierung versteht der CDO eine Unterstützung der vernetzten Kunden bei der Bewältigung der Datenflut. Mit Mobile spricht Wild das Thema Smartphone an, das für ihn eine perfekte Verbindung zwischen Offline- und Online-Welt darstellt. Damit will er den Kunden künftig ein besseres Shopping-Erlebnis ermöglichen.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck
Ein erster Schritt war etwa das vernetzte Shopping, bei dem der Kunde online bestellt und dann das Produkt vor Ort abholt. "Ein Verfahren das 40 Prozent unserer Online-Kunden nutzen", berichtet der CDO aus der Praxis. Allerdings sei dies nur der Anfang, meint Wild mit Blick auf social media, IoT, connected products, digital Marketing, Big Data, VR und Robotics. Gerade an Lösungen mit VR und Robotics in Verbindung mit IoT-Technologien arbeiten die Ingoldstädter derzeit und testen erste Pilote bereits in ihren Märkten.
Ware per Location based Services abholen
So testet Media-Saturn das Thema Mobile bereits in verschiedenen Läden. Einen Anwendung sind Location based Services (LBS). Eine Anwendung ist etwa der digitale Abholschein. Bestellt der Kunde online, so erhält er den Abholschein auf sein Smartphone. Bewegt er sich dann in die Nähe eines Marktes, weist ihn das Smartphone darauf hin und teilt ihm mit, dass die Ware abholbereit ist. Ein anderes Szenario ist, dass der Kunde im Laden künftig auf dem Smartphone den Standort der Produkte anzeigt bekommt, für die er sich interessiert. Hierzu setzt das Unternehmen zudem auf Augumented Reality.
Elektronische Preisschilder mit NFC
Des Weiteren sollen die Shops künftig mit digitalen Preisschildern (Electronic Shelf Label (ESL)) ausgestattet werden. Diese ermöglichen einen automatischen Wechsel der Preise, so dass die Mitarbeiter nicht mehr täglich neue Preisschilder ausdrucken müssen. Diese Funktion wird derzeit laut Wild ausgerollt. Darüber hinaus sind die ESL alle NFC-fähig. In Kürze könnten die Kunden ihre NFC-fähigen Smartphones an die Preisschilder halten, um so einen Link zu erweiterten Produktinformationen zu bekommen. "Leider können dies nur Android-User nutzen, da sich Apple immer noch nicht dazu entschlossen hat, seine NFC-Implementierung zu öffnen", schränkt der CDO ein. Auf diese Weise soll der Kunde auch im Shop alle Informationen erhalten, die er aus der Online-Welt gewohnt ist. Mit Hilfe der Indoor-Navigation will Wild eine weitere Online-Erfahrung in der realen Welt erlebbar machen: "Wir sind alle gewohnt, online binnen Sekundenbruchteilen die gewünschten Produkte zu finden, im realen Laden suchen die Kunden dagegen oft mehrere Minuten." Eine solche Indoor-Navigation testet Saturn-Media derzeit in Ingoldstadt.
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Intelligent Shoppen mit Microsoft Kinect
Doch nicht nur die Preisschilder an den Regalen sollen intelligent werden. Unter dem Stichwort Smart Shelf testet man derzeit im Saturn Ingoldstadt, wie man dem Kunden, wenn er ein Produkt berührt, automatisch den Produktrelevanten Content - etwa ein Video - zur Verfügung stellt. Dazu wurde über dem Regal eine Microsoft Kinect installiert. Diese trackt die Kundeninteraktionen. Den Vorteil an diesem Ansatz sieht Wild darin, dass dem Kunden so ein neues Shopping-Erlebnis geboten werden kann, selbst wenn er nicht Digital-affin ist.
Ist 2016 das Jahr der Virtual Reality?
2016, so ist Wild überzeugt, wird Virtual Reality (VR) seinen Durchbruch erleben, weshalb auch Media-Saturn diese Technik nutzen will. Hierzu hat das Unternehmen in Saturn Ingoldstadt und Berlin Alexanderplatz zwei VR-Showrooms aufgebaut. Als erste Anwendung wurde der interaktive, virtuelle Verkauf von Küchen getestet, weil dem Retailer bewusst ist, dass er niemals das komplette Küchen-Sortiment im Laden vorhalten kann. Virtuell kann der Kunde drei verschiedene Küchen an verschiedenen Orten wie etwa in New York, in den Bergen oder einen neutralen Stadt erleben. In diesen Küchen kann er die Oberfläche sowie die Farben verändern. Ebenso ist er in der Lage die Elektrogeräte auszutauschen. Auf diese Weise kann der Kunde erleben, wie eine gewählte Küche in echt aussehen würde. Doch dies war nur der Anfang. Parallel dazu hat Saturn jetzt begonnen, dort auch Gaming zu ermöglichen. Andere Zuschauer können dabei zusehen und auf großen Monitoren mitverfolgen was der VR-Player erlebt.
Lieferroboter statt Amazons Drohnen
Schließlich befasst sich Wild noch mit dem Thema Robotics. Aktuell arbeitet der Kölner Saturn Connect Markt mit Nao an einem Roboter, der Produkte präsentieren kann, connected device erklärt, Licht einschaltet oder Fernseher bedient. Zudem könne er dem Kunden das Thema smart connected home sehr gut erklären. Wenige Kilometer weiter in Düsseldorf hat demnächst ein anderer Roboter seine Bewährungsprobe. Dort soll ein Lieferroboter des estländischen Herstellers Starship Ware ausliefern. Der Roboter kann diese im Umkreis von vier Kilometern selbständig zum Kunden bringen. Damit möchte Media-Saturn nicht nur die Ware schneller an den Kunden ausliefern, sondern auch effizienter. "Damit ist die letzte Meile bei der Lieferung zum Kunden für weit unter einem Euro abbildbar und das just in time", rechnet Wild vor. So sieht etwa ein Konzept von Starship vor, dass etwa die Ware zu Hubs transportiert wird und der Kunde dann nur, wenn er zu Hause ist, einen Knopf drücken muss - und 15 Minuten später steht der Lieferroboter vor der Türe.
Gemeinsam mit Frauenhofer arbeitet der Retailer an der Weiterentwicklung von Paul - ein Roboter der ursprünglich für den Pflegedienst konzipiert wurde. Paul ist etwa 1,60 Meter groß und soll künftig Kunden begrüßen, zum gesuchten Produkt geleiten und dazu einfache Fragen beantworten. Weiß Paul nicht mehr weiter, kann er einen Mitarbeiter hinzuziehen.
Insgesamt, so bekräftigt CDO Wild, habe sich Media-Saturn auf die Fahne geschrieben, neue Technologien - im Vergleich zur Vergangenheit - bereits sehr früh zu evaluieren, um das Shopping-Erlebnis für den Kunden zu verbessern. Um auch für Neuigkeiten gewappnet zu sein, die dann in der Praxis nicht funktionieren, haben die Ingoldstädter eine fail-forward-fail-fast-Strategie entwickelt. "Wir entwickeln die Zukunft des Handels", zeigt sich Wild siegessicher.
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