Seit Juli werden erste Industriekunden aus dem Direktgeschäft an Partner übertragen, es gibt 15 Prozent Zusatzmarge für Lösungsgeschäfte, die Projektregistrierung funktioniert, die Preise wurden angepasst. Doch es gibt auch noch Baustellen.
Auf dem Partner Kick-off im Februar 2012 hatte IBM-Channelchef Stephan Wippermann vier grundlegende Verbesserungen für den Channel angekündigt:
Teile der Industriekunden, die bisher vom Hersteller direkt betreut wurden, sollten an die Vertriebspartner übertragen werden. Weiter versprach er, IBM werde die so genannten "Delegations"- oder "Grid-Preise" für Projekte wettbewerbsfähiger - also günstiger - gestalten. Zudem sollten ISVs und Hardware-Partner stärker für den Verkauf von Komplettlösungen belohnt werden. Und viertens galt es, möglichst alles, was Partner daran hinderte, Projekte zu registrieren, aus dem Weg zu räumen.
Knapp ein halbes Jahr nach diesen Ankündigungen ist es Zeit, Bilanz zu ziehen.
Tor zu Industriekunden aufgestoßen
Der Begriff "Industriekunden" umfasst bei IBM sowohl Großkunden aus unterschiedlichen Branchen (beispielsweise Automotive, Behörden), aber teilweise auch beispielsweise mittelständische Zulieferer dieser Großkonzerne. Bislang wurden diese nach Branchen gegliederten Kunden ausschließlich von IBMs Industrie-Account-Managern direkt betreut und beliefert.
Inzwischen hat der Hersteller all diese kleineren und mittelständischen Firmenkunden branchenübergreifend nach Regionen gebündelt und zum Stichtag 1. Juli dem Geschäftsbereich "Gehobener Mittelstand" zugeschlagen.
Obwohl in dieses Segment ebenfalls nur Kunden bzw. Projekte mit einem Volumen von über 100.000 Euro einfließen, wurde bereits in der Vergangenheit 90 Prozent dieser Projekte über den Channel abgewickelt. Jetzt kommen hier zusätzliche Endkunden aus dem ehemaligen Direkt-Account hinzu. "Es handelt sich um einen Kundenkreis im höheren dreistelligen Bereich", erklärte Wippermann gegenüber ChannelPartner, wollte aber keine genauen Zahlen nennen. "Wir haben auch hausintern die Strukturen geschaffen, um Partner bei der Generierung und Umsetzung von Projekten mit diesen zusätzlichen Kunden unter die Arme zu greifen", so Wippermann.
Alle Projekte unter der magischen und seit Februar fest verbindlichen Grenze von 100.000 Euro sind ausschließlich den Vertriebspartnern vorbehalten.
"Gerade die mittelständischen Kunden, die bislang im Direkt-Account angesiedelt waren, fühlen sich in der neuen Struktur viel besser aufgehoben, weil sie jetzt ein von einem mittelständischen Dienstleister auf Augenhöhe betreut werden", berichtet der Channelchef und macht keinen Hehl daraus, dass der IBM-Direktvertrieb hier sein Augenmerk gewöhnlich stärker auf die Großkonzerne als auf die SMBs im jeweiligen Industriezweig gerichtet hatte.
Wie die Übergabe konkret funktioniert
"Es stimmt, dass wir jetzt auch diese Kunden betreuen können", bestätigt IBM-Businesspartner Andreas Liefeith, der bei Procilon IT-Logistics die strategische Geschäftsentwicklung verantwortet. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt Software für Verschlüsselung und elektronische Signatur sowie eine Integrationsplattform, die es ermöglicht, Prozesse compliance-konform aufzusetzen und zu managen.
Doch wie kommen interessierte Partner an diese potenzielle neue Kundenklientel?
"Man muss schon etwas dafür tun", sagt Liefeith, "dann ist das einfach und funktioniert wirklich sehr gut." So hat Procilon beispielsweise in Abstimmung mit ihrem IBM-Ansprechpartner Marketing-Aktionen und Mailings für bestimmte Branchen, Regionen oder für bestimmte Unternehmensgrößen aufgesetzt. Die Adressbestände von Procilon wurden von IBM mit den passenden Industriekunden angereichert. Diese IBM-Adressen werden allerdings nicht an den Partner weitergeleitet, sondern vom IBM Inside Sales oder einer beauftragten externen Telesales-Agentur im Rahmen der Partneraktion weiter qualifiziert. Procilon stellt dazu die nötigen Informationen und Mailings bereit. Die Leads, die IBM daraus generiert, leitet der Hersteller dann an Procilon weiter.
Projektpreise: Delegation statt SBO
Im Februar lag der Anteil der Projektpreise, die Vertriebspartner über die Distribution per "Delegation" (bei IBM auch "Grid" genannt) ermittelten, bei etwa 20 Prozent. Bei der Delegation wird der Preis für ein Projekt quasi automatisiert aus einem Durchschnittswert ermittelt, dem eine Matrix aus 60 Parametern zugrunde liegt. Ohnehin wickelt IBM seit 1. Juli diesen Jahres das gesamte Channel-Geschäft ausschließlich über die Distributoren ab.
Diese Delegations-Preise waren aus Sicht der Partner aber oft zu hoch, um gegen Konkurrenzangebote bestehen zu können. Deshalb verhandelten sie die Projektpreise lieber individuell mit dem Hersteller (Special Bid Offers, SBO), was sich für beide Beteiligten meist als äußerst mühsam und aufwändig erwies.
Wippermann versprach auf dem Partner Kickoff Anfang des Jahres, für aggressivere Delegations-Preise zu sorgen. Sein Ziel: bis Ende 2012 über die Hälfte der Projektpreise per Delegation festzulegen. "Den Beweis, dass die Delegationsmatrix günstiger ist als die SBOs müssen wir liefern, dessen sind wir uns bewusst", hatte er auf dem Kickoff erklärt.
"Heute werden bereits 50 Prozent der Projektpreise von Partnern per Grid über die Distribution vereinbart", zog Wippermann nach einem knappen halben Jahr Bilanz. "Das ist ein klares Zeichen dafür, dass wir die richtigen, wettbewerbsfähigen Preispunkte treffen."
Projekt-Registrierung
Probleme, die viele Partner bislang davon abhielten, ihre Projekte zu registrieren (ChannelPartner berichtete), scheinen - wie versprochen - inzwischen behoben zu sein. "Wir haben seit Februar 2012 die Projektregistrierung flächendeckend umgesetzt", erklärte der IBM-Channelchef.
Mehr Marge und Support fürs Lösungsgeschäft
IBM ist nicht der einzige Hersteller, der seit Jahren an seine Partner appelliert, doch ganzheitliche Lösungen zu verkaufen, die Hardware, Software und Services umfassen. Wie vielen anderen Anbietern gelingt es jedoch auch IBM nur sehr schleppend, diese Verzahnung hausintern selbst zu schaffen und vorzuleben.
Seit 1. Juli ist IBM diesem Ziel einen Schritt näher: "Es gibt seitdem ein Team, das für den gesamten Hardware-Infrastrukturbereich ausschließlich an den Partner-Umsätzen gemessen wird und dem Channel als Ansprechpartner zur Verfügung steht", berichtet Wippermann. In der Software-Unit gab es ein solches Team schon seit längerem.
15 Prozent zusätzliche Marge
IBM werde die Zusammenarbeit von Soft- und Hardware-Partnern bei Projekten attraktiver machen, lautete eine weitere Botschaft des Partner Kickoffs. Dieses Versprechen will der Hersteller jetzt mit einem neuen Incentive Programm ("Solutions Acceleration Incentive Program") einlösen: Seit 1. Juli erhalten Reseller eine zusätzliche Marge in Höhe von 15 Prozent, wenn ihr Projekt einen Software- und Hardware-Anteil im Verhältnis von ungefähr 1/3 zu 2/3 umfasst. Ob der Hard- oder der Software-Anteil überwiegt, ist dabei egal. Ausgeschüttet werden die Prämien über die Distribution, die Reseller auf Wunsch dabei unterstützt, einen passenden Kooperations-Partner zu finden.
"Wir wollen auf diese Weise sowohl die Kooperation zwischen Hard- und Software-Partnern belohnen, als auch Partner honorieren, die ihre bisherigen Kompetenzen dahingehend ergänzen", so Wippermann. Eine 50:50-Regelung sei als Grundlage für die Bonifizierung nicht sinnvoll - zum einen, weil im Projekt gewöhnlich ohnehin ein Anteil überwiegt, und zum anderen müsse sich schließlich einer der beiden Partner bereit erklären, die Leitung für das Projekt zu übernehmen.
Procilon-Manager Liefeith findet das Modell gut: "Wir sind zwar ein reiner ISV, arbeiten aber schon lange mit einer Schwestergesellschaft zusammen, die sich um die Infrastruktur-Belange kümmert. Bei Projekten, in denen der Endkunde bereits mit einem Hardware-Dienstleister arbeitet, kooperieren wir mit diesem. Das klappt sehr gut."
PureSystems für ISVs
Mit den PureSystems hat IBM vor einigen Monaten eine Cloud-fähige Infrastruktur aufgelegt, die neben Server, Storage und Netzwerk-Komponenten auch mit speziellen Software-Pattern für unterschiedliche Branchen bestückt ist.
Fester Bestandteil der PureSystems ist außerdem ein Software-Katalog, über den ISV-Partner ihre Lösungen vorintegriert und validiert dem Endkunden oder einem Managed Service Provider zum Download bereitstellen können. "Das funktioniert in der Tat sehr gut", berichtet der Procilon-Manager, der von Anfang an in die Entwicklung mit eingebunden war, "wir konnten über dieses Modell einige neue Kunden gewinnen."
Offene Baustellen: Renewal-Programm
Klärungsbedarf gibt es nach Ansicht der Partner jedoch vor allem noch an zwei Stellen. So hadern viele Software-Partner mit IBMs "Renewal Value Incentive"-Programm. Denn das sieht vor, dass der Endkunde seinen Software-Renewal-Vertrag beziehen kann, wo er will. In der Folge ist unter den Business Partnern offenbar eine regelrechte Preisschlacht um die Renewal-Verträge ausgebrochen. Damit kann aber der Partner, der die Neulizenz verkauft und sich im Vorfeld engagiert hat, die Früchte dieses Aufwands nicht mehr ernten.
Viel Aufwand mit der "Paper-Cloud"
Eine zweite Baustelle betrifft die IBM SmartCloud Enterprise: Grundsätzlich sehen Partner, darin ein durchdachtes Cloud-Service-Modell für den Channel: Es gibt einen präzise definierten Ablauf, eine klare Rollenverteilung und eine präzise Provisionsregelung für alle Beteiligten. Das ist im Markt trotz aller Cloud-Euphorie längst nicht üblich.
Das Problem: Die Abläufe für den Channel sind offenbar extrem kompliziert. Nach Aussage von Resellern läuft es so ab:
Der Reseller füllt ein Papier- (!) Formular beim Endkunden über die gewünschten Dienste aus. Diese Formular sendet er an den Distributor. Der wiederum trägt die Anforderungen in das IBM Registry Portal ein. Daraus entsteht ein etwa 30-seitiger Vertrag, der dann wieder die gesamte Vertriebskette zurückläuft.
Am Ende schlägt der Reseller beim Endkunden wieder mit einem 30-seitigen Vertragswerk in Papierform auf, auch wenn Auftrag nur einen vergleichsweise kleinen Service umfasst.
IBM weiß um beide Probleme, man bemühe sich um Abhilfe, wie der Hersteller gegenüber ChannelPartner erklärte.
(rb)