Chancen durch Unified Communication & Collaboration

Wie Distributoren beim Umstieg auf UCC helfen können

12.10.2018 von Andreas Th. Fischer
Das nahende Ende von ISDN bietet dem Channel viele Chancen. Branchenexperten aus der Distribution erklären, was vom Umstieg zu halten ist, welche Möglichkeiten sich dadurch für den Fachhandel und Systemhäuser ergeben und wie sie sie unterstützen wollen.

Die Telekommunikationsanbieter in Deutschland, allen voran die Deutsche Telekom, haben den Abschied von ISDN eingeläutet. Bis Ende 2018 sollen die Kunden mehr oder weniger freiwillig auf All-IP umstellen. Der Umstieg sorgt dafür, dass Sprache und Daten nur noch über ein Netz übertragen werden. Dabei macht es keinen großen Unterschied mehr, ob man von UC (Unified Communication) oder UCC (Unified Communication & Collaboration) spricht. Die Grenzen zwischen Kommunikation und Kollaboration verschwinden zusehends.

Moderne Collaboration-Tools unterstützen neue Formen der Zusammenarbeit und verändern grundlegende Verhaltensweisen und Einstellungen der Mitarbeiter.
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Nicht nur aufgrund der nahenden ISDN-Umstellung sehen Anbieter, Systemhäuser und Distributoren in UCC einen bedeutenden Zukunftsmarkt. In einer aktuellen Studie kamen die Technische Universität Darmstadt und die Unternehmensberatung Campana & Schott zu dem Ergebnis, dass Social Collaboration die Arbeitseffizienz steigert und die Mitarbeiter befähigt, aktuelle Herausforderungen zielgerichteter zu bewältigen. Moderne Collaboration-Tools unterstützen demnach neue Formen der Zusammenarbeit und verändern grundlegende Verhaltensweisen und Einstellungen der Mitarbeiter, indem sie die Innovationsorientierung und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, fassen die Autoren der "Deutsche Social Collaboration Studie 2017" zusammen.

Vernetzung zur Förderung der Digitalisierung

"Die meisten Studienteilnehmer nutzen vernetzte Formen der Zusammenarbeit nicht primär, um Kosten zu sparen, sondern in erster Linie, um ihre Unternehmenskultur weiterzuentwickeln und die Digitalisierung ihrer Geschäftstätigkeit voranzutreiben", sagt Dr. Eric Schott, Geschäftsführer von Campana & Schott. Der Distributor Ingram Micro hat die Zeichen der Zeit erkannt und vor kurzem sein UCC Solution Center in Dornach neu gestaltet und erweitert.

"Wegen der ISDN-Ablösung müssen sich Endkunden mit einem Thema beschäftigen, das teilweise seit über zehn Jahren nicht mehr angefasst worden ist." Martin Hümmecke, Director Specialty Solutions bei Ingram Micro
Foto: Ingram Micro

Die Maßnahme mit mittlerweile rund 25 Mitarbeitern und unter der Leitung von Senior Manager Mathias Erber und Martin Hümmecke, Director Specialty Solutions, soll das UCC-Geschäft des Broadliners voranbringen und die Vorteile vieler aktueller Cloud-Lösungen in der Praxis demonstrieren. Das Center dient zudem als kostenfreie Anlaufstelle für Fachhändler und ihre Endkunden, die sich gemeinsam neue UCC-Lösungen in Dornach live ansehen können. "Fachhändler und Endkunden haben nur selten die Chance, eine Anlage oder Infrastruktur im Vorfeld zu konfigurieren und das Zusammenspiel verschiedener Geräte und Lösungen zu testen", erklärt Mathias Erber.

Martin Hümmecke ergänzt, dass in den Kellern deutscher Unternehmen teilweise "noch wahre TK-Dinosaurier" stünden. Insbesondere für Anbieter von Cloud- und Hybrid-Lösungen bietet sich deswegen jetzt seiner Ansicht nach "die größte Chance, sich für die Zukunft zu platzieren und die Kunden für die nächsten Jahre an sich zu binden". Die ISDN-Ablösung spiele ihnen dabei in die Hände, denn "Endkunden müssen sich mit einem Thema beschäftigen, das teilweise seit über zehn Jahren nicht mehr angefasst worden ist", so Hümmecke.

Die wichtigsten Ziele beim Einsatz von Social Collaboration-Tools.
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ISDN-Ablösung als Ansporn für den Wandel

Auch Guido Nickenig, Senior Director PreSales DACH bei Westcon UCC, stuft die Ablösung von ISDN als "wertvollen Markttreiber" ein. Unternehmen müssten sich jetzt mit dem Thema UCC auseinandersetzen. "Diese Aufbruchsstimmung und die damit einhergehende Investitionsbereitschaft kommen der gesamten Supply Chain zugute", fügt Nickenig hinzu. Das bringt auch nach Ansicht von Steffen Ebner, Chief Operations Officer B2B bei derKomsa AG, nicht nur den UCC-Anbietern, "sondern vor allem auch Systemhäusern und Fachhändlern mit B2B-Geschäft ein großes Umsatzpotenzial".

"Es werden nicht nur TK-Anlagen ausgewechselt oder Media-Gateways eingesetzt, sondern es wird die komplette Kommunikationsinfrastruktur neu überdacht." Karl-Heinz Schoo, Leiter der Business Unit UCC bei Also Deutschland
Foto: Also Deutschland

Karl-Heinz Schoo, Leiter der Business Unit UCC bei Also Deutschland, weist seinerseits ebenfalls darauf hin, dass der UCC-Markt aktuell sehr stark wachse. "Es werden nicht nur TK-Anlagen ausgewechselt oder Media-Gateways eingesetzt, sondern es wird die komplette Kommunikationsinfrastruktur neu überdacht", so Schoo. Da sei es naheliegend, auch Cloud-Angebote einzubeziehen. Vor allem UCaaS (Unified Communication as a Service) werde immer wichtiger. Ob aber eine Cloud-, eine On-Premise- oder eine Hybrid-Lösung besser passe, hänge vom Kommunikationsbedarf und dem Kerngeschäft eines Unternehmens ab. Auf jeden Fall gelte folgende Devise: "Je höher die Anzahl der Teilnehmer an einem Anschluss ist, desto komplexer sind die Anforderungen."

Wichtige UCC-Funktionen

Angesprochen auf die benötigten Funktionen, die eine UCC-Lösung bereitstellen soll, nennt Martin Hümmecke von Ingram Micro eine ganze Liste: Präsenzinformationen, Video-Conferencing, automatische Weiterleitungen, E-Mail, Desk-Sharing, Fax, CTI sowie Anbindungen an vorhandene ERP-, HR- und CRM-Systeme. Gerade diese Schnittstellen hält er für besonders wichtig, da nicht mehr einzelne Features im Vordergrund stünden, sondern eine nahtlose Integration in bestehende Umgebungen. Hümmecke: "Niemand will acht verschiedene Tools zur Kommunikation nutzen, die Handhabung muss möglichst einfach gestaltet sein."

Wichtige UCC-Funktionen sind unter anderem Präsenzinformationen, Video-Conferencing, automatische Weiterleitungen, E-Mail, Desk-Sharing, Fax, CTI sowie Anbindungen an vorhandene ERP-, HR- und CRM-Systeme.
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Diese Punkte sind auch für Steffen Ebner von großer Bedeutung: "Eine ausgereifte UCC-Plattform sollte einfach zu bedienen sein und in die bestehende Infrastruktur integriert werden können." Gleichzeitig müsse sie aber auch Flexibilität und Zukunftssicherheit bieten. "Für eine effiziente Zusammenarbeit von verteilten Teams sind vor allen Dingen flüssige Kommunikationswege und ein sofortiger Daten- und Informationsaustausch notwendig", ergänzt der Vice President bei Komsa.

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Westcon-Director Guido Nickenig ist der Ansicht, dass bei UCC-Lösungen vor allem drei Themen im Vordergrund stehen: CTI, Video sowie Desk-Sharing. Viele Unternehmen würden momentan daran arbeiten, ihre Netze für die zusätzlichen Datenvolumina, die dadurch entstehen, fit zu machen. "Wenn diese Hürde genommen ist, rechnen wir in dem Bereich mit enormen Zuwachsraten." Am schnellsten ließen sich UCC-Lösungen derzeit über die Cloud vertreiben, "einfach weil der Partner dafür keinerlei Hardware benötigt". Nickenig: "Er muss sich nur auf dem Cloud-Marktplatz seines Distributors einloggen, die Lizenzen freischalten und das System remote konfigurieren. Selbst die Installation der Softphones funktioniert heute meist komfortabel vom Schreibtisch aus. Ein klassischer Hardware-Roll-out ist da deutlich aufwändiger."

Technologie getriebene Wirtschaftszweige wie die IT-Branche und der Fahrzeugbau weisen einen überdurchschnittlich hohen Social Collaboration-Reifegrad auf.
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Die Cloud als UCC-Treiber und -Gefahr

Auch Ingram Micro erlebt momentan das größte Wachstum bei Cloud-basierten TK-Lösungen. "Hand in Hand gehen damit Video-Endpunkte, Desktop-Telefone, Headsets und die nötige Netzwerkinfrastruktur", erklärt Hümmecke. Wichtig für Systemhäuser sei jetzt, sich schnell mit den neuen Themen auseinanderzusetzen und den Endkunden eine maßgeschneiderte und zugleich flexible Lösung anzubieten. Er gibt jedoch folgendes zu bedenken: "Dabei muss Cloud nicht immer die beste Lösung sein."

"Lösungen, die sich einfach verkaufen und schnell installieren lassen, sind sogar eher gefährlich für ITK-Systemhäuser." Steffen Ebner, Chief Operations Officer B2B bei der Komsa AG.
Foto: Komsa AG

Komsa-Mann Ebner hält "Lösungen, die sich einfach verkaufen und schnell installieren lassen, sogar für eher gefährlich für ITK-Systemhäuser". Das betreffe viele Public-Cloud-Lösungen im Vermittlungsgeschäft und bringe neue Marktteilnehmer auf die Bildfläche, die UCC nur als Ergänzung zu ihrem Portfolio sehen.

Erfolg durch Erfahrung und Expertise

Klar wird, dass sich der Channel und die IT-Systemhäuser in diesem Umfeld nur behaupten können, wenn sie technisches und organisatorisches Know-how bieten können, um die Kunden von ihren Angeboten zu überzeugen. Martin Hümmecke geht jedoch nicht davon aus, dass sich durch die aktuellen Entwicklungen die Anforderungen an vertriebliche Skills ändern: "Wer die Bedürfnisse des einzelnen Kunden in eine Lösung umzusetzen weiß, die die Erwartungen übertrifft, kann mit jeder Technologie punkten."

UCC in Deutschland - Berlecon-Studie
Rund 53 Prozent der befragten Unternehmen verfügen bereits über eine konvergente IP-Infrastruktur.
Unternehmen wollen in den kommenden zwei Jahren vor allem in IP-Telefone und Infrastruktur investieren.
Zusammenarbeit (Collaboration), Computer-Telefonie-Integration (CTI) und Audio-Konferenzen sind die Haupteinsatzgebiete für UCC.
Wenn unternehmen in UCC-Funktionen investieren, wollen sie vor allem die Zusammenarbeit verbessern.
Noch immer gibt es Vorbehalte gegenüber UCC.
Bei der Planung und Umsetzung von UCC-Projekten werden zunehmend auch die Fachabteilungen einbezogen.
Nur nutzerfreundliche UCC-Lösungen haben eine Chance auf Akzeptanz.
Unternehmen setzen bei UCC-Projekten auf den ITK-Fachhandel.

Steffen Ebner empfiehlt, die Prozesse des Kunden zu analysieren, um sie mit UCC-Leistungen sinnvoll unterstützen zu können. Es gehe nicht darum, sinnlose Features zu vermarkten. Grundsätzlich gelte es stattdessen, dem Kunden die Stärken und auch die Schwächen der jeweiligen Lösung aufzuzeigen und letztlich die für den konkreten Anwendungsfall richtige Variante zu vertreiben.

Auf ein ganz anderes Hindernis weist Guido Nickenig hin: "Ein häufiges Problem bei UCC-Projekten ist, dass die Partner nach wie vor ausschließlich die IT-Entscheider kontaktieren, mit denen sie früher über neue Telefonanlagen oder Switches gesprochen haben." Das seien aber die falschen Ansprechpartner. "Über Themen wie UCC und Presence Management entscheiden oft die Fachabteilungen, die Geschäftsführung und auch der Betriebsrat", so Nickenig. Die Sales-Teams müssten hier umdenken, wenn sie weiter Erfolg haben wollen.

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Nickenig warnt ebenfalls davor, dass "Cloud-Leistungen meist relativ austauschbar sind". Es werde deswegen immer wichtiger, sich als "Trusted-Advisor des Kunden zu positionieren und ihn über attraktive Beratungsdienste zu binden". In der Praxis habe es sich bewährt, zunächst gemeinsam mit dem Kunden seine Prozesse zu analysieren und dann mithilfe der UCC-Lösung die Betriebsabläufe zu optimieren. Nickenig: "Das liefert den Kunden einen spürbaren Mehrwert und hilft den Partnern, sich beim Kunden unverzichtbar zu machen."

Security nicht außer acht lassen

Karl-Heinz Schoo von Also rät dazu, neben der Wartung von komplexen Systemen "auch immer das Thema Security" als wichtiges Element der Wertschöpfungskette zu betrachten. Martin Hümmecke ergänzt diesen Rat um einen Hinweis auf den Aftersales-Support. Dieser werde immer wichtiger. "Der Markt wird vielfältiger und damit schwerer für Kunden zu greifen, die sich nicht ausschließlich mit UCC-Technologien beschäftigen", so Hümmecke. Auch bei Ausfällen könne ein Partner mit gutem Service punkten und so zusätzliche Mehrwerte bieten.

"Die Systemhäuser müssen konsequent am Kunden dranbleiben." Guido Nickenig, Senior Director PreSales DACH bei Westcon UCC
Foto: Westcon UCC

Nickenig empfiehlt zudem, "konsequent am Kunden dranzubleiben." Außerdem solle man mit ihm regelmäßig über weitere Optimierungspotenziale sprechen. "Daraus ergeben sich dann ganz automatisch Ansatzpunkte für Folgeprojekte, aber auch für die Vermarktung von Beratungsleistungen und Professional Services wie Workshops und Trainings."

"Im Grunde die gleichen Services, die auch bei herkömmlichen Kommunikationssystemen erbracht worden sind", nennt Steffen Ebner von Komsa auf die Frage nach Zusatzdiensten. Das seien unter anderem Schulungen, Support, Integration von Drittlösungen, Infrastruktur-Services sowie Erweiterung und Optimierung der Systeme. "All das wird auch weiterhin Aufgabe des Systemhauses sein", so Ebner.

Durchbruch für Managed UCC-Dienste

Guido Nickenig rechnet zwar mit einem baldigen Erfolg von UCaaS, schränkt aber ein: "Bis es soweit ist, gilt es bei den Kunden noch einiges an Bedenken auszuräumen, vor allem im Hinblick auf die Sicherheit und den Datenschutz." Immerhin merke man im Kundengespräch, dass dieser Widerstand in den vergangenen Monaten "spürbar abgenommen" hat. "Wann genau der Durchbruch kommt, lässt sich allerdings kaum vorhersagen, zumal es ja kein revolutionärer Umbruch, sondern eher eine sanfte Evolution sein wird."

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Auch Martin Hümmecke von Ingram Micro rechnet noch "mit zwei bis drei Jahren" bevor der große Erfolg für UCaaS kommt. Der Grund: "Die breite Masse der SMB-Kunden hat sich damit noch nicht wirklich beschäftigt."