Die Telekommunikationsanbieter in Deutschland, allen voran die Deutsche Telekom, haben den Abschied von ISDN eingeläutet. Bis Ende 2018 sollen die Kunden auf All-IP umstellen. Der Umstieg sorgt dafür, dass Sprache und Daten nur noch über ein Netz übertragen werden und dass der Bedarf an UCC-Lösungen (Unified Communication & Collaboration) deutlich zunimmt. Im ersten Teil dieser Artikelserie haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie die Distributoren den Umstieg sehen und wie sie den Channel dabei unterstützen können. Nun geht es um die Ansichten und Ratschläge der Hersteller.
Gestiegene Nachfrage nach UCC-Lösungen
Eines dieser Unternehmen ist der TK-Anbieter Swyx aus Dortmund, der vor kurzem rund 400 Partner aus zwölf Ländern zu seiner 17. Swyx Partner & Technology Conference in das ehemalige Bundestagsgebäude und heutige World Conference Center in Bonn eingeladen hatte. Die Keynote wurde dabei von Gregor Gysi gehalten. Der Anbieter profitiert nach Angaben von Dr. Ralf Ebbinghaus, Vorstandsvorsitzender der Swyx Solutions AG, bereits jetzt von der gestiegenen Nachfrage nach IP-basierten UCC-Lösungen. "Die Umstellung auf All-IP kurbelt die Nachfrage an", so Ebbinghaus. Seiner Ansicht nach erleichtern dabei vor allem grundlegende Merkmale wie die Telefonie-Integration in Applikationen den Arbeitsalltag in vielen Unternehmen.
Händler sollten sich jedoch nicht von vornherein auf bestimmte Deployment-Formen festlegen, sondern ihren Kunden größtmögliche Flexibilität bieten. "Der Kunde erwartet, sich frei aus der ganzen Variationsbreite von Lösungen entscheiden zu können", sagt Ebbinghaus. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sei beispielsweise der Bedarf für eine Fax-Integration nach wie vor sehr hoch. Ideal seien deswegen UCC-Lösungen mit offenen, standardisierten Schnittstellen, die sich nahtlos in verschiedene Systeme integrieren und genau an den Bedarf eines Unternehmens anpassen lassen. "So können Anwender auch zuerst mit einem begrenzten Funktionsumfang starten und diesen mit der Zeit erweitern."
Empfehlung zu Lösungen aus einer Hand
"Der Zwang zum Handeln bietet eine große Chance, neue innovative Lösungen einzuführen", zeigt sich auch Anton Döschl überzeugt. Er ist Architecture Lead Collaboration bei Cisco Deutschland. Seiner Ansicht nach müssen moderne UCC-Lösungen "auf jeden Fall eine außerordentliche User-Experience bieten". Gleichzeitig sollten sie jedoch die Komplexität vom Endnutzer fernhalten und einfach zu bedienen sein. Den IT-Systemhäusern rät er dazu, "Lösungen aus einer Hand, die hohe Integrationsaufwände und Kosten verhindern, zu vertreiben und zu installieren". Aktuell sehe man bei Cisco einen "Trend zu hybriden UCC-Lösungen, die einen Investitionsschutz für bereits getätigte Investitionen bieten und Innovationen trotzdem nicht ausschließen", so Döschl.
Einen anderen Blickwinkel bringt Frank Kirsch, Head of Midmarket Solutions Germany bei Avaya, ins Spiel. Nach seiner Ansicht erwarten Kunden "in erster Linie nicht die Präsentation eines neuen Produktes, sondern eine Einschätzung, welchen Einfluss die ISDN-Ablösung auf das tägliche Geschäft hat". Die Funktionen einer UCC-Lösung müssten deswegen an die Prozesse eines Unternehmens angepasst sein. So könne eine Video-Konferenz zum Beispiel bei der Sicherstellung von Qualitätsstandards in der Produktion helfen, während die Technologie auch von der Personalabteilung genutzt werden könne, um geeignete Bewerber zu identifizieren. "Die nötigen Funktionen ergeben sich immer aus ihrem Nutzen für das Unternehmen", erläutert Kirsch. Die bestmögliche Lösung sei deshalb immer abhängig von den spezifischen Unternehmensbedürfnissen.
Klare Deadline im Genick
Marko Gatzemeier, Direktor Marketing bei C4B, bezeichnet die All-IP-Umstellung als "Ruck durch die Republik". Gatzemeier fügt hinzu: "Mit der klaren Deadline im Genick haben viele Unternehmen einen zwingenden Anlass, ihre TK-Infrastruktur zu prüfen und auf den neuesten Stand zu bringen." Nun liege es an den Systemhäusern und Herstellern das Potenzial geschickt zu nutzen. Dieses Ziel könne man aber nicht erreichen, indem man eine "eierlegende Wollmilchsau, die vor lauter hastig zusammengebastelten Funktionen kaum noch laufen kann" züchte. "Eine einfache, intuitive und nutzerfreundliche Bedienung sind für den Erfolg einer Lösung entscheidender als eine maximale Funktionsbandbreite", so Gatzemeier. Trotzdem gebe es aber natürlich ein Mindestspektrum an Funktionen, die jede UCC-Lösung bieten müsse.
Den geringsten Aufwand in Sachen Vertrieb und Installation bieten seiner Meinung nach Cloud-Lösungen. Der Spielraum für individuelle Anpassungen sei hier aber gering. Das sei gleichzeitig auch die Achillesferse dieser Angebote. "Schließlich bedeuten die Dienstleistungen für Systemhäuser nicht nur ein erhebliches Umsatzpotenzial, sondern gleichzeitig die Chance, eine intensive und langlebige Kundenbeziehung aufzubauen", ergänzt Gatzemeier.
Vorgezogene Investitionen
Auch Florian Buzin, Geschäftsführer bei der Starface GmbH, hält All-IP "ohne Zweifel für den größten Markttreiber, den es in unserer Branche je gegeben hat". Das komme den Herstellern, Distributoren, Integratoren und Consultants gleichermaßen zugute. Allerdings gibt er zu bedenken, dass "wir damit aber kein Business aus dem Nichts generieren, sondern lediglich Investitionen um einige Jahre vorziehen, die in fünf oder sechs Jahren angestanden wären". Sobald die Migration abgeschlossen sei und alle Unternehmen umgestellt hätten, werde sich das Geschäftsvolumen wieder normalisieren. Er rät deswegen dazu, "schon heute die Weichen für die Zeit nach All-IP zu stellen, etwa indem sie aktiv UC-as-a-Service- und Miet-Modelle vermarkten".
Die Crux an UCC ist seiner Erfahrung nach, dass jedes Unternehmen ganz eigene Anforderungen habe und deswegen "nach einer Lösung sucht, die sich sehr tief in seine ureigensten Geschäftsprozesse integrieren lässt". Insbesondere Video- und Presence-Management-Lösungen seien "aktuell die spannendsten Lösungen, weil sich damit sehr wirksam Kosten senken lassen". Auf jeden Fall sollte "kein Fachhändler gezwungen sein, mit einem Dutzend UCC-Hersteller zusammenzuarbeiten, nur um alle Kundenvorgaben abdecken zu können".
Wirtschaftlich sinnvolle Migrationspfade
Die Bedeutung offener Standards hebt Robert Weiß, Sales Director DACH bei Estos, hervor. Damit könne man sich von der zugrunde liegenden Infrastruktur unabhängig machen, um zum Beispiel das bestehende TK-System investitionsschonend durch UCC-Komponenten zu erweitern. Weiß betont darüber hinaus, dass "der größte Nutzen und die wichtigsten Mehrwerte dann entstehen, wenn die UCC-Software auch die Geschäftsprozesse im Unternehmen unterstützt und verbessert". Thomas Schmieske, Senior Vice President Indirect Channel Unify bei Atos Deutschland, legt das Augenmerk auf "wirtschaftlich sinnvolle Migrationspfade aus den bestehenden Infrastrukturen". Er rät betroffenen Unternehmen auf Skalierbarkeit, flexible Preisstrukturen und transparente Abrechnung zu achten. Außerdem sollten sie prüfen, ob eventuell ein auf ihre Größe und Branche zugeschnittenes Cloud-Service-Paket Vorteile bringe.
Ende des analogen Kommunikations-Zeitalters
Für Jörg Petter, Business Lead Microsoft 365, Voice bei Microsoft Deutschland, ist die Ablösung von ISDN "das Ende des analogen PSTN-Technologiezeitalters". Die Kommunikationstechnologie werde damit vollständig IP-basiert, was gleichzeitig den neuen UCC-Technologien den Weg ebne und eine leichtere Integration von SaaS (Software as a Service) ermögliche. Er stuft sie deswegen als weiteren Wachstumstreiber für UCC-Collaboration-Stacks wie das hauseigene Office 365 ein. Die größte Herausforderung ist dabei nach seiner Ansicht eine "integrierte Nutzungserfahrung". Darunter versteht er die "Minimierung von Reibungsverlusten bei Applikationswechseln". Dazu gehöre zum Beispiel, dass man sich in verschiedenen Applikationen nicht immer neu anmelden müsse.
Auf die besten Voraussetzungen angesprochen, die IT-Systemhäuser erfüllen sollten, um erfolgreich UCC-Systeme zu vertreiben und zu implementieren, nennt Petter vor allem "ein profundes Verständnis für Geschäftsprozesse und die spezifischen Kundenherausforderungen". Systemhäuser sollten "wegkommen von einem Technologie-zentrischen Vertriebsansatz hin zu einem Ansatz, der den konkreten Kundennutzen (Business Value) in den Fokus rückt". Anton Döschl von Cisco ergänzt diese Anforderungen um "Beratungs- und Consultings-Skills auf der Architekturseite". Außerdem empfiehlt er Lifecycle-Skills nach dem Motto "Land, Adopt, Expand und Renew".
Hoher technischer Anspruch an die Umsetzung
Für Frank Kirsch von Avaya geht es in der digitalen Transformation vor allem darum, "die Zukunft eines Unternehmens zu sichern, neue Kundenerlebnisse zu schaffen und Prozesse zu vereinfachen". Es sei wichtiger sich mit dem Kerngeschäft des Kunden zu beschäftigen "als mit der in der Vergangenheit beliebten Aufzählung von Leistungsmerkmalen". Das erfordere aber einen hohen technischen Anspruch in der Umsetzung. "Heute werden UCC-Systeme tiefer in vorhandene Prozesse und Applikationen integriert als früher, wo es darum ging, die IT und Telefonie lediglich zu verbinden." Auch Robert Weiß von Estos hält "nicht zuletzt aufgrund der komplexer gewordenen Technologien ein hohes Maß an IT-Know-how für nötig".
Verständnis für die Kunden als wesentlicher Wettbewerbsvorteil
Das technische Know-how stuft dagegen Florian Buzin von Starface als "in der Regel das kleinste Problem" ein. "Die Anlagen sind heute sehr bedienfreundlich, und wenn es doch schwieriger wird, helfen die Experten der Hersteller gerne weiter", so Buzin. Was die guten Systemhäuser aber vom großen Rest abhebe, sei ein tiefes Verständnis für die Kunden. Buzin: "Wer die Anforderungen und die Kommunikation seiner Kunden versteht und ein gutes Auge für die Prozessoptimierung hat, dem stehen im UCC-Markt alle Türen offen." Dem stimmt auch Ralf Ebbinghaus von Swyx zu: "Eine grundlegende Voraussetzung für den erfolgreichen Vertrieb von UCC-Lösungen ist, dass sich Systemhäuser genau mit den Geschäftsmodellen ihrer Kunden befassen und wissen, was in welchem Unternehmen wichtig ist." Das sei die "Basis für dauerhaften Vertriebserfolg und stabile Kundenbeziehungen".
Nicht vergessen: Schnittstellen zu ERP und CRM
Ergänzend dazu empfiehlt Marko Gatzemeier von C4B "auch Skills zu den großen ERP- und CRM-Lösungen aufzubauen". Die Kommunikation in SAP, Microsoft Dynamics oder Salesforce integrieren zu können, ermögliche nicht nur eine deutliche Abgrenzung vom Wettbewerb, sondern lege auch die "denkbar beste Basis für eine langfristige Kundenbindung". Ein Punkt, der heute immer noch viel zu kurz komme, sei eine intensive Beratung in Bezug auf die Optimierung der Prozesse im Unternehmen. "Das Geschäftspotenzial, das hier steckt, ist nahezu unerschöpflich", ist Gatzemeier überzeugt. Um diesen Schatz zu heben, sei allerdings ein tiefgreifendes Know-how der jeweiligen Anwendungen und Schnittstellen nötig.
Frank Kirsch hält es ebenfalls "für immer wichtig, auf dem neuesten Stand der Technik zu sein". Er rät deswegen grundsätzlich, Software-Update- und Upgrade-Verträge abzuschließen. "Damit können dem Kunden immer die neuesten Lösungen und Services verkauft werden", so der Avaya-Manager. Das Upselling-Potential verbessere sich zudem, wenn die IT-Systemhäuser die ersten umgesetzten Projekte gemeinsam mit dem Kunden analysieren. Jörg Petter von Microsoft weist noch auf Change-Management-Projekte hin, mit denen Partner ihre Kunden an die Nutzung neuer Technologien heranführen können. Hier komme den Systemhäusern eine Schlüsselrolle zu.
Consulting und Beratung als wichtiger Mehrwert
Starface-Geschäftsführer Florian Buzin kommt noch einmal auf einen bereits genannten Mehrwert zurück, den IT-Systemhäuser bei UCC-Installationen leisten können: "Beratung, Beratung und nochmals Beratung." Viele würden sich heute nämlich noch sehr schwer damit tun, aus der Feature-Liste auf dem Datenblatt einen konkreten Nutzen für ihr Unternehmen herauszulesen. "Es ist die Aufgabe der Systemhäuser, ihnen aufzuzeigen, warum eine Outlook-Integration wichtig ist oder wie man mit FMC (Federated Messaging and Collaboration) die Erreichbarkeit der Außendienstler verbessert." Gerade Consulting sei ein wichtiger Mehrwert, "durch den Systemhäuser ihr Projektvolumen nachhaltig ausbauen und die Kundenbindung festigen können".
Alle paar Monate wieder auf den Prüfstand
Darüber hinaus empfiehlt Buzin, die Business- und Kommunikationsprozesse "gemeinsam mit dem "Kunden alle paar Monate auf den Prüfstand zu stellen". Kurz gesagt: "Nach der Migration ist vor der Migration." Wer mit seinen Kunden in Kontakt bleibe, der werde immer wieder "Ansatzpunkte für schöne Folgeprojekte finden". Seiner Ansicht nach ist "UCC niemals ein Selbstläufer". Die neue Technologie entfalte ihren Nutzen nur, wenn die Anwender mit der Lösung zurechtkommen und gerne damit arbeiten. Viele Unternehmen seien deswegen bereit, im Nachlauf der Installation in Trainings und Schulungen zu investieren.
Robert Weiß von Estos weist ebenfalls darauf hin, dass "eine UCC-Implementierung im Grunde genommen nie abgeschlossen ist". Die fortlaufenden Weiter- und Neuentwicklungen von UCC-Komponenten bewirken seiner Aussage nach, dass IT-Systemhäuser den Unternehmen neue Perspektiven der Kommunikation aufzeigen und entsprechende Produkte und Dienstleistungen anbieten können. Weiß: "Schlussendlich bieten Software-Wartung, Software-Assurance und Verträge zur Software-Pflege ebenfalls die Möglichkeit, stetigen und wiederkehrenden Umsatz zu generieren."
Ralf Ebbinghaus von Swyx fasst die Empfehlungen der Experten zusammen: "Systemhäuser können echte Mehrwerte liefern, wenn sie ihren Kunden als beratender Partner in allen Phasen der Planung und Umsetzung von UCC-Installationen zur Seite stehen." Und das beginne schon frühzeitig und noch vor der Entscheidung für eine bestimmte UCC-Lösung.