"Die Vorstellung von Daten muss sich in den nächsten Jahren fundamental ändern." Mit dieser Feststellung eröffnete der bekannte Zukunftsforscher und Leiter des 2b AHEAD ThinkTank Gábor Jánszky den IDG-Kongress "Hands on AI" in Köln. Über 130 Vertreter aus Anwenderunternehmen, von namhaften Anbietern sowie Analysten und Marktbeobachter trafen sich am 25. Oktober im Wasserturm der Rheinmetropole, um über neue Technologien sowie konkrete Einsatzszenarien rund um das Thema Artificial Intelligence (AI) zu diskutieren.
Dabei wurde schon in der Eröffnungs-Keynote deutlich, welch tiefgreifenden Veränderungen durch AI möglich sein könnten. Jánszky räumte zwar an der einen oder anderen Stelle offen ein: "Ich weiß es nicht". Die Szenarien, die der Zukunftsforscher im Vorblick auf das Leben seines dreijährigen Sohnes Benneth entwarf, ließen jedoch keinen Zweifel daran, dass AI das Leben künftiger Generationen massiv beeinflussen wird.
Beispiel Verkehr: Jánszky berichtete von einem Pilotprojekt von Volkswagen in Peking. Dort lässt sich mit Hilfe eines Quantencomputers das Verkehrsaufkommen zwischen dem Flughafen und der City etwa 45 Minuten im Voraus prognostizieren. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse ließe sich schon heute der Verkehrsfluss so steuern, dass es keinen Stau mehr gebe. Wie groß die Rolle neuer Techniken dabei ist, macht ein Vergleich deutlich. So würde der derzeit schnellste herkömmliche Supercomputer 40 Minuten für eine solche Prognose benötigen. Die Quantentechnik schaffe das in wenige Sekunden. Jánszkys Quintessenz: "Was sich messen lässt, lässt sich prognostizieren. Was sich prognostizieren lässt, lässt sich auch optimieren."
Todesursache Datenschutz
Bis Quantencomputer, Datenanalysen in Echtzeit und AI-Techniken flächendeckend im Alltag zum Einsatz kommen, wird es nach Einschätzung des Zukunftsforschers allerdings noch viele Diskussionen geben. Die Menschen und Gesellschaften müssten für sich klären, welche Kriterien und Maßstäbe sie an die neuen Möglichkeiten anlegen wollen.
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Dieser Diskurs werde mit darüber bestimmen, ob man den neuen Techniken eine Chance einräume oder Ängste eher zu Reglementierungen und mehr Kontrolle führten. Jánszky sieht an dieser Stelle sehr unterschiedliche Standpunkte und zitierte den Arzt Arkadiusz Miernik: "Die häufigste Todesursache in Deutschland ist der Datenschutz."
Aktuell stehen viele Unternehmen jedoch erst Anfang ihrer AI-Initiativen. Das machte Joachim Hackmann, Principal Consultant von Pierre Audoin Consultants (PAC) deutlich. Der Anteil der Ausgaben für KI gemessen an den Gesamtbudgets für Software und Services sei derzeit noch sehr gering. In den kommenden Jahren könne man allerdings mit hohen Wachstumsraten rechnen. Der PAC-Analyst sieht AI als "Enabler" und treibende Basistechnik für die digitale Transformation in den Unternehmen. Die größten Mehrwerte würden die Verantwortlichen derzeit in der Automation von Prozessen sehen.
Hackmann identifizierte vier Anwendungsbereiche, in denen AI eine immer wichtigere Rolle spielt: Enhanced Analytics, Digital CX Chatbots, intelligente Assistenten und Robotic Process Automation (RPA). Die größten Mehrwerte würden Unternehmen derzeit vor allem in der Automatisierung, dem Finanz- und Rechnungswesen, der Betrugsbekämpfung anhand von Prognosedaten sowie dem Supply-Chain Management identifizieren. Schwierigkeiten sehen die Anwenderunternehmen weniger in der Technik als vielmehr in Fragen rund um rechtliche und personelle Aspekte - zum Beispiel: "Wo bekomme ich KI-Experten für mein Unternehmen?"
Hausaufgaben rund um die Daten
Aus Sicht von Sebastian Derwisch, Data Scientist am Business Application Research Center (BARC), dreht sich in den Unternehmen derzeit noch viel um grundlegende Hausaufgaben. Es gelte beispielsweise, einen integrierten Datenhaushalt innerhalb des eigenen Betriebs zu schaffen. Des Weiteren müssten sich die Verantwortlichen um das Thema "Data Governance" kümmern, um die Qualität von Daten sicherzustellen. Denn, so betonte Derwisch, Daten seien schließlich die Grundlage für den Einsatz von AI.
Die Einschätzung der Analysten bestätigte sich in der anschließenden Podiumsdiskussion. Viele Projekte scheiterten, weil die Trainingsdaten nicht korrekt aufbereitet seien, erklärte Stefan Ebener von Google. "Machine Learning wird bei KI-Projekten immer als Kern angesehen, aber am Ende macht der Lernprozess nur zirka 20 Prozent des Aufwands aus." Dabei gebe es vorher organisatorisch ein viel größeres Problem. In vielen Unternehmen fehle es an einer Open Data Policy, was zu vielen kleinen Königreichen führe. Daher gebe es auch viel zu viele Kopien von Daten und am Ende wisse niemand mehr, was die Masterdaten seien. Lösen könnte das Problem aus Ebeners Sicht ein Data Engineer, der die gesamte Data Pipeline konzeptioniert und aufbaut.
Ein weiterer wichtiger AI-Aspekt sind Fragen der richtigen Kultur im Unternehmen, stellte Marcus Schweighart vom Hamburger BeraterContor fest. "Das ist ein Lernprozess, in dem erst einmal ganz viel Unsicherheit entsteht." Das Ziel sei zwar, Vertrauen durch Verlässlichkeit zu gewinnen, doch noch nicht überall sei diese Verlässlichkeit von Beginn an gegeben. Aus Schweigharts Sicht ist daher der Dialog ganz wichtig, um das Gefühl von Macht und Ohnmacht in der Organisation zu thematisieren. "Manchmal ist es gar kein Widerstand sondern Erschöpfung, weil die Mitarbeiter schon so viele Aufgaben haben."
Ähnlich disruptiv wie das Internet
Wie intensiv sich die Unternehmen bereits mit AI-Technologien auseinandersetzen, wurde in den zahlreichen Hands-on-, Breakout- und Master-Class-Sessions deutlich. Hier teilten Experten ihr Wissen und ihre Erfahrungen in den unterschiedlichsten Teildisziplinen von AI und Machine Learning. Konkret erklärt wurden beispielsweise Techniken wie Digital Twins, Text Mining und Chatbots.
Karsten Johannsen, Business Development Executive von TechData, und sein Kollege Jens Mannteufel, IT-Architect IBM AI Acceleration Team Tech Data, erläuterten zum Beispiel, wie AI Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle verändert - ähnlich wie es das Internet vor 20 Jahren getan hat. Dementsprechend veränderten sich auch Unternehmen in ihrer Organisation.
Darüber hinaus drehten sich viele der Diskussionen rund um den konkreten Praxiseinsatz von AI und ML. Wie können Betriebsabläufe optimiert werden? Welche rechtlichen Dimensionen ergeben sich aus dem AI-Einsatz? Und: Wie lassen sich datengetriebene Geschäftsmodelle durch AI beschleunigen? Das waren nur einige der Fragen, auf die Experten in den Sessions Antworten gaben.
Wie AI konkret im realen Einsatz das Business unterstützen kann, schilderte Mark Michaelis, Geschäftsführer bei Sonepar Information Service. Dabei war der Elektrogroßhändler ganz pragmatisch auf der Suche nach einer Lösung für ein Geschäftsproblem - ohne bereits eine bestimmte Technik im Blick zu haben. "Wir waren eigentlich gar nicht auf dem AI-Trip unterwegs, sondern hatten zuerst einmal eine logistische Anforderung, die uns dazu geführt hat", berichtete Michaelis. Das Thema sei aus der Fachabteilung an die IT herangetragen worden.
Mit AI zu mehr Umsatz
Ziel war es, den Bedarf der Kunden besser zu prognostizieren, um das eigene Sortiment besser planen und Bedarfslücken schließen zu können. Das klappte mit dem Einsatz von AI. Im Rahmen eines Tests mit automatisierter Bestellung konnte in zehn Filialen die Out-of-Stock-Quote von über fünf auf unter ein Prozent reduziert werden. Das seien zwar Laborbedingungen gewesen, räumte Michaelis ein, doch auch im breiten Feldeinsatz habe es durch die AI-basierte Bestellung deutliche Verbesserungen gegeben. Unter dem Strich habe der Händler seinen Umsatz um 1,4 Prozent verbessern können.
Ganz konkret wurde es dann auch am Nachmittag in den Master Classes. Hier berichteten Experten von ihren AI-Praxiserfahrungen. Ehler Lange, Domain Owner Data Science bei der Metronom GmbH zeigte auf, wie sich Herausforderungen bei der Umsetzung von KI- und Data-Science-Projekten lösen lassen. Harald Bosch und Jonas Grundlar regten an, auch einmal die Perspektive zu wechseln und die Probleme aus der Sicht eines Computers zu betrachten.
Und Michael Forsting, Professor für Radiologie und Neuroradiologie sowie medizinischer Leiter in der Zentrale Informationstechnologie am Universitätsklinikum Essen, demonstrierte eindrucksvoll, in welchen Bereichen die Maschinen schon heute der menschlichen Wahrnehmung überlegen sind. "Die digitale Transformation der Medizin hat längst begonnen", lautet sein Credo.
Noch mehr Infos und Diskussionen auf der aitomation im Mai 2019
Wie sich das Themenfeld AI und Automation weiterentwickelt, soll Thema der nächsten Konferenz sein, deren Planung bereits auf Hochtouren läuft. Auf der "aitomation" am 9. und 10 Mai 2019 würden die Bereiche Automation, Robotik und Künstliche Intelligenz gebündelt, erklärte Olaf Windhäuser, Bereichsvorstand Services der SYSback AG, dem Founding-Partner von Hands on AI.
Wer möchte, kann sich schon jetzt ein Ticket für die aitomation conference im kommenden Jahr sichern. Im Rückblick auf Hands on AI dürfte zumindest eines klar sein: So rasant wie sich die Technik weiterentwickelt, so spannend und interessant werden auch die Themen auf der nächsten Konferenz im Mai 2019 sein.