Ein Kunde, der heute eine Waschmaschine kauft, ist bereits bestens über technische Features, Ausstattung und Preis des Geräts informiert. Im Schnitt passiert ein Kunde 19 Touchpoints, bevor er den Deal perfekt macht. Internet, Apps und Shop dienen dabei gleichermaßen als Informationsquelle. Ladenmitarbeiter können hier heute oft keinen Mehrwert mehr in Form von Beratung bieten. Um den Kunden dennoch dazu zu bewegen, sein Geld im Ladengeschäft auszugeben statt im Internet, braucht es neue Konzepte, die den Umsatzrückgang im Handel stoppen. Die Antwort lautet Multichannel: Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass sich bei einem integrierten Online-Offline-Einkaufserlebnis der durchschnittliche Warenkorb eines Kunden von 103 auf 165 Euro erhöhen lässt, erläutert Ronald Focken, Geschäftsführer Serviceplan Gruppe.
Digitales Einkaufserlebnis im realen Laden
Daher haben sich der Plattform-Provider und Systemhaus Cancom, die Marketing-Agentur Serviceplan, die Vitrashop Gruppe, Experte für Ladenbau und Licht sowie Netzwerk-Spezialist Cisco zusammengeschlossen und ihr Konzept WeShop vorgestellt. Der Store verbindet Ladenbau und Lichtstimmung im Shop mit digitalem Einkaufskomfort und soll so dafür sorgen, dass die Menschen auch weiterhin das Einkaufserlebnis Shoppen in realen Läden suchen.
Und so soll der WeShop funktionieren: In der U-Bahn hat der Kunde Werbung von einer Hose gesehen, die ihm gefällt. Über die App des Shops sieht er, dass die Hose im Laden um die Ecke verfügbar ist. Doch er hat eine Frage zum Material. Über eine in die App integrierte Voice- and Videocall-Funktion kann er im Laden anrufen und seine Frage stellen. Fällt die Antwort zufriedenstellend aus, beschließt er am nächsten Tag, in den Laden zu gehen und die Hose anzuprobieren. Schon im Schaufenster sieht er die Hose ausgestellt. Per QR-Code oder Beacon und App wird ein persönlicher Preis für den Kunden eingeblendet - die Hose kosten dann statt 139 Euro vielleicht nur 119 Euro. Loyale Kunden sollen für ihre treue zum Laden belohnt werden, erläutert Focken. Der Kunde nimmt die Hose, die mit einem RFID-Chip gekennzeichnet ist, in die Umkleide. Der interaktive Spiegel, vor dem er die Hose anprobiert, blendet auf Wunsch des Kunden weitere Farben des Modells ein. Entschließt sich der Kunde zum Kauf, geht er an die "Kasse" und bezahlt wie in einem Online-Shop.
Dabei kann er entscheiden, ob er die Ware direkt mitnehmen will oder sie sich lieber nach Hause schicken lassen will. Die Bezahldaten des Kunden (Kreditkarte oder Rechnung) sind in der App hinterlegt. Ein Verkäufer steht zur Seite, um dem Kunden beim Checkout zu helfen und eventuell weitere Accessoires anzubieten. Das kann computerunterstützt passieren, indem das Kassenterminal weitere passende Produkte vorschlägt. Aber auch ein großes Beratungs-Know-how des Verkäufers kann sich hier für den Händler auszahlen. Das bedeutet aber letzten Endes auch, dass das Verkaufspersonal wieder besser geschult werden muss, um tatsächlich die gewünschte Beratungsfunktion übernehmen zu können, die heute im Handel so häufig vermisst wird.
RFIC-Chips und WLAN/Beacons
Aufgrund der RFID-Chips und der Retail Analytics WLAN-Infrastruktur, die Cancom im WeShop installiert hat, bleibt das Verhalten des Kunden nicht länger eine Blackbox. Die Händler wissen, wie viele Kunden in den Laden gekommen und wie viele vorbeigegangen sind. Man weiß, wie viele Kunden sich gerade im Laden befinden und um welche Uhrzeit wie viele Kunden einkaufen wollen (dank intelligenter Ladenbaukonzepte lassen sich Lichtstimmung und die Belüftung entsprechend anpassen). Die Ladenmanager wissen, welche Kleidungsstücke anprobiert werden und wie lange der Kunde in der Umkleide verweilt. Über WLAN können sogar einzelne Kunden im Laden und ihre Verweildauer identifiziert werden. 2015 sollen Beacons Kunden sogar auf bis zu 50 cm genau orten können. Und die Beacons können noch mehr: Über die Mini-Sender werden Besucher beim Betreten des Geschäftes begrüßt, bekommen interessenspezifische Produktinformationen per großflächigen Digital Signage Displays angezeigt und erhalten automatisiert ganz individuelle Rabatte. All das sind Möglichkeiten, die bislang Online-Shops vorbehalten waren.
Dr. Amir Fattah, Director Consulting Services Cisco Systems betont, dass mit dem WeShop-Konzept Kunden präziser und vorhersagbarer angesprochen und ihnen bessere Empfehlungen unterbreitet werden können - ähnlich wie in einem Online-Shop. In der Praxis muss sich allerdings noch zeigen, inwieweit individuelle Angebote so offensichtlich im Schaufenster angezeigt, auch tatsächlich vom Kunden akzeptiert werden. Wenn beispielsweise zwei Freundinnen zugleich ein Angebot für die gleiche Hose bekommen und die eine fünf Prozent mehr Rabatt als die andere - dann kann das auch negative Gefühle auslösen und dazu führen, dass der Kunde gar nicht mehr in diesem Laden kauft. Hier müssen Shopbetreiber wohl noch mit der richtigen Strategie experimentieren.
Hohe Kosteneinsparungen - kleinere Läden
Auf der Kostenseite bringt ein Konzept wie WeShop viel Ersparnis. Focken schätzt, dass Läden in Zukunft wieder kleiner werden und nur noch so um die 50 qm haben. Auf dieser Fläche können die Ladeninhaber jedoch ein Sortiment von 400-500 qm anbieten. Beispiel Spinnig Bike. Im Laden steht nur ein Rad von jedem Modell. Will ein Kunde kaufen, so wird das Bike bestellt und am nächsten Tag geliefert. Die Ware muss nicht mehr im länger im Laden vorgehalten werden, ein Zentrallager liefert - wie ein Online-Händler - die Ware direkt zum Kunden. Damit können die lokalen Händler den Nachteil, den sie derzeit aufgrund höhere Transaktionskosten haben, ausgleichen. Aktuell belaufen sich die Transaktionskosten im Online-Handel auf rund acht Prozent, Ladenlokale liegen beim 2,5fachen, nämlich bei etwa 20 Prozent, sagt Focken. Und diese Kosten lassen sich mit intelligenter Digitalisierung der Läden deutlich senken. Top Lagen werden also wieder bezahlbar, die Flächenproduktivität steigt.
Fazit
Gute Aussichten für den stationären Handel: Wer Ladengeschäft, App und Online-Angebot gut verzahnt, zählt in Zukunft zu den Gewinnern im Handel. Transaktionskosten lassen sich senken und Angebote passgenau auf die Kunden zuschneiden. Der Handel kann sich dann auch wieder auf seine alte Stärke, die Beratungskompetenz konzentrieren und das Einkaufen zum Erlebnis machen.
Fattah bekräftigt: "Wir gehen davon aus, dass der stationäre Handel die Bedeutung, die er heute hat, beibehalten wird. Aber er muss die Chance nutzen, sich als Omnichannel zu positionieren. Ladenbesitzer müssen ihre Läden per Multichannel-Ansprache revitalisieren. Voraussetzung dafür: die digitale Kompetenz stärken." (rw)