Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht ein Startup mit einer App- oder Cloud-Lösung um die Ecke kommt. Einen Nutzen haben diese Lösungen aber nur, wenn die Komponenten in ihrer Anwendung für sich alleine stehen können. Müssen mehrere Funktionen zu einer größeren Wertschöpfungskette integriert werden, versagt das Konzept und es braucht die Fachkompetenz von Systemintegratoren.
App ist Konsum
Wie viele Apps haben Sie auf Ihrem Smartphone? Mal ehrlich: 20, 30 oder gar mehr als 50? Die App-Kultur ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie suggeriert, dass Software doch so einfach sein kann. Kein Vergleich zu den oft schwerfälligen und erklärungsbedürftigen Programmen im Unternehmensalltag. Warum also nicht das Konzept der App-Ökonomie auch auf Unternehmenssoftware übertragen?
Schauen wir mal etwas genauer hin. Haben Apps am Smartphone eine Verbindung untereinander? Nein. Warum auch, wir konsumieren jedes Angebot einzeln. Zum Beispiel die Facebook-App für die Kommunikation mit Freunden, Feedly, um auf dem Laufenden zu bleiben und YouTube für interessante Videos. Wir picken uns je nach Geschmack die Rosinen aus den App-Angeboten individuell heraus. Eine Verknüpfung ist nicht notwendig.
Dass Arbeitsteilung und Spezialisierung an sich viele Vorteile bringt, hat schon Adam Smith, der Vater der Ökonomie, 1776 in seinem Klassiker "Der Wohlstand der Nationen" festgestellt. Am Beispiel einer Stecknadelproduktion konnte er zeigen, dass ein Arbeiter, wenn er die Stecknadel komplett selbst anfertigt, maximal 20 Stück pro Tag schafft, und dass er durch Arbeitsteilung bis zu 4.800 herstellen kann. Super, könnte man meinen, die Apps bringen genau wieder diese kleinteilige Zergliederung auf eine spezialisierte Aufgabe. Es empfiehlt sich aber, das Buch zu Ende zu lesen. Gut, es sind 840 Seiten, aber es lohnt sich.
Prozesse optimieren, Workflow effizient machen
Schon der BWL-Erstsemester lernt, dass die Kunst der Wertschöpfung nicht nur in den einzelnen Aufgaben, sondern in der effizienten Verbindung der Arbeitsschritte liegt. Der Betriebswirt nennt dies »Prozessoptimierung« oder »optimale Wertschöpfungskette«. Kurz gesagt: wenn ich Werte schaffen will, ein Werk oder eine Dienstleistung, ist nicht die einzelne Funktion entscheidend, sondern die intelligente Verknüpfung der Komponenten.
Apps, die nicht nur reinen Konsum, sondern auch Produktivität versprechen, sind zum Beispiel die XING-App für Kontakte, der Google-Kalender für Termine und Evernote für Notizen. Scheinbar die idealen Anwendungen, um ein Event zu organisieren. Einfach den Termin aus dem Google-Kalender an bestimmte XING-Kontakte mit einer Evernote-Notiz zur Agenda schicken. Doch stößt man hier schnell an seine Grenzen. Denn schon diese relativ einfachen Aufgaben sind mit Apps fast unmöglich.
Dass es hier erhebliche Defizite und einen großen Bedarf gibt, haben erste Anbieter wie IFTTT oder Zapier bereits erkannt. Sie versuchen, mehr oder weniger erfolgreich, über einfache Programmier-Schritte dem Anwender ein Werkzeug zur Verknüpfung der Apps an die Hand zu geben.
Cloud-Lösungen führen oft in die Sackgasse
Das App-Prinzip von einfachen, auf eine spezialisierte Aufgabe hin optimierten Programmen, ist auch verstärkt bei neuen Cloud-Anwendungen zu beobachten. Sie versprechen: kein Installationsaufwand, kurze Einarbeitungszeit, moderne Benutzerführung, sprich mehr Produktivität. Anmelden, einloggen, los geht's. Doch führen einzelne Cloud-Lösungen nicht auch früher oder später in die Sackgasse?
Beispiel Online-Handel: Hier eine Warenwirtschaft in der Cloud, dort ein CRM-System für die Kundenkommunikation; noch schnell einen Online-Shop aufgesetzt und ach ja über eBay und Amazon will man auch noch verkaufen. Kein Problem, läuft ja alles in der Cloud, keine Installation, nur anmelden und starten.
Wertschöpfung braucht Systemintegration
Doch wir erinnern uns: Wertschöpfung braucht optimal integrierte Prozesse. Das heißt, Unternehmen, die mit separaten Cloud-Lösungen starten, stehen ganz schnell vor der Herausforderung, all diese Cloud-Anwendungen miteinander verbinden zu müssen, um die beste Wertschöpfungskette für ihr Unternehmen zu schaffen.
Die Cloud-Anbieter sind dann auch schnell mit einer Lösung parat: "Wir haben offene Schnittstellen, APIs (application programming interface) oder auch Webservices genannt. Damit kann sich jede Drittanwendung an uns andocken - eine Steckdose sozusagen." Hört sich gut an. Das Problem ist nur, dass alle nur eine Steckdose haben aber keiner den passenden Stecker dazu. Schmerzhafte Folge: Die Daten müssen oft manuell von einer Anwendung zur anderen übertragen werden. Im professionellen Online-Handel absolut nicht akzeptabel. Prozessoptimierung sieht anders aus.
Integrationsplattformen sind gefragt
Deshalb gilt es, die Vorteile moderner Online-Services mit den Anforderungen automatisierter Prozesse zu verbinden. Eine intelligente Datendrehscheibe ist gefragt. Eine Middleware, ein Vermittler zwischen den verschiedenen Cloud-Welten. Die zentralen Aufgaben dort:
Integration der verschiedenen Plattformen mit maximaler Funktionstiefe
Prozesssichere Transaktionen, auch bei sehr hohem Datenvolumen
Kapselung der Komplexität vor dem Anwender, für eine einfache Bedienung im Tagesgeschäft
Damit zusammen kommt, was zusammen gehört - ja, was zusammen muss.
Auch wenn es verlockend ist, schnell mal mit einer Cloud-Lösung zu starten: es ist noch immer sinnvoll, sich vorher über die gesamte Systemarchitektur Gedanken zu machen. Welche Software muss mit welcher anderen Software wann, wie und wie oft Daten austauschen? Tipp: Die Prozesse starten immer bei der Warenwirtschaft. Also: erst das ERP-System einführen, dann die Middleware und erst zum Schluss den Online-Shop - und nicht umgekehrt. (rw)