Hat Ihr Haus, Garten oder Grundstück einen Anschluss zu einer öffentlichen Straße oder einem öffentlichen Weg? Dann zählen Sie zu den Glücklichen! In der Praxis gibt es aber viele Fälle, in denen ein Grundstück nur über das eines Nachbarn zu erreichen ist. Und das ist oft Anlass für Streit, Ärger und Rechtsunsicherheit. Die Arag-Experten erläutern die Rechtslage.
Baugrund ohne Zufahrt
In den vergangenen Jahren sind die Preise für Baugrundstücke massiv gestiegen. Da gilt für viele Häuslebauer: Aus eins mach zwei! Zur Straße hin steht ein Haus auf dem Grundstück, der abgetrennte hintere Teil wird ein weiteres Mal bebaut – und hat dann keinen Anschluss an das öffentliche Wegenetz mehr. Für solche Fälle schreibt der Gesetzgeber vor, dass den Eigentümern des hinteren Grundstücks der Zugang gestattet wird. Das geschieht über ein sogenanntes Wegerecht. Es ist das Recht, ein fremdes Grundstück zum Zweck des Durchganges oder der Durchfahrt zu nutzen. Das Wegerecht tritt in Kraft, wenn ein Grundstück von der Straße aus nicht direkt erreichbar ist.
Gewohnheitsrecht vs. Grunddienstbarkeit
Die Grunddienstbarkeit legt grundsätzlich fest, welche Rechte ein Eigentümer eines Grundstücks einem andern gewähren muss und ist im BGB (§ 1018) geregelt. Ein Wegerecht leitet sich jedoch nicht automatisch aus einem Gewohnheitsrecht ab. Wenn Sie beispielsweise schon jahrelang den Weg Ihres Nachbarn nehmen, um auf Ihr Grundstück zu gelangen, bedeutet das nicht, dass Ihnen das Wegerecht auch zusteht.
Damit das Wegerecht rechtsgültig wird, muss es als Grunddienstbarkeit ins Grundbuch eingetragen werden. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil im Januar 2020 erneut klargestellt (Az. V ZR 155/18). Der BGH kassierte damit ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln, das entschieden hatte, dass sich aus einer "langjährigen tatsächlichen Übung der Eigentümer oder berechtigten Nutzer" solch ein Gewohnheitsrecht ergebe. Laut BGH kann es dagegen zwar in "speziellen Fällen" ein Wegerecht aus Gewohnheit geben, nicht aber im Verhältnis einzelner Grundstücksnachbarn untereinander.
Wann solche "speziellen Fälle" vorliegen, machte der BGH 2008 klar, als er über einen Streitfall in Ostfriesland zu entscheiden hatte. Neu zugezogene Anwohner wollten damals den parallel zu Entwässerungskanälen (sogenannten Inwieken) verlaufenden Zugang zu anderen Grundstücken sperren. Allerdings handelt es sich bei dem "Inwiekenrecht" um ein spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts örtlich geltendes Gewohnheitsrecht, das in der Zeit auch von Behörden und Gerichten nahezu ausnahmslos als allgemein verbindliches Recht angesehen wurde. Es war also nicht nur im Verhältnis einzelner Grundstückeigentümer untereinander, sondern allgemein üblich, entlang der Kanäle einen Randstreifen als Zugang für die Nutzer der dahinter liegenden Grundstücke freizuhalten.
Grundsätzlich ist es auch möglich, einen privatrechtlichen Vertrag mit dem Besitzer des Nachbargrundstücks zu schließen, in dem die Bedingungen zur Wegenutzung geregelt sind. Allerdings gelten die darin vereinbarten Nutzungsrechte nur so lange, wie der Vertrag. Wenn der gekündigt wird, verfällt auch das dadurch eingeräumte Recht. Das geht auch aus dem BGH-Urteil vom Januar 2020 deutlich hervor.
Beobachter wie der Haus- Wohnungs- und Grundeigentümerverein Bonn/Rhein-Sieg e.V begrüßten die Entscheidung des BGH. Sie führe letztendlich zu Rechtssicherheit. RA Dr. Joachim Gores von Kümmerlein, Simon & Partner in Essen sieht das Urteil allerdings kritischer: "Die Entscheidung des BGH zeigt ganz eindeutig, dass ein Vertrauenstatbestand nicht geschaffen und ein Notwegerecht gerade nicht pauschal bejaht werden kann", schreibt Gores in einem Kommentar. Käufern empfiehlt er, sich nicht auf Hinweise von Verkäufer- oder maklerseite zu verlassen, es gebe ein "Notwegerecht" oder dass es in der Vergangenheit nie zu Problemen gekommen sei. Gores rät daher zu einer "schuldrechtlichen Vereinbarung über die Nutzung des Weges" oder noch "besser eine dingliche Absicherung des Nutzungsrechtes in Form einer Grunddienstbarkeit vorzunehmen".
Vertragliche Vereinbarungen
Wenn ein Wegerecht in einem privatrechtlichen Vertrag zwischen zwei Grundstückseigentümern vereinbart wird, gilt dies nur zwischen den Parteien, die den Vertrag geschlossen haben. Wechselt eines der Grundstücke den Besitzer, stehen Neuverhandlungen an. Ein Wegerecht kann auch mündlich vereinbart werden. Solche Regelungen "per Handschlag" sind genau so wirksam wie schriftliche Vereinbarungen.
Unterschiedliche Arten des Wegerechts
Ein Wegerecht lässt sich entweder öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich begründen. Ein öffentlich-rechtliches Wegerecht muss als Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen sein, um gültig zu sein. Ein privat-rechtliches Wegerecht kann dagegen entweder eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den beiden beteiligten Parteien oder eine Grunddienstbarkeit sein.
Beachten Sie dabei aber, dass ersteres bei einem Verkauf der Immobilie erlischt und nicht mit an die neuen Eigentümer übertragen wird. Eine Grunddienstbarkeit bleibt dagegen auch beim Verkauf bestehen, da sich dieser Anspruch nicht auf eine einzelne Person bezieht.
In beiden beiden Fällen gilt jedoch immer, dass das erteilte Wegerecht "schonend" ausgeübt werden muss. Das bedeutet zum Beispiel, das er kein Fahrzeug auf dem fremden Grundstück parken darf. Darüber hinaus sollte geklärt werden, wer etwa im Winter den Schnee räumt.
Pflichten des Inhabers eines Wegerechtes
Wem ein Wegerecht zusteht, der muss dieses also schonend ausüben. Der Zutritt auf dem fremden Grundstück ist nur im Rahmen der üblichen Benutzung gestattet und darf nicht übermäßig betrieben werden. Was unter einer "übliche Benutzung" im Einzelfall zu verstehen ist, hängt auch davon ab, was sich auf dem Grundstück befindet. Die "übliche Benutzung" eines Einfamilienhauses sieht anders aus als die für einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Bedingungen sind Verhandlungssache: Wer ist zum Beispiel für die Instandhaltung des Weges zuständig und wer übernimmt im Winter das Räumen und Streuen? Wurde nichts vereinbart ist – bei einer alleinigen Nutzung – der zur Durchfahrt berechtigte Eigentümer des hinteren Grundstücks für Räumungs- und Instandhaltungsarbeiten verpflichtet (BGH V ZR 42/04). Man kann aber auch etwas anderes vereinbaren.
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Notwegerecht
Wenn ein Grundstück keine Verbindung mit einem öffentlichen Weg hat, dann kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie die Benutzung ihres Grundstücks dulden müssen, bis der Missstand, zum Beispiel durch eine eigene Zufahrt, behoben ist. Wo dieser Weg verläuft und wie er benutzt werden darf, wird notfalls durch ein Gericht entschieden.
Übrigens muss man die Nachbarn, über deren Grundstück der Zugang führt, dafür finanziell entschädigen. Über die Höhe der Entschädigung entscheidet ebenfalls ein Gericht: Je größer der Nachteil für die Nachbarn, desto höher die Entschädigung. Das kann auch dazu führen, dass keine Entschädigung gezahlt werden muss, falls die Nachbarn durch die Zufahrt oder den Fußweg keine Nachteile erleiden.
Befristetes Notwegerecht
Auch für Grundstücke, die eigentlich über einen eigenen Zugang verfügen, kann für einen begrenzten Zeitraum das Bedürfnis bestehen, das Nachbargrundstück zu nutzen. In so einem Fall kommt ein befristetes Notwegerecht in Betracht. In einem konkreten Fall beabsichtigten Grundstückseigentümer Baumaßnahmen auf ihrem Grundstück durchzuführen. Zur Durchführung der Maßnahmen war es erforderlich, dass für diesen Zeitraum das Grundstück der Nachbarn benutzt wird.
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Das zuständige Gericht gewährte dieses Notwegerecht und urteilte, dass der Klageantrag, mit dem das zeitlich befristete Notwegerecht geltend gemacht wird, nicht auch den genauen Umfang und den kalendarischen Zeitraum der Inanspruchnahme des fremden Grundstückes anzugeben braucht. Die Richter befanden, dass es einem Grundstückseigentümer weder möglich noch zumutbar ist, bereits vor der gerichtlichen Feststellung des Duldungsrechtes Handwerker zu beauftragen und mit diesen einen Zeitplan für die Ausführung der Arbeiten zu vereinbaren (OLG Frankfurt/Main, Az.: 4 W 72/08).
Quelle: www.arag.de