In der Systemhausbranche hierzulande waren Sie bislang bekannt als Experte für IT-Vertrieb und gesunde Wachstumsstrategien. Vor fünf Jahren sind Sie in die Schweiz gegangen und waren in dieser Zeit wenig sichtbar - aber in der IT-Branche äußerst aktiv. Als "der IT-Systemhausverkäufer", haben Sie inzwischen vielen Inhabern geholfen, einen optimalen Nachfolger oder Wachstumspartner zu finden. Wie kam es dazu?
Oliver Wegner: Das ist richtig, im Juli 2016 bin ich aus familiären Gründen in die Schweiz gegangen, wo ich nun mit meiner Frau und unseren inzwischen drei Töchtern lebe. Sich regelmäßig Gedanken zur Unternehmensstrategie zu machen ist sinnvoll und notwendig. Und dann ist da aber noch der Unternehmer selbst.
Mitte 2016 habe ich mich gefragt, wie denn mein nächster, persönlicher Entwicklungsschritt aussieht. In diesem Prozess (der ging natürlich über mehrere Wochen) ist mir über einen Transaktionsberater "zufällig" ein IT-Unternehmen zum Kauf angeboten worden. Nach einem kurzen Blick hinter die Kulissen, habe ich zwar das Unternehmen nicht gekauft, aber mich für diese Rolle im Markt entschieden und bin kurzerhand - parallel zu evolutionplan - in der M&A-Boutique eb4y als Partner eingestiegen. Die Reise ging sofort mit unterschiedlichen Mandaten los und zeigte mir, dass ich in diesen komplexen und bedeutenden Projekten alle meine Stärken und Erfahrungen optimal einbringen kann.
Nach rund 3 Jahren bin ich dann bei eb4y ausgestiegen, um über evolutionplan einen weiteren, eigenen Geschäftsbereich für Mergers & Acquisitions aufzubauen, der sich nun ausschließlich auf die Nachfolge bei IT-Systemhäusern und Softwareunternehmen im Raum DACH konzentriert.
Dabei haben wir inzwischen auch einen sehr exklusiven Kreis an professionellen Investoren für IT-Unternehmen aufgebaut. Wir kommen auch immer mehr mit Unternehmern in Kontakt, die erst in 4-5 Jahren diesen Schritt gehen wollen, sich aber bereits jetzt optimal ausrichten und vorbereiten wollen. Damit können IT-Unternehmer mit unserer Unterstützung weiter organisch oder unorganisch wachsen und später ihr Lebenswerk in gute Hände übergeben.
Was motiviert Sie und was fasziniert Sie an dieser Branche so sehr?
Wegner: Mich fasziniert, wie verschieden zum Teil die IT-Unternehmer sind, die hinter den Systemhäusern stehen, und auch der Fakt, dass ich nach 25 Jahren in der IT-Branche - gerade im Systemhaus - immer noch Spielarten in Geschäftsmodellen kennenlerne, die ich vorher noch nicht gesehen habe.
Seit rund zwei Jahren beobachten wir, dass verstärkt mittelständische Dienstleister zu größeren Einheiten fusionieren, teils mit, teils ohne Beteiligung eines Finanzinvestors. Wahrscheinlich sehen wir nur die Spitze des Eisbergs, denn nur ein Teil davon taucht in der Presse auf. Ist das nur eine kurzfristige Erscheinung, oder rollt eine mittelständischen Konsolidierungswelle auf uns zu?
Wegner: Das kann ich bestätigen, dass das nur die Eisbergspitze ist. Mir sind auch mehr Transaktionen bekannt, als die, die in den Medien veröffentlicht wurden. Um die Antwort vorweg zu nehmen: Wir befinden uns schon mitten drin in dieser Welle und sie ist meines Erachtens nicht mehr zu stoppen. Wenn wir bedenken, dass wir aktuell allein 16 Buy-and-Build-Strategien auf IT-Systemhäuser in DACH haben und jeder Investor 8-12 Unternehmen innerhalb von 5-7 Jahren kaufen wird, dann werden in den nächsten Jahren rund 150 Systemhäuser den Inhaber wechseln.
Zudem wird jede neue Einheit probieren, sich als den besten Service-Partner bei Endkunden zu positionieren. Hier kommen wir dann wieder auf das wichtige Thema einer klaren Strategie zurück. Nur Unternehmen zu kaufen und nach außen Größe zu demonstrieren, wird dabei auf Dauer nicht gelingen.
Das Gute daran ist, dass nicht wie vor Jahren behauptet, Unternehmen wie AWS das Geschäft nehmen und deutsche IT-Systemhäuser dann nur noch die verlängerte Werkbank sind. Jetzt besteht eher die Chance, größere Einheiten zu formieren, die für den Endkunden in DACH in den führenden Schlüsselbranchen mit seinen hohen System- und Sicherheitsanforderungen ein durchgängiger, verlässlicher IT-Partner zu sein. Darüber stellen wir fest, dass auch verstärkt Systemhausgruppen und Finanzinvestoren - außerhalb der DACH-Region - Interesse an deutschen Systemhäusern haben.
In der Vergangenheit übernahmen große Systemhäuser kleinere. Die massive Konsolidierung im Mittelstand gleicht deshalb eher einen tektonischen Marktveränderung. Was sind die Ursachen dafür und welche Folgen könnte das haben?
Wegner: Diese Fragestellung ist sehr interessant. Es ist sehr selten, dass ein kleines Haus ein größeres übernimmt. Was wir aktuell sehen ist, dass neue Systemhausgruppen sich bei Zukäufen an größere Unternehmen wagen, um schnell auf einige hundert Mitarbeiter und 60-100 Mio. EUR Umsatz zu wachsen. Dadurch entstehen dann neue Spieler, die es schnell in die TOP 50 oder sogar TOP 20 der größten IT-Systemhäuser schaffen können.
Die massive Konsolidierung ist auch deshalb da, weil hinter den meisten Buy-and-Build-Strategien Fonds-Laufzeiten stehen, d.h. es gibt eine Notwendigkeit in einem bestimmten Zeitraum das zur Verfügung stehende Kapital zu investieren. Die positive Folge daraus ist, dass wir für IT-Unternehmer seit rund 3 Jahren einen echten Verkäufermarkt haben, d.h. es gibt fast immer eine Auswahl an potentiellen Käufern oder Wachstumskapitalgebern.
Kritisch sehe ich allerdings einen anderen Punk: Was passiert aufgrund der massiven Konsolidierung eigentlich mit den Endkunden? Einige der neuen Player haben hier schon konkrete Pläne, wie sie Kleinstkunden abmoderieren werden, um aus ihrer Sicht mit den vorhandenen Ressourcen in besser skalierbare und lukrativere Geschäfte zu kommen.
Aus diesem Grunde ist eine der wichtigsten Kennzahlen für ein Gelingen im Post-Merger-Prozess sicherlich die Anzahl der gemanagten IT-Seats.
Es könnte also als Folge der aktuellen Marktveränderung darin münden, dass Endkunden kleiner 20 IT-Seats ihre Haus- und Hofdienstleister verlieren werden. Bleiben diesen dann nur die Public Cloud oder wird es hier auch einen "Konsolidierer" geben als Gegengewicht zu den Hyperscalern? Es bleibt auf jeden Fall spannend.
Viele Systemhäuser leben seit Jahren ein "Coopetition"-Modell: in manchen Projekten sind sie Kooperationspartner, in anderen Wettbewerber. Das funktioniert offensichtlich gut. Wo sehen Sie die Grenzen dieses Modells?
Wegner: Auf Basis von einzelnen Projekten funktioniert ein Coopetition - Modell sehr gut. Da Kundenanforderungen teilweise sehr komplex werden, kann eine passende Gesamtlösung von zwei Häusern angeboten werden, wobei ein Haus im Lead ist und den anderen zumeist für eine Spezialaufgabe als Sub hinzuzieht. Wir sehen das auch in den IT-Systemhauskooperationen.
Die Grenzen hat es allerdings, wenn es zu einer langfristigen Strategie kommt. Dann ist jeder IT-Systemhauschef sich wieder selbst am nächsten.
Um eine Strategie konsequent umzusetzen, benötigt es oft eine lange Vorlaufzeit und entsprechende Investitionen. Diese sind gemeinsam in einem größeren Verbund - einer gesellschaftsrechtlich miteinander verbundenen IT-Systemhausgruppe, wo jeder am gemeinsamen Erfolg partizipiert - einfacher umsetzbar.
In Ihrer Keynote am auf dem Systemhauskongress sind Sie auf diese Veränderungen auf Kundenseite näher eingangen und haben die Folgen für IT-Dienstleister genau beleuchtet. Welchen Aspekte sind für Sie dabei am wichtigsten?
Wegner: Es gibt einige Haupttreiber für diese Veränderungen und anhand eines globalen Hard- / Softwareherstellers lassen sich dabei wesentliche Zusammenhänge aufzeigen. Wenn es um die quantitative Erfassung des Unternehmenswerts eines IT-Systemhauses geht, da sollte man die Sicht des Investors einnehmen.
Hier geht's zur Zusammenfassung aller Sessions des Systemhauskongresses CHANCEN 2021!
Oliver Wegner begleitete unter anderem diese Transaktionen im deutschen IT-Systemhausmarkt:
TELCAT übernimmt Mehrheit an Exabyters
Netgo übernimmt ComNet
MR SYSTEME wird Teil der GLC Gruppe
ADD schließt sich teccle Group an
Weiterer Lesetipp: Warum Beteiligungsgesellschaften IT-Systemhäuser attraktiv finden