Die IT-Branche braucht Nachwuchs. Das ist unbestritten. Darüber, wie man ihn bekommen kann, wird dagegen heftig diskutiert. Ein Ansatz ist es, selber auszubilden. Aber auch Auszubildende sind schwer zu bekommen. Deshalb sollte man jede Gelegenheit nutzen, sie auf sich aufmerksam zu machen. Eine etablierte Möglichkeit ist die Teilnahme am Girls' Day oder Boys`Day - jetzt auch als Mädchen- respektive Jungen-Zukunftstag bezeichnet.
Wobei bei IT-Firmen vor allem der Girls´ Day beliebt ist, ringen sie doch inzwischen oft darum, die sehr männlich dominierte Belegschaft etwas aufzumischen, den Frauenanteil zu erhöhen und etwas mehr Diversität zu erreichen. Tendenziell gilt: Umso größere eine Firma ist, umso stärker sind diese Wünsche. Kleinere Firmen verfolgen diese Ziele zwar auch, bei ihnen steht aber der Wunsch im Vordergrund, Ausbildungsplätze zu besetzen.
ChannelPartner wollte wissen, ob die Teilnahme am Girls´ Day dazu ein probates Mittel ist. Die Antwort ist: Es kommt darauf an, wie groß man ist, was man anbieten kann, wie man es macht und wie lang man es macht. Denn einen Haken hat die von Bundesfamilienministerium und dem Bundesforschungsministerium unterstütze Aktion: Die Teilnehmerinnen sind erst oft in der sechsten, siebten oder achten Klasse, also erst 10 bis 15 Jahre alt. Bis sie dann tatsächlich eine Ausbildung in der IT suchen, kann noch viel passieren. Es braucht einen langen Atem - aber manchmal klappt es dann tatsächlich.
Vom "Girls´-Day-Girl" zur Mitarbeiterin
"Ich bin froh, dass ich beim Girls' Day teilgenommen habe, denn dort habe ich meinen jetzigen Ausbildungsbetrieb kennengelernt", sagt etwa Marielle Wieland, die heute Azubi bei Bechtle ist. "Ein paar Jahre später, auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, habe ich mich schnell wieder an den Aktionstag zurückerinnert und mich direkt bei Bechtle beworben."
2014 hat auch Alexandra Gärtner am Girls' Day teilgenommen. "Zu der Zeit war für uns 'Mädchen' das Thema IT noch relativ neu und ein absoluter 'Männerberuf'. Da ich mich jedoch für Dinge wie Computer interessiert habe, war der Girls' Day bei Cancom die perfekte Gelegenheit, das Thema etwas näher kennenlernen zu können."
Gärtner erinnert sich: "Wir haben einen PC auseinandergenommen, uns die einzelnen Bauteile angeschaut und durften den PC dann wieder selbständig zusammenbauen." Die Erfahrung blieb ihr in Erinnerung. Deshalb hat sie sich später entschieden, eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement bei Cancom zu machen. Inzwischen hat sie die erfolgreich abgeschlossen und ist als Customer Service Specialist bei dem Dienstleister beschäftigt.
Schülertage tun´s auch
Bei G Data CyberDefense ist nicht nur einmal im Jahr Girls´Day. In der Firmenzentrale in Bochum sind immer wieder Schulklassen zu Besuch. Dadurch bekommen junge Menschen ganzjährig einen Einblick in die Arbeitswelt des Cyber-Defense-Spezialisten. Und das hat sich schon gelohnt.
"Durch den Schulausflug habe ich G Data kennengelernt, was für meine Bewerbung ausschlaggebend war", sagt Max Wirths. Er startete im August 2022 seine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement bei G Data. Ihm haben auf Anhieb die offene Art im Unternehmen, das 'Du' von Beginn an und die modernen Bürogebäude sehr gefallen.
Auch Andre Szymanski, seit August 2022 ebenfalls Auszubildender für Büromanagement bei G Data, kam durch einen Schulbesuch erst auf die Idee, sich bei G Data zu bewerben. "Es war bei meinem Schulbesuch sehr interessant, die Bürogebäude von innen zu sehen und ich war von der Modernität beeindruckt. Inhaltlich hat mich IT-Sicherheit auch sehr fasziniert und ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen." Den Firmennamen hatte er schon öfter gehört, aber er wusste vorher nicht, dass der Firmensitz in Bochum ist. Auch bei ihm war der Schulklassenbesuch entscheidend.
Girls´Day in der Distribution
Nun hat nicht jede Firma ein eigenes Museum, die Räumlichkeiten und die Mitarbeiter, Schulen zu empfangen. Der Zukunftstag kann deshalb für sie eine gute Gelegenheit sein, bei der Organisation von einer etablierten Vermittlungsplattfom zu profitieren.
Am Standort Straubing nimmt Ingram Micro schon seit über zehn Jahren am Girls`Day teil. Meistens sind es circa sechs bis acht Schülerinnen die den Girls‘ Day im Logistikzentrum in den Bereichen Mechatronik und IT-Systemintegration verbringen.
"Wir haben durchaus auch schon Bewerbungen von ehemaligen Teilnehmerinnen am Girls‘ Day bei Ingram Micro bekommen, die unser Unternehmen durch den Tag persönlich kennengelernt haben", berichtet Rupert Hierl, Executive Director Operations DACH und Leiter des Standorts Straubing bei Ingram Micro.
Girls´Day beim Systemhaus
Die Bechtle AG nimmt 2023 bereits zum 14. Mal am Girls‘ Day teil - und das im großen Stil. Insgesamt verbringen 230 Schülerinnen an 21 Systemhausstandorten den Tag bei dem Unternehmen. Sie bekommen dabei vielfältige Einblicke in unterschiedliche Bereiche. Neben Hard- und Softwarethemen, bei denen sie auch praktisch tätig werden können, haben sie zum Beispiel die Möglichkeit, mit Datenbrillen in die Cloud-Welt einzutauchen und ihr gesammeltes Wissen durch ein anschließendes Quiz zu testen.
Neben dem Wunsch Mädchen für IT-Berufe zu interessieren, die alle von ChannelPartner befragten Firmen eint, möchte Bechtle den Schülerinnen auch ganz konkret die vielfältigen Ausbildungsberufe im Unternehmen näherbringen. "Die positive Resonanz der teilnehmenden Schülerinnen und die daraus resultierenden Kontaktpunkte auf anderen Veranstaltungen zeigen uns jedes Jahr aufs Neue, wie wichtig unsere Teilnahme am Girls' Day ist", teilt das Unternehmen mit.
Der Aktionstag ermögliche jungen Talenten einen ersten Berührungspunkt mit Bechtle, ihrem potenziellen Arbeitgeber. Viele von ihnen könnten sich nach dem Girls'Day viel besser vorstellen, was ein IT-Unternehmen macht, so das Feedback.
Und oft erzählen Sie das auch weiter - so die Erfahungen von Cancom, einem weiteren, langjährigen Aktionsteilnehmer. Cancom bietet die Veranstaltungen an seinen großen Standorten wie München, Jettingen-Scheppach, Hamburg und Frankfurt am Main an. Im vergangenen Jahr nahmen es insgesamt 54 Schülerinnen an, im Mittelpunkt standen da die Ausbildungsberufe Fachinformatiker (alle Fachrichtungen), Kaufleute für IT-Systemmanagement und Logistik. Die seien jedoch nur eine Auswahl der zahlreichen Ausbildungsberufe und dualen Studiengänge, die bei Cancom möglich sind. Auch darauf werde immer aktiv hingewiesen.
Kleinere Systemhäuser haben es da schwerer. Die Deutsche Systemhaus mit Sitz im fränkischen Schwandorf hat schon mehrmals an der Aktion teilgenommen und vor Ort jeweils fünf bis sechs Teilnehmerinnen empfangen. "Da wir ein kleineres Unternehmen sind, wird den Schülerinnen jede Abteilung vorgestellt. Fokus liegt aber auf dem Bereich Technik/IT", sagt Marketingleiterin Sophie Schmidt, die mit ihrem Team die Teilnahme auch organisiert. Das Feedback der Teilnehmerinnen sei bislang immer äußerst positiv gewesen und einige hätten angegeben, sich für eine Ausbildung im technischen Bereich zu interessieren. Selbst Azubis konnte man durch die Aktion aber noch nicht gewinnen.
Sisters bei Brother
Seit 2011 nimmt Brother am Girls & Boys-Day teil. "Es gab in der Vergangenheit Versuche, ein gemischtes Programm sowohl für Mädchen als auch Jungs anzubieten. Mittlerweile konzentrieren wir uns voll auf den Girls‘ Day – der Grund ist, dass die allermeisten der bei uns vertretenen Berufsfelder nach wie vor eher männerdominiert sind, und wir für Mädchen am Girls‘ Day das sinnstiftendere Angebot machen können", erklärt Firmensprecher Jörg-Stefan Schmitt.
Auch dieses Jahr wurden 10 Plätze ausgeschrieben – davon 5 für Angehörige von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 5 weitere öffentlich über das Girls‘ Day Portal. Alle waren Plätze waren "in kürzester Zeit" ausgebucht.
Nach einer Firmenpräsentation und einer Führung durch die Unternehmensräume stehen einige Brother-Kollegen aus unterschiedlichen Positionen bereit und können interviewt werden. Kernstück des Tagesprogramms ist ein ausführlicher Lötworkshop in der Technikerwerkstatt. Die Lötsets dürfen die Mädchen dann im Anschluss mit nach Hause nehmen und ein paar schöne Werbegeschenke als Erinnerung gibt es natürlich auch noch.
"Ein toller Nebeneffekt des Girls‘ Day ist, dass er nicht nur für die uns besuchenden Mädchen neue Perspektiven eröffnet, sondern umgekehrt auch uns hilfreiche Einsichten in die Gedanken- und Lebenswelt dieser Mädchen eröffnet. Wir bleiben so in Berührung mit der nächsten Generation von wertvollen weiblichen Fachkräften. Außerdem ist der Girls Day immer auch ein schöner Anlass, um das Thema Diversität bei uns im Hause unter den Mitarbeitern wieder mehr ins Gespräch zu bringen, sich darüber auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln", fasst Schmitt zusammen.
Als größeres Unternehmen hat Brother mit Dennis Peteranderl einen Learning & Development Manager, der sich um die Weiterbildung der Beschäftigten kümmert. Er übernimmt die Organisation des Tagesprogramms. Dass er früher als Lehrer selbst einmal Schüler und Schülerinnen in den Girls‘ und Boys‘ Day entsendet hat, ist dabei ein großer Vorteil.
Girls´s Day bei der Verbundgruppe
Die Expert Zentrale in Langenhagen nimmt ebenfalls regelmäßig am Zukunftstag teil. Die Teilnahme ist auf die Kinder der Mitarbeiter beschränkt. Das machen auch zahlreiche andere Fimen aus allen Branchen so. "Die positiven Erlebnisse ihrer Kinder sowie die Möglichkeit, ihnen den eigenen Arbeitsplatz zu zeigen, erhöht die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen", berichtet Expert-Sprecherin Paula Stoye.
Inzwischen motivierten sich die Mitarbeiter gegenseitig, ihre Kinder anzumelden, sodass die Nachfrage nach der Aktion in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sei. 2023 nahmen 34 Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 15 Jahren an der Veranstaltung teil. Sie erhalten im ersten Teil einen allgemeinen Einblick in das Unternehmen und die Logistikwelt des Expert Fulfillment Centers und besuchen am Nachmittag die Fachabteilungen ihrer Eltern.
Wie viel Aufwand ist der Girl´s Day für Firmen?
Insgesamt schätzen alle Firmen den Aufwand als gering oder überschaubar ein. Wobei gilt: Auf umso mehr Schultern er verteilt ist, umso entspannter wird er gesehen. Und ds erste Mal ist das schwerste Mal, in den Folgejahren ist es deutlich einfacher.
Sinnvoll scheint es, nicht nur an die Interessen der Firma zu denken, sondern zumindest ein "Spaßelement" einzubauen - etwas, über das die Teilnehmerinnen Zuhause oder im Freundeskreis berichten und an das sie sich länger erinnern. Ob das wie bei Brother der Lötworkshop, bei G Data der simulierte Hackerangriff, das PC-Zerlegen bei Cancom oder die VR-Brille bei Bechtle ist, ist egal - zur Firma muss es passen und darf nicht alltäglich sein.
Sind schon Azubis im Betrieb, übertragen viele Firmen ihnen zumindest einen Teil der Programmgestaltung. Auch das scheint sinnvoll, schließlich sind die näher an den Teilnehmerinnen dran und können glaubhafter und authentischer von ihren Erfahrungen berichten, als wenn ein Mittfünfziger theoretisch etwas über die Ausbildung erzählt
Eigentlich alle haben zudem immer viel und gutes Feedback auf die Aktion. Sie macht sich gut bei Social Media, sie kommt jeweils in der Gemeinde vor Ort gut an, und sie führt nicht selten zu Berichten in der Lokalpresse (wenn man die dazu einlädt).
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