Herr Semmelroth, als Geschäftsführer eines erfolgreichen jungen Systemhauses - der C&S Computer & Service GmbH - sind Sie oft nur wenige Stunden im Büro. Und das Geschäft läuft trotzdem. Wie machen Sie das?
Philip Semmelroth: Ich befasse mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Führungskultur, also mit Fragen: Wie werden Mitarbeiter selbstbewusster, wie bringe ich Ruhe und Gelassenheit in meine eigene Arbeit als Geschäftsführer, um Zeit und Raum für strategische Themen zu schaffen - jenseits des Tagesgeschäfts. Als einen der Schlüsselfaktoren dafür betrachte ich das Leitbild "Führen durch Vorbild". Wie schaffe ich ein Klima, das Mitarbeiter selbstbewusster, entscheidungsfreudig und selbständiger arbeiten lässt? Dass sie sich vollständig mit ihren Aufgaben identifizieren? Man kann von seinen Mitarbeitern nichts erwarten, was man nicht selbst vorlebt. Man kann seine Firma nicht in eine bestimmte Richtung drehen, wenn man nicht zeigen kann, wie man dort hinkommt,
Die Art und Weise, wie wir als Systemhauschefs Mitarbeiter gewinnen, führen, weiterbilden und sie für Kunden und neue Aufgaben gewinnen, wird entscheidend sein für die Frage, ob wir die künftig die nötige Flexibilität entwickeln können, um die Digitale Transformation zu meistern.
Wenn Sie das Idealbild eines zukünftigen Modells skizzieren könnten - wie sähe das aus?
Semmelroth: Wenn wir die Entwicklung am Markt betrachten, die sich schon heute abzeichnet, könnten wir uns vom traditionellen "Zeit-gegen-Geld-Modell" lösen - und uns damit von der Vergleichbarkeit auf Basis des Stundenpreises befreien. Konkret könnte das beispielsweise bedeuten: Mitarbeiter werden nach Wirkung bezahlt, nicht nach Arbeitszeit. Es gibt aber zahlreiche Voraussetzungen, die im Vorfeld erfüllt werden müssen: Exakt definierte, standardisierte interne Abläufe im Systemhaus, die auch sauber eingehalten werden, um einen höheren Grad an Automatisierung und damit auch Skalen- und Rationalisierungs-Effekte zu ermöglichen.
Eine weitere Voraussetzung ist die Standardisierung der IT beim Kunden - was wiederum eine gewisse Standardisierung des Systemhaus-Portfolios erfordert.
Wenn wir all diese Maßnahmen umsetzen, können wir künftig alle Leistungen pauschalisiert anbieten - auch im kleinen Mittelstand, können diese Pauschale für den Kunden attraktiv halten und gleichzeitig unsere Marge erhöhen. Das ist ein zentraler Aspekt der digitalen Transformation im Systemhausumfeld, der die Nutzung moderner Infrastrukturen im Systemhaus voraussetzt. Beispielsweise um zu ermitteln: Wie viel Telefonzeit benötigt ein Kunde tatsächlich von mir? Wie viele Rechnungen reklamiert er? Das sind Dinge, die mittelständische Systemhäuser heute oft gar nicht beziffern können.
Digitale Transformation - was bedeutet das für Sie als mittelständisches Systemhaus? Wie wird sich das Systemhausgeschäft in diesem Segment in fünf Jahren tatsächlich verändern?
Semmelroth: Im Gegensatz zu Enterprise-Endkunden, die das Thema Digitale Transformation mittlerweile auch sehr proaktiv angehen, ist die Situation bei mittelständischen Kunden eine andere: Mittelständische Endkunden interessieren sich kaum für ihre EDV - sie ist für sie eher ein lästiges, notwendiges Übel als ein spannender Innovationstreiber. Der Geschäftsführer möchte im Grunde keinen Server haben, aber er braucht ihn zwangsläufig für seine Geschäftsabläufe. Der Server an sich befriedigt kein Bedürfnis und erbringt für sich genommen keinen Nutzen.
Im Gegensatz zum iPhone, das für die meisten ein "Ich-will-Produkt" darstellt. Alles, was ein Unternehmens-Chef mit dem iPhone machen kann, könnte er auch mit einem Billig-Handy. Es ist eine menschliche Komponente.
Was bedeutet das in der mittelfristigen Perspektive für Sie als Systemhaus?
Semmelroth:Wenn es mir gelingt, dem mittelständischen Kunden gegenüber als Dienstleister aufzutreten, der sowohl die technische Kompetenz - also die Lösung -, als auch die menschliche Komponente erfüllt, so dass sich er sich wohlfühlt, dann entsteht daraus ein USP, den auch ein Mitbewerber nicht kopieren kann. Denn er kann die Lösung liefern, aber nicht dasselbe Personal.
Warum wird Ihrer Meinung nach das Personal in diesem Szenario immer wichtiger?
Semmelroth: Zum einen, weil gerade der Mittelstand immer auch sehr stark personenbezogen entscheidet. Zum anderen, weil wir als mittelständisches Systemhaus gegenüber den Großen, die meist mit sehr standardisierten Prozessen arbeiten, eine Stärke ins Feld führen können: Mitarbeiter, die sich nicht nur als Erfüllungsgehilfen verstehen, sondern die sich selbst als Lösungs- und Kompetenz-Center betrachten und dem Kunden gegenüber auch so auftreten können. Diesen Vorteil, dass wir als kleines Unternehmen sehr viel flexibler agieren können und nicht mehrstufige Hierarchie-Ebenen auflösen müssen - diese Stärke müssen wir ausspielen. Dann kann ein Techniker plötzlich auch vertrieblich aktiv werden, weil er nicht mit einem provisionsorientierten Vertriebs-Mitarbeiter konkurrieren muss.
Zum Video: Was bedeutet die Digitale Transformation für ein mittelständisches Systemhaus?
Managed Services = Bezahlen nach Wirkung
Wie aber gelangt man von der klassischen provisions- und zeitorientierten Entlohnung hin zum Modell "Bezahlung nach Wirkung", wenn der Kunde gleichzeitig nur einen Pauschalbetrag für die Leistungen bezahlt?
Semmelroth: Das lässt sich am besten an einem Beispiel erläutern. Nehmen wir an, das Server-Patch-Management für einen Kunden wird manuell erbracht. Dafür wird eine Pauschale von 400 Euro veranschlagt. Der Wert dieser Leistung beträgt also 400 Euro. Der Mitarbeiter bedient sich aber Tools und Hilfsmittel, die es ihm ermöglichen, diesen Service binnen einer Stunde zu erfüllen. Daraus ergibt sich ein sehr schöner Stundenlohn.
Wenn der Mitarbeiter aber verstehen soll, dass die Höhe der Kunden-Pauschale nicht bemessen wird an seiner Arbeitszeit, sondern am Ergebnis für den Kunden - und die ist unterm Strich 400 Euro wert - dann müsste man sich konsequenterweise auch von den klassischen Arbeitszeitmodellen verabschieden und den Mitarbeiter nach Ergebnissen bezahlen und nicht nach Anwesenheit. Erbringt ein Mitarbeiter gute Leistungen, muss man diesem Mitarbeiter auch Vorteile anbieten. Die Gehaltsanpassung ist im Mittelstand natürlich begrenzt - aber es gibt auch die Möglichkeit, den Gegenwert über Vergünstigungen zu leisten, beispielsweise über mehr Freizeit oder anderes.
Dann versteht auch der Mitarbeiter die "Paketierung" Richtung Kunden besser und gleichzeitig auch den Nutzen für sich selbst: "Je ökonomischer ich arbeite und desto schneller ich meine Ergebnisse erreiche, desto schneller kann ich auch eine Gehaltsanpassung fordern."
Um die Standardisierung der Abläufe im Systemhaus zu ermöglichen, muss sich aber doch auch der Kunde auf eine gewisse Standardisierung seiner IT-Umgebung einlassen?
Semmelroth: Die Standardisierung der IT-Umgebung ist heute schon auch bei kleineren Kunden ein ganz großes Thema, weil hier vielfach völlig zusammengewürfelte Systeme im Einsatz sind. Hier müssen wir uns gegenüber dem Kunden auch einmal dahingehend positionieren, dass wir eben bestimmte - standardisierte - Lösungsbausteine von bestimmten Herstellern anbieten, um für sie eine Komplettlösung zu entwickeln.
Die Standardisierung der internen Prozesse erlaubt es uns dann, die Komplettlösungen und den Service auch mit konstanter Qualität zum gleichen Preis zu gewährleisten - und das von jedem Mitarbeiter an jedem Ort. Auf diese Weise lösen wir uns von der Abhängigkeit von einzelnen Personen. Und wenn der Kunde hört, sein Ansprechpartner sei in Urlaub, ist das keine Katastrophe mehr, denn jeder der Kollegen kann sich um dessen Anliegen kümmern. Das funktioniert als Anbieter allerdings nur, wenn ich im Backend die entsprechenden Strukturen schaffe, um das auch wirtschaftlich abbilden zu können.
Wenn Sie aber in dieser Weise sowohl die Lösungsbausteine für den Kunden als auch Prozesse, Kosten und Preise standardisieren - was unterscheidet Sie dann vom Wettbewerb? Wo bleiben dann Ihre USPs? Werden Sie dann nicht austauschbar?
Semmelroth: Hier kommt die Komponente "Mensch" ins Spiel. Der USP verlagert sich von der Diskussion um Preis und Produkt hin zu der Frage: Verstehen mich die Ansprechpartner meines Systemhauses? Kennen sie meine Probleme, mein Geschäft, meine Prozesse, meine Nöte etc.? Zeigt mir der Partner Möglichkeiten auf, wie ich mein Geschäft durch die Nutzung neuer Tools - beispielsweise im Bereich Analytics - erweitern kann?
Wenn der Kunde diese Fragen mit "Ja" beantworten soll, hat das gravierende Auswirkungen auf die Art der Mitarbeiter, die ich beschäftige, auf die Art und Weise, wie sie den Kunden beraten, für die Beziehung zum Kunden und für die Angebote, die wir ihm unterbreiten. Und hier schließt sich der Kreis: Um diese Mitarbeiter zu finden, zu begeistern und weiterzuentwickeln, muss sich die Personalführung und -kultur im Systemhaus wandeln. Deshalb war dieser Aspekt auch ein zentrales Thema meines Vortrags auf dem Systemhauskongress.
Weshalb bedeutet der Trend zu hybriden IT-Strukturen für Systemhäuser nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Chance?
Semmelroth: Der Trend, Cloud- und On-Premise-Dienste kombiniert in hybriden Strukturen zu betreiben, bedeutet für mittelständische Systemhäuser eine große Chance, denn Partner könnten zukünftig in einer Welt, die der normale Kunde immer weniger versteht, tatsächlich auch mal Consulting-Leistungen verkaufen.
Wir Dienstleister können uns dann als Lösungsberater beim Kunden positionieren, der aus den verfügbaren Optionen - Angeboten der Hersteller, Cloud oder on premise - den individuell perfekt abgestimmten Mix wählt und dem Kunden damit eine maßgeschneiderte Lösung bietet. Diese erfüllt dann alle Anforderungen, ist möglicherweise aber auch sehr komplex, so dass die Wechselbarrieren für den Kunden größer werden und dieser motiviert wird, enger und länger mit dem Systemhaus zu kooperieren.
Beide Seiten könnten dann Interesse haben, sich die Zusammenarbeit gegebenenfalls per Vertrag auch absichern zu lassen. Darüber hinaus könnten die Dienstleister einen Teil der Lösungsanforderungen auch durch eigene Komponenten und Lösungen bedienen, um dann den Rohertrag des Gesamtkonzepts ohne Nachteile für den Kunden im Hinblick auf die Wertschöpfung für die eigene Firma noch zu optimieren.