Einsparpotenziale sind ausgereizt

Warum sich Firmen neu erfinden müssen

24.01.2012
Viele Innovationsansätze sind veraltet und stammen aus den 90er-Jahren, sagt Andreas Lutz.
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In vielen Unternehmen findet zurzeit nicht nur ein radikales Umdenken statt. Sie erfinden sich neu. Denn das Top-Management hat erkannt: Wenn unser Unternehmen in den stets dynamischer werdenden Märkten überleben möchte, muss es seine Innovationskraft und -geschwindigkeit radikal erhöhen.

In den Managementetagen der größten deutschen Unternehmen rumort es. Sie haben hunderte Millionen Euro in hoch entwickelte technologische Forschungszentren investiert, Tausende von Mitarbeitern eingestellt und aufwändige Prozesse installiert, mit denen sie Innovation vorantreiben wollen. Doch das Ergebnis ist zu 80 Prozent enttäuschend. Zwar werden neue Technologien auf den Markt gebracht und die Produkte immer besser - doch der große Wurf bleibt aus. Trotz der vielen Initiativen und aufwendigen Prozesse, trotz der hohen Investments ist die Mehrheit der Unternehmen mit den Ergebnissen unzufrieden.

Fazit des Technologievorstands eines Automobil-Konzerns: "Was immer wir tun, wir erhalten immer nur Varianten des Alten." Was fehlt, sind wirklich innovative Ideen, mit denen die Unternehmen Märkte umgestalten oder sogar ganz neue Märkte entwickeln können.

Zu langsam und zu behäbig

"Die meisten Unternehmen lähmen sich beim Thema Innovation selbst", kritisiert Jens-Uwe Meyer, Geschäftsführer der Beratungsfirma die Ideeologen, Baden-Baden. "Ihre Innovationsansätze sind veraltet. Sie stammen häufig aus den 90er Jahren, als die Märkte viel stabiler waren." Meyer, der das Top-Management zahlreicher Konzerne berät, interviewte für eine Studie mit dem Titel "Erfolgsfaktor Innovationskultur" knapp 200 Innovationsverantwortliche von Unternehmen - aus 13 Branchen. Das Ergebnis: Nur jedes fünfte Unternehmen treibt Innovation proaktiv voran. Die meisten Firmen reagieren nur auf das, was der Markt vorgibt.

Oder sie verwalten Innovation: Formulare statt Leidenschaft. "Das Cross der Unternehmen gleicht heute schwerfälligen Tankern: Sie sind zu langsam und zu behäbig", konstatiert Meyer. "Deshalb besteht die Gefahr, dass sie im internationalen Innovationswettbewerb auf Dauer unterliegen."

Das haben inzwischen viele Unternehmensführer erkannt - weil der Marktdruck steigt. In zahlreichen Branchen findet zur Zeit ein Paradigmenwechsel statt. Waren die Innovationszyklen früher lang, planbar und teilweise sogar vorhersehbar, so bietet sich heute vielfach bereits ein radikal anderes Bild. Egal ob Automobil-, Energie- oder Chemiebranche, Elektro- oder Konsumgüterindustrie, Maschinen- oder Anlagenbau - in allen Branchen registriert das Top-Management ein wachsendes Innovationstempo. Neue Mitbewerber drängen in den Markt - teils aus ganz anderen Branchen. Neue Technologien machen ganz neue Problemlösungen möglich. Klassische Ansätze des Innovationsmanagements sind in einem solchen von "High Speed" geprägten Umfeld viel zu langsam, um mit den Veränderungen Schritt zu halten.

Die verkrusteten Strukturen sprengen

Mit Hochdruck arbeiten denn auch zahlreiche (Groß-)Unternehmen daran, ihre verkrusteten Strukturen zu sprengen. So plant zum Beispiel die Telekom eine School of Transformation - einen Thinktank, der dem Unternehmen mit Hilfe kreativer Methoden einen Innovationsschub verleihen soll. Auch die Tourismusindustrie beschreitet ganz neue Wege. Warum erläutert Andreas Kurth, Head of New Business bei der TUI: "Die klassischen Methoden der Strategieentwicklung bringen uns immer wieder mehr vom Gleichen: die Kosten senken, die Prozesse weiter optimieren, ab und zu mal eine kleine Veränderung. Es entsteht aber nichts wirklich Neues." Also beschloss TUI, stärker auf die eigene Kompetenz zu vertrauen. Das Unternehmen holte 30 Manager für drei Monate ins Hamburger Schanzenviertel und ließ sie dort an neuen Geschäftsmodellen arbeiten. Das Ergebnis: radikal neue Ideen, die sukzessiv umgesetzt werden.

Auch die Innovationskultur gerät in den Fokus des Top-Managements. So ließen in den zurückliegenden Monaten mehrere Konzerne für die Strategieplanung 2012 zunächst ihre Innovationskultur analysieren. Die Fragen, die dahinter stehen, sind stets die gleichen: Wie können wir verhindern, dass wir im Wettbewerb abgehängt werden? Und: Wie können wir den Markt gestalten, statt permanent den Veränderungen hinterher zu hecheln?

Weg vom Vollkasko-Denken

Die Firmen stehen dabei erst am Anfang. "Nur in jedem dritten Unternehmen ist kreatives Denken derzeit hoch angesehen: Neu jede vierte Firma stellt zum Beispiel gezielt Querdenker ein - die anderen bevorzugen konforme Mitarbeiter", zitiert Meyer aus der Studie "Erfolgsfaktor Innovationskultur". Und für 80 Prozent aller Unternehmen gilt: Sie betreiben zwar aufwändige Marktforschungen und -analysen, sie experimentieren aber nicht mit Neuem - aus Angst vor dem Scheitern. Doch auch hier hat ein Umdenken begonnen: Mehr und mehr sind Manager bereit, radikal neue Wege zu gehen. Weg von der Vollkasko-Mentalität, hin zum kalkulierten unternehmerischen Risiko, lautet zunehmend ihre Maxime.

Dieses Umdenken wird sich 2012 beschleunigen, prognostiziert Meyer. Der Grund: "Die letzte Krise, die viele Unternehmen primär durch Sparen zu meistern versuchten, ist gerade mal zwei Jahre her. Deshalb sind die Einsparpotenziale zumeist ausgereizt." Also müssen die Unternehmen, wenn sie ihre Performance steigern möchten, neue Wege beschreiten. Sie müssen ihre Innovationsprozesse beschleunigen und ihre Mitarbeiter dazu motivieren, Neues zu denken. "In fünf Jahren erkennen wir die meisten Unternehmen nicht wieder", prophezeit Meyer. "Gerade große Konzerne werden sich ganz neu aufstellen und sich so organisieren, dass sie Innovation unter Hochdruck vorantreiben können." Das Ziel lautet: High Speed Innovation. (oe)
Der Autor Andreas Lutz ist Wirtschaftsjournalist und Mitarbeiter der PRofilBerater GmbH in Darmstadt. www.die-profilberater.de
Hinweis: Die Studie "Erfolgsfaktor Innovationskultur - das Innovationsmanagement der Zukunft" (Autor: Jens-Uwe Meyer) ist im Verlag BusinessVillage erschienen. Sie kostet 297 Euro.