Performance Management hat die Aufgabe, durch geeignete Rahmenbedingungen die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern zu stärken. Kernbestandteil ist die Festlegung von Zielen bzw. die Messung der entsprechenden Zielerreichung. In der Praxis offenbaren sich allerdings gerade hierbei Schwächen, die bei der Anwendung von Objectives & Key Results (kurz OKR) zur Zielsetzung vermieden werden können.
Im Zuge eines gewissenhaften Managements sollten einheitliche, aus den strategischen Unternehmensleitlinien abgeleitete Ziele für alle Mitarbeiter heute Standard sein. Doch ein Blick in die Praxis zeigt: weit gefehlt. Zielvorgaben sind häufig vertrieblich oder monetär geprägt, von einer Ableitung aus strategischen Leitlinien kann keine Rede sein. Einmal jährlich werden Ziele aus der meist geschäftspolitisch beeinflussten Mittelfristplanung top-down vorgegeben und zudem bei der Verteilung auf einzelne Abteilungen und Mitarbeiter häufig noch ambitionierter formuliert. Dieser Planungsprozess findet nicht selten bereits im dritten Quartal für das jeweilige Folgejahr statt. Damit werden Ziele für bis zu 18 Monate im Voraus festgelegt.
Jahresziele sind überholt
Mehrere Studien aus der jüngeren Vergangenheit verdeutlichen, dass diese klassischen Zielsetzungsprozesse nicht mehr zu den Anforderungen der heutigen "VUCA-Zeit" passen. VUCA steht für Volatility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit), die allesamt die Unternehmensführung erschweren. Angesichts schwindender Konstanten ist es kaum mehr möglich, Ziele sinnvoll mehr als ein Jahr im Voraus festzulegen. Auch die Arbeitsbedingungen verändern sich: Teamarbeit und mobiles Arbeiten mit weniger direkten Beobachtungspunkten für eine individuelle Leistungsbeurteilung nehmen zu, Digitalisierung und Wissensarbeit bringen neue Formen der Zusammenarbeit hervor und durch organisatorische Veränderungen steigen die Anforderungen speziell an Führungskräfte, zum Beispiel durch Aufgaben zur Mitarbeiterentwicklung. Die Akzeptanz klassischer Zielsysteme durch die Mitarbeiter lässt nach - Performance Management wird zum zahnlosen Tiger, der allenfalls Aufwand in HR und Controlling verursacht und wenig konkreten Nutzen stiftet.
Objectives & Key Results auf dem Vormarsch
Das agile Zielsystem Objectives & Key Results bietet eine vielversprechende Möglichkeit, den heutigen Anforderungen eines durch kurze Innovationszyklen und ständigen Wandel geprägten unternehmerischen Umfelds gerecht zu werden. Durch OKR können alle Organisationseinheiten vom Top-Management bis hin zu einzelnen Mitarbeitern ihre jeweiligen Ziele an der Unternehmensstrategie ausrichten.
OKR besteht aus drei bis fünf so genannten Objectives und wiederum etwa drei bis fünf Key Results je Objective Die qualitativen Objectives beschreiben, was in der kommenden Periode erreicht werden soll und entfalten damit vor allem eine inspirierende und motivierende Wirkung. Die quantitativen und messbaren Key Results hingegen zeigen auf, wie konkret das jeweilige Ziel erreicht werden kann.
Mitarbeiter entwickeln ihre Ziele selbst
Zu Beginn eines OKR-Zyklus werden solche OKR-Sets für alle Organisationseinheiten des Unternehmens aufgesetzt. Dabei werden Ziele in Teams oder zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten gemeinsam entwickelt und nicht top-down vorgegeben. Den Anfang macht die Geschäftsleitung und legt im Rahmen der OKR für das gesamte Unternehmen die Themenschwerpunkte für den kommenden Zyklus fest. Auf dieser Basis entwickeln die darunter liegenden Organisationseinheiten ihre eigenen OKR-Sets. Am Ende jedes Zyklus lässt sich die Zielerreichung anhand der gemeinsamen Bewertung der Key Results überprüfen.
Ursprünglich bei Intel eingeführt, wurde OKR 1999 von Google übernommen und wird mittlerweile von zahlreichen innovativen Organisationen auch weit über das Silicon Valley hinaus eingesetzt. Doch gerade in der heutigen Zeit ist die OKR-Methode klassischen Zielsystemen überlegen. Ein Vergleich anhand von sieben Kategorien verdeutlicht, warum das so ist.
1. Flexibilität
Rahmenbedingungen und Aufgaben von Mitarbeitern ändern sich - in klassischen Zielsystemen bleiben die Ziele hingegen für den Zeitraum von meist einem Jahr konstant. OKR nutzt als agiles Zielsystem für einen Zeitraum zwischen einem und vier Monaten einen deutlich kürzeren Zyklus und ermöglicht so die Reaktion auf sich verändernde Rahmenbedingungen und Aufgabenschwerpunkte von Mitarbeitern binnen Jahresfrist. Durch diese Flexibilität kann ein Schiefstand zwischen Zielsetzung und Aufgabenschwerpunkt vermieden werden. Selbst innerhalb eines Zyklus ermöglicht OKR eine Anpassung bei gravierend veränderter Schwerpunktsetzung.
2. Transparenz
In klassischen Zielsystemen werden die Ziele eines Mitarbeiters vertraulich zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter behandelt. Bei OKR hingegen gehört Transparenz zur Methode: Ziele und Zielerreichung aller Organisationseinheiten im gesamten Unternehmen werden veröffentlicht. So wird klar, woran einzelne Mitarbeiter arbeiten, gegenseitige Abhängigkeiten und Abstimmungsbedarfe fallen gleich ins Auge. Außerdem wirkt die Transparenz motivierend.
3. Vollständigkeit
Bei OKR liegt der Fokus nicht nur auf dem Vertriebserfolg, sondern die Methode richtet sich explizit an alle Organisationseinheiten und Mitarbeiter. So erhalten auch vertriebsfernere Bereiche (z. B. Controlling oder IT) die Möglichkeit, ihren jeweiligen Beitrag an der Erreichung der strategischen Unternehmensziele zu dokumentieren, zu messen und im Unternehmen transparent zu machen.
4. Zielorientierung
Zwar kostet die Neufestlegung der OKR-Sets im Rahmen der OKR-Gespräche Zeit. Diese Gespräche ersetzen allerdings ohnehin notwendige Abstimmungsrunden und sollten daher als positive Investition in eine verbesserte Zusammenarbeit, Fokussierung und Ausrichtung an den Zielen gewertet werden. Die Beschäftigung mit Zielen ist keine zusätzliche Arbeitszeit, sondern kann vielmehr helfen, mittel- und langfristig viel Zeit einzusparen. Zudem werden die Mitarbeiter durch die häufige Beschäftigung mit Zielen deutlich stärker involviert. Ziele sind schlicht und ergreifend präsenter und die tägliche Arbeit kann sich daran orientieren.
5. Akzeptanz
Klassische Zielsysteme werden meist streng hierarchisch festgelegt. OKR hingegen verfolgt einen anderen Ansatz: Mitarbeiter werden bei der Formulierung von Zielen bewusst mit eingebunden, um die persönliche Betroffenheit und Akzeptanz von Zielen zu steigern. Außerdem gelingt es Unternehmen so besser, im Rahmen eines strukturierten Prozesses Innovation "von unten" zu kultivieren. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Mitarbeiter selbst am besten beurteilen können, worauf sie in Kenntnis der strategischen Unternehmensziele die Schwerpunkte ihrer Arbeit in der kommenden Periode richten sollten.
6. Fokussierung
In klassischen Zielsystemen entsteht Intransparenz durch eine hohe Anzahl von Zielen mit unterschiedlicher Gewichtung. OKR ist als Methode "blind" für die relative Bedeutung von Zielen und zwingt zur Priorisierung durch die maximal mögliche Anzahl an Objectives und Key Results. Während dieser bewusste Verzicht teilweise für Irritationen sorgt, ermöglicht er doch den Fokus auf das Wesentliche. Unwichtige Ziele sollten von vornherein keine Aufnahme in die OKR-Sets finden. Damit folgt OKR auch dem agilen Leitgedanken "Maximize the amount of work not done". Das schafft Raum für die wirklich wichtigen Themen.
7. Ergebnisorientierung
Im Vordergrund klassischer Zielsysteme steht eine Zahl - etwa das Umsatzvolumen oder eine Anzahl an Abschlüssen. OKR ist vielschichtiger. Objectives beschreiben qualitative und ambitionierte Ziele, also das "Wofür". Die quantitativ bewertbaren Key Results verdeutlichen den Weg zur Erreichung der ambitionierten Ziele. Gleichzeitig erhält die Zielerreichung durch die vollständige Transparenz mehr Nachdruck. Eine formalistische Verknüpfung der OKR-Sets mit finanzieller Kompensation sollte hingegen vermieden werden. Denn sonst besteht die Gefahr, dass Ziele nicht ausreichend ambitioniert gesetzt werden.
Fazit: OKR-Einführung mit Fingerspitzengefühl
Die OKR-Methode bietet eine Reihe von Vorteilen und passt in die heutige Zeit. Sie greift Ideen der in den 1950er Jahren entwickelten Führungstechnik "Management by Objectives" auf und überführt sie in das agile Zeitalter. Insofern sollte der Einsatz von OKR bei jeglicher Weiterentwicklung eines Zielsystems als mögliche Lösungsoption berücksichtigt werden.
Dennoch ist von einer überhasteten Einführung abzuraten. Gerade die der Methode innewohnende Transparenz und die damit verbundenen Herausforderungen können eine Organisation auch überfordern. Es empfiehlt sich daher auch hier, einen agilen Grundansatz zu beherzigen: Die Einführung zunächst als Minimum Viable Product, also beschränkt auf zum Beispiel eine Organisationseinheit. Damit lassen sich Erfahrungen für nachfolgende Bereiche sammeln. Im Anschluss kann OKR an die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens angepasst und weiter ausgerollt werden.
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