Warum ist Klinsmann so erfolgreich?

04.07.2006
Wieso bringt diese Truppe von vielfach eher mittelmäßigen Profi-Kickern plötzlich Spitzenleistungen? Das fragen sich viele überrascht, wenn sie die Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM verfolgen. Zufall ist dies nicht. Dieser Auffassung sind viele Managementtrainer.
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Wer hätte vor wenigen Wochen gedacht, dass die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußball-WM so erfolgreich wäre? Trotz vieler anderslautender Lippenbekenntnisse vermutlich wenige. Jetzt aber meistern Klinsmanns Mannen einen Hürde nach der anderen. Und dies so, dass sie im ganzen Land eine Welle der Begeisterung entfachen. Wie gelang es Jürgen Klinsmann, aus einer Truppe von oft eher mittelmäßigen "Profi-Kickern" ein Team zu formen, das zwar vielleicht keine Spitzenmannschaft ist, aber Spitzenleistungen erbringt?

Erfolgfaktor 1: Große Ziele formulieren

Ein zentraler Erfolgsfaktor ist laut Prof. Jörg W. Knoblauch, Inhaber des Unternehmens Tempus in Giengen (bei Ulm) und Unternehmensberater: "Klinsmann machte sofort nach Antritt des Traineramts klar: Ich glaube daran, dass der Gewinn der Weltmeisterschaft möglich ist." Zugleich signalisierte er jedoch: Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir neue Wege beschreiten. Und dies unterstrich er durch Taten. Er heuerte amerikanische Fitness-Trainer an, er bugsierte Torwarttrainer Sepp Maier aus seinem Job, er nahm Oliver Kahn die Kapitänsbinde ab. Und er entfachte selbst auf etablierten Positionen, wie der des Torwarts, den Wettbewerb neu. Alles Entscheidungen, "die ihm nicht unbedingt Sympathien einbrauchten, aber seinen Mannen signalisierten: Der meint's ernst. Der kaut nicht nur altbekannte Trainersprüche wieder. Knoblauch: "Klinsmann formulierte ein großes Ziel, und ordnete diesem alles unter." Das war wichtig, denn "nur wer sich große Ziele steckt, kann auch Großes erreichen" - wenn den Worte entsprechende Taten folgen.

Erfolgsfaktor 2: Liebe zum Detail zeigen

Einen weiteren Erfolgsfaktor nennt Peter Schreiber, Inhaber der Unternehmensberatung Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld: Klinsmanns Liebe zum Detail. Er kümmerte sich persönlich auch um Kleinigkeiten -beispielsweise, wo die Spieler übernachten, wo sie trainieren und welche Trikots sie tragen. Dies brachte ihm teilweise den Ruf ein, ein "Korinthenkacker" zu sein, oder "jemand, der nichts loslassen kann". Dahinter steckt laut Schreiber aber das Wissen: Wenn wir das große Ziel erreichen möchten, dann müssen alle Räder wie geschmiert ineinander greifen. Nichts darf dem Zufall überlassen bleiben.

Erfolgsfaktor 3: Wege zum Erfolg aufzeigen

Besonders wichtig war es laut Schreiber, dass Klinsmann für jeden Spieler einen individuellen Trainingsplan erstellte. Er sagte also zum Beispiel zu Stürmer Miroslav Klose nicht einfach: "Damit wir unser Ziel erreichen, musst du pro Spiel zwei Tore schießen". Oder zum Verteidiger Friedrich: "Du musst jedem Stürmer, der aufs Tor zukommt, den Ball abnehmen." Er zeigte ihnen vielmehr auf, was sie tun müssen, um zum Beispiel die nötige Fitness zu erwerben. Und wie stellte er fest, wo bei den Spielern Verbesserungsbedarf besteht? Schreiber: "durch zwischenzeitliche Tests, aber vor allem, indem er die Spieler beim Spielen beobachtete." Das heißt: Klinsmann setzte sich bei den Spielen der Nationalmannschaft auf die Trainerbank. Und dort schaut er nicht auf die Anzeigetafel, wo der aktuelle Spielstand steht. Er blickt vielmehr aufs Spielfeld, um zu erkennen, ob seine Spieler zum Beispiel genügend Einsatz zeigen, ein gutes Stellungsspiel praktizieren oder ausreichend über die Flügel spielen. Denn nur so konnte er ihnen, wenn sie in Rückstand gerieten, Tipps geben, wie sie das Spiel noch gewinnen können und so den kurzfristigen Erfolg beeinflussen.

Erfolgsfaktor 4: Das Verhalten beim Spiel analysieren

Ebenso verhält es sich mit dem mittel- und langfristigen Erfolg. Auch um ihn zu beeinflussen, muss ein Trainer das Verhalten seiner "Mannen" beim Spiel analysieren. Nur so erfährt er, wer wie viele Zweikämpfe gewinnt und wie viele Flanken ankommen. Diese statistischen Daten allein nützen dem Trainer aber wenig, betont Schreiber. Denn wie zum Beispiel der Spieler Michael Ballack die Zahl der gewonnenen Zweikämpfe steigern kann, erfährt er erst, "wenn er sein Wissen, dass zu wenig Zweikämpfe gewonnen wurden, mit seinen Beobachtungen beim Spiel vergleicht". Erst dann wird klar, ob der Spieler so viele Zweikämpfe verlor, weil er zum Beispiel zu langsam ist oder ein schlechtes Stellungsspiel praktiziert oder ihm der nötige Einsatzwille fehlt. Folglich erkennt er auch erst dann, was getan werden sollte, damit künftig der gewünschte Erfolg eintritt.

Ebenso verhält es sich laut Schreiber beim Führen von Mitarbeitern in Unternehmen. Auch hier genügt es nicht, die Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter zu studieren. Die Führungskräfte müssen sich auch mit deren Weg dorthin befassen, denn nur dann können sie ihnen Tipps geben, um ihre Leistung zu steigern. Schreiber nennt ein Beispiel: Der Verkaufsleiter eines Softwareherstellers vereinbart mit einem Außendienstmitarbeiter Anfang Juli, dass dieser im September fünf Software-Lizenzen verkaufen soll. Wenn beide keine weiteren Vereinbarungen treffen, bleibt es dem Zufall überlassen, ob der Verkäufer im Juli und August die nötigen Vorarbeiten durchführt, damit er im September sein Ziel erreicht. Außerdem erfährt der Verkaufsleiter so erst Ende September, wenn der Mitarbeiter das Ziel verfehlt. Folglich kann er nicht mehr korrigierend eingreifen. Anders ist dies, wenn der Verkaufsleiter schon im Juli seinen Mitarbeiter fragt: "An wen wollen Sie im September fünf Lizenzen verkaufen?" "Welche potenziellen Kunden haben Sie im Auge?" "Wie kommen Sie mit ihnen in Kontakt?" ...

Erfolgsfaktor 5: Konsequenz und Rückgrat zeigen

Einen weiteren Erfolgsfaktor von Klinsmann nennt Roland Jäger, Managementtrainer aus Wiesbaden: Ausdauer und Konsequenz. Er ließ sich nicht beirren, als Niederlagen in der Vorbereitungsphase scheinbar signalisierten: Wir sind auf dem falschen Weg. Er hielt an seinem Kurs fest - was Klinsmann zeitweise den Ruf einbrachte, stur und beratungsresistent zu sein. Der Nationaltrainer schreckte auch nicht davor zurück, Oliver Kahn auf die Bank zu verbannen, als sich zeigte: Jens Lehmann passt besser in unser Spielsystem. Oder Spieler wie Christian Wörns und Kevin Kurrany nicht in den WM-Kader aufzunehmen - selbst auf die Gefahr hin, als Buhmann dazustehen, wenn die WM-Teilnahme sich als Flop erweist. Kurz: Klinsmann zeigte Rückgrat, als ihm ein rauer Wind ins Gesicht blies. Er zweifelte (zumindest öffentlich) nie an seiner Strategie und seinen Mannen. Er stellte sich vielmehr wie eine schützende Wand vor seine Spieler. Dadurch bot er ihnen Halt und Orientierung und vermittelte ihnen Sicherheit - was seine "Mitarbeiter", sprich Spieler, ihm nun zurückzahlen. (Bernhard Kuntz/mf)