Wer seinem Kunden eine Referenzarchitektur für die Modernisierung des Rechenzentrums verkauft, kann an der Konfektionierung des Systems nichts mehr verdienen. Allerdings wächst der Beratungsaufwand. Warum Kunden zunehmend bereit sind, für diese Services auch zu bezahlen, erläutert Roland König, Geschäftsführer des Bechtle IT-Systemhauses München/Regensburg und Leiter des Geschäftsfelds Virtualisierung bei Bechtle, im Interview mit ChannelPartner.
Welche Rolle spielen integrierte Systeme aktuell und in Zukunft?
Roland König: Diese Referenzarchitekturen gewinnen immer mehr an Bedeutung. Nicht nur aus technologischen Gründen, weil die Lösungen in einem Produkt integriert sind, sondern weil sie dem Kunden echte Mehrwerte liefern, insbesondere, wenn es darum geht, eine Basis für künftige Cloud-Architekturen zu legen. Immer mehr Kunden erwägen bei der Ersatzbeschaffung für ihre Infrastruktur deshalb den Einsatz dieser fertigen, Out-of-the-Box-Lösungen, weil sie hier nicht mehr jede einzelne Komponente anpacken müssen.
Wie gehen Sie bei solchen Projekten vor?
König: Forrester hat hier ein sehr anschauliches Modell entworfen, dem wir folgen. Die Analysten empfehlen hier Anwendern, im ersten Schritt ein in sich geschlossenes Projekt zu definieren, sich einen Fürsprecher und Sponsor im Management zu suchen und quasi auf der grünen Wiese ein erstes Private-Cloud-Projekt aufzubauen. Anschließend sollte ein vergleichsweise einfacher Prozess ausgewählt und in einen echten Cloud-Prozess portiert werden. Die nächste Stufe kann dann der Weg in eine hybride Cloud sein. Die Referenzarchitekturen ermöglichen dem Kunden exakt dieses Vorgehen.
Was sind Referenzarchitekturen? Weshalb?
König: Sie bieten genau definierte, aufeinander abgestimmte Best-of-Breed-Lösungen, bestehend aus x86-Servern, Storage, Netzwerk, Management und Virtualisierung in einer sofort einsatzfertigen Lösung, mit verlässlicher Performance. Unser Build-your-own-Cloud-Konzept (ByoC) basiert auf einer solchen Referenzarchitektur. Einen Unterschied gibt es allerdings: Wir haben hier nicht nur den Basis-Hypervisor integriert, sondern die komplette Cloud-Software von VMware und Microsoft sowie die Portierung eines Prozesses.
Was umfasst diese Portierung konkret?
König: Im Preis für das ByoC-Paket ist die Portierung eines definierten Prozesses mit eingeschlossen. Er steht dann im Self-Service-Portal des Unternehmens als echter Cloud-Service zur Verfügung, inklusive Service Level Agreements.
Der Start auf der "grünen Wiese" bedeutet aber, dass der Endkunde seine bisherige Infrastruktur komplett ausmustern muss. Nutzt er dagegen FlexPod oder VSPEX , könnte er seine Infrastruktur schrittweise durch die neuen Komponenten ersetzen, und bereits getätigte Investitionen weiter nutzen.
König: Das können Sie mit jeder Referenzarchitektur. Denn die zentrale Komponente ist der Hypervisor, den die meisten Unternehmen bereits einsetzen. Auf dieser Hypervisor-Ebene - nicht auf Infrastruktur-Ebene - lässt sich die alte Architektur mit der neuen koppeln und schrittweise umrüsten.
Das heißt, es wird quasi parallel zum Kern-Rechenzentrum ein zweites, kleines aufgebaut. Der gemeinsame Hypervisor stellt die durchgängige Verbindung zwischen beiden her, die Brücke, auf der sich alles bewegt?
König: Ja, der Kunde muss die alte Infrastruktur keineswegs auf einen Schlag ausmustern, er kann schrittweise migrieren. Zentraler Aspekt ist dabei die Migration von Prozessen. Die Cloud-Technologie basiert ja gerade auf der Veränderung von Prozessen, weg vom "Container-Denken" hin zum Service-orientierten Ansatz. Die Abläufe verändern sich dabei grundlegend.
Der wesentliche Schritt liegt darin, ein in sich geschlossenes Projekt auszuwählen, das sich für die Portierung eignet - zum Beispiel die Anbindung neuer Mobile Device Services. Dazu kann der Kunde eine komplett in sich geschlossene Referenzarchitektur einsetzen, auf dieser Infrastruktur wird ein SLA für diesen Service hinterlegt - und das Projekt kann starten. Alle restlichen Systeme und Prozesse laufen davon unberührt wie bisher weiter.
Inwiefern beobachten Sie nicht nur bei den Großkunden, sondern auch bei mittelständischen Unternehmen dieses steigende Interesse?
König: Gerade für klassische Mittelstandskunden ist das ein ganz heißes Thema. Denn es gibt auch kleinere Referenzarchitekturen wie VSPEX, FlexPod oder den seit kurzem verfügbaren, kostengünstigen und überall einsetzbaren ExpressPod. Diese Lösungen machen es dem Mittelstand sehr einfach, schrittweise neue Themenfelder und Architekturen einzuführen.
Aus dieser Perspektive betrachtet unterscheiden sich die einzelnen Referenz- und Integrated Systems-Angebote nicht wesentlich?
König: Selbstverständlich hat jeder Hersteller Stärken, Schwächen und Schwerpunkte. Aber das Hauptthema ist ein anderes. Es geht vor allem um das Konzept, das dahintersteht. Der Vorteil ist, dass diese automatisierten und standardisierten Architekturen ein zentrales Management für Compute, Storage und Netzwerk bieten.
Alle Ansätze von VMware und Microsoft in Richtung Software Defined Datacenter zielen darauf ab, Funktionalitäten aus dem Netzwerk-, dem Storage- und Compute -Bereich bis zu einer gewissen Ebene in den virtuellen Layer zu integrieren. Denn wenn der Kunde eine virtuelle Maschine, einen Desktop etc. verschieben möchte, muss diese Funktionalität mitwandern.
Wir stehen hier am Anfang einer ganz neuen Entwicklung. Wir sind auf dem Weg ins Storage-Defined Datacenter: Die Software ist in der Lage, diese Services mitzunehmen und verteilt bereitzustellen. Die Referenzarchitekturen unterstützen diesen Weg.
Den Ansatz in Richtung Software Defined Datacenter gab es ja schon früher. Was macht Sie so sicher, dass er sich jetzt tatsächlich durchsetzen wird?
König: Wir beobachten eine enorme Dynamik, schon allein aufgrund der Tatsache, dass x86-Server auf breiter Basis installiert sind. Hunderte von Servern werden heute von zwei Personen gemanagt. Hinzu kommt die rasante Veränderung auf Client-Seite durch die Verbreitung von Portalen.
Ein Beispiel: Private-Dropbox-Lösung von VMware, die beim Kunden im Unternehmen läuft und auf die weltweit jeder Mitarbeiter zugreifen und Daten teilen kann. Anwender müssen Informationen und Dokumente heute teilen, unabhängig davon, wo sie sich befinden und mit welchem Endgerät sie arbeiten. Das heißt, die Anwender udn das Geschäftsumfeld fordern diesen Wandel, nicht unbedingt die IT-Abteilung. Viele Projekte werden heute aus den Fachabteilungen heraus angestoßen.
Wie gehen die IT-Abteilungen Ihrer Erfahrung nach mit dieser Situation um?
König: Noch ein Beispiel: Wir hatten ein Projekt, bei dem es um die Einführung von iPads ging, die von der IT-Abteilung zentral gemanagt werden. Die Freiheiten der Anwender wurden dabei vom IT-Leiter rigoros eingeschränkt: die Nutzung von iClouds, der Dropbox und viele andere Funktionalitäten wurde alternativlos unterbunden. Damit wurde der Mehrwert, den die iPads für die User bringen sollten, obsolet gemacht. Die Folge: Der IT-Leiter kämpft mit unzufriedenen Anwendern.
Die neuen Datacenter-Funktionen und Architekturen ermöglichen den Anwendern gerade diese Freiheiten, und erlauben gleichzeitig dem IT-Administrator, die Kontrolle zu behalten. Die Anwender treiben damit die IT. Es geht aber nicht nur darum, Anwendern das Bereitstellen von Daten und Apps zu ermöglichen, sondern für den Kunden Mehrwerte für die gesamte Kommunikation zu schaffen.
vblKönnen Sie dazu ein Beispiel nennen?
König: Neue Technologien, wie beispielsweise Collaboration-Lösungen von Cisco, ermöglichen Anwendern, Telefonie und Videokonferenzen auf virtuellen Desktops zu nutzen. Es geht zum Beispiel um die Frage: Wie lade ich andere Ansprechpartner ein, mit mir in Bild und Sprache in Verbindung zu treten und gemeinsam an einem Dokument zu arbeiten, ohne dass der Ansprechpartner erst eine passende Software installieren muss?
Wir müssen Unternehmen dabei unterstützen, effizienter arbeiten zu können. Das wiederum erfordert eine entsprechende Infrastruktur im Rechenzentrum.
Und hier kommen eben die erwähnten Referenzarchitekturen ins Spiel. Denn die dafür nötige Erweiterung der bestehenden Infrastruktur muss strukturiert, standardisiert und schnell erfolgen - genau das ist mit den Referenzarchitekturen möglich.
Welche Referenzarchitekturen nutzen Sie selbst?
König: Als Multi-Vendor-Anbieter setzen wir auch selbst unterschiedliche Architekturen ein, um aufgrund unserer eigenen Erfahrungen Kunden optimal beraten zu können. Wir nutzen sowohl FlexPod-, Vblock- für die Virtualisierung sowie HPs CloudSystem-Matrix-Architekturen und IBM PureSystems, abhängig von den Schwerpunkten. Es geht immer darum, flexible dynamische Systeme zu haben, die einen Service für bestimmte Prozesse gewährleisten können. Das können die verfügbaren Modelle.
Wonach entscheiden Sie, welches Referenzmodell für den Kunden am besten passt?
König: Die Frage ist immer, was der Kunde damit tun möchte. Was ist seine Anforderung und wie sieht die Infrastruktur aktuell aus? Die Klärung dieser und weiterer Fragen bestimmt, was für ihn die sinnvollste Lösung ist. Voraussetzung dafür ist unsere herstellerneutrale Beratung, weshalb wir im Virtualisierungsbereich alle Lösungen anbieten.
Sie verkaufen diese Systeme auch und bieten auf deren Basis zudem Hosting-Services an. Welche Services sind das?
König: Kunden können bei uns unterschiedliche Hosting-Dienste beziehen, angefangen von Disaster Recovery und Backup in der Cloud über virtuelle Desktops bis hin zur Bereitstellung von Ressourcen. Das sind allerdings keine Standard-Public-Cloud-Dienstleistungen, sondern individuell auf den Kunden zugeschnittene Mehrwert-Services.
Wie stark nutzt der Mittelstand diese Hosting-Dienste?
König: Wir bedienen hier klassische mittelständische Unternehmen. Für sie ist entscheidend, dass diese Services ausschließlich von uns selbst aus einer Hand erbracht werden, weil sie uns vertrauen. Gehostet werden die Lösungen im Bechtle-Rechenzentrum in Friedrichshafen mit den Backup-Rechenzentren in Neckarsulm und Nürnberg. Diese Rechenzentren basieren auf den genannten Referenz-Architekturen.
Die Referenz-Modelle - allen voran die Vblocks - sind bereits weitgehend vorkonfektioniert. Woran können Sie als Partner dann noch verdienen?
König: Bei diesen Systemen entfällt für den Partner natürlich die Konfektionierungsleistung. Aber ich bezweifle, ob zwei bis drei Tage Konfigurationstätigkeit tatsächlich entscheidend ist für den Erfolg eines Unternehmens. Entscheidend ist vielmehr die Beratung. Denn bis zum Einsatz des Vblocks ist es ein weiter Weg, auf dem der Partner für seinen Kunden immense Leistungen erbringt.
Geklärt werden muss unter anderem: Warum will der Kunde in diese Richtung gehen? Was ist sein Ziel? Wie sieht der Geschäftsprozess aus etc.? Das muss im Vorfeld klar sein. Deshalb haben wir massiv in die Ausbildung unserer Mitarbeiter, unter anderem auch in den Aufbau von derzeit 16 Business Architekten investiert.
Hinzu kommen die Implementierung der Systeme, der Aufbau des Cloud-Prozesses, die Integration dieses Prozesses in das System, die Bereitstellung und der Betrieb der Umgebungen als Managed Service. Hier können Partner einen echten Mehrwert leisten - ganz abgesehen von den Applikations-Themen.
Viele Partner fürchten überflüssig zu werden, wenn diese Prozesse erst einmal aufgesetzt sind. Denn dann könnte sich der Kunde möglicherweise direkt aus einer Public Cloud oder einer vom Hersteller aufgesetzten Private Cloud bedienen …
König: In unserer Branche herrscht sehr viel Angst davor, dass die Cloud "alles vernichten" könnte. Ich bin überzeugt, die Cloud kann uns sehr viel Geschäft bescheren. Und schließlich gibt es keine Software, die auf Software läuft, es gibt nur Software, die auf Hardware läuft. Die Infrastruktur wird anspruchsvoller - Stichwort Big Data, die Dropbox-Lösungen - das alles muss jemand erstellen und managen.
Was ist die Aufgabe der Business Architekten?
König: Sie kümmern sich nicht um das Design der Prozesse - das machen große Berater wie McKinsey oder KPMG - sondern übersetzen Geschäftsprozesse, Unternehmensziele und die individuellen Anforderungen des Kunden in eine IT-Architektur. Das ist eine spannende und hochwertige Leistung.
Das klingt nach sehr viel Aufwand für das Systemhaus. Sind Kunden tatsächlich bereit, für diese Services - und vor allem für die aufwändige Beratung im Vorfeld - angemessen zu bezahlen?
König: Zunehmend ja. Denn Kunden kommen verstärkt mit der Frage auf uns zu wie sie einen Geschäftsprozess IT-seitig abbilden können. Zum Beispiel ein mittelständischer Kunde, der global expandieren und neue Standorte schaffen will. Die Frage ist: Wie schnell soll das gehen? Heute kann er virtuelle Kapazitäten in Shanghai erhalten, samt seiner eigenen Applikationen und in eigener Management-Hoheit, betreut aber wird er von Deutschland aus. Das muss designed werden mit den nötigen Partnerschaften, der nötigen Infrastruktur.
Welchen Vorteil hat der Kunde, wenn dieser Prozess aufgesetzt ist?
König: Der Kunde kann dann innerhalb von zwei Wochen diese IT-Services weltweit an jedem Ort bereitstellen. Damit beeinflusst die IT-Lösung massiv die Geschäftsentwicklung. Anderes Beispiel: Muss der Kunde wirklich ein weiteres Rechenzentrum aufstellen, nur für Backup und Disaster Recovery seiner kritischen Systeme? Er kann diesen Service auch aus unserem Rechenzentrum in Friedrichshafen beziehen. Für diese komplexe Beratung sind Kunden deshalb zunehmend bereit, zu bezahlen. Geschäft ist und bleibt genug da! (rb)