Kleinlich oder nicht?

Wann Bagatellkündigungen gerechtfertigt sind

11.01.2013
Entlassungen wegen kleiner Vergehen werden im Arbeitsrecht immer bedeutender. Ob sie gerechtfertigt sind, hängt unter anderem von der Betriebszugehörigkeit und der Häufigkeit des Vergehens ab.

Ob es um den Verzehr von belegten Brötchen oder Pommes geht, ob mitgenommene Pfandbons für 1,30 Euro , das Verschenken von drei Schrauben oder der Stromklau zum Aufladen eines Handys: Kündigungen wegen Bagatellen werden im Arbeitsrecht immer bedeutender und beschäftigen die deutschen Arbeitsgerichte immer wieder.

Im Fall "Emely" hat das Bundesarbeitsgericht - anders als die Vorinstanzen - der Klage einer langjährig beschäftigten Kassiererin eines Einzelhandelsgeschäfts stattgegeben, die ihr nicht gehörende Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro zum eigenen Vorteil eingelöst hatte. Die daraufhin erfolgte Kündigung erklärte das Gericht als unverhältnismäßig und damit unwirksam (AZ 2 AZR 541/09. Es liege bei dem Verhalten der Kassiererin nur eine "erhebliche Pflichtwidrigkeit" vor. Hierauf hätte der Arbeitgeber zunächst mit einer Abmahnung reagieren sollen. Für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses reiche die Pflichtwidrigkeit der Verkäuferin nicht aus.

Dies sah jetzt das Arbeitsgericht Neunkirchen (AZ 2 Ca 856/11) anders und erklärte die fristlose Kündigung einer Bäckereiverkäuferin wegen unbezahlten Verzehrs zweier Omeletts und der Mitnahme eines belegten Brötchens für wirksam.

Das Gericht sah es nach der Vernehmung von Zeugen als erwiesen an, dass die Klägerin zumindest ein Omelett selbst zubereitet und verzehrt sowie ein belegtes Brötchen nach der Arbeit mitgenommen hat, ohne diese Lebensmittel zu bezahlen. Die Kammer sah darin einen wichtigen Grund, der die Arbeitgeberin zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigte. Sie setzte sich mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im "Fall Emmely" auseinander und bewertete bei der Interessenabwägung die Begleitumstände des Vorfalls sowie das nachfolgende Verhalten der Klägerin zu deren Nachteil.

Andere Gerichte entscheiden beim Thema Bagatell-Kündigungen arbeitnehmerfreundlicher: So ist die außerordentliche Kündigung eines Gastronomie-Mitarbeiters wegen des Verzehrs von Pommes frites und Frikadellen nach einer Gerichtsentscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm (Az.: 8 Sa 711/10) unwirksam. Für die Richter war der behauptete Verzehr der Pommes frites und der Frikadellen kein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung. Dabei wurde insbesondere die 19-jährige Betriebszugehörigkeit und der Umstand, dass der Kläger nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes nur noch außerordentlich kündbar ist, vom Gericht berücksichtigt. Als milderes Mittel hätte laut Gericht zunächst eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen, die dem Kläger als letzte Warnung die Möglichkeit gegeben hätte, das behauptete Verhalten zu überdenken.

Der Fall der drei Schrauben

Ebenso ist die Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden, der drei Schrauben seines Arbeitgebers an einen früheren Kollegen verschenkt hatte, kürzlich vor dem Arbeitsgericht Bonn gescheitert (AZ 1 BV 47/10).

Selbst die Wegnahme einer ausgesonderten Werkbank durch einen Arbeitnehmer ist nach einem Urteil des Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (AZ 3 Sa 324/09) kein Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Nach Ansicht der Richter hatte der Arbeitgeber bei der Abgabe von ausgesonderten Gegenständen an Mitarbeiter keine stringente Handhabung. Der Arbeitnehmer hat aus Sicht des Gerichts völlig offen eben diesen Weg der gelebten Praxis eingeschlagen und das Werkbankteil vor den Augen aller mitgenommen. Damit beging er zwar eine Eigenmächtigkeit, wollte aber keine Bereicherung und auch keine rechtswidrige Entreicherung des Arbeitgebers.

Tipp:

Auch wenn die Gerichte mittlerweile eine "arbeitnehmerfreundliche" Haltung zum Thema Bagatellkündigung eingenommen haben, ist das natürlich kein Freibrief für kleine Vergehen. Ob eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer Bagatelle gerechtfertigt ist, oder nicht, hängt neben der Berücksichtigung der Gesamtumstände des Arbeitsverhältnisses- wie etwa Betriebszugehörigkeit- entscheidend davon ab, ob es sich um einen einmaligen Verstoß gehandelt hat. In jedem Fall lohnt es sich über die Erfolgsaussichten einer Klage anwaltlichen Rat einzuholen. (oe)

Quelle: www.anwalt-suchservice.de