Viele Köche verderben den Brei, besagt ein altes Sprichwort. Das sollte bei der Herstellung eines Produktes nicht der Fall sein. Vor allem wenn der Erfolg in einer Branche von unterschiedlichen Zulieferern abhängig ist. Bei Beispielen wie der Auto- oder der IT-Industrie ist von allen Beteiligten bereits vom ersten Schritt der Entwicklungsphase an ein hohes Maß an Professionalität und Kommunikation erforderlich. Ist dies bei einem Produkt einmal nicht der Fall, kann das für einen Hersteller immense Folgekosten bedeuten. So führt die Internetseite Rueckrufaktion.net allein für das Jahr 2011 in der Rubrik Computer elf für Deutschland relevante Rückrufaktionen auf. Die Fehlerliste reicht von kleineren Funktionsfehlern bis hin zu Brand- oder Explosionsgefahr.
Fehlerhafte Produkte tauchen dann für gewöhnlich in der von der EU-Kommission geführten "Rapex"-Liste" auf, um die Verbraucher zu warnen. Sobald dieser Zug losgefahren ist, kommen auf den Hersteller nicht nur Service-, sondern auch die damit zusammenhängenden Abwicklungskosten zu. Nicht zu vergessen ist auch die rechtliche Komponente in Form von eventuellen Klagen oder Schadensersatzforderungen seitens der Endkunden, ganz zu schweigen von einem möglichen Einfluss auf den Aktienkurs.
Handelt es sich bei einem Produktfehler lediglich um einen für den Verbraucher nicht sicherheitsrelevanten Mangel, steht es im Ermessen des Herstellers, ob er für die am Markt befindlichen Geräte seinen Kunden eine Ausbesserung anbietet. Sind jedoch Gesundheit, Leib oder Leben gefährdet, ist der Hersteller nach dem Produktsicherheitsgesetz verpflichtet, schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen, was bis zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Rückrufaktion führen kann.
Fehler können teuer werden
Einer der Hersteller, die in diesem Zusammenhang bereits schmerzliche Erfahrungen machen mussten, ist der Chiphersteller Nvidia. Wegen fehlerhafter Notebook-GPUs, die von mehreren Notebook-Herstellern verbaut wurden, war das Unternehmen 2008 mit einer Sammelklage konfrontiert, die Apple, Dell und HP angestrengt hatten. Allein für Garantie, Reparatur und Rückgabe der defekten Geräte hatte Nvidia zum damaligen Zeitpunkt zusätzlich 450 Millionen Dollar ausgeben.
Noch nicht so lange her ist der Rückruf von Notebooks mit den im vergangenen Jahr ausgelieferten Sandy-Bridge-Prozessoren. In der offenen Kommunikation, die der Hersteller zeitnah gestartet hatte, gab das Unternehmen für die Rückrufaktion zu erwartende Kosten in Höhe von 700 Millionen plus einen Umsatzausfall von 300 Millionen Dollar an.
Auch um solche Folgekosten möglichst zu vermeiden, heißt es für die Hersteller, bereits Monate oder sogar Jahre vor einer Markteinführung die richtigen Weichen zu stellen. "Bei der Entwicklung eines Grafikprozessors beginnt die Designarbeit bereits bis zu fünf Jahre, bevor das erste Notebook mit der fertigen GPU ausgeliefert wird. Diese Zeitspanne benötigt man, um einerseits die Herausforderungen einer Next-Generation-Architektur zu meistern und andererseits den Softwareentwicklern genügend Zeit zu geben, Anwendungen so anzupassen, dass sie die maximale Leistungsfähigkeit der Hardware nutzen", erklärt Susanna Tatár, PR Manager Central Europe and Social Media Manager EMEAI bei Nvidia.
Mit etwas weniger Zeitaufwand rechnen im Gegensatz dazu die meisten Notebook- und Smartphone-Hersteller. "Durchschnittlich dauert der komplette Prozess von der Planung bis zur Markteinführung zwei Jahre - ein Jahr Planung und ein Jahr Entwicklung", sagt Rüdiger Landto, Director Mobile Clients bei der Fujitsu Technology Solutions GmbH.
Im Vorfeld viele Fragen
Das beste und schönste Produkt bleibt ein Ladenhüter, wenn die Endkunden im B2C- und B2B-Umfeld es nicht haben wollen. Dafür kann es viele Gründe geben - im schlimmsten Fall, dass der Markt noch nicht reif für eine neue, unter Umständen einzigartige Technologie ist oder dass das Gerätedesign nicht gefällt. Hier sind Fingerspitzengefühl und/oder ein starkes Selbstbewusstsein des Herstellers gefragt. Eines der positiven Beispiele ist Apple, das mit dem Touch-bedienten iPhone nicht nur die Smartphone-Branche, sondern nahezu den kompletten Markt für mobile Endgeräte revolutionierte.
Da sich aber nicht jeder Hersteller auf einen solchen Coup verlassen kann oder will, greifen viele zur vermeintlich sichereren Variante: der Befragung ihrer Endkunden. "Im B2C-Umfeld beziehen wir unsere Kunden in die Entwicklung des Designs mit ein. Bei B2B-Geräten wird die Befragung auch auf weitere Funktionalitäten erweitert, um die Bedürfnisse unserer Kunden besser in die Entwicklung integrieren zu können", erklärt Stephan Hampel, Head of Mobile Computing bei der Samsung Electronics GmbH. Um möglichst viele Meinungen einzufangen nutzt mancher Hersteller auch bereits Multimedia-Kanäle, wie Thomas Karg, Category Direktor PSG bei HP Deutschland, beschreibt: "Neben professionellen Trendforschern nutzen wir auch unsere Social Media Kanäle, um in direkten Kontakt mit den Konsumenten zu treten und befragen unsere Partner und Retailer. Das Feedback geben wir entsprechend an unsere Kollegen in den USA weiter."
Mancher Hersteller, beispielsweise Acer, verlässt sich in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Meinung von Endkunden, sondern bezieht auch seine Händler mit ein: "Das Feedback von Endkunden und Fachhändlern ist für uns eine Quelle wertvoller Erkenntnisse. Für das Feedback von Resellern haben wir den Fachhändlerbeirat als Plattform für den Austausch eingerichtet und verwerten auch die Resonanz von gewerblichen Kunden aus den Projektanfragen", sagt Wilfried Thom, Region Manager Central Europe bei der Acer Computer GmbH.
Einmal um die ganze Welt
Doch ob das geplante Produkt aus Sicht der Kunden am Markt Verkaufschancen hat, ist nur ein kleiner Auszug aus dem Katalog der Fragen, die vor dem Einstieg in die Produktion beantwortet werden müssen. In der Planungsphase geht es nicht nur darum, die passenden Komponenten zusammenzustellen, sondern auch darum, in den jeweiligen Regionen das passende Design und das oft auch unterschiedliche Nutzerverhalten in die Entwicklung mit einzubeziehen. Und in dieser Phase sind bei manchen Herstellern die Mitarbeiter, quer über die ganze Welt verteilt, gefragt.
Davon weiß zum Beispiel André Lönne, Executive Director Europe bei dem taiwanischen Smartphone-Hersteller HTC, ein Lied zu singen: "Unsere Produktentwicklung verteilt sich auf verschiedene Orte. Industrial Design entsteht in San Francisco und Taipei, Softwaredesign - zum Beispiel HTC Sense - in Seattle und Taipei. Die Märkte für Smartphones sind überall auf der Welt unterschiedlich. Genauso wie unsere Kunden auch nicht in allen Ländern die gleichen Anforderungen an unsere Smartphones stellen. Wir versuchen, diesen spezifischen Unterschieden bestmöglich Rechnung zu tragen, zum Beispiel anhand von Farben oder Ausstattungen."
So wie HTC geht es den meisten deutschen Niederlassungen der Hersteller. Entwickelt und produziert wird überwiegend in Asien und den USA. Dann werden die regionalen Anforderungen abgefragt, so auch bei Toshiba. Gabriel Willigens, Head Product Marketing & PR Digital Products & Services Central Europe bei der Toshiba Europe GmbH, beschreibt das Mitspracherecht: "Die Entwicklung unserer Produkte findet in den weltweiten Toshiba-Research & Development-Zentren in Japan statt. Jede einzelne Region hat dabei die Möglichkeit, den Entwicklungs- und Planungsprozess den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu beeinflussen."
Dass die Hersteller dabei manchen Ländern mehr Gewicht zuordnen als anderen, ist naheliegend. "Die Entwicklung geschieht in unseren weltweiten Entwicklungslaboren, zum Beispiel in China, den USA, Japan und Israel. Natürlich nehmen die Regionen Einfluss auf diesen Prozess. Deutschland dient zum Beispiel 'als Stimme' für Europa, um die Produkte nicht am Markt vorbei zu entwickeln", bestätigt Bernhard Fauser, Geschäftsführer der Lenovo Deutschland GmbH. Die Abfrage von länderspezifischen Wünschen ist also üblich.
Offen bleibt natürlich, ob diese Wünsche dann auch machbar sind und tatsächlich in die Produktion mit einfließen. "Unsere Entwicklungsabteilung in den USA fragt regelmäßig die lokalen Bedürfnisse der jeweiligen Kundensegmente ab. Das Feedback, das wir von unseren Endkunden, Partnern und Retailern erhalten, wird tatsächlich in die Entwicklung neuer Produkte und Modelle integriert. Ein Beispiel hierfür ist das Thema Grafikkarten. Seit einiger Zeit werden deshalb die Produkte, die in den deutschen Markt kommen, anders ausgestattet", berichtet Thomas Karg, Category Direktor PSG bei HP Deutschland von einem positiven Beispiel.
Alle gemeinsam am runden Tisch
Egal, ob es sich bei einem geplanten Produkt um ein Smartphone, ein Tablet oder ein Notebook handelt: Kein Produzent ist in der Lage, die komplette Produktion nur mit Eigenkomponenten durchzuführen. Einige wenige große Konzerne wie Samsung sind zwar nahe dran. Doch auch Samsung ist auf Prozessoren, Grafikchips und das Betriebssystem eines Zulieferers angewiesen.
Obwohl in der Gesamtkreation jedes einzelne Teil wichtig ist, spielen bestimmte Komponenten eine herausragende Rolle. "Als primäre Einflussgrößen sind Betriebssystem und CPU zu bewerten. Diese beiden Komponenten bestimmen maßgeblich das Timing unserer Produkt-Roadmap", sagt FTS-Manager Landto. Und damit spricht er bestimmt auch für alle anderen Hersteller. Im Hauptprozessor- und Betriebssystembereich ist auch das Geben und Nehmen zwischen Gerätehersteller und Lieferant besonders augenscheinlich. Wird die neue Generation einer CPU oder eine neue Betriebssystemversion angekündigt, laufen im Hintergrund die Entwicklungsmaschinen der dazu passenden Hardwarehersteller bereits seit Monaten auf Hochtouren. Denn jeder will beim Launch relativ zeitnah zumindest mit einem Produkt im Markt auftauchen.
Das lassen sich die Chip- und Betriebssystemhersteller in Form von Marketingunterstützung etwas kosten. "Generell sind alle Hersteller auf bestimmte Komponenten angewiesen. Deshalb ist bereits vor der Entwicklung eine enge Abstimmung mit den jeweiligen Zulieferern erforderlich. Aufgrund der langjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern und der hohen Stückzahlen, die Acer im Markt absetzt, besitzen wir aber meist einen gewissen Einfluss und werden zum Teil auch eng in die Planungs- und Entwicklungsprozesse der strategischen Partner beziehungsweise Lieferanten mit einbezogen", sagt Acer-Manager Thom.
Der Mitsprachemöglichkeit der Hersteller von mobilen Endgeräten bei ihren Zulieferern sind allerdings Grenzen gesetzt. In bestimmten Fällen geht dies sogar so weit, dass sie sich an auf den Millimeter genau gesetzte Maß- und Boot-Zeit-Vorgaben eines Chipherstellers halten müssen, um Geräte in einer definierten Produktkategorie platzieren zu können. Das jüngste Beispiel sind Ultrabooks, deren Vorgaben von Intel genauestens definiert wurden. Der Nachteil für die Hersteller: extrem aufwendige Entwicklungsarbeit - der Vorteil: dabei sein und von Intels zusätzlichen Marketinggeldern profitieren.
Risiken lauern überall
Auch wenn sich alle an einem Produkt-Launch Beteiligten noch so viel Mühe geben, kann es in der Gesamtkomposition Probleme geben. "Die Entwicklung von Grafikprozessoren ist eine extreme Herausforderung. Vielleicht gibt es deshalb auch so wenige Unternehmen in diesem Bereich. Es können diverse Schwierigkeiten während des Entwicklungsprozesses auftreten. Diese reichen von unterschiedlichen Hard- und Softwareproblemen bis zur Fähigkeit, ausreichende Stückzahlen in beabsichtigter Qualität herzustellen", weiß Nvidia-Managerin Tatár.
An der Smartphone-Front liegen die Anforderungen wieder an anderer Stelle. Hier heißt es nicht "wie", sondern "wo". So kam zum Beispiel der sogenannte "Antennentodesgriff" in Verbindung mit dem iPhone 4 zu zweifelhaftem Ruhm. Wenn das Smartphone mit der linken Hand für ein Telefonat genutzt wurde, ging die Anzahl der Empfangsbalken in den Keller, und die Empfangsstärke fiel ab. Dank Medien und Internet verbreiten sich solche von den Verbrauchern negativ empfundenen Produkteigenschaften wesentlich rascher als die positiven. "Bei einem Smartphone steht die Telefonie, also die Verbindung, an erster Stelle. So ist es sehr wichtig, beim Entwerfen und Entwickeln des Designs nie Lage und Umgebung der Antenne aus den Augen zu verlieren" bringt es Sony-Mobile-Manager Bourdin auf den Punkt.
Unabhängig davon, ob ein Endanwender ein Gerät mit der linken oder rechten Hand bedient oder ob sich das Gerät gerade in einer Tunneldurchfahrt befindet, haben vor allem die Hersteller mobiler Geräte noch mit zwei weiteren großen Herausforderungen zu kämpfen: Platz und Wärme. Immer flacher und immer leichter, lautet hier vielfach die Devise. "Neben der effizienten Nutzung des zur Verfügung stehenden Raumes kommt auch der Wärmeentwicklung beziehungsweise Kühlung große Bedeutung zu. In unsere Ultrabooks und die Thin-and Light-Modelle sind viel Kreativität und Entwicklungsarbeit eingeflossen, um die perfekte Lösung zu finden. So werden zum Beispiel bei unseren aktuellen Ultrabook-Modellen die Tastaturzwischenräume dazu genutzt, Luft für die Kühlung zuzuführen", beschreibt Acer-Manager Thom einen der Tricks.
Komponenten, die vor allem in mobilen Geräten immer näher zusammenrücken müssen, bergen zahlreiche Gefahrenquellen. Und jede einzelne sollte ausgeschaltet werden, bevor ein Produkt zur Marktreife kommt. Gleichzeitig gilt es, negativen äußeren Einflussfaktoren durch die Benutzung weitestgehend vorzubeugen. "Bei der Zusammenstellung der technischen Komponenten geht es um Themen wie optimale Thermik - insbesondere bei flachen Formfaktoren -, um die perfekte Anordnung von Schnittstellen, Abschirmung von Antennen sowie um Zuverlässigkeit bei Sturz oder mechanischen Einwirkungen", zählt Toshiba-Manager Willigens auf.
Ist ein Produkt im Endstadium der Produktion, lassen die Hersteller sowohl interne als auch externe Tests durchführen. Hier nehmen sie Kunden und Vertriebspartner in die Pflicht. "Jedes Smartphone und auch Zubehör unterliegen sehr strengen eigenen Tests, die schonungslos und aufwendig sind. Nur wenn diese bestanden sind, wird das Produkt im Anschluss beim Netzbetreiber, der es ausliefert, getestet. Aber auch bei Microsoft und Google werden unsere Smartphones noch überprüft", beschreibt HTC-Manager Lönne das Vorgehen. Dass dann ein Produkt kurz vor der Markteinführung zurückgenommen wird, muss aber nicht unbedingt an schlechten Produkttestergebnissen liegen, weiß Lenovo-Manager Fauser: "Dass sich der Markteintritt eines Produktes erheblich nach hinten verschiebt, kommt immer wieder vor. Zumeist liegt es daran, dass Produkte in der Entwicklung weit vorangeschritten sind, man dann aber feststellen muss, dass im Markt noch kein ausreichender Bedarf besteht. So kann es auch sein, dass ein Produkt gar nicht gelauncht wird." (bw)