Was Egoismus in Wirklichkeit bedeutet

Vom Team zum Ego und wieder zurück

30.10.2014 von Renate Oettinger
Der Teamplayer ist aus erfolgreichen Unternehmen nicht wegzudenken, der Egoist hingegen ist verzichtbar. Doch das stimmt so nicht, denn mit einfacher Schwarz-Weiß-Malerei ist es nicht getan, sagt Michael Hübler.

Wenn sich ein Projektteam ein neues Marketingprodukt ausdenken soll, wird der Erste von der Kreativität angezogen. Nach seiner Vorstellung hat das Produkt ausgefallen zu sein. Der Zweite sieht das Zielprodukt. Ob dieses etwas Besonderes wird oder nicht, spielt keine große Rolle. Wichtig ist vielmehr, dass es sich gut verkaufen lässt. Dazwischen gibt es eine Vielzahl von Facetten weiterer Interessen. Zusammengenommen wirken all diese Interessen und Motive wie ein einzigartiges Superhirn. Ohne den Tüftler (der gern das Endprodukt vergisst) würde das Endergebnis schnell zu einem 08/15-Produkt verkommen. Ohne seinen zielorientierten Kollegen käme es zu einem Produkt, das komplett an den Interessen der Kunden vorbeigeht.

Ziele sind nicht das Endergebnis, sondern eine Möglichkeit, seine eigenen Interessen zu verfolgen.
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Die Interessen hinter Zielen gehen von Prestige über Kreativität bis hin zu sozialen Aspekten. Der eine oder andere wird die intensive Arbeit in einem Projektteam seinem langweiligen Schreibtisch definitiv vorziehen. Unsichere Menschen werden alle Hebel in Gang setzen, an ihrem geliebten und bekannten Schreibtisch zu bleiben.

Zielfindungsgespräche

Nach dieser Lesart sind Ziele nicht das Endergebnis, sondern eine Möglichkeit, seine eigenen Interessen zu verfolgen. Erst wenn dies in Zielfindungsgesprächen berücksichtigt wird, können Ziele motivationsgestaltend wirken, da sie für die persönlichen Motive und Interessen einen klaren Rahmen abstecken, der sonst orientierungslos bliebe.

Hier begegnen wir zum ersten Mal dem oftmals falsch verstandenen Wörtchen Egoismus. Natürlich verfolgen wir mit jedem Ziel eine Absicht. Und natürlich steckt hinter dieser Absicht - was sonst - eine gehörige Portion Egoismus. Muss dies gleich schlecht sein?

Wie wäre es, Ihre Mitarbeiter dazu zu bringen, die eigenen Ziele im besten Sinne des Unternehmens egoistisch zu verfolgen? Vermutlich wären sie motiviert bis in die Haarspitzen! Der sozial-orientierte Mitarbeiter könnte ganz egoistisch seinen Kommunikations-Zielen frönen, indem er die Truppe beisammenhält. Der kreativ-orientierte Mitarbeiter wäre höchst beglückt, wenn er nur vor sich hin forschen dürfte. Und der statusorientierte Kollege dürfte die Ergebnisse vor dem Entscheidungsgremium präsentieren.

Dass sich solche Rollenverteilungen mit genügend Zeit automatisch ergeben, ist eine Binsenweisheit. Doch was, wenn es schnell gehen muss? Denken Sie an ein Projektteam, das innerhalb weniger Wochen die ersten Ergebnisse präsentieren soll. Oder denken Sie an die typischen ersten hundert Tage als Führungskraft.

Erster Eindruck

Und wenn Sie glauben, Sie hätten genug Zeit, Ihr Auftreten im Unternehmen langsam anzugehen, sollten Sie ein paar Minuten Kindern zuhören, wenn diese zu Schuljahresbeginn mit den Erzählungen über ihre neuen Lehrer nach Hause kommen. Ein Lehrer bekommt etwa fünf Minuten für den ersten Eindruck:

In der restlichen Stunde wird dieses Bild verfeinert:

Der Rest des Schuljahres ist damit (beinahe) Makulatur.

Es mag dramatisch oder unfair erscheinen, innerhalb weniger Momente von anderen auf eine Rolle festgelegt zu werden. Nichtsdestotrotz liegen die Kinder damit oftmals erstaunlich richtig, wenn es um die Einschätzung sozialer Werte wie Fairness geht.

Dabei kann diese Vorstellung auch entlastend sein, wenn Sie sich vergegenwärtigen, ohne sich groß ins Zeug legen zu müssen, mit Ihrer Präsenz zu punkten. Es ist wie so oft im Leben alles eine Frage des Blickwinkels.

Rollenaufteilungen im Team

Auf der anderen Seite steht das Team. Hier sind Sie als Führungskraft gefragt, Rollenaufteilungen, die sich nicht von allein oder zu langsam ergeben, zu forcieren, indem Sie erkennen, welcher Mitarbeiter wie ticken könnte, und wie Sie emotional kompetent darauf eingehen sollten.

Ziele sind nur motivierend, wenn sie eine individuelle Bedeutung haben. Dabei bilden Zielformulierungen die bewusste Brücke zu unseren unbewussten Werten und Bedürfnissen. Der Satz ›Wenn ich täglich einen Artikel zum Thema XY lese, erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit, meine Bildung voranzutreiben‹, ist daher wesentlich zielorientierter als das bloße Ziel ›Ich möchte mich weiterbilden‹. Doch bevor Sie mit Wie- und Was-noch-Fragen in Richtung Zielformulierung gehen, sollten Sie Ihren Zielen mit Warum-Fragen auf den Grund gehen.

Bei der Umsetzung Ihrer Ziele gilt letztlich die Regel, besser in die richtige Richtung gehen, als gar nichts tun. Daher führen Stufenpläne zu einem enormen Motivationsschub.

Das Buch zum Thema:
Michael Hüble: Mitarbeitermotivation. Die neue Lust auf Leistung, BusinessVillage, Oktober 2014, 188 Seiten,

Michael Hübler wurde 1972 in Geislingen/Steige geboren. Nach dem Studium der Diplom-Pädagogik und einer leitenden Funktion in einer Non-Profit-Organisation kam er 2006 dort an, wo er sich am wohlsten fühlt: auf dem freien Markt. Der Coach, Trainer und Berater arbeitet und lebt zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern in Fürth/Franken. Neben seinen Buchveröffentlichungen verfasst er regelmäßig Blog-Artikel. Seine Themenschwerpunkte sind Emotionale Kompetenzen, Führung und Kommunikation.