Noch nie hat es ein IT-Produkt gegeben, das in so kurzer Zeit in allen Kundensegmenten eine solche Marktdurchdringung geschafft hat wie die Tablets. Regelmäßig heben Marktforscher die Prognosen für die weltweiten Verkaufszahlen an. Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz.
Und wie es eben so ist mit neuen Märkten: Zu Anfang trauen sich nur ein paar Mutige. In diesem Fall war es mit Apple nur ein einziger Hersteller, der das neue Marktsegment "Tablets" am 3. April 2010 mit dem Verkaufsstart des ersten iPad eröffnete. Die ersten Besitzer wurden von Freunden und Kollegen neidisch beäugt.
Heute klettern Mia und Ben bei der Fahrt zur Oma in ihre Autokindersitze, und auf jedem liegt ein Tablet - es muss ja nicht gleich ein iPad sein. Filme, Spiele und Musik sollen Vater und Mutter ein wenig Ruhe während der Fahrt bescheren. Um eine der Marktveränderungen in diesem Zusammenhang gleich vorwegzunehmen: Es gibt mittlerweile deutlich günstigere Tablets als das iPad - aber auch weitaus teurere.
Eine Auswahl an verschiedenen Betriebssystemen, unterschiedlichen Prozessoren und neuen Formfaktoren ermöglichen es den Herstellern mittlerweile, nicht nur ein breites Preis-, sondern auch ein breites Anwendungsspektrum anzubieten. Und viele Consumer- und Business-Kunden stehen vor der Qual der Wahl. Vor allem Geschäftskunden, die seit den Anfängen mangels Auswahlmöglichkeit auf das iPad setzten, fassen mittlerweile auch Tablets mit anderen Betriebssystemen ins Auge. Und vor allem Windows 8 soll nicht nur im Consumer-Segment einen Schub geben. Viele Hersteller setzen auf das neue Microsoft-Betriebssystem im Hinblick auf die Windows-Infrastruktur ihrer Geschäftskunden. Smartphone, Notebook und Tablet - so sehen sie den erfolgreichen mobilen Arbeiter am liebsten.
Ein friedliches Miteinander
"Unser Tablet-Angebot ist eine sinnvolle Ergänzung unseres Produktportfolios. Wir beobachten häufig, dass unsere Kunden über mehrere Geräte verfügen. So wird ein Tablet-Besitzer nicht zwangsläufig auf ein Notebook , und insbesondere in Business-Umgebungen sind Notebooks und der klassische PC ein wichtiger Teil der technischen Infrastruktur", fasst Verena Schlemmer, Product Managerin Commercial Notebooks bei Acer, zusammen.
Neue Anwendungsszenarien sind es, die die Hersteller in diesem Zusammenhang anführen. Das Notebook ist zu groß, ein Smartphone zu klein. Ein Hersteller, der mit seinen Stylistic-Modellen bereits seit über 20 Jahren Erfahrungen im Tablet-Segment gesammelt hat, muss es ja wissen: "Früher wurde der Tablet-PC hauptsächlich in Umgebungen wie Lager/Logistik, Versicherungsbranche und Medizin eingesetzt. Nun hat er auch seinen Weg in den Büroalltag gefunden. Auch wenn Tablets die Notebooks teilweise ersetzen, sind die Absatzmöglichkeiten von Notebooks und Tablets in der Summe deutlich gewachsen, da unterschiedliche Einsatzszenarien beide Bereiche rechtfertigen", sagt Jörg Brünig, Senior Director Channel and Retail bei der Fujitsu Technology Solutions GmbH, der die Entwicklung verfolgt.
Auch für die Notebooks aus den Asus-Werken besteht laut Jörg Wissing, Product Manager bei der Asus Computer GmbH, keine Gefahr durch Konkurrenz aus den eigenen Tablet-Reihen: "Nein, hier ist sogar das Gegenteil der Fall: Tablets kannibalisieren den Notebook-Markt nicht, vielmehr sind sie für uns ein Zusatzgeschäft. Einige Kunden haben deswegen den Netbooks den Rücken gekehrt, aber im Wesentlichen haben Tablets ein weiteres Marktsegment eröffnet und den Markt belebt."
Ob in Zukunft überhaupt noch ein klarer Unterschied zwischen Tablets und Notebooks gemacht werden kann, darüber ist sich Lars Schweden, Business-Manager Consumer-Notebooks bei Lenovo, mittlerweile schon gar nicht mehr so sicher: "Insbesondere aufgrund der Einführung der Hybridmodelle erwarten wir eine steigende Nachfrage im Tablet-Markt. Gleichzeitig wird das Thema Tablet durch die Einführung von Windows 8 mehr an Bedeutung gewinnen, insbesondere bei den Business-Kunden, die bisher zögerlich waren. Damit besitzen die kommenden Hybrid-Tablets bereits die Fähigkeiten von leistungsfähigen Notebooks, und die Grenzen zwischen den Tablets verschwimmen weiter."
Die Auswahl ist groß - und verwirrend
Ob sich ein Tablet eher dem Business- oder dem Consumer-Umfeld zuordnen lässt, hängt bisher noch überwiegend vom Betriebssystem des Gerätes ab. Während sich die meisten großen Hersteller auf beide Kundensegmente eingestellt haben, setzen einige von ihnen einen klar definierten Fokus auf nur eine Zielgruppe. "Mit der Gerätefamilie Ativ konzentrieren wir uns schon jetzt auf zwei besonders vielversprechende Segmente: den mobilen User, der jederzeit auch unterwegs seine Inhalte nutzen möchte, und den Business-Profi, der Wert auf die Vorteile seines Notebooks legt. Damit entsprechen wir dem Trend, private und berufliche Inhalte auf fest installierten und mobilen Geräten gleichermaßen zu nutzen," erklärt Jens Böcking, Manager Product Marketing Mobile Computing, bei der Samsung Electronics GmbH.
Klar definierte Kundengruppen benennt auch der Hersteller Asus für seine verschiedenen Geräte. "Das Transformer Pad TF300T und das Transformer Pad Infinity TF700T fokussieren das Consumer-Segment. Das Einstiegssegment adressieren wir mit dem Nexus 7, das Asus gemeinsam mit Google entwickelt hat. Die kommenden Startprodukte VivoTab auf Basis von Windows 8 und das VivoTab RT werden für zusätzliche Kaufimpulse sorgen - im Consumer-Bereich wie auch im Geschäftsumfeld", umfasst Asus-Manager Wissing das Angebot.
Auch Acer spricht mit seinen Tablet-Modellen sowohl Privat- als auch Geschäftskunden an: "Dabei haben unsere Anwender eines gemeinsam - sie wünschen sich leistungsstarke und portable Geräte, die sie bei der Bewältigung ihrer täglichen Aufgaben unterstützen und Unterhaltung mobil machen", ergänzt Acer-Managerin Schlemmer.
Mit diesen Fragen zum richtigen Tablet
Um den richtigen Tablet-PC für den Kunden zu finden, sollten Händler im Verkaufsgespräch einige Dinge klären. ChannelPartner hat die Hersteller gebeten, die wichtigsten Fragen zu nennen, die zum passenden Tablet führen:
- In welchem Rahmen liegt das Budget?
- Welche Funktionen sind die wichtigsten, und worauf kann verzichtet werden?
- Wie technologisch versiert ist der Kunde?
- Welche Rolle spielt der Punkt Datensicherheit?
- Wird das Gerät eher genutzt, um Inhalte zu konsumieren, oder will man überwiegend produktiv arbeiten?
- Wird das Gerät nur in den eigenen vier Wänden genutzt oder auch außerhalb eines WLAN-Netzes?
- Inwieweit soll auf Daten anderer Endgeräte zugegriffen werden?
- Soll das Gerät in ein Unternehmensnetzwerk integriert werden? Wenn ja, welche Anforderungen bestehen dabei?
- Bestehen bestimmte Softwareanforderungen?
- Wie wichtig sind Gewicht, Akku-Laufzeit und Größe? (bw)
Noch nicht so ganz auf Business-Kunden hat sich der Hersteller Toshiba eingestellt, der sich im Gegensatz dazu als einer der Notebook-Pioniere im Geschäftskundenumfeld einen Namen gemacht hat. "Mit unseren Media-Tablets AT300 und AT270 fokussieren wir vorwiegend Kunden, die in erster Linie den Konsum von Inhalten und weniger die Kreation von umfangreichem Content im Auge haben. Dabei geht es beispielsweise um Internetznutzung, Betrachtung von Videos und Filmen oder Skypen - und somit um Privatanwender", nennt Gabriel Willigens, Head of Product Marketing, die aktuelle Strategie.
Zwei große Hersteller, die bereits seit Jahren Erfahrungen im Tablet-Markt sammeln, sind Fujitsu und HP. Dass sich diese beiden Hersteller mit ihren Produkte ganz klar im Geschäftskundenumfeld platzieren, ergibt Sinn, da sie als Vollsortimentanbieter mit ihren Tablets das Angebot gegenüber ihren Kunden sinnvoll ergänzen können. "Wir sind seit vielen Jahren mit unseren Convertible-Notebooks der Lifebook-T-Serie und Stylistic-Tablet-PCs bei Business-Anwendern bekannt. Diesen Fokus behalten wir bei, was sich in der Vielzahl von Features in unseren Geräten zeigt", so Fujitsu-Manager Brünig.
Hewlett-Packard, das seit Jahren mit den "Slate"-Tablets gute, aber mit dem HP TouchPad auch schlechte Erfahrungen im Tablet-Markt gemacht hat, hat ebenfalls ein neues Modell für Business-Kunden angekündigt, das sich auf Wunsch mit einer Tastatur verbinden lassen und auch sonst ziemlich wandlungsfähig sein soll. "Derzeit steht bei HP in puncto Tablet-PCs das Business-Segment mit dem HP ElitePad 900 im Fokus. Dieses wird voraussichtlich im Januar 2013 auf den deutschen Markt kommen", kündigt Carsten Schröder, Business Manager Notebooks bei der Hewlett-Packard PPS Deutschland, an.
Keine Angst vor B-Brands
Während die A-Brands also eine klare Strategie hinsichtlich der Produkte und Kundengruppen haben, ist vor allem im vergangenen Jahr eine Vielzahl kleinerer, teilweise neuer Hersteller ebenfalls auf den Tablet-Zug aufgesprungen. Und deren Strategie heißt ganz klar "Internet und Multimedia für Consumer". Die von IDC für dieses Jahr angehobene Prognose für 2012 begründet der Marktforscher vor allem mit einer großen Nachfrage nach Media-Tablets im zweiten Halbjahr.
Da bei vielen Privatkunden die Internet- und Multimedia-Anwendungen wohl im Vordergrund stehen, sollte diese Prognose die A-Brand-Hersteller eigentlich beunruhigen. Tut sie aber nicht. Toshiba-Manager Willigens sieht einer möglichen Bedrohung durch B-Brands gelassen entgegen: "Eine ähnliche Entwicklung konnte man vor gut zehn Jahren im Notebook-Segment beobachten. Verzeichnet ein Marktsegment große Wachstumsraten, möchte sich jeder etwas vom Kuchen abschneiden. Die Konsumenten haben ihre Erfahrungen gemacht und wissen heute, wie wichtig Qualität gerade im Umgang mit mobilen Endgeräten ist. Sie möchten die Daten ihres alltäglichen Lebens in Sicherheit wissen und nicht darauf verzichten müssen. Bei A-Brands wissen sie sich in guten Händen, das belegen auch die geringen Verkaufszahlen der B-Brands."
Neben den steigenden Qualitätsansprüchen der Privatkunden legt Fujitsu-Manager Brünig noch ein weiteres Argument in die A-Brand-Waagschale: "Da unser Fokus auf dem höherwertigen Business-Segment liegt, sind unsere Berührungspunkte mit den B-Brand-Anbietern sehr gering. Die Frage ist interessant, ob B-Brands auf Dauer bestehen bleiben. Denn immer mehr Endanwender werden ihre Geräte in Firmenumgebungen integrieren wollen - Stichwort Bring Your Own Device -, und dann zählen nur noch Faktoren wie Sicherheit, Integrierbarkeit und Flexibilität, kombiniert mit einem schicken Design."
Windows 8 als neuer Marktmotor
Auch wenn die großen Hersteller keine Angst haben, dass ihnen kleinere Anbieter bei den Absatzzahlen gefährlich werden könnten, so steht bereits ein neuer Tablet-Hersteller in den Startlöchern, der nicht zu unterschätzen ist: Ähnlich wie Apple ist auch Microsoft die Strategie gefahren, erst in letzter Sekunde die Katze aus dem Sack zu lassen. Der Software-Gigant gab am 18. Juni 2012 mit "Surface" seinen Einstieg ins Tablet-PC-Geschäft bekannt. Die bisher unter diesem Namen bekannten interaktiven Computer im Tischformat mit Touch-Bedienung wurden kurzerhand in "PixelSense" umbenannt.
Viele A-Brands erklärten zu dieser Zeit in Gesprächen mit ChannelPartner, dass auch sie diese Ankündigung überrascht habe. Teilweise habe es auch dazu geführt, dass sie ihre Tablet-Modellstrategie kurzfristig hätten überarbeiten müssen. Zu öffentlichen Stellungnahmen waren im Juni nur wenige bereit, da Microsoft zum damaligen Zeitpunkt keine klaren strategischen Aussagen gemacht hatte. Die allgemeine Stimmung konnte man jedoch eher als "not amused" bezeichnen.
Heute, ein Vierteljahr später: "Zum einen sehen wir Wettbewerb generell als einen gesunden und wünschenswerten Zustand. Zum anderen wird sich eine starke Verbreitung Windows-basierter Hardware in einer dynamischen Entwicklung passender Applikationen und Inhalte niederschlagen. Das kommt allen Marktteilnehmern und insbesondere den Kunden zugute", so Samsung-Manager Böcking mit Blick auf die positiven Aspekte.
Nachdem die Hersteller den ersten Schock verdaut haben, scheint die Ungewissheit in Verbindung mit der Konkurrenz ihres größten Softwarelieferanten nur noch Makulatur zu sein. Während der Softwareverkauf für Microsoft durch die OEM-Hersteller quasi von selbst läuft, will der Hardwareverkauf in einem umkämpften Markt erst mal gelernt sein. Tablets sind ein anderes Kaliber als Mäuse. "Dadurch, dass Microsoft selbst das Hardwarevermarktungsrisiko trägt, wird ein besonderer Fokus auf der erfolgreichen Positionierung und Vermarktung von Windows RT liegen. Das kann für den gesamten Markt nur positiv sein", meint Toshiba-Manager Willigens.
Auch Fujitsus Channel-Chef Brünig ist voll des Lobes: "Wir sehen dem Ganzen sehr positiv entgegen. Microsoft wird mit seiner Markt-Power sicher den Markt für Tablets aufbereiten und das Thema noch erfolgreicher machen. Fujitsu glaubt aber nicht, dass Microsoft eine klare Konkurrenzstrategie zu den bestehenden Hardwareherstellern fährt. Das Kerngeschäft von Microsoft liegt ganz deutlich im Softwareverkauf. Grundsätzlich war aber die Ankündigung des Microsoft-Tablets ein genialer Schachzug. Alle Welt hat davon Kenntnis genommen, und somit ist auch das neue Betriebssystem Windows 8 in aller Munde." Auch Mia und Ben werden sich über die bunte Metro-Oberfläche auf ihren neuen Tablets freuen. (bw)