Kundendatenmanagement und Digitalisierung

Vom Golden Customer Record zum Golden Customer Profile

09.02.2016 von Wolfgang Martin und Roland Pfeiffer
Eine digitale Transformation allein wird keine Wettbewerbsvorteile bringen. Wirkliche Wettbewerbsvorteile bringt nur eine konsequente Kundenorientierung. Die wiederum ist ohne professionelles Kundendatenmanagement nicht zu erreichen.

Das ist das Resümee einer bereits im Oktober 2015 veröffentlichten Studie von Accenture: “Nur fünf Prozent der befragten Unternehmen glauben, dass eine Digitalisierung allein ihnen einen Wettbewerbsvorsprung gibt.“ Wettbewerbsvorteile erreicht man in der Tat mit einer Kundenorientierung oder, wie man bei Forrester sagt, "Kunden-Besessenheit".

Richtig erhobene und analysierte Kundendaten können zum Golden Profile führen.
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Aber Kundenorientierung braucht Digitalisierung, denn der Kunde von heute ist zum digitalen Kunden geworden, der sich über seine digitale Vernetzung und Kommunikation definieren lässt. Er nutzt unterschiedliche digitale Plattformen - nicht nur Facebook - und hinterlässt seine Spuren in der digitalen Welt. Diese Spuren verteilen sich so über die unterschiedlichen traditionellen und neuen Kanäle zum Kunden. Diese Spuren zu identifizieren, zu interpretieren und zu nutzen, ist somit eine der wesentlichen Aufgaben bei der Digitalisierung von Kundenorientierung. Das Ziel ist es, per Kundenerlebnismanagement den Kunden zu begeistern und im Effekt zum treuen Kunden zu machen.

Kundendatenmanagement - Basis der Digitalisierung von Kundenorientierung

Digitalisierung im Kontext von Kundenorientierung beginnt daher mit Kundendatenmanagement. Eine 360°-Sicht auf den Kunden ist zwar schon immer das Ziel von Kundendatenmanagement gewesen, aber mit Blick auf den digitalen Kunden heute unabdinglich. Denn der digitale Kunde erwartet ein Kundenerlebnis, welches seinen Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Das bedeutet, man muss ein tiefgehendes Wissen über seine Kunden aufbauen.

Mit anderen Worten: Man braucht vollständige und verlässliche Kundendaten. Die müssen quer über alle Kanäle kontinuierlich erfasst und mit externen demografischen, soziografischen, firmografischen, geografischen und auch anderen Daten angereichert und stets aktuell gehalten werden. Die Digitalisierung bietet mit Big Data jetzt zusätzlich viele neue Quellen wie Social Media, Blogs, Foren, Internetseiten, Lokalisierungs- und Navigationsdaten sowie viele andere, die alle zu evaluieren sind und entsprechend zur Anreicherung dienen können.

Kundendatenmanagement im Rahmen der Digitalisierung bedeutet also, aus Big Data "Smart Data" zu machen. Das heißt, seine Kundendaten nicht nur aktuell zu halten, sondern auch neue Daten und Datenquellen kontinuierlich und schnell den jeweiligen Kunden zuzuordnen. Nur so kann man sich stetig einer 360°-Sicht auf den Kunden annähern und entsprechend im Sinne von Kundenorientierung smart handeln. Big Data so genutzt, dass man diese 360°-Sicht bekommt, gibt Smart Customer Data. Smart ist dabei das Synonym für einfach, intelligent und effizient.

Smart bedeutet aber auch eine bimodale Umsetzung der entsprechenden Projekte, denn die IT eines digitalen Unternehmens muss bimodal, also mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten arbeiten können: sowohl agil als auch stabil beziehungsweise traditionell. Das erfordert neue Wege in Bezug auf Systemarchitektur, Werkzeuge und Projektmethodik. Zu Beginn der unternehmensweiten Herstellung einer 360°-Sicht auf den Kunden sowie bei der Umsetzung von vollkommen neuen Marktanforderungen ist ein agiler Ansatz oft sinnvoll um im Projekt schnell voranzukommen, um "Quick Wins" zu ermöglichen und um die internen und externen Anforderungen möglichst gut zu treffen. Anderseits ist es bei fortschreitender Realisierung in der Regel angebracht, die Systeme in einen "stabilen" Modus zu überführen. Insbesondere wenn die Verfügbarkeit der neuen Anwendungen unternehmenskritisch wird, oder es um die Integration mit traditionellen Systemen geht.

Insofern ist es wesentlich darauf zu achten, dass die einzusetzenden Werkzeuge einen bimodalen Ansatz unterstützen und dass das Projektteam, das die Systeme umsetzt, über Erfahrung in agilen und in traditionellen Customer-Data-Management-Projekten verfügt. Die Frage beim Aufbauen einer zentralen 360°-Sicht auf den Kunden lautet also nicht "agil oder traditionell" - sondern smart, also sowohl als auch.

Kundenstammdatenmanagement - der Golden Customer Record

Datenmanagement basiert bekanntlich auf Stamm- und Metadatenmanagement, was im Wesentlichen dazu dient, die richtigen Daten mit dem richtigen Kunden zu verknüpfen. Dabei sind zwei Aufgaben zu lösen. Zuerst müssen die unterschiedlichen Datensilos, in denen sich jeweils pro Kanal oder auch nach anderen Kriterien geordnete Kundendaten befinden, zusammengeführt werden. Das geschieht mit Hilfe von Datenintegrationsmethoden, auf die wir gleich zurückkommen werden.

Gleichzeitig muss die Frage beantwortet werden, welche Spuren in welchem Kanal zu welchen Kunden gehören. Das ist vor allem im Big Data keine einfache Aufgabe, denn Kunden surfen zum Teil unter Pseudonymen und machen auch nicht immer konsistente Angaben über sich. Hier setzt Customer Entity Resolution an. Sie hat zur Aufgabe, Unternehmen bei diesen Herausforderungen im Umgang mit Kunden-Identitätsdaten zu helfen. Das bedeutet Daten, die spezifisch und korrekt einen Kunden, einen Lieferanten, einen Interessenten, einen Meinungsmacher, einen Patienten, einen Steuerzahler oder einen Kriminellen quer über die unterschiedlichen Quellen betreffen, zu identifizieren.

Das Ergebnis ist dann der sogenannte Golden Customer Record, in dem alle Daten aus allen unterschiedlichen internen und externen Datenquellen, geordnet nach verschiedenen Kundendatentypen, zusammengefasst werden. Zu den Kundendatentypen gehören typischerweise beschreibende Kundendaten, Kunden-Charakteristika, Kunden-Interaktionsdaten und Kunden-Transaktionsdaten.

Der Golden Customer Record ist also ein Kundenstammdatensatz, der die Attribute eines Kunden aus allen Datenquellen vereinigt; er ist somit die Grundlage für eine 360°-Kundensicht. Er enthält auch die Links zu allen Stammdatensätzen in den verschiedenen Datenquellen, in denen Attribute aus dem Golden Record verwendet werden. So kann sichergestellt werden, dass bei der Änderung eines Attributs in einer beliebigen Datenquelle diese Änderung in allen anderen betroffenen Quellen nachgezogen wird. Die Stammdaten bleiben konsistent und brauchen nicht physikalisch bewegt und damit redundant gespeichert werden.

Aus dem Golden Record wird ein Golden Profile

Technisch gesehen gibt es verschiedene Ansätze, eine 360°-Kundensicht aufzubauen:

Die Golden Records, also die über die unterschiedlichen Datenquellen integrierten und qualitätsgesicherten Kundenstamm- und Metadaten werden in einem Repository verwaltet, dem sogenannten „Smart Customer MDM“. Im Golden-Profile-Ansatz brauchen diese Stammdatensätze nicht mehr unbedingt in die Quellen zurückgeschrieben werden, können es aber, wenn gewünscht. Gleichzeitig werden die Golden Records um Transformationsregeln ergänzt, die den Zugriff auf Interaktions- und Transaktionsdaten in den verschiedenen Datenquellen beschreiben. So wird aus jedem Golden Record ein Golden Profile. Die Golden Profiles ergeben einen virtuellen Datamart, der jetzt analytischen Applikationen oder Marketinganwendungen als virtuelle, integrierte Datenquelle mit 360°-Sicht dient. Mittels des Golden Profiles weiß die jeweilige Anwendung, welche Kundendaten sich wo befinden und wie man darauf zugreift. Zusätzlich können solche Datenzugriffe auch noch durch Datenservices erweitert werden, die beispielsweise noch ein weiteres Filtern oder ein Data Cleansing durchführen können.
Foto: Dr. Wolfgang Martin

Technologien zum Aufbau eines Golden Customer Profiles kommen aus dem Umfeld von Stammdatenmanagement und Datenvirtualisierung. Man findet solche Technologien bei den Marktführern wie Informatica, als OpenSource bei Talend, bei Unternehmen, die neu in den DACH-Markt wollen wie Denodo, und es gibt auch schon fertige Lösungen wie bei Uniserv.

Vorteile des Golden Customer Profiles

Ein Golden Customer Profile bietet bereits Vorteile im Performance Management. Kennzahlen, die Kunden-Charakteristika, Kundenverhalten und Kundenprofitabilität beschreiben und messen, können jederzeit einfach und schnell auch in den Fachabteilungen im Rahmen von Self-Service BI definiert und implementiert oder auch geändert oder ergänzt werden. So kann man den digitalen Kunden und seine manchmal sprunghaften Wesensänderungen und Verhaltensmuster besser verstehen und entsprechend smart und schnell agieren und reagieren. Über den direkten Zugriff auf Interaktions- und Transaktionsdaten bekommt man diese Kennzahlen auch in nahezu Echtzeit, was mit traditionellen Data Warehouse-Konzepten nicht machbar ist, aber heute eine wesentliche Voraussetzung für Kundenerlebnismanagement in der digitalen Welt ist.

Im Bankwesen, einer Branche, in der die Digitalisierung als überlebenswichtig gilt, gibt es aktuell viele Projekte, ein Golden Customer Profile aufzubauen. Als Beispiel sei hier die US-Bank Wells Fargo genannt. Charles Thomas ist dort Chief Data Officer (CDO). Zu seinen Aufgaben im Rahmen der Digitalisierung der Bank gehört es, eine solche gemeinsame Kunden-Identifikation aufzubauen. Das Problem sind verschiedene Definitionen eines Kunden - das ist nicht nur bei Wells Fargo so. Nun wird eine gemeinsame Sicht aufgebaut, indem man horizontal schaut und sich fragt: Wie kann man diese unterschiedlichen Kundendefinitionen so vereinheitlichen und zusammenfassen, damit man beispielsweise einen relevanten Dialog mit der richtigen Person in einem Haushalt führen kann? Warum werden mehrfach Mailings für ein Produktangebot an ein und denselben Haushalt geschickt? Nur weil nicht die geeignete Definition eines Kunden oder einer gemeinsamen Kunden-ID zur Verfügung steht?

Die Digitalisierung von Kundendatenmanagement ist also die Voraussetzung für die richtige Ansprache des digitalen Kunden. Sie ist aber auch aus aufsichtsrechtlichen Anforderungen notwendig. So löst die in Frankfurt ansässige DZ BANK (Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank) definierte Herausforderungen im Rahmen der Umsetzung der regulatorischen Vorgaben BCBS (Basel Committee for Banking Supervision) 239, Paragraph 33, indem eine Anwendung für das Matching von Geschäftspartnern implementiert und in das prozessuale und technische Umfeld der DZ BANK integriert wurde. In diesem Programm wird beispielsweise die Uniserv-Lösung Smart Customer MDM eingesetzt.

Weitere Vorteile ergeben sich wie schon angedeutet für Marketing- und analytische Applikationen wie Predictive Analytics. Bei Anwendungen wie Risikomanagement und Missbrauchsbekämpfung kommt es besonders im Finanzwesen auch auf Echtzeitdaten an. Hier schafft ein Golden Customer Profile die Basis.

Fazit

Eine konsequente Kundenorientierung schafft nachweislich Wettbewerbsvorteile. Im Zeitalter des digitalen Kunden wird heute die Digitalisierung aller Maßnahmen im Rahmen von Kundenorientierung notwendig. Das beginnt mit der Digitalisierung des Kundendatenmanagements. Die immer diskutierte und geforderte 360°-Kundensicht muss jetzt definitiv aufgebaut werden. Dazu dient der sogenannte Golden Customer Record.

Allerdings hat sich gezeigt, dass ein traditionelles Vorgehen hier zu sehr komplexen, damit langwierigen und ressourcenintensiven Projekten führt, die vielfach auch an den politischen Strukturen in traditionellen Unternehmen gescheitert sind. Eine insbesondere an die Anforderung von Digitalisierung - smart = einfach, intelligent und effizient - angepasste alternative Lösung bietet ein bimodaler Ansatz, der erlaubt sowohl agil als auch stabil, beziehungsweise traditionell zu implementieren. Das erlaubt eine konsequente Weiterentwicklung des Golden-Customer-Record-Ansatzes zu einem Golden Customer Profile. Hier werden Methoden und Technologien des Stamm- und Metadaten-Managements mit Datenvirtualisierung verknüpft.

Ein erster Vorteil dieses Ansatzes sind einfacher strukturierte, politisch entschärfte Projekte, die deutlich schneller umsetzbar sind, eine wichtige Eigenschaft von Digitalisierung. Weitere Vorteile bestehen in der Agilität der Lösung. Sie eignet sich beispielsweise als Basis für Self-Service-BI, um den Fachabteilungen zu ermöglichen, Kennzahlen zum Kundenverhalten agil zu ergänzen, zu ändern, zu verwerfen oder auch neu zu erfinden. Das Golden Customer Profile bietet zudem auch einen konsistenten, qualitätsgesicherten Zugriff auf Transaktions- und Bewegungsdaten in Nahe-Echtzeit. Das ist insbesondere wichtig für innovative Predictive-Analytics-Lösungen oder Marketinganwendungen, die man auf die jeweiligen virtuellen Datamarts aufsetzen kann, die von den Golden Customer Profiles gebildet werden. Mit den Golden Customer Profiles schafft man sich ein flexibles, agiles und smartes Kundendatenmanagement, oder mit anderen Worten: die Digitalisierung von Kundendatenmanagement. (bw)