Polycom-Chef Kay Ohse

"Visuelle Kommunikation wird die Killerapplikation"

30.03.2011
Videokonferenzsysteme sind längst nicht mehr nur Nischenprodukte und isoliert zu betrachten, erklärte Kay Ohse, Polycom Vice President Area Sales für Central EMEA, in einem Gespräch mit ChannelPartner.Vorspann

Videokonferenzsysteme sind längst nicht mehr nur Nischenprodukte und isoliert zu betrachten, erklärte Kay Ohse, Polycom Vice President Area Sales für Central EMEA, in einem Gespräch mit ChannelPartner.

CP: Herr Ohse, Videokommunikation ist heute nicht nur im Fernsehen bei Berichten über Krisenherde oder Katastrophen wie die in Japan sehr präsent, sondern auch in zahlreichen Unternehmen. Sie sind jetzt seit über fünf Jahren bei Polycom. Was hat sich in der Zeit getan?

Ohse hat Mitte 2006 Doris Albiez (heute Ingram-Vize) als Zentraleuropachef bei Polycom abgelöst.

Kay Ohse: Videokonferenzsysteme für Besprechungsräume - mit uns als einem der Hauptanbieter - haben sich aus dem Konferenzraum herausbewegt und damit längst das Nischendasein verlassen. Der große Wandel, der diese Entwicklung stark beeinflusst, besteht darin, die vorhandenen Kommunikationslösungen zu einem durchgängigen Ansatz weiterzuentwickeln.

Unter "Unified Communications" wird der Weg verstanden, die gesamte Infrastruktur, Endgeräte und Lösungen zusammenzufügen, so dass Kommunikation jederzeit an jedem Ort von nahezu jedem Endgerät aus möglich ist. Videokonferenz - oder sagen wir richtigerweise "visuelle Kommunikation" - ist zu einem festem Bestandteil dieser Strategie geworden.

(f.f. Ohse:) Folgerichtig hat Polycom sich darauf fokussiert, visuelle Kommunikation in die wesentlichen Kommunikations-Lösungen zu integrieren. So verstehen wir uns nicht mehr nur als Hersteller von einzelnen Video-Komponenten, sondern als System-Anbieter, der mit den wichtigsten Playern im Markt gemeinsam Lösungen entwickelt beziehungsweise integriert.

CP: Welche sind das zum Beispiel?

Ohse: Dazu gehören im Wesentlichen die Kommunikationslösungen von Microsoft und IBM, ebenso Avaya Nortel, Siemens Enterprise Communications und Broadsoft. Im Bereich Mobility sind erste Lösungen verfügbar für Samsung und Motorola: So bietet Polycom zum Beispiel standardbasierte Video-Applikationen zur Integration und Verbreitung auf dem Android-basierten Samsung Galaxy. Außerdem stellt Polycom Unternehmen mehr Collaborations-Möglichkeiten mit Polycom High Definition Telepresence auf Motorola-XOOM-Tablets bereit. Unsere Partner haben gemeinsam, dass ihre Lösung auf Standards aufsetzt und man sich zur Entwicklung weiterer Standards und Lösungen verpflichtet fühlt. Die alte proprietäre Technologie und die Philosophie "alles aus einer Hand" hat vielfach ausgedient, denn Kunden möchte bei Ihren Investitionsentscheidungen die Wahl haben. Polycom unterstützt diesen Weg ebenfalls mit Standards und gemeinsamen Entwicklungen.

CP: Welche Standards sind das?

Ohse: Da sind zunächst die Kernstandards für Voice over IP (VoIP) wie Session Initiation Protocol (SIP) und H.323. Des Weiteren finden offene Standards wie H.239 (Übertragung von Daten), H.261, H.263 und H264 für die Übertragung von Video Verwendung. Im Bereich der Sprachübertragung werden alle gängigen Standards wie G.729, G.728 und so weiter unterstützt.

(f.f. Ohse:) Im Rahmen einer erweiterten Interoperabilität mit Produkten anderer Hersteller hat Polycom entsprechende Protokolle wie TIP (Cisco) RTV und ICE (Microsoft) implementiert.

Polycom engagiert sich in allen relevanten Organisationen, die mit der Definition und Entwicklung offener Standards betraut sind.

Hieraus resultiert auch die Implementierung des H.264 High Profile Standards in alle Polycom - Produkte, was eine Verminderung der benötigten Bandbreite um bis zu 50% erlaubt, wobei die Qualität der Verbindung nicht beeinträchtigt wird.

Für unsere Kunden bedeutet dies, dass ein High Definition Video-Gespräch, welches bisher eine Bandbreite von 2 Magbit proSekunde voraussetzte, unter der Verwendung des offenen Standards H.264 High Profile mit einer Bandbreite von nur 1 Megabit pro Sekunde geführt werden kann.

Für global agierende Unternehmen ist dies ein erheblicher Vorteil zur Kostenoptimierung, da es noch immer Länder und Regionen gibt, in welchen die verfügbare Bandbreite stark limitiert oder mit hohen Kosten verbunden ist.

CP: Sie sind aber OS-unabhängig, oder?

Ohse: Offene Standards beschreiben Protokolle zur Übertragung von Daten (Sprache, Video, Daten, und so weiter). Daraus resultiert, dass diese unabhängig von verwendeten Betriebssystemen eingesetzt werden können.

CP: Seit den Anfängen der Video- oder Bildtelefonie hat sich einiges getan. Was für Standards hat Polycom dahingehend gesetzt?

Ohse: Den schon bestehenden Videokompressionsstandard H.264, auch MPEG-4 AVC genannt, haben wir mit dem Zusatz High Profile weiterentwickelt. Damit erreichen wir die doppelte Auflösung bei gleicher Bandbreite oder die gleiche Auflösung bei halber Bandbreite. Letzteres kann bei einer Vielzahl angeschlossener Systeme sinnvoll sein. Ein zweiter von Polycom mit entwickelter Standard nennt sich SVC, Scalable Video Conferencing. Ebenfalls auf H.264-Basis, ermöglicht dieser eine sehr flexible Anpassung der Bild- und Tonqualität.

CP: Katastrophen wie die in Japan oder Krisenherde dürften das Thema Video Conferencing doch sicherlich vorantreiben.

Ohse: Ich denke, das muss man allgemeiner fassen. Wann immer Einschränkungen im Reiseverkehr stattfinden, wird der Ruf nach visueller Kommunikation in den Unternehmen laut. Sehr prominent sind da natürlich Aschewolke, Krisenregionen und Pandemien. Viel öfter ist die Einschränkung aber im eigenen Unternehmen zu suchen, nämlich durch die Reduzierung der Reisebudgets. Das macht auch viel Sinn, denn viele Meetings lassen sich mit visueller Kommunikation ersetzen, und derzeit strebt eine Jugend an die Arbeitsmärkte, die mit dieser Technologie sehr viel affiner umgehen als noch vor fünf Jahren der Fall war.

CP: Zurück zu H.264 High Profile. Profitieren auch Privatanwender davon und werden solche Lösungen für sie erschwinglich?

Ohse: In erster Linie wenden wir uns mit unseren Lösungen an Unternehmen - vom globalen Unternehmen bis hin zum Mittelstand, die diese im jeweiligen Geschäftsumfeld einsetzen. Für den Endanwender gibt es zwei wesentliche Standards: einmal SIP, welches über die Telefonanbieter zur Verfügung gestellt werden oder per VPN im Falle von Mitarbeitern, die von zu Hause aus arbeiten. Als weiter Standard erfährt SVC eine wichtige Entwicklung. SVC ist eine Erweiterung des bestehenden H.264 Standards, welcher eine weitere Verringerung der benötigten Bandbreite mit sich bringt. Dies ist besonders interessant, wenn Videokommunikation über mobile Endgeräte wie das Samsung Galaxy oder das Motorola Xoom stattfindet.

Diese Art von Engeräten wird in der Regel von ihren Anwendern mitgeführt und stellt eine entsprechende Verbindung über Mobilfunknetze her. Hierbei wird der Umstand genutzt, dass auf Grund des doch relativ kleinen Displays die Datenmenge so reduziert werden kann, dass bei gleichbleibender Bild- und Tonqualität eine deutlich verringerte Bandbreite notwendig ist. Die Einführung dieses Protokolls wird hochqualitative Videokommunikation dem Massenmarkt und somit dem Privatanwender zugänglich machen.

CP: Wie würde eine solche Lösung vertrieben werden?

Ohse: Nachdem visuelle Kommunikation ein integraler Bestandteil wird, wird diese Möglichkeit als zusätzlicher Service von dem Carrier angeboten und über eine monatliche Gebühr abgerechnet. Wir sehen erste Umsetzungen bereits in Asien und ich bin mir sicher, auch in Deutschland werden solche Lösungen bald auf den Markt kommen.

CP: Was bedeutet das UC-Szenario, wie Sie es zeichnen, für die Vertriebspartner beziehungsweise den IT- und TK-Handel?

Ohse: Da wird unweigerlich eine Konsolidierung einsetzen. Nur wer beide Disziplinen, TK und IT beherrscht, wird seinen Kunden dauerhaft kompetent zur Seite stehen. Letztendlich wird die Verschmelzung der Technologien auch eine Verschmelzung der Vertriebskanäle mit sich bringen, große Distributoren wie etwa Actebis praktizieren dies schon längst.

CP: Was kostet visuelle Kommunikation, und was verlangen Sie von Partnern, die solche Lösungen verkaufen wollen?

Das neue OTX-System kostet mit Möbel rund 200.000 Euro, kann sich aber durch Einsparung von Reisen bald bezahlt machen.

Ohse: Ganz oben im Portfolio steht die Telepresence-Lösung Polycom OTX, Open Telepresence Experience. Da fallen Kosten in Höhe von ca. 200.000 Euro an. Abgestuft nach unten folgen dann Executive Systeme, HD-Systeme für Besprechungsräume und den Schreibtisch, die schon ab 3000 Euro zu haben sind. Die nächsttiefere Ebene sind dann Lösungen für Desktop und PC, die sich im Bereich weniger Euro bewegen können.

Es geht also um die Gesamtanforderung, denn typischerweise sind in einem Unternehmen alle Ebenen vertreten. Und hier liegt die Krux, denn der Kunde erwartet von seinem Partner kompetente Beratung und einen Lösungsansatz. Dies erfordert natürlich eine Grundkenntnis im Bereich Video, Kommunikation und Netzwerke. Viele der Vertriebspartner haben ihre Stärke in einem dieser Bereiche und müssen demzufolge ihre Kompetenz erweitern.

(f.f. Ohse:) Wir bieten entsprechende Schulungen an und laden Partner aus dem TK- und dem IT-Bereich ein, daran teilzunehmen. Solche Zertifizierungstrainings sind zum Teil kostenlos und werden online angeboten, denn wir wollen keine unnötigen Hürden aufbauen.

CP: Was ist mit dem AV-Kanal? In der Vergangenheit hatte der doch den Daumen auf solchen Lösungen.

Ohse: Ja, das stimmt auch noch für die Zukunft. Viele Kunden fordern nach wie vor hohe technische Kompetenz im Bereich der Medientechnik, und das wird auch bleiben. Es sind viel mehr die integrierbaren Lösungen, die für den TK und IT-Vertriebspartner in Frage kommen. Actebis ist hier zusammen mit Microsoft und Polycom in eine Vorreiter-Rolle gegangen und hat ein Package für den Mittelstand adressiert, den Vertriebspartner anbieten, ohne gleich Medientechniker sein zu müssen.

"Lync-in-a-Box" ist eine gebrauchsfertige Unified Communications-Lösung, mit der Unternehmen schnell, kostengünstig und mit geringem Aufwand ihre Kommunikation optimieren können. Zwei Paketvarianten stehen dazu bereit: Dabei ist das eine Paket für den Bedarf mittelständischer Unternehmen mit mehr als 250 PC-Nutzern optimiert, die mit Lync ihre bestehende Telefonanlage funktional und zukunftssicher ergänzen oder ersetzen möchten.

Das zweite ist auf die Anforderungen von Großkunden ab 500 PC-Nutzern ausgerichtet. Diese können das Lync-Starterkit in Pilotprojekten einsetzen und so die Unified-Communications-Plattform im Praxisbetrieb testen.

Polycom liefert für die Lync-Starterkits die UC-Geräte aus der mit Microsoft entwickelten CX-Serie sowie das einzige für Lync optimierte Polycom CX3000 IP-Konferenztelefon auf dem Markt.

CP: Was ist mit 3D? Ich denke da weniger an Spielerei als an CAD, CAM oder Car-Design.

Ohse: Das ist sicherlich ein spannendes Thema, und mit der technologischen Entwicklung kommen auch Erweiterungen in der Darstellungstechnik. Unser Hauptfokus sind gegenwärtig die Integration und Lösungsbausteine, die eine durchgängige visuelle Kommunikation in einem Unternehmen ermöglichen, und das in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern.

CP: Zuletzt eine Frage, die brennende Frage für Händler: Was verdient man daran?

Ohse: Je höher die Wertschöpfung bei einem Vertriebspartner, desto höher ist auch die Marge. Der reine Verkauf von Produkten liegt durchaus im zweistelligen Bereich. Spannender wird es mit Dienstleistungen, hier sind wesentlich höhere Margen zu erzielen, denn visuelle Kommunikation gehört in vielen Unternehmen nicht zur Kernkompetenz und wird daher gerne als Service zugekauft.

Der noch sehr junge Markt beginnt sich zu etablieren und kann den reinen Hardware-Umsatz sicherlich um bis zu dem vierfachen Wert übersteigen.

Es öffnet sich also ein sehr lukratives Geschäftsfeld, das mit vertretbarem Aufwand von IT und TK-Partnern adressierbar ist. Nachdem die Margen noch im oberen Bereich liegen, macht es jetzt viel Sinn, sich dieses Geschäftsfeld zu erschließen.

CP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ohse.