CW: Cloud Computing ist wahrscheinlich das IT-Buzzword des Jahres 2009. Dabei sind wichtige Themen in Bereichen wie Sicherheit, Authentifizierung oder Governance ungeklärt.
Scheil: Noch. Ich erwarte, dass Cloud-Management 2010 oder 2011 richtig anziehen wird. Alle zehn bis 15 Jahre gibt es größere Umwälzungen in der IT. Mainframe, Minicomputer, Client-Server, Internet - wir stehen jetzt vor der nächsten Umwälzung in Richtung IT als Service, und das wird explodieren. Begriffe wie SOA, Web-Services etc., das war nur das Vorgeplänkel. Jetzt geht es um interne und externe Clouds, um Virtualisierung von Netzwerken, Storage und Servern. Die VMwares waren die Vorreiter, doch jetzt hat das ganze echten Drive bekommen.
CW: Ist das für CA nicht ein Problem? Es wird wenige, hoch optimierte und äußerst sparsame Dienstleistungrechenzentren geben, die nach allen Regeln der Kunst gemanagt sein werden. Bei Google und Amazon kann man heute schon erkennen, wie so etwas aussehen wird. Wo sind Ihre Geschäftsperspektiven?
Scheil: Bedrohlich würde ich diesen Industrialisierungsprozess nicht unbedingt nennen. Ich sehe eher die Chance, mit einem variierten Geschäftsmodell davon zu profitieren. Nehmen wir das Thema Cloud-Management. Wir werden verstärkt mit Managed-Service-Providern kooperieren. Das ist schon heute der Fall: Wir arbeiten eng mit T-Systems, IBM und HP zusammen. Aber es wird auch weiter große Firmen geben, die ihre IT selbst managen wollen. Klar, es werden weniger. Für uns ist aber entscheidend, dass sich unser Geschäftsmodell anpasst.
Firmen gehen ja nicht nackt in die Cloud und fragen sich, was kaufe ich denn jetzt für Klamotten. Die bringen viel von ihrem bisherigen Bestand an Management-Lösungen mit, die zum Teil von CA kommen. Das muss erst einmal überführt werden. Wir positionieren uns verstärkt bei den großen Playern, um von diesem großen Kuchen etwas abzubekommen. Die Konsolidierung der Rechenzentren vor dem Hintergrund von Cloud Computing wird komplex, zum Beispiel hinsichtlich Abrechnungssystem oder auch Netzwerkvirtualisierung. Und da sind wir historisch gesehen ein erfolgreicher Anbieter. Das wird ein verstärkter und konsolidierter Kampf werden, für den wir uns aber gut aufgestellt fühlen.
CW: Wie wird sich die IT-Organisation in den Unternehmen ändern?
Scheil: Die Gruppe, die wir bisher angesprochen haben, muss retooled und reskilled werden. Viele IT-Jobs, so traurig das ist, wird es nicht mehr geben. Wir virtualisieren ja nicht nur die Systeme und Netzwerke, sondern auch die Mitarbeiter. Das ist ein Nebeneffekt der Industrialisierung. Auch das IT-Management wird sich ändern. Wenn Sie mit Vorständen im Unternehmen zu tun haben, und das wird der Fall sein, sind Themen wie Netzwerk-Monitoring oder Virtualisierung weniger interessant. Dann geht es um Vendor-Management, Finance-Management, Asset-Management und Procurement. Risk- und Compliance-Management werden zu Kernthemen.
IT-Manager werden zu Business-Managern. Sie müssen koordinieren und sich mit Themen wie Finanzen, Abschreibungen etc. beschäftigen. Der neueste Patch der Oracle-Datenbank ist dann kein Thema mehr. Die Zahl der Techniker wird schrumpfen, weil Virtualisierung und Zentralisierung nur noch den Outsourcer beschäftigen. Netzwerke, Systeme, Applikationen, Business-Prozesse - allmählich wandern diese Themen zum Provider. Damit wird die IT in der Unternehmenshierarchie nach oben geschubst.
Wenn ich heute zum Beispiel Datenbankadministrator wäre, dann würde ich mich schnell umsehen, wie mein Job in diesem Bereich bei einer IBM oder, in der zweiten Reihe, bei Colt oder Computacenter aussehen könnte. Bei den großen Anwendern geht es künftig primär um das Vendor-Management, das ist heute schon spürbar.
Helge Scheil
Helge Scheil ist seit dem 1. April 2009 Geschäftsführer und Senior Vice President Area Sales Germany von CA in Deutschland. Davor war er General Manager für die Geschäftseinheit Projekt- und Portfolio-Management (PPM) und verantwortete die Bereiche CA Clarity PPM, Produktneuentwicklung und Professional Services Automation.
Scheil studierte Wirtschafts- und Informatik-Wissenschaften an der Wirtschaftsakademie Kiel. Nach drei Jahren bei der Philips Medical Systems Deutschland wechselte er an den Hauptsitz von Oracle (USA) und kam 2005 mit der Akquisition von Niku zu CA. Bei Niku, dem Anbieter von IT-Management- und Governance-Lösungen, war Scheil für die Forschung und Entwicklung des Flaggschiffs Clarity verantwortlich.
CW: Ihr Szenario ist nicht weit weg von Nicholas Carrs Vision der IT aus der Steckdose. Es gibt aber immer noch den Anspruch der IT, im Unternehmen etwas zu bewirken, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wenn CA sich ausschließlich auf den Betrieb besinnt, werden Sie unter Preis- und Wettbewerbsdruck geraten. Sie brauchen doch den direkten Kontakt zum Kunden, und dort sollten Sie den Innovationsprozess mit vorantreiben. (Für Scheils Antwort bitte zur folgenden Seite springen…)
Das Versprechen: riesiges Wachstum
Scheil: Zunächst mal: Auch die Steckdosen müssen gemanagt werden. Auch die Stromerzeuger müssen gemanagt werden. Wir spielen bei den Managed-Service-Providern schon eine sehr starke Rolle. Die Infrastrukturen sind hochkomplex, auch da braucht es Innovationen. Cloud-Management verspricht riesiges Wachstum.
CW: Warum bieten Sie die Cloud nicht selbst an, wenn Sie sie doch so gut managen können? Sie hätten einen massiven Wettbewerbsvorteil.
Scheil: Machen wir auch teilweise schon dadurch, dass wir unsere eigenen Rechenzentren haben im On-Demand-Management-Bereich. Aber wenn ich ehrlich bin: Das wird kein Kerngeschäft von CA werden. Das Investment wäre zu groß für uns. Der Zug ist noch nicht abgefahren, aber es sitzen schon andere Zugführer drin. Können wir uns wirklich aufstellen gegen T-Systems oder IBM? Als Kunde würde ich zu einem reifen Anbieter wie IBM, HP oder T-Systems gehen, nicht zu einem Newcomer in diesem Segment.
Was Innovationen angeht, da fühlen wir uns gut aufgestellt. Wir haben beispielsweise eine Lösung für das Management und die Analyse des Stromverbrauchs im Unternehmen. Das geht von der IT aus, schlägt sich aber massiv im Business-Bereich nieder. Nehmen Sie die Firma Tesco, einen der größten Lebensmittelkonzerne weltweit. Jedes Gerät, das dort Energie verbraucht und eine IP-Adresse hat, kann zentral gesteuert werden. Ob das die Kühlschränke in den Niederlassungen sind, ob das die Lastwagen sind, die wir per GPS organisieren, um ihre CO2-Ausstöße zu verringern.
In England gibt es bereits ein Carbon-Reduction-Commitment, das 5000 Unternehmen im nächsten Jahr erfüllen müssen. Die meisten versuchen das händisch zu regeln, mit Excel-Tabellen etc. Es gibt aber IT-basierende Systeme, die da weiterhelfen. Das Ganze muss auch auf der Finanzseite gemanagt werden. Da bieten wir unsere Eco-Software an, basierend auf Produkten, die wir teilweise schon haben. Eine Tesco muss sich überlegen, ob sie Solarschirme aufspannen will oder vielleicht die ganze Truck-Flotte austauschen, um Kohlendioxid-Emissionen zu senken. Mit unseren Produkten können wir Entscheidungshilfen geben.
Compliance-Themen gibt es im rechtlichen, im Marketing-, im Produktentwicklungsbereich. Dort kommen wir mit unseren Produkten in den Business-Bereich hinein. Das gilt auch für Logistik oder für das Medical-Device-Management in den Krankenhäusern.
Der soziale Druck ist da
CW: Compliance und Kosten sind ihren Ausführungen zufolge die beiden Treiber, die den IT-Markt in Bewegung halten.
Scheil: Das wird sich noch verstärken, wenn Gesetze mehr Nachhaltigkeit verlangen werden. Für uns IT-Unternehmen sind das wunderbare Chancen. Eco-Software hat ein Riesenpotenzial, und jeder kann sich mit dem Anliegen dahinter identifizieren, anders als etwa mit Netzwerk-Virtualisierung, die zwar uns, aber nicht die Menschen abseits der IT interessiert. Es gibt sozialen Druck, da etwas zu machen.
CW: Zehrt CA heute noch von der historischen Verbreitung seiner Produkte, die vor allem durch die zahlreichen Übernahmen in den 90er Jahren zurückzuführen ist?
Scheil: Wir sind nicht mehr mit der alten CA zu vergleichen, die schnell Softwarehäuser zusammenkaufte, so ihre Kundenbasis vergrößerte und dann die Produkte nicht mehr weiterentwickelte. Wir kaufen zu, wenn es strategisch Sinn gibt und wir Lücken in unserem Portfolio schließen können. Das sehen Sie etwa bei der NetQos, die wir gerade übernommen haben, um uns im Netzwerk-Management zu verstärken. Wir investieren aber auch 700 Millionen Dollar jährlich in Forschung und Entwicklung. Beispielsweise haben wir Eigenentwicklungen in Bereichen wie Data-Center-Automation, Service-Management oder Eco-Software, also Nachhaltigkeitslösungen, auf den Markt gebracht.
CW: Wie will CA mit seinen Data-Center-Lösungen gegen eine IBM bestehen?
Scheil: Da hilft uns zum einen die Qualität unserer Produkte weiter, etwa im Bereich Netzwerk-Management, wo wir auch von Analysten gute Bewertungen erhalten. Hinzu kommt: Viele Firmen wollen sich nicht ausschließlich auf einen Partner verlassen, vor allem dann, wenn dessen Portfolio qualitativ nicht voll ausbalanciert ist.
SAP und Oracle sind nicht mehr zeitgemäß
Im Security-Bereich zum Beispiel ist HP momentan nicht sehr stark, wir haben aber erfolgreiche Lösungen im Angebot, nicht nur für den Identity- und Access-Management-Bereich, sondern auch für Data-Loss-Protection, weltweites Governance-, Risc- und Compliance-Management etc. Hier differenzieren wir uns, indem wir das Thema nicht nur im Data-Center-Umfeld ansiedeln, sondern eine Ebene höher. Wir können dort etwa die weltweiten Compliance-Anforderungen in einem kompletten Portfolio-Ansatz aufgreifen. Diese Dinge gehen über die IT-Abteilung hinaus und betreffen auch die Finanzabteilung.
CW: In Ihrer Werbung sprechen Sie von Enterprise-IT-Management. Geht’s etwas konkreter?
Scheil: Governance, IT-Management und Security - das sind die drei Eckpfeiler für unser Geschäft. Mit unseren Angeboten sind wir in der Lage, uns in bestehende Landschaften zu integrieren. Kein Unternehmen will sich alles von einem Hersteller ins Haus holen. Deshalb ist auch der Applikationsansatz von SAP und Oracle nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen uns in heterogene Landschaften einfügen. Plattformunabhängigkeit ist unser wichtigstes Asset.
In enger Zusammenarbeit mit den Wettbewerbern bedienen wir Standards wie CMDBf, weil wir wissen, dass wir niemals allein da sein werden. Ob das nun verschiedene Asset-Management-Systeme sind, Netzwerkkomponenten, die gemonitort werden müssen, verschiedene Security-Komponenten, die in eine einheitliche Access- and Identity-Management-Umgebung zu integrieren sind - diese Offenheit über heterogene Systemlandschaften hinweg können wir bieten.
CW: Warum arbeiten Sie dann mit ganzheitlichen Marketing-Versprechen wie Enterprise IT Management oder Lean IT Management oder Mainframe 2.0 etc.? In Ihren Werbevideos sitzt der IT-Manager im Cockpit und steuert quasi mit links die IT-Organisation - in einer wunderbar homogenen CA-Welt. Sie sagen doch selbst, dass heterogene Welten die Chance für CA sind.
Scheil: Wir verkaufen auch viele dedizierte Lösungen, meist an Techniker, die aber ihre Investitionen begründen müssen. Dabei wird die Frage gestellt: Wohin geht denn die Reise beim Softwareanbieter? Wie stellt er sich auf? Am Ende wollen die Verantwortlichen eine Roadmap sehen. Große Kunden wollen diese Vision haben.
Kunden wollen Komplettlösungen
Es stimmt aber, und das ist eine Marketing-Problematik, dass bei uns wie bei allen anderen Großen immer der Eindruck erweckt wird, das gesamte Flugzeug müsse von Airbus kommen. Wir als CA könnten sicher deutlicher machen, dass dieses Cockpit aus integrierten Komponenten verschiedener Hersteller bestehen kann. Fakt ist aber auch, dass Kunden heute tendenziell nicht mehr nur ein Netzwerk-Monitoring kaufen, sondern ein Netzwerk- plus ein System- plus ein Applikations-Monitoring - eine Infrastruktur-Management-Lösung also. Entsprechend müssen wir uns positionieren.
CW: Ihre "Lean-IT-Kampagne" ist ähnlich ganzheitlich aufgesetzt.
Scheil: Da geht es natürlich um Kostensenkung in der IT, der Begriff lehnt sich an die Autoindustrie an. Lean IT heißt, den Wert der IT für den Endkunden zu erhöhen, und zwar bei gleichzeitiger Kostenreduzierung und ohne Qualitätseinbußen. Das gelingt, indem man etwa die Verfügbarkeit von Applikationen verbessert, wofür wir unsere Wily-Produkte für das Application-Performance-Management haben. Sparen lässt sich auch durch das Ausschöpfen von Hardwareressourcen durch virtuelles Management Auch dafür bieten wir einige Lösungen.
Wir sind auch im Bereich Software as a Service oder On-Demand-Computing aktiv. Dort setzen wir unsere Projekt-Portfolio-Management-(PPM-)Lösung ganz anders ein als im traditionellen Infrastruktur-Management. Früher haben die Kunden im großen Stil Hardware- und Softwarelizenzen gekauft. Anbieter wie Salesforce.com bieten ihren Kunden keine Lizenzen, keine Hardware und keine Beratungs- und Integrationsleistungen an, sondern Nutzung gegen Gebühr. Die Bereitschaft in solche Leistungen zu investieren steigt, weil hier statt Investitions- Betriebskosten entstehen. Die Genehmigungsprozesse sind schneller, die internen Kämpfe wegen der Priorisierung von Ressourcen entfallen. Wir beschäftigen uns intensiv und strategisch mit diesem Cloud-Management, bauen also die Infrastrukturen bei den Anbietern auf. Die Reise geht definitiv dorthin.