Vom Boom profitieren vor allem Newcomer

Viel Bewegung im Markt für Videokonferenzsysteme

10.05.2021 von Peter Marwan
Videokonferenzen wurden 2020 für UCC-Anbieter von einer „Nice-to-have“-Funktion zu einer „Must-have“-Funktion. Manche haben den Sprung zumindest technisch geschafft, andere sind trotz guter Ausgangsposition gestolpert. ChannelPartner gibt einen Überblick über die Entwicklung.
Die Bedeutung von Videokonferenzen hat während der Pandemie deutlich zugenommen. Der bis dahin etwas träge Markt hat so eine erstaunliche Dynamik bekommen - und einige neue Anbieter hervorgebracht.
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Die in der Pandemie meistgenutzten und erfolgreichsten Videokonferenzangebote sind genau die, die Datenschutzbehörden am vehementesten kritisieren. So ließe sich das aktuelle Dilemma zugespitzt in einem Satz zusammenfassen. Die Situation ist auch deshalb schwierig, weil immer noch unklar ist und von Anbietern, Juristen und Datenschützern widersprüchliche Aussagen darüber vorliegen, wie es nach dem Aus des "Privacy Shield" - des Abkommens zwischen USA und EU - weitergeht, und weil die Anbieter, allen voran Zoom und Microsoft, ihre Angebote in den vergangenen Monaten mehrfach überarbeitet haben. Ziel war auch, der Kritik der Datenschützer den Wind aus den Segeln zu nehmen.

So hat Microsoft Ende März angekündigt, eine zusätzliche Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE) für 1:1-Anrufe in Microsoft Teams einzuführen. Mit den Verbesserungen räumen die Anbieter aber auch ein, dass sie vorher Probleme hatten, die sie bis dahin verleugnet oder relativiert haben. Das wiederum trägt wenig zur Aufklärung der Anwender bei. Zoom als Neuling im Unternehmensumfeld ist hier etwas demütiger, transparenter und einsichtiger, Microsoft wohl auch deshalb etwas sturer, weil beim Einräumen von Unzulänglichkeiten nicht nur ein Produkt, sondern die ganze Microsoft-365-Suite infrage gestellt würde. Mehr zu Datenschutz bei Videokonferenzen lesen Sie in diesem Expertenbeitrag.

Nicht alle Anbieter profitieren gleichermaßen

Etwas unter die Räder gekommen sind in den Pandemiemonaten an sich gut aufgestellte Anbieter wie LogMeIn, Fuze Communications oder Starleaf: Sie konnten bei weitem nicht in dem Umfang vom Interesse an Vi­deo­­kommunikation profitieren, wie das aufgrund ihrer Positionierung zu erwarten gewesen wäre. Cisco Webex zeichnete sich zunächst dadurch aus, dass es die Anforderungen von Großunternehmen erfüllte.

Der Hersteller musste aber bei Funktionen und der Aufmachung nachrüsten, weil er ins Hintertreffen zu geraten drohte. Was die Ende 2020 vorgenommenen Veränderungen brachten, ist noch unklar. Klar ist dagegen, dass der Hersteller auch dafür mit seinem etablierten Channel zusammenarbeitet. Im Folgenden wird daher vorrangig auf neu auf den Markt gekommene Angebote einge­gangen.

Datenschutz als Hürde und Ansporn

"Teilweise gibt es auch unterschiedliche Herangehensweisen der Datenschützer", verweist Paulina Nowak, seit rund einem Jahr Channel Managerin für Deutschland bei Zoom, auf einen anderen Aspekt, der zur Verunsicherung beiträgt. Nowak will aber keineswegs den Schwarzen Peter weiterschieben: "Datenschutz ist für uns ein strategisches Thema, und wir unterstützen unsere Partner da sehr", betont sie.

"Datenschutz ist für uns ein strategisches Thema, und wir unterstützen unsere Partner da sehr", betont Paulina Nowak, Channel Managerin für Deutschland bei Zoom.
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Roman Klinke, Vorstand der E-Link Distribution AG, die Anfang des Jahres sowohl Distributor als auch "Master Agent" für Zoom in Deutschland wurde, ergänzt: "Die Datenschutz-Diskussion ist sicherlich berechtigt und nicht bloß akademisch, wird teilweise aber ohne das nötige Augenmaß geführt. Klinke stellt aber auch fest, "dass vor allem bei den außereuropäischen Anbietern ein Umdenken in Datenschutzfragen erst schrittweise eingesetzt hat. Daher lohnt es sich, den regulatorischen Druck hochzuhalten."

Und er fügt hinzu: "Darüber hinaus exis­tieren heute bereits Lösungen, die auch strengsten europäischen Anforderungen an den Datenschutz genügen. Angefangen bei ausschließlich europäischen Rechenzentren, über private Clouds bis hin zu On-Premises-Installationen ist alles möglich. Einschränkungen bei Qualität oder Funktionalitäten muss hier kein Kunde in Kauf nehmen. Das ist ein hochspannendes Geschäft für den Channel!"

Drei Optionen für Systemhäuser

IT-Dienstleister und Systemhäuser haben in der aktuellen Situation im Wesentlichen drei Möglichkeiten:

ihren Kunden unabhängig von der Rechtslage zu verkaufen, was diese haben wollen

sich auf kleinere, aber datenschutzfreundliche Anbieter zu spezialisieren

selbst Anbieter von Videokonferenzen zu werden. Dabei bieten sich vor allem Open-Source-Produkte an.

Alle drei Möglichkeiten haben Vor- und Nachteile, lassen sich aber auch kombinieren. Richtig ertrag- und erfolgreich wird es, wenn zum reinen Konferenzzugriff auch Zubehör verkauft wird: Headsets und Webcams für das Home-Office, kleine und größere Konferenzsysteme für die vielleicht bald wieder bezogenen und dann anders genutzten Büroräume, und für bestimmte Abteilungen oder die Chefetage aufwendigere und qualitativ hochwertigere Lösungen.

Denn im Zuge der allgemein gestiegenen Akzeptanz von Video-Meetings kann man darauf hoffen, dass auch die bisher oft argwöhnisch beäugten Konferenzraumlösungen oder andere Geräte zur besseren visuellen Zusammenarbeit einen Schub bekommen.

Microsoft Teams

Die größte Nachfrage besteht - unabhängig von der Rechtslage - nach Zoom und Microsoft Teams. Microsoft kann beim Vertrieb auf seiner riesigen Kundenbasis, dem anhaltend großen Interesse an Microsoft 365 und den etablieren Vertriebsstrukturen aufbauen. Partner sollten sich aber nicht nur mit dem Verkauf und der Einrichtung der Microsoft-Plattform abgeben. Denn in der Praxis werden Kunden schnell merken, dass diese zwar die gewohnten plus ein paar neue Produktivitäts-Tools liefert, aber einiges vermissen lässt, was beim Betrieb auf eigenen Servern bisher Standard war - angefangen von Archivierung der E-Mails über Backup und Recovery der Kundendaten bis zur täglichen Verwaltung.

Für Microsoft 365 generell gibt es inzwischen eine Vielzahl von Anbietern, die ergänzende Lösungen offerieren. Speziell bei Microsoft Teams sorgen zum Beispiel Avepoint und Varonis für Compliance, oder Avepoint und Veeam für ein Backup der Daten. Bei der Migration und Verwaltung helfen - neben den Bordmitteln von Microsoft - unter anderem Produkte von Avepoint, BitTitan oder Quest, das sich durch die Übernahme von Quadrotech im November 2020 in diesem Bereich noch einmal verstärkt hat.

Zoom geht auf Partner zu

Zoom baut seine Partnerlandschaft erst noch auf. Ein wichtiger Erfolg für das Unternehmen war dabei, dass seit Oktober 2020 die Deutsche Telekom die Videokonferenz- und Unified-Communications-Lösungen von Zoom vertreibt. Die Telekom hatte sich bis dahin auf die Angebote von Cisco (Webex) und Microsoft beschränkt.

In der Breite sieht die bei Zoom für Deutschland zuständige Channel-Managerin Paulina Nowak neben den Resellern, die lediglich "Lizenzen verteilen", vor allem gute Chancen für Partner, die Value-Added-Service hinzufügen und zum Beispiel komplementäre Hardware anbieten. Da hat Zoom inzwischen ein umfassendes Ökosystem mit zertifizierten Herstellern aufgebaut. Nach der Beratung winken dann natürlich der Verkauf und die Einrichtung der Hardware. Dabei geht es nicht nur um Arbeitsplätze, auch unterschiedliche Konferenz- und Kollaborationsszenarien können inzwischen bedient werden.

Im deutschen Markt noch relativ neu ist zudem das Angebot "Zoom Phone". Weltweit hat das Unternehmen dafür in den vergangenen zwei Jahren jedoch eine Million Lizenzen verkauft. Zoom Phone ist neben dem bekannten Zoom Meetings sowie Zoom Chat, Zoom Rooms und Zoom Video Webinars eins der Kernprodukte der Zoom-Plattform. Ziel des Anbieters ist es, damit "alle Aspekte der Anforderungen hybriden Arbeitens zu unterstützen."

Angegangen wird das Projekt seit März zusammen mit E-Link Distribution als "Master Agent". Das Hamburger Unternehmen tritt dabei als Hauptvertriebspartner auf und bietet Resellern die Vermarktung von Zoom Lizenzen als Agent Partner mit deutschem Partnervertrag und monatlicher Provisionszahlung. Inzwischen ist die UC-Abteilung von E-Link jedoch von Kern & Stelly übernommen worden und es bleibt abzuwarten, ob diese Vereinbarungen in der neuen Konstellation so fortgeführt wird.

Starface

Während seit geraumer Zeit die großen Online-Plattformen für Videokommunikation einen immer größeren Teil des UCC-Kuchens für sich beanspruchen, waren auch die in der Telefonie beheimateten Anbieter nicht untätig und haben ihrerseits das bestehende Angebot um Video-Meetings ergänzt.

Die Video-Meeting-Plattform Starface Neon wurde zur Jahreswende 2020/21 in den UCC-Client der Karlsruher integriert.
Foto: Starface

Starface hat den ohnehin schon geplanten Start seiner Starface Neon genannten Cloud-Plattform deswegen sogar um mehrere Monate vorgezogen. Rund um die Jahreswende 2020/21 wurde sie dann in den UCC-Client der Karlsruher integriert. Starface-Kunden können dadurch Videokonferenzen direkt von der UCC-Oberfläche aus nutzen. Eine gesonderte Registrierung oder die Eingabe persönlicher Daten sind nicht erforderlich.

Neben Videomeetings unterstützt Starface Neon auch Screensharing. Der Dienst wird in Deutschland gehostet und die gesamte Kommunikation mittels TLS verschlüsselt. Externe Teilnehmer können per Meeting-Link und Browser auch ohne Registrierung teilnehmen. Lizenzen werden über Starface Connect verwaltet und abgerechnet. Nutzern reicht zur Teilnahme ein aktueller Browser, sie sollten aber mit mindestens 6 MBit/s im Downstream und 3 MBit/s im Upstream mit dem Internet verbunden sein.

Estos

Der deutsche CTI- und UCC-Veteran Estos hat seine Software-Suite ProCall 7 Enterprise mit ProCall Meetings ebenfalls um einen Cloud-Dienst ergänzt, der Videokonferenzen und Online-Meetings ermöglicht und mit integriertem Chat und Bildschirmfreigabe aufwartet. Die Meetings werden im Präsenz-Management-System von ProCall Enterprise berücksichtigt, der Status auf "beschäftigt" gesetzt und die Information "im Meeting" angezeigt. Zusätzlich können eingehende Anrufe automatisch abgewiesen werden.

Teilnehmer - interne wie externe - können auch hier mit einem Klick auf den Einladungslink ohne Plug-ins oder den Download von Software an Meetings teilnehmen. Die Obergrenze bei den Teilnehmern liegt aktuell bei 15 - für die tägliche Videokommunikation reicht das aber locker aus.

ProCall Meetings ist laut Estos "DSGVO-konform", und die genutzten Server stehen alle innerhalb der Europäischen Union. Zur Markteinführung bekommen Neu- und Bestandskunden beim Kauf einer Zwölf-Monats-Lizenz drei respektive sechs Monate kostenfreie Nutzung dazu.

Ring Central mit Unify und ALE

Seit September 2020 bieten das US-Unternehmen Ringcentral und Atos in Deutschland "Unify Office by Ringcentral" an. Das Angebot wird auch über die etablierten Unify-Distributoren Also, Herweck und Komsa vermarktet. Die Lösung umfasst neben Videokommunika­tion auch Chat, Telefonie sowie diverse Out-of-the-Box-Integrationen mit gängigen Geschäftsanwendungen. Kundendaten werden im Frankfurter Rechenzentrum von Ringcentral gespeichert, und Kunden schließen einen Vertrag mit Ringcentral.

Marianne von Sturmfeder wechselte zum 1. Februar von Logmein als Channel-Managerin zu RingCentral und arbeitet da nun unter anderem mit den Partnern von Unify und ALE zusammen.
Foto: LogMeIn

Unify-Partner steigen mit einer Online-Registrierung in die Vermarktung ein. Sie werden dann einem Unify Master Broker, etwa der GFT, oder einem der drei Distributoren zugeordnet und müssen noch ein Vertriebs­zertifikat erwerben. Wollen sie rund um die UCaaS-Lösung eigene Services erbringen, etwa Service-Techniker zu den Kunden schicken, müssen sie sich technisch fortbilden und zum "Cloud Certified Delivery Partner" qualifizieren. Zudem sucht Unify für den Vertrieb neue Partner, die im KMU-Bereich (Kunden mit weniger als zehn Mitarbeitern) oder im Security- und Netzwerk-Bereich mit "Unify Office by Ringcentral" zusätzliche und wiederkehrende Erlöse erzielen wollen.

Eine ähnliche Kooperation hat Ringcentral Ende März 2021 mit Alcatel-Lucent Enterprise (ALE) angekündigt. Hier soll das ALE-Produkt "Rainbow Office" durch die UCaaS-Technologie der Amerikaner ergänzt werden. Die kombinierte Lösung ist zunächst in sieben europäischen Ländern verfügbar, darunter auch in Deutschland und Österreich.

Mitel

Seit Mitte Mai 2020 hat mit Mitel MiTeam Meetings auch der kanadische TK-Anbieter eine Videokonferenzlösung im Angebot. Sie bietet neben Video-, Chat- und Sprachfunktionen auch Kollaborationsfunktionen. Die Videokonferenz-Lösung setzt auf der von Mitel 2017 eingeführten CloudLink-Architektur auf, die in Deutschland in der AWS Zone Frankfurt gehostet wird.

MiTeam Meetings lässt sich im Browser nutzen (zum Beispiel durch externe Teilnehmer) oder als Anwendung unter Windows 10 installieren. Der virtuelle Meeting-Raum steht auch nach Meetings noch zur Verfügung, um auf aufgezeichnete Notizen zuzugreifen, gemeinsam genutzte Dokumente durchzusehen oder eine neue Besprechung zu starten. Die Zahl der Teilnehmerfenster liegt bei maximal 16, der jeweils gerade aktive Sprecher wird in einem separaten Fenster angezeigt.

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