Sollen wir unsere Produkte über Mittler verkaufen oder über den direkten Absatzweg? Das fragen sich viele große und kleine Unternehmen beim Entwickeln ihrer Vertriebsstrategie. Zu Recht! Denn der Vertrieb über selbständige Mittler wie Groß- oder Fachhändler hat zwar viele Vorteile. Er ist aber schwieriger zu steuern als ein Vertrieb mit eigenen Mitarbeitern. Auch der direkte Absatzweg hat also durchaus seine Vorteile.
Wie vertreiben wir unsere Produkte?
Vor dieser Basisentscheidung steht jedes produzierende Unternehmen beim Entwickeln seiner Vertriebsstrategie - ganz gleich, ob es sich hierbei um einen Hersteller von Kochtöpfen und Bratpfannen, Türen und Fenstern oder Maschinen und Anlagen handelt.
Grundsätzlich lassen sich zwei Vertriebsformen unterscheiden: der direkte und der indirekte Vertrieb. Beim direkten Vertrieb verkauft der Hersteller sein Produkt unmittelbar an die Endabnehmer - unabhängig davon, ob es sich hierbei um Unternehmen oder Privatpersonen handelt. Beim indirekten Vertrieb hingegen erfolgt der Vertrieb über rechtlich selbstständige Mittler wie zum Beispiel Groß- und Einzelhändler, aber auch sogenannte Verarbeiter wie Handwerker.
Direkter Vertrieb: der Hersteller verkauft sein Produkt direkt an den Endabnehmer
Indirekter Vertrieb: der Vertrieb erfolgt über selbstständige Mittler
Frage: Welcher Vertriebsweg ist der beste - für uns?
Für welche Vertriebsform sich Unternehmen entscheiden sollten, hängt von vielen Faktoren ab - zum Beispiel vom Charakter des Produkts. So lassen sich beispielsweise einfache, (weitgehend) standardisierte Produkte leichter über Mittler verkaufen als komplexe und erklärungsbedürftige Güter, die zudem eventuell noch dem Bedarf des Kunden angepasst werden müssen.
Ein weiterer Faktor ist die Finanzkraft des Herstellers. Manch produzierendem Unternehmen fehlt das Kapital, um im gesamten deutschsprachigen Raum oder gar weltweit einen eigenen Vertrieb aufzubauen. Also muss es den Vertrieb zumindest teilweise über Mittler organisieren. Hinzu kommen Faktoren wie: Wie möchte sich das Unternehmen im Markt positionieren und wie ist der Vertrieb der Mitbewerber strukturiert?
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Möchte sich ein Hersteller als Premium-Anbieter im Markt etablieren und vertreiben seine Mitbewerber ihre Produkte weitgehend über Mittler, so kann es durchaus strategisch klug sein zu entscheiden: Wir beschreiten einen anderen Weg. Wir verkaufen unsere Produkte direkt an unsere Kunden - ähnlich wie dies zum Beispiel das Unternehmen Vorwerk mit seinen Staubsaugern tut.
Direkter Absatz: die wichtigsten Vorteile
Für den direkten Absatzweg sprechen viele gute Gründe. Hier finden Sie die wichtigsten in einer Übersicht:
eignet sich besser für kompliziertere, schwerer zu erklärende Produkte
eignet sich besser für Produkte, die häufig noch an den Bedarf des Kunden angepasst werden müssen
die Vertriebsmitarbeiter unterstehen der direkten Kontrolle des Unternehmens
leichter zu steuern
eignet sich für Premium-Anbieter mit qualitativ sehr hochwertigen Produkten
höhere Gewinnspanne
direkter Kundenkontakt
Direkter Absatz: die wichtigsten Nachteile
Auf der anderen Seite hat der direkte Absatzweg auch Nachteile. Sie lauten:
eignet sich besser für einfache, standardisierte Produkte mit geringem Erklärungsbedarf
die Anfangskosten sind in der Regel höher, ein eigener Vertrieb bindet viel Kapital
höherer administrativer und logistischer Aufwand
möglicherweise niedrigere Gewinne durch Provisionen an den Vermittler
keine direkte Kontrolle mehr über den Vertrieb
fehlender direkter Kontakt zum Kunden
schwieriger zu steuern
Vor- und Nachteile des (in-) direkten Vertriebs
Sowohl der direkte, als auch der indirekte Vertrieb haben Vor- und Nachteile. So bindet der Aufbau eines direkten Vertriebs mit eigenen Mitarbeitern zum Beispiel viel Kapital. Auch der mit ihm verbundene administrative und logistische Aufwand ist hoch. Zugleich ist aber beim direkten Vertrieb die Gewinnspanne oft höher als beim indirekten Vertrieb, da Mittlerprovisonen entfallen.
Entscheidender für die Entscheidung vieler Unternehmen "Wir setzen (in gewissen Marktsegmenten) auf den direkten Vertrieb" sind jedoch in der Regel folgende zwei Faktoren:
Beim Direktvertrieb sind die Vertriebsmitarbeiter Beschäftigte des eigenen Unternehmens. Deshalb kann es recht einfach beeinflussen, wie die Verkäufer den Kontakt mit den Zielkunden gestalten und wie aktiv diese gewisse Produkte "promoten". Beim indirekten Vertrieb hingegen ist das Unternehmen diesbezüglich mehr oder minder stark vom Goodwill der Mittler abhängig. Und:
Beim indirekten Vertrieb haben letztlich stets die Mittler den persönlichen Kontakt zu den Kunden. Es sind und bleiben ihre Kunden. Und der Erfolg des Herstellers hängt weitgehend davon ab, wie stark und aktiv die Mittler seine Produkte puschen.
In der Praxis vertrieben denn auch viele Unternehmen ihre Produkte sowohl direkt, als auch indirekt. Oder anders formuliert: Sie differenzieren in ihrem Vertriebskonzept zum Beispiel nach Produkt- und Kundengruppen. Das heißt: Während sie zum Beispiel die privaten Endkunden, bei denen das Handling in Relation zum Auftragsvolumen sehr zeit- und personalintensiv ist, vom Fach- oder Einzelhandel bedienen lassen, betreuen sie die Firmenkunden mit eigenen Vertriebsmitarbeitern.
Oder: Während sie zum Beispiel die Handwerker, deren Bestellvolumen in der Regel eher niedrig ist, weitgehend vom Großhandel beliefern lassen, betreuen sie die sogenannten Objekteure, die große Gebäudekomplexe und Industrieanlagen planen, mit eigenen "Key-Accountern". Zuweilen differiert die Vertriebsform auch von Vertriebsregion zu Vertriebsregion - abhängig von der Struktur des jeweiligen Marktes und den Kaufgewohnheiten der Kunden. So ist es zum Beispiel durchaus üblich, dass ein Unternehmen sein Produkte in Deutschland weitgehend über Mittler vertreibt, während es in den USA auf den Direktvertrieb setzt.
Herausforderung: Die Mittler als Mitstreiter gewinnen
Generell gilt: Der indirekte Vertrieb ist für Unternehmen schwieriger zu steuern als der Direktvertrieb, denn bei ihm sind sie stets auf das Wohlwollen der Mittler angewiesen. Und diese haben als eigenständige Unternehmen oder Unternehmer teils andere Interessen als die Hersteller. Also müssen sich diese darum bemühen, die Gunst der Mittler zu gewinnen.
Hierfür ein Beispiel. Angenommen ein Unternehmen produziert Türen, Fenster und Rollläden. Oder Fußbodenbeläge. Oder Heizungs- oder Solaranlagen. Und es hat entschieden: Wir bedienen die Handwerker, die unsere Produkte sowie Materialien ein- beziehungsweise verbauen, über den Großhandel - aus folgenden Gründen:
Kapital: Der Aufbau eines Außendiensts, der die vielen Handwerker professionell betreut, würde zu viel Geld und Manpower erfordern.
Logistik/Kundenbetreuung: Selbst mit dem besten Außendienst und einem ausgefeilten Logistiksystem könnten wir die Handwerker nicht so kurzfristig und zeitnah beliefern, wie dies der Großhandel tut.
Kaufgewohnheiten: Die meisten Handwerker wollen (möglichst) alle Materialien, die sie brauchen, beim selben Lieferanten kaufen, damit sie wenig "unproduktive" Büroarbeit haben.
Trifft ein Hersteller diese Entscheidung, dann hängt sein Erfolg im Marktsegment Handwerk weitgehend davon ab, wie häufig der Großhandel seine Produkte verkauft. Also muss er versuchen, die Großhändler als "Freunde" zu gewinnen, so dass diese seine Produkte bevorzugt verkaufen - zum Beispiel, weil
sie die Produkte selbst toll finden,
ihre Kunden von ihnen begeistert sind,
ihr Hersteller ihnen attraktive Konditionen und einen 1A-Support bietet oder
sie einen guten persönlichen Draht zu den Außendienstmitarbeitern des Herstellers haben.
Doch dies allein genügt nicht. Denn wie oft ein Großhändler ein Produkt verkauft, hängt weitgehend davon ab, welche Produkte seine Kunden - also zum Beispiel die Handwerker - nachfragen. Präferieren die Heizungsbauer die Brenner der Firma A, dann müssen die Großhändler diese ihnen liefern. Und bevorzugen die Fliesenleger die Fußbodenbeläge der Firma B, dann müssen die Großhändler diese entweder auf Lager haben oder kurzfristig liefern können. Sonst sind ihre Kunden unzufrieden. Also muss der Hersteller auch dafür sorgen, dass die Handwerker seine Produkte präferieren.
Umfassende Systempflege betreiben
In der Regel entscheiden die Handwerker aber nicht allein, welchen Brenner oder welches Heizungssystem sie zum Beispiel in ein Wohnhaus einbauen. An der Entscheidung sind der Bauherr und dessen Architekt beteiligt. Deren Entscheidung kann der Handwerker zwar beeinflussen, hat der Architekt aber zum Beispiel mit den Brennern der Firma X schlechte Erfahrungen gesammelt, dann steht der Handwerker auf verlorenem Posten. Dasselbe gilt, wenn dem Bauherrn die Fußbodenbeläge nicht gefallen oder er mehrere negative Testberichte hierüber las. Auch dann hat der Handwerker in der Regel nur die Alternative: Entweder ich verzichte auf den Einbau besagter Fußböden oder auf den Auftrag.
Für die Hersteller bedeutet dies: Sie müssen nicht nur dafür sorgen, dass sie die Großhändler und die Handwerker als Freunde gewinnen. Sie müssen auch darauf hinarbeiten, dass neben den Bauherren auch deren Unterstützer wie Architekten sagen: Dieses Produkt beziehungsweise diese Problemlösung wollen wir haben. Oder allgemein formuliert: Die Hersteller müssen eine umfassende "Systempflege" betreiben, die alle an der Kaufentscheidung direkt und indirekt beteiligten Personen und Organisationen umfasst. Häufig beinhaltet diese "Systempflege" sogar eine politische Lobbyarbeit, um beispielsweise zu erreichen, dass die energetische Sanierung von Häusern steuerlich gefördert wird und hierdurch eine höhere Nachfrage entsteht.
Ein Praxisbeispiel unter vielen
Dass eine solche "Systempflege" wichtig ist, haben inzwischen zumindest die meisten Markenartikler unter den Unternehmen erkannt, die ihre Produkte (zum Teil) indirekt vertrieben. Entsprechend umfassende Konzepte haben sie oft entwickelt, um ihren Markt und ihre Marke zu pflegen. Wie ausgefeilt diese Konzepte zum Teil sind, hiervon kann sich jeder überzeugen, der zum Beispiel die Webseite des Anbieters von "intelligenten Dachsystemen" Braas besucht.
Dabei fällt auf, dass sich dort die Monier Braas GmbH, Oberursel, nicht als Spezialist für Dachsteine und -ziegel, sondern für "intelligente Dachsysteme" präsentiert. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass sich zum Beispiel Architekten und Bauherren, die ein Haus bauen oder sanieren möchten, weniger für die Frage interessieren: Wer liefert mir die schönsten Dachziegel?
Ihre Kernfrage lautet vielmehr: Wie gestalten wir das Dach oder den Dachstuhl so, dass das Haus gut isoliert und der Energieverbrauch niedrig ist? Also präsentiert sich Braas auf der Webseite, also Unterstützer beim Lösen dieses Problems, der seinen Kunden, sofern gewünscht, auch die nötigen Dämmmaterialien und sogar Solar- und Photovoltaikanlagen liefert.
Ein weiterer Punkt fällt auf: Auf der Webseite gibt es neben den allgemein zugänglichen Seiten spezielle Seiten, die sich ausschließlich an "Profis" wie "Dachhandwerker", "Händler" und "Planer" wenden und ihnen spezielle Angebote unterbreiten. Von diesen Seiten, zu denen man meist nur mit einem speziellen Zugangscode Zugang hat, können sich zum Beispiel Dachhandwerker technische Unterlagen wie Handbücher und Verlegeanleitungen herunterladen. Dahinter steckt die Erfahrung: Wie gern Handwerker mit unseren Produkten arbeiten, hängt auch davon ab, als wie einfach sie das Arbeiten mit ihnen empfinden. Also bietet Braas ihnen auch entsprechende Infos und Schulungen an. Auch aus folgendem Grund: Wie zufrieden die Bauherren mit den Braas-Produkten sind, hängt auch davon ab, wie professionell die Handwerker die Produkte verarbeiten. Also schult Braas die Handwerker diesbezüglich. Angeboten werden den Handwerkern aber auch Verkaufsschulungen sowie Werbemittel und Verkaufshilfen, die sogar das Vermitteln von Fördermitteln umfassen. Dahinter steckt die Erkenntnis: Letztlich müssen die Handwerker unsere Produkte den Kunden "verkaufen" - und das gelingt ihnen am ehesten, wenn sie sich bei ihnen als fachkundige Problemlösepartner profilieren können.
Bedarfsspezifische Angebote entwickeln
Das Entwickeln eines so ausgefeilten Marktbearbeitungssystems erfordert zunächst eine saubere Analyse:
Wer sind unsere Kunden und welche Wünsche und Bedürfnisse haben diese?
Welche Personen und Organisationen sind an der Kaufentscheidung mehr und minder aktiv beteiligt? Und:
Was erwarten diese von uns und was sollten wir folglich tun, damit sie "Promotoren" für uns werden?
Das heißt, das Entwickeln eines solchen Systems setzt eine genaue Analyse des eigenen Markts, dessen Struktur sowie der Bedürfnisse der verschiedenen "Player" in ihm voraus. Sonst ist die Gefahr groß, dass das Unternehmen seinen Kunden und Business-Partnern zwar viele kostenproduzierende Serviceleistungen offeriert, diese aber nicht die gewünschte Wirkung entfalten - entweder weil sie ihrem Bedarf nicht entsprechen oder weil das Gesamtsystem nicht stimmt. (oe/afi)