Befristete Arbeitsverhältnisse

Urteil zur Kettenbefristung

18.07.2018 von Alexander Janik
Das BVerfG hat die BAG-Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen aufgehoben und sachgrundlose Befristungen eingeschränkt.

Am 6. Juni 2018 hat das Bundesverfassungsgericht ("BVerfG) entschieden, dass die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund bei einer Vorbeschäftigung grundsätzlich nicht möglich ist. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ("BAG") zur zeitlichen Einschränkung des Vorbeschäftigungsverbots ist verfassungswidrig. Diese Entscheidung des BVerfG hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitgeber, die nun die aktuell sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse prüfen sollten und sich bei ihrer künftigen Einstellungspraxis umstellen müssen.

Das gesetzliche Vorbeschäftigungsverbot

Nach der Konzeption des Teilzeit- und Befristungsgesetzes ("TzBfG") stellen unbefristete Arbeitsverhältnisse die Regelbeschäftigungsform dar. Befristete Arbeitsverhältnisse sind hingegen grundsätzlich nur bei Vorliegen gesetzlich definierter Gründe zulässig, zum Beispiel im Rahmen einer Elternzeitvertretung oder bei vorübergehendem Beschäftigungsbedarf.

Das BVerfG hat die BAG-Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen aufgehoben und sachgrundlose Befristungen eingeschränkt.
Foto: Billion Photos - shutterstock.com

Nur ausnahmsweise erlaubt das TzBfG die Befristung von Arbeitsverhältnissen, wenn keine Gründe für eine Befristung vorliegen. Voraussetzung für eine solche Befristung "ohne Sachgrund" ist allerdings, dass der zu befristende Arbeitnehmer nicht bereits zuvor im Unternehmen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig war.

Dieses sogenannte Vorbeschäftigungsverbot ist in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG gesetzlich verankert und soll sicherstellen, dass es nicht unter Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes zu Kettenbefristungen kommt. Arbeitnehmer sollen nach dem Willen des Gesetzgebers einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten, wenn sie schon einmal für denselben Arbeitgeber tätig waren. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt das Vorbeschäftigungsverbot deshalb zur Anwendung, egal wie weit die Vorbeschäftigung in der Vergangenheit liegt.

Lesetipp: Weitere Urteile zu Kettenverträgen

BAG: Zeitliche Einschränkung des Vorbeschäftigungsverbots

Das BAG hat das Vorbeschäftigungsverbot seit 2011 zeitlich eingeschränkt (BAG, Urteil vom 06.04.2011 ? 7 AZR 716/09). Nach Auffassung des BAG sollte die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorbeschäftigung zulässig sein, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt. Diese Rechtsprechung stieß auf erhebliche Kritik durch die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte, die der Rechtsprechung des BAG nicht folgten, weil der Gesetzeswortlaut des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG eine zeitliche Einschränkung nicht vorsieht (zuletzt Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.11.2016 - 17a Sa 14/16).

BVerfG: Vorbeschäftigungsverbot gilt zeitlich uneingeschränkt

Aufgrund einer Vorlage des Arbeitsgerichts Braunschweig sowie der Verfassungsbeschwerde eines Arbeitnehmers hatte sich nunmehr das BVerfG zu den Fragen zu positionieren, ob zum einen das Vorbeschäftigungsverbot als Beschränkung befristeter Beschäftigungsformen und zum anderen die Drei-Jahres-Grenze des BAG verfassungsgemäß sind.

Das BVerfG ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorbeschäftigungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Tatsache, dass Vorbeschäftigte in der Konkurrenz um einen sachgrundlos befristeten Arbeitsplatz gegenüber nicht Vorbeschäftigten regelmäßig den "Kürzeren" ziehen dürften und keine Anstellung erhalten, führt nach Meinung des BVerfG nicht zur Unzulässigkeit des Vorbeschäftigungsverbots. Vorbeschäftigte könnten in ein Dauerarbeitsverhältnis übernommen oder mit Sachgrund befristet beschäftigt werden.

Für nicht verfassungsgemäß hält das BVerfG allerdings die Rechtsprechung des BAG, wonach das Vorbeschäftigungsverbot zeitlich auf drei Jahre begrenzt sei. Das BAG sei an dieser Stelle mit seiner Interpretation des Gesetzes zu weit gegangen. Nach Ansicht des BVerfG dürfe das BAG seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung nicht an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen.

BVerfG: Einschränkende Auslegung des Vorbeschäftigungsverbots

Das BVerfG erkennt an, dass ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot unzumutbar sein kann und es Fälle gibt, in denen eine Befristung eines Arbeitsverhältnisses trotz Vorbeschäftigung ohne Sachgrund möglich sein muss. Das Vorbeschäftigungsverbot ist deshalb einschränkend auszulegen, wenn offensichtlich keine Gefahr einer "Kettenbefristung" besteht. Dann steht einer sachgrundlosen Befristung nichts entgegen. Eine Gefahr der Kettenbefristung ist nach dem BVerfG auszuschließen, wenn eine Vorbeschäftigung sehr weit zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist.

Am 6. Juni 2018 hat das Bundesverfassungsgericht ("BVerfG) entschieden, dass die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund bei einer Vorbeschäftigung grundsätzlich nicht möglich ist.
Foto: AFPics - shutterstock.com

Folgen für Arbeitgeber

- Entscheidung ist sofort zu beachten

Mit der Entscheidung des BVerfG gilt die Drei-Jahres-Grenze für sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse ab sofort nicht mehr. Arbeitgeber können damit den Arbeitsvertrag eines Bewerbers grundsätzlich nicht mehr sachgrundlos befristeten, wenn dieser zuvor bereits als Arbeitnehmer im Unternehmen beschäftigt wurde.

- Ausnahmsweise sachgrundlose Befristung trotz Vorbeschäftigung

Eine sachgrundlose Befristung trotz Vorbeschäftigung kommt künftig nur noch ausnahmsweise in Betracht. Es genügt nicht mehr, dass Arbeitgeber eine Vorbeschäftigung innerhalb der letzten drei Jahre ausschließen. Vielmehr müssen Arbeitgeber künftig von ihren Bewerbern (wieder) abfragen, ob jemals zuvor ein Beschäftigungsverhältnis bestand. Wenn dies der Fall war, kommt eine sachgrundlose Befristung nur in Betracht, wenn die Vorbeschäftigung zum Beispiel während des Studiums als Werkstudent erfolgte und damit eine Kettenbefristung ausgeschlossen ist.

- Aktuelle sachgrundlose Befristungen überprüfen

Aktuell bestehende sachgrundlose Befristungen können in der Folge der Entscheidung des BVerfG unwirksam sein. Unerheblich ist, ob der Arbeitgeber von einer länger als drei Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung wusste oder nicht.

Lesetipp: Ein Monat nach Start der DSGVO - "Datenschutz goes Mainstream"

Die Folge der Unwirksamkeit sachgrundloser Befristungen ist, dass diese als unbefristete Arbeitsverträge gelten (§ 16 S. 1 TzBfG). Dies gilt nur dann nicht, wenn im konkreten Einzelfall nach Maßgabe der nun ergangenen BVerfG-Entscheidung keine Gefahr der Kettenbefristung besteht. In einem solchen Fall, kann die Befristung "gerettet" werden. Gleiches gilt, wenn zwar die Gefahr der Kettenbefristung nicht ausgeschlossen werden kann, aber die Befristung auch durch Sachgründe gerechtfertigt ist. Insoweit kann eine sachgrundlose Befristung im Nachhinein noch in eine Befristung mit Sachgrund "umgedeutet" werden. Dies ist etwa denkbar, wenn der Arbeitnehmer als Elternzeitvertretung eingestellt wurde. Entscheidend ist aber, dass der entsprechende Sachgrund bei Vereinbarung der Befristung objektiv vorlag.

Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Um das Risiko unbefristeter Arbeitsverhältnisse abschätzen und Handlungsoptionen definieren zu können, sollten Arbeitgeber ihre aktuellen sachgrundlosen Befristungen im Einzelnen prüfen. Bei künftigen Einstellungen auf der Basis befristeter Arbeitsverträge müssen Arbeitgeber sorgfältig abklopfen, ob der jeweilige Bewerber bereits jemals zuvor beschäftigt war. Wenn ja, kommt eine Befristung ohne Sachgrund nur noch in absoluten Ausnahmefällen in Betracht. Scheidet eine Befristung mit Sachgrund aus, weil ein solcher nicht vorliegt oder gefunden werden kann, bleibt Arbeitgebern lediglich die unbefristete Einstellung oder der Weg über eine Zeitarbeitsfirma. (oe)