Mit Michael Ganser, Senior Vice President bei Cisco für das "Central Theatre" in EMEA, diskutierte CW-Redakteur Jürgen Hill über den Wandel Ciscos vom Netzausrüster hin zum IT-Anbieter.
CW: Cisco hat bisher einen Rekordverlauf im Geschäftsjahr 2013 berichtet. Was macht das Unternehmen im Vergleich zu anderen Netzausrüstern, die eher über eine schwierige Marktlage klagen, richtig?
GANSER: Vielleicht sollten wir nicht nur von Netzwerkfirmen, sondern von IT-Firmen sprechen. Cisco ist auf dem Weg, eine führende IT-Firma zu werden. Das ist schon ein Teil der Antwort, der andere liegt im Netz, das immer wichtiger wird. Alle die meinten, das Netzwerk werde commodity, lagen völlig daneben und haben nun Schwierigkeiten. Die Intelligenz geht in das Netz und dieses wird zu einem Key Asset der IT-Architektur, wenn wir über Themen wie Cloud, Security oder Mobility reden.
Zum anderen wird den intelligenten Netzen, wie der letzte deutsche IT-Gipfel gezeigt hat, eine immer größere Bedeutung zu gesprochen, um die aktuellen Probleme der Wirtschaft zu lösen. Egal ob im Gesundheitswesen, dem Bildungsbereich oder der Fertigung, das Netz steht immer im Mittelpunkt und damit ist auch Cisco immer mittendrin. Ferner greifen die Kurskorrekturen, die wir vor rund 18 Monaten gemacht haben. Es war richtig, uns wieder auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und andere Dinge sein zu lassen.
CW: Und was bedeutet die Fokussierung konkret?
GANSER: Das Wichtigste war, dass wir unsere Entwicklungskapazitäten wieder auf unsere strategischen Kernfelder rund um das intelligente Netz konzentrierten. Und das haben wir gemacht. Vielleicht hatten wir zuvor auch zu viele Themen adressiert und damit einen Fehler gemacht, so dass wir jetzt sagen mussten, wir konzentrieren uns wieder auf das Kernnetz mit Routing, Switching, Mobility und Security sowie die Wachstumsmärkte Data Center, Video, Collaboration und Services. Hierauf konzentrieren wir unsere Kräfte und investieren in diesen Bereichen. Auf diesen Gebieten können wir heute ein Innovationsfeuerwerk abbrennen. Gleichzeitig haben wir frühzeitig unsere Kosten angepasst, zu einer Zeit als andere noch sagten, der Markt hat kein Problem.
CW: Kurz gefasst, der Konzern will auch deinvestieren. In welchen Bereichen?
GANSER: Nehmen wir als Beispiel die Flipcams. Ein tolles Produkt. Allerdings haben wir zu lange auf die Hardware gesetzt und zu spät auf die Software. Das ist ein klassischer Bereich aus dem wir raus sind, da es für uns keinen Sinn macht im Consumer-Device-Bereich eine Rolle spielen zu wollen.
Video im Fokus
CW: Sie betonen die Konzentration auf das Kerngeschäft, wie passt der Kauf einer NDS in diese Strategie?
GANSER: In meinen Augen passt NDS perfekt, denn zu den fünf Prioritäten zählt für uns Video. NDS ist ein strategisches Stück, das uns noch gefehlt hat, um End-to-end-Videoarchitekturen zu bauen. Alle die mit anderen IT-Firmen gegangen sind, haben große Middleware-Probleme, während wir heute etwas gestalten können, das vom User-Interface über die Architektur genau dem entspricht, was Service-Provider nachfragen. Letztlich unterstreicht die Akquisition von NDS unsere Fokussierung auf die Kernthemen.
CW: Ihre Erklärung klingt einleuchtend, doch welcher Kabel-TV-Anbieter in Europa nutzt die Cisco -Technologie.
GANSER: In England haben wir etwa Sky als großen bekannten Kunden und hierzulande setzten ebenso vier bis fünf namhafte Anbieter auf unsere Technik.
CW: Wir diskutierten die Konzernstrategie. Wie sieht es in Europa aus?
GANSER: Natürlich kann sich auch Cisco nicht von der makroökonomischen Situation in Europa loskoppeln. Aber wir müssen in Europa differenzieren. Das sind Nord- und Zentraleuropa, wo die Geschäftsentwicklung ziemlich nach Plan verläuft. Dann hatten wir England mit der Sondersituation Olympia und Südeuropa. Und dort merken auch wir, wenn ein Land in einer schwierigen Situation ist und sich die Öffentliche Hand mit Investitionen zurückhält. Letztlich haben sich der öffentliche Sektor sowie einige Kundensegmente mit kurzfristigen Investitionen zurückgehalten. Auf der anderen Seite sehen wir Wachstum in diversen Technologiebereichen - da sind etwa Rechenzentren, Mobility oder Wireless.
CW: Gehen wir ins Detail, wie ist die Situation in Deutschland?
GANSER: Für Deutschland gilt ähnliches. In den letzten fünf bis sechs Jahren hatten wir sicher eine Phase wo wir ganz außergewöhnliches erreicht haben und die Industrie in einigen Bereichen anführten. Schaue ich mir die Situation heute an, dann machen wir große Fortschritte im Rechenzentrums- und Mobility-Bereich. Hier passiert eine Menge in Deutschland und es gibt viele positive Anzeichen.
Allerdings dürfte es noch zu früh sein, um von einer Trendwende zu sprechen - da müssen wir noch ein oder zwei Quartale warten, um wieder voll durchzustarten. Aber es gibt viele Themen, wo der Markt wieder greift. Bei Cloud und anderen Themen spielt das intelligente Netz eine sehr wichtige Rolle spielt. So laden uns die verschiedensten Firmen ein, um mit uns über Lösungen für ihre Business- und IT-Probleme zu diskutieren.
Was Kunden wünschen
CW: In welcher Funktion laden die Firmen Cisco ein - als Netzhersteller, Cloud-Partner oder Anbieter von RZ-Equipment?
GANSER: Als Netzhersteller lädt man uns nicht mehr ein, sondern als Unternehmen, mit dem man über zwei oder drei geschäftskritische Dinge gleichzeitig diskutieren will. Eine Frage ist, wie entwickelt sich mein Kerngeschäft? Hier kommen Banken, produzierendes Gewerbe oder Handelsunternehmen mit Vorständen und IT-Organisationen zu uns, um mit uns zu diskutieren, wie sich ihre Industrie verändert und wie ihnen die IT dabei helfen kann. Im Service-Provider-Bereich hatten wir diese Entwicklung schon vor einigen Jahren und heute ist sie in allen Bereich anzutreffen - selbst auf politischer Ebene, wo die Krankenkassen und Hospitäler zu uns kommen.
Diese Diskussion dreht sich meist um "Helft mir" oder "Worauf müssen wir uns einstellen, wo geht die Reise hin". Und im IT-Bereich gehen solchen Diskussionen weit über das Netz hinaus. Viele haben ein RZ mit einer Siloarchitektur, wo sich in den letzten Jahren nichts bewegt hat. Dazu kommt ein Incumbent Player, der dem Anwender zwar alles billiger anbietet, aber zu wenig Innovationen offeriert. Deshalb werden wir oft gefragt, wie die Unternehmen ihre IT-Struktur virtualisieren können, Data Center as a Service anbieten können, wie sie Applikationen virtualisieren, wie sie SAP in Richtung HANA migrieren, wie sie Collaboration und Data Center kombinieren. Die Firmen sehen uns also vielmehr als IT-Anbieter, denn als reiner Anbieter von Netz-Hardware.
CW: Ehrlich, mit diesen Herausforderungen würde ich als Anwenderunternehmen eher zu einer IBM gehen als zu einer Cisco.
GANSER: Ja, da geht sicherlich auch eine Menge hin. Aber Fakt ist, sie brauchen Technologie für viele Themen und kommen dann mit reinen Consultant-Skills nicht weiter. Aber in der Kombination aus Business-Verständnis, Technik, Innovation und der Fähigkeit, Dinge vom Engineering aus kommend zusammenzubringen, liegt ein hoher Mehrwert. Und den bieten wir.
CW: Sie nannten vorher Trends wie BYOD, Mobile etc, was ist mit dem Thema Social Enterprise beziehungsweise Social Business Networks?
GANSER: Dies ist heute ein Bestandteil von Collaboration. Und dort wird es mittlerweile auch im Business-Umfeld gesehen. Nehmen Sie als Beispiel den Versicherungsmakler, der effizienter werden muss, indem er etwa den Experten virtuell in der Aktentasche dabei hat. Oder nehmen Sie Banken, die Experten nur noch an wenigen Standorten vorhalten, Umzüge vermeiden wollen etc - in diesen Fällen ist Collaboration immer ein Thema. Und dahinter stehen dann Video, Social Media. Von daher hat das Thema Social Media an Bedeutung gewonnen, nur wir sehen das Thema heute unter dem Gesamtbild Collaboration. Es geht mehr um die Frage, wie arbeite ich eigentlich in Zukunft und weniger um einzelne Funktionen.
SDN - ein virtueller Switch
CW: Software Defined Networks (SDN) sind ein heißes Thema in der Branche. Ist die Virtualisierung von Netz und Data Center nicht eine Gefahr für Cisco, denn das Geschäftsmodell basierte lange auf dem Verkauf von Hardwareboxen mit sehr teuren Preisschildern?
GANSER: Verzeihung, wir lieferten schon immer mehr als nur Hardware, denn in unseren Produkten steckt eine Menge Software. Doch blicken wir zurück. Wie oft standen in der Industrie schon Veränderungen an und alle unkten, jetzt wir es aber ganz schwierig für Cisco? Als Switches aufkamen hieß es, wir brauchen keine Router mehr. Als wir es mit VoIP mit den klassischen Sprachgiganten aufnahmen, da hieß es, das können die nie - ebenso als wir die Service-Provider adressierten. Das gleiche spielte sich ab, als wir ins Data Center sind.
Immer wenn der Markt sich veränderte, hat dies Cisco gestärkt. Welche der ersten Router-Firmen gibt es denn noch? Wo sind die Switch-Wettbewerber geblieben? Wie geht es den TK-/Sprachgiganten heute, wenn es sie überhaupt noch gibt? Ich glaube, das gehört zu einer unserer Kernstärken: Immer wenn ein Markt im Umbruch war, dann haben wir uns einen guten Marktanteil geschnappt.
Aber zurück zum SDN. Heute versteht man meist verschiedene Aspekte beziehungsweise Anwendungsszenarien darunter. Ein Aspekt ist, große skalierbare Public Clouds zu bauen, ein anderer sind Privat Clouds, die evolutionär wachsen. Oder es geht um die Programmierbarkeit von großen Enterprise und Campus Networks. Das sind alles verschiedene use cases. Um wirklich von der SDN-Idee zu profitieren, müssen sie die die Intelligenz im Netz und ASIC adressieren sowie die Frage beantworten, wie Hard- und Software zusammenspielen. Wir sehen die Entwicklung positiv, denn mit unserem Nexus 1000 nehmen wir eine führende Rolle ein.
Dieser ist im Prinzip ein virtueller Switch, den bereits 8000 Kunden nutzen, ergänzt durch unseren Cisco-One-Ansatz. Für uns ist das eine große Chance, indem wir die physikalischen und virtuellen Netze zusammenführen. Aktuell bauen wir in Europa eines der größten Software Defined Networks - den Namen darf ich leider nicht nennen - und leisten hier Pionierarbeit. Wir sind fest entschlossen - egal wie schnell SDN kommt - auch bei dieser Transition zu führen.
CW: Sie sprechen in Sachen SDN von Pionierarbeit. Warum tun sich die Anwender so schwer, sich mit SDN anzufreunden?
GANSER: Weil das Ganze nicht einfach commodity ist, sondern der Kern für die künftige IT-Struktur und das Business ist. Und mit meinem wichtigsten Asset gehe ich als Anwender sehr sorgfältig um. Hinzu kommt die Erwartungshaltung, dass Skalierbarkeit und Investitionsschutz gewährleistet sein müssen. Ferner werden die gleichen Features verlangt wie bisher. Deshalb wird wohl eher ein evolutionärer Ansatz gefragt sein.
CW: Wer steuert später dieses Netz? Wird die Aufgabe outgesourct, eventuell gar an eine Cisco als Service-Partner?
GANSER: Unsere Rolle und die unserer Partner wird sich grundlegend verändern. Weg von dem Modell, dass wir einen Service für ein bestehendes Netz bieten, hin zu einem umfassenden Angebot. Dies beginnt etwa mit der Hilfe beim Design der IT-Struktur oder dem Support zu Beginn des IT-Betriebes. Eine eindeutige Antwort wird es nicht geben. Ich bin überzeugt, dass wir alle Facetten im Markt sehen werden, also die Service-Provider und Systemintegratoren. Und sicherlich werden auch wir mit unseren Services aktiv unterstützend tätig sein.
CW: Und wie sieht ihre Strategie für das Data Center selbst aus? Verkaufen Sie weiter Hardware oder wird der Schwerpunkt auf dem Software Defined Data Center liegen?
GANSER: Unsere Wertschöpfung liegt ganz klar in beiden Bereichen: Der Produktion exzellenter Hardware und exzellenter Software. Und der dritte Aspekt ist die Zusammenarbeit mit Partnern, um eine komplett Lösung anzubieten und so für den Anwender die Komplexität zu verringern.
Consumer nicht mehr im Fokus
CW: Wir haben bislang über das Enterprise Business diskutiert, wie sieht es mit dem Consumer Business aus und eventuellen Verkaufsgerüchten um Linksys?
GANSER: Wir sind eindeutig im Business-Umfeld stark und dort bewegen wir uns. Ich glaube nicht, dass sie uns in absehbarer Zukunft als Anbieter von Consumer Devices sehen werden. Dass wir Software anbieten wie Jabber, die sie auch im Consumer-Umfeld einsetzten können, oder dass wir versuchen Videolösungen zu integrieren oder das Thema BYOD adressieren - das gehört zu der Strategie, Consumer und Business IT zusammenzubringen. Was die Zukunft von Linksys betrifft, die Verkaufsgerüchte kommentieren wir nicht.
CW: Ihre Antwort verstehe ich nicht. Wenn ich mir die ganze Produktpalette an Geräten mit dem Label "Linksys by Cisco" anschaue, dann sind sie für mich auch ein Produzent von Consumer Hardware.
GANSER: Ja, in dem Bereich schon, ich dachte die Frage zielt darauf ab, ob wir auch noch ein Tablet oder ein Smartphone auf den Markt bringen.
CW: Naja. Mit dem Cius haben Sie es zumindest bei den Tablets schon versucht.
GANSER: Sie haben Recht. Wir haben dann schnell erkannt, dass unsere value proposition woanders liegt.
CW: Cisco-Boss Chambers spricht immer von den Milliarden-Märkten, die er jährlich neu erschließen will. Welcher ist der Nächste?
GANSER: Die ganzen Punkte, die wir bisher diskutiert haben, sind Multimilliarden-Märkte. Das andere nächste große Thema ist sicherlich das "Internet of Everything". Es wird die von uns andiskutierten Aspekte potenzieren. Wir sind davon überzeugt, dass in den nächsten Jahren bis zu 50 Milliarden Endgeräte neu vernetzt werden. Und dieses Zusammenspiel von Hardware, Software, ASICs und Sensoren benötigt wiederum ein intelligentes Netz. Das wird große Chancen aber auch Herausforderungen für unsere Kunden bringen. (mhr)