Aller Anfang ist schwer. Das gilt auch für frischgebackene Führungskräfte. Deshalb stellt der Hersteller von elektrischen Stellantrieben und Armaturengetrieben AUMA Riester, Müllheim, allen neuen Führungskräften in der Fertigung in der Startphase einen Coach zur Seite. Was zunächst ein Angebot war, ist heute Standard. Denn AUMA hat erkannt: So lassen sich viele Startschwierigkeiten vermeiden.
"Unser Unternehmen ist rasant gewachsen", sagt Thorsten Schardt, Leiter Fertigung bei der AUMA Riester GmbH & Co. KG im südbadischen Müllheim. Arbeiteten 1992 für den Hersteller elektrischer Stellantriebe und Armaturengetriebe noch 700 Mitarbeiter weltweit, so beschäftigte das Familienunternehmen 2004 bereits rund 1.200 Mitarbeiter. Und aktuell stehen circa 1.700 Mitarbeiter auf dessen Gehaltsliste, wovon circa 550 im Stammwerk in Müllheim arbeiten.
Ein Wachstumsmotor war neben der Qualität der AUMA-Produkte, dass das Unternehmen schon früh auf Internationalisierung setzte. 1974 gründete das Unternehmen seine erste Vertriebstochter in den Niederlanden. Heute hat AUMA Verkaufsgesellschaften auf allen Kontinenten und Produktionsstätten in den USA und Indien.
Jedes Wachstum bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. So stiegen zum Beispiel im Lauf der Jahre die Anforderungen an die Führungskräfte in der Produktion. Außerdem vergrößerten sich die Führungsspannen, weshalb die Führungskräfte aufgrund ihrer zahlreichen Organisations- und Koordinationsaufgaben weniger Zeit zum Betreuen ihrer Mitarbeiter hatten. Manche Führungskraft fühlte sich denn auch zuweilen mit der Mitarbeiterführung überfordert. Laut Schardt aus "nachvollziehbaren Gründen". Schließlich handelte es sich bei den Führungskräften in der Produktion zumeist um Facharbeiter, "die eigentlich nie, außer teilweise in ihrer Meisterausbildung, für das Führen von Mitarbeitern qualifiziert worden waren". Hinzu kam: Lange Zeit existierte in der Fertigung von AUMA kein gemeinsames Führungsverständnis. "Jede Führungskraft führte - überspitzt formuliert - ihre Mitarbeiter so, wie sie dachte, dies sei richtig", bringt Schardt die Situation vor fünf, sechs Jahren auf den Punkt.
Führungskompetenz ausbauen
Je größer das Unternehmen wurde, umso klarer wurde: Hier muss etwas geschehen. Also entschied die Unternehmensführung 2005, ein Weiterbildungsprogramm für die Gruppenleiter zu starten. Die damals zehn Gruppenleiter in der Fertigung in Müllheim besuchten fortan Führungsseminare, in denen ihnen das noch fehlende Führungswissen vermittelt wurde.
Von einem dieser Seminare waren die Gruppenleiter besonders begeistert, da es ein Thema behandelte, das ihnen stark unter den Nägeln brannte: das Führen von Mitarbeitergesprächen. Also erteilte Thorsten Schardt dem Leiter des Seminars Stefan Bald, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, einen weiteren Auftrag. Er sollte für die Führungskräfte Gesprächsrunden organisieren, in denen regelmäßig über die Themen Mitarbeiter- und Gesprächsführung gesprochen wird - und zwar anhand konkreter Beispiele aus dem Führungsalltag. Bald nennt ein solches Beispiel. In den Gesprächsrunden wurde unter anderem erörtert: Wie reagiere ich als Führungskraft, wenn ich registriere, dass zwei Mitarbeiter sich zerstritten haben und nicht mehr miteinander reden, obwohl dies zum Erfüllen der gemeinsamen Aufgabe nötig wäre? Wann spreche ich diesen "Konflikt" an und wie? Ein weiteres Gesprächsthema war: Wie sage ich einem Mitarbeiter, dass ich damit, wie er gewisse Aufgaben erledigt, nicht zufrieden bin, und zwar so, dass er sich - bildhaft gesprochen - nicht auf den Schlips getreten fühlt? Um so handfeste Dinge drehten sich die Treffen mit den Führungskräften, weshalb sie bei ihnen auf eine sehr positive Resonanz stießen. Denn die Führungskräfte spürten: Ich profitiere hiervon unmittelbar in meinem Führungsalltag.
Gemeinsames Verständnis von Führung schaffen
Wegen des gestiegenen Auftragsvolumens von AUMA wurde 2003 in Müllheim eine neue, 4800 Quadratmeter große Produktionshalle errichtet, 2006 wurde zudem die Fertigung neu strukturiert. Hierbei wurde unter anderem im AUMA-Stammwerk die Montage von einem Einschicht- auf einen Zweischicht-Betrieb umgestellt. Hieraus ergab sich aufgrund der nun nötigen Schichtübergabe nicht nur ein erhöhter Abstimmungs- und Informationsbedarf. Es ergaben sich auch neue, potenzielle Reibungspunkte, die schnell zum Sand im Getriebe werden können, wie Schardt erklärt.
Wegen der Umstellung auf Zweischicht-Betrieb benötigte das Unternehmen auch mehr Mitarbeiter und somit weitere Führungskräfte. Deshalb stellte sich laut Schardt für AUMA die Frage: Wie schaffen wir es, neuen Führungskräften das Führungs-Know-how zu vermitteln, das unsere etablierten Führungskräfte schon haben, so dass wir zum Beispiel in den Gesprächsrunden einen gewissen Grundkonsens in Sachen Führung haben? Da die Zahl der Neuzugänge zu gering war, um diesen zeitnah zur Einstellung das noch fehlende Führungswissen in Gruppenseminaren zu vermitteln, wurde entschieden: Stefan Bald soll dies in Einzelcoachings tun.
Schnell zeigte sich aber: Mit einer reinen Wissensvermittlung ist es nicht getan. Denn gerade in der Startphase treten bei den Neuen häufig Unsicherheiten und Fragen auf - unter anderem, weil sie noch nicht mit der Kultur von AUMA und den Abläufen und Gepflogenheiten im Betrieb vertraut sind. "Begeht eine Führungskraft aber, sei es aus Unsicherheit oder Unwissenheit, in der Startphase gravierende Fehler, dann bekommt sie oft kein Bein mehr auf den Boden", betont Bald. "Deshalb benötigen sie in dieser Zeit eine individuelle Unterstützung.
Coaching-Angebot für neue Führungskräfte
Vor diesem Hintergrund entschied AUMA 2007: Wir stellen allen neuen Gruppenleitern in der Produktion in den ersten 100 Tagen, sofern gewünscht, Stefan Bald als Coach zur Seite. Für diese individuelle Unterstützung wurden unter anderem folgende Ziele formuliert:
- Das Coaching soll den Teilnehmern den Start als Führungskraft erleichtern und ihnen helfen, sich schneller in ihrer neuen Position zu etablieren. Und:
- Das Coaching soll den neuen Führungskräften dabei helfen, sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst zu werden und sich zu echten Führungskräften zu entwickeln.
Für das Coaching selbst wurden unter anderem folgende Regeln definiert:
- Jede Führungskraft entscheidet selbst, ob und wann sie ein Coaching möchte. Und:
- Was zwischen Führungskraft und Coach besprochen wird, ist grundsätzlich vertraulich.
Das Coaching stieß nicht nur auf eine positive Resonanz bei den Gruppenleitern, es erleichterte den Teilnehmern auch erkennbar den Start als Führungskraft. Deshalb beschloss AUMA nach kurzer Zeit, das Angebot auf die Schichtleiter, also die Führungsebene unter den Gruppenleitern, auszuweiten.
Konkrete Handlungspläne entwerfen
Ein Gruppenleiter, der an dem 100 Tage-Programm teilnahm, ist Jörg Köninger. Der heute 44 Jahre alte Maschinenbautechniker stieß 2007 zu AUMA. Obwohl er bereits Führungserfahrung hatte, entschied er, sich coachen zu lassen. Das sogenannte Erstgespräch hierfür fand unmittelbar nach Arbeitsbeginn statt - mit Coach Bald und Fertigungsleiter Schardt. In dem Sechs-Augen-Gespräch erläuterte Thorsten Schardt der neuen Führungskraft zu-nächst noch einmal, welche Aufgaben ein Gruppenleiter hat und welche Anforderungen an ihn gestellt werden. Anschließend analysierten die Gesprächspartner gemeinsam: In welchen Bereichen ist Köninger bereits fit und wo besteht noch Entwicklungsbedarf? Hieraus wurden dann mögliche Coachingthemen abgeleitet, bevor schließlich eine Zielvereinbarung getroffen wurde, wo Köninger in 100 Tagen stehen sollte. In den folgenden 100 Tagen traf sich der neue Gruppenleiter insgesamt sechs Mal mit Co-ach Bald. Die einzelnen Treffen wurden jeweils angesetzt, wenn Köninger einen Bedarf signalisierte und dauerten in der Regel eine bis 1,5 Stunden.
Ähnlich war dies bei Frank Schmidt. Der heute 28 Jahre alte Schichtleiter kam 2008 zu AUMA und stand dort plötzlich vor der Herausforderung, 17 Mitarbeiter zu führen. "Dabei traten immer wieder Situationen auf, bei de-nen ich unsicher war: Wie soll ich reagieren?", gesteht Schmidt.
War dies bei einer neuen Führungskraft der Fall, dann vereinbarte diese mit Coach Bald ein Treffen. Ein Thema, das bei den bisherigen Coachingsitzungen immer wieder auf der Agenda stand, war laut Bald: Wann soll ich meinen Mitarbeitern klipp und klar vorgeben, wo es lang geht und was es tun gilt, und wann soll ich eher "weich integrierend" sagen "Ich möchte, dass ..." oder "Ich würde es begrüßen, wenn ..."? Ein weiteres Thema, das sich in der Startphase bei vielen jungen Führungskräften ergibt, ist: Wie kann ich als Führungskraft im Arbeitsalltag die richtige Balance zwischen persönlicher Nähe und Distanz zu meinen Mitarbeitern wahren?
Stand aufgrund des Arbeitsalltags eine entsprechende Frage bei einer Führungskraft an, dann analysierte diese mit Bald in der nächsten Coachingsitzung zunächst die Situation, aufgrund der sich die Frage ergab. Anschließend ermittelten beide gemeinsam die Handlungs- und Verhaltensoptionen. Danach wurden mögliche Szenarien durchgespielt, bevor schließlich eine Vereinbarungen über das künftige Vorgehen getroffen wurde. Nach der Coachingsitzung setzte die Führungskraft das Vereinbarte in die Praxis um. Und beim nächsten Treffen berichtete sie Bald zunächst, inwieweit sich das vereinbarte Vorgehen bewährt hat, bevor das nächste Führungsthema in Angriff genommen wurde.
Dem Nachwuchs den Rücken stärken
Gruppenleiter Köninger vergleicht das Coaching in den ersten 100 Tagen mit Bergsteigen: "Alles beginnt im Basislager. In ihm wird die Route für die nächsten 100 Tage ausgetüftelt." Geklärt wird: Wann treffen wir uns? Was sind die Kernthemen? Was soll am Ende jeder Coachingsitzung stehen? Nach einigen Wochen trifft man sich im ersten Zwischenlager und hält Rückschau: Wie verlief die erste Wegetappe? Was lief gut, was weniger gut? Welche unvorhergesehenen Probleme traten auf? Und dann fragt man sich: Welche neue Themen ergeben sich daraus? Und: Wie sieht das weitere Vorgehen aus? Der Coach entwickelt mit der Führungskraft also eine Art Roadmap für die nächste Wegetappe, bevor man sich im nächsten Zwischenlager erneut trifft.
Dass beim Erklimmen des Berges, eine etablierte Führungskraft zu werden, Probleme auftauchen, ist für Fertigungsleiter Schardt normal. "Auch deshalb stellen wir neuen Führungskräften einen Coach zur Seite, damit sie nicht vorschnell denken ‚Ich kann das nicht’, nur weil Startschwierigkeiten auftreten." Einen weiteren Aspekt, warum gerade in der Startphase ein Coaching wichtig ist, nennt Stefan Bald: "Junge, unerfahrene Führungskräfte können anfangs oft nicht einschätzen, inwieweit Probleme in ihrer Person oder Funktion oder gar in der Situation begründet sind. Deshalb erachten sie zuweilen Probleme, als in ihrer Person begründet, die ganz andere Ursachen haben. Hier gilt es, gerade jungen Führungskräften den Rücken zu stärken."
Gegen Ende der 100 Tage findet stets ein Abschlussgespräch statt. In ihm schildert die Führungskraft Fertigungsleiter Schardt und Coach Bald zunächst: Wie verliefen die ersten 100 Tage aus meiner Sicht? Welche Erfahrungen habe ich gesammelt? Inwieweit bin ich im Unternehmen und in meiner Position angekommen? Wie habe ich mich entwickelt? Wo sehe ich noch Bedarf? Anschließend gibt Fertigungsleiter Schardt der Führungskraft eine Rückmeldung, wie er sie sowie ihre Arbeit und Entwicklung wahrnahm. Dann ziehen Schardt und Bald mit der Führungskraft ein Fazit der ersten 100 Tage und definieren ge-meinsam, an welchen Punkten die Führungskraft noch arbeiten sollte und welche Unterstützung sie hierbei erhält.
Aus der Kür wurde ein Programm
Im Sommer 2008 entschied AUMA aufgrund der positiven Erfahrung, die das Unternehmen mit dem 100-Tage-Programm sammelte: Künftig nehmen alle neuen Führungskräfte in der Fertigung an diesem Programm teil. Denn die Praxis hat laut Schardt gezeigt: "Mit ihm lässt sich manch Unsicherheit in der Startphase vermeiden; außerdem stellt es sicher, dass die Führungskräfte ein gemeinsames Führungsverständnis haben und ein korrespondierendes Führungsverhalten zeigen." Ähnlich positiv äußern sich Schichtleiter Schmidt und Gruppenleiter Köninger über das Programm. Schmidt: "Aufgrund der Rückdeckung, die ich im Coaching erhielt, trat ich klarer und selbstsicherer im Kontakt mit meinem Mitarbeitern auf. Dadurch wurde manch potenzieller Konflikt schon im Vorfeld beigelegt." Und Jörg Köninger resümiert: "Obwohl ich schon Führungserfahrung hatte, half mir das Coaching sehr, mich rasch in meiner neuen Funktion zurecht zu finden. Schließlich muss man sich, wenn man neu in ein Unternehmen kommt, stets neu orientieren und sein Handeln neu justieren." (oe)
Klaus Schöffler