(Schein-)Selbstständigkeit

Tipps für IT-Freiberufler

12.11.2010
Wie die Rentenversicherung Selbstständige und deren Auftraggeber bekämpft. Von Dr. Benno Grunewald

Ich möchte diesem Beitrag voranstellen, dass ich mich mit dem Thema Scheinselbstständigkeit und Rentenversicherungspflicht Selbständiger seit 1999 befasse. In jenem Jahr hatte die damalige Bundesregierung eine gesetzliche Definition des Begriffs Scheinselbständigkeit an Hand von fünf Kriterien eingeführt. Zwar sind diese Kriterien mittlerweile schon seit vielen Jahren wieder aus dem Gesetz gestrichen worden - dies hat jedoch auf die Haltung der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB) zu dieser Thematik keine erkennbare Auswirkung gezeitigt. Ganz im Gegenteil: Seit über einem Jahr macht die DRB wieder verstärkt Jagd auf Selbständige und deren Auftraggebern.

Dabei geht die DRB regelmäßig zweistufig vor: Zunächst versucht die DRB das zwischen dem Selbständigen und seinem Auftraggeber bestehende freie Mitarbeiterverhältnis in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis umzudefinieren. Gelingt dies nicht, so zielt die DRB im zweiten Schritt darauf, den Selbständigen zur Zahlung seiner eigenen Rentenversicherungsbeiträge heranzuziehen.

Allgemeines ...

Grundlage für die Beurteilung eines Mitarbeiterverhältnisses zwischen einem Selbständigen und seinem Auftraggeber ist (fast) immer ausschließlich die Papierform. Die DRB gewinnt ihre Erkenntnisse aus Verträgen, Rechnungen, Fragebögen und Selbstauskünften bzw. -darstellungen des Selbstständigen und seines Auftraggebers. Es handelt sich somit regelmäßig um eine Bewertung "vom grünen Tisch". Und genau so sehen die Bescheide der DRB auch aus!

Da werden bar jeder genaueren Kenntnis Behauptungen aufgestellt, die keinerlei sachliche Basis haben; da reiht sich Vermutung an Vermutung und da folgt eine waghalsige Interpretation des Vertrags einer weiteren abstrusen Auslegung eines einzelnen Begriffs, den die DRB in ihrem Sinne für nützlich hält.

Diese manchmal fast schon komisch anmutenden Versuche auf Biegen und Brechen Argumente für eine abhängige Beschäftigung zu finden folgen ganz offensichtlich dem Prinzip "Was nicht passt wird passend gemacht!".

Für die DRB gibt es ganz offensichtlich in diesem Zusammenhang nur eine einzige Schublade mit der Aufschrift "Sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis" und da müssen alle Selbständigen und deren Auftraggeber hinein!

… und Spezielles

Die folgenden Zitate stammen weder aus meiner Feder noch sind sie als Satire misszuverstehen. Es handelt sich vielmehr um Originalformulierungen der DRB aus Bescheiden, Stellungnahmen im Rahmen von Verfahren vor den Sozialgerichten oder sonstigen offiziellen Statements der DRB.

"Wer per Gesetz oder freiwillig in der Rentenversicherung ist, profitiert von einem umfassenden Leistungspaket, das in dieser Form bei keinem anderen Anbieter erhältlich ist. Das kann sich sowohl im Alter, als auch nach einem Unfall bezahlt machen." Gemäß § 50 SGB VI beträgt die Wartezeit - das heißt die Voraussetzung für den Bezug von Rente - mindestens fünf Jahre. Regelmäßig werden Selbstständige aber nur für einen bestimmten Zeitraum zu Zahlungen verpflichtet, der aufgrund der Verjährungsfristen maximal vier Jahre betragen kann. Sofern ein Selbstständiger demnach zu Zahlungen verpflichtet wird, wären diese für ihn verloren; es sei denn, er zahlt "freiwillig" weitere Beiträge an die DRB.

Die (zwangsweise) Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung führt eben nicht automatisch zu einem Anspruch auf Rentenzahlung: "Ob der Kläger - zum Zeitpunkt des Bescheids über die Zahlung 8.000,00 Euro Rentenversicherungsbeiträgen für drei Jahre 37(!) Jahre alt - einen Anspruch auf Regelaltersrente erwirbt, wird erst bei Vollendung des 67. Lebensjahres zu prüfen sein".

Bemerkenswert ist auch immer wieder die Argumentationskette der DRB bei Selbstständigen, die über eine Unternehmensberatung beim Endkunden vor Ort und somit regelmäßig nicht im unmittelbaren Einflussbereich ihres Auftraggebers, eben der Unternehmensberatung, tätig sind: "Sie setzen jedoch ausschließlich die eigene Arbeitskraft ein und sind funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig."

Die DRB blendet auch - hier einmal ganz großzügig - jegliche real existierenden Risiken des Selbständigen aus: "Ihr Honorar bemisst sich nach der Anzahl der geleisteten Arbeitstage. Die Arbeitskraft wird daher nicht mit ungewisser Aussicht auf Erfolg eingesetzt, da mit der Leistungserbringung ein Honoraranspruch begründet wird. Eigenes Kapital wird durch Sie nicht eingesetzt. Ein unternehmerisches Risiko besteht damit nicht".

Kein Wort zu den kurzen vertraglichen Kündigungsfristen, kein Wort zum Risiko des kurzfristigen Projektstopps und kein Wort zum Grundsatz "Keine Arbeit, kein Geld", also zum Risiko des Ausfalls des Selbstständigen wegen Krankheit etc.

Notwendige Schlussbemerkung …

Hatte ich bislang den Eindruck, die DRB und deren Mitarbeiter würden auf einem anderen Stern leben, so verfestigt sich bei mir mit jedem weiteren Verfahren gegen die DRB zunehmend die Überzeugung, dass die DRB sich in einem anderen (Parallel-)Universum zu befinden scheint.

- In einem Universum, in welchem noch die tradierten Kriterien zur Differenzierung zwischen einer abhängigen und einer selbständigen Beschäftigung gelten, die aufgrund der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung wenn nicht überholt so doch nur noch bedingt anwendbar sind.

- In einem Universum, in welchem man den Einsatz von Mobiltelefonen, Computern und Internet zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit offensichtlich nur vom Hörensagen kennt.

- In einem Universum, in dem die drei Stände Arbeiter/Angestellte, Beamte und Unternehmer strikt und klar voneinander getrennt und deutlich unterscheidbar sind. Und in einem Universum, in welchem es Berufe wie beispielsweise selbständige Unternehmensberater, IT-Consultants, Coaches, Interimsmanager, Know-how-Trainer, Promotoren und klinische Monitore nicht gibt.

Zudem kann die DRB der Verlockung, eigene Zwangsmitglieder bzw. -zahler selbst zu generieren offenbar schlicht nicht widerstehen, zumal die Kassen des maroden Sozialversicherungssystems wahrscheinlich noch leerer sind, als allgemein vermutet.

… und Aufruf zum Widerstand

Selbstständige und deren Auftraggeber, die hier zur Kasse gebeten werden sollen, müssen sich daher mit allen rechtstaatlichen Mitteln gegen jeden Versuch, sie in eine "Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Position" zu bringen, wehren.

Dafür sollten sich Selbstständige und deren Auftraggeber in diesem Bereich organisieren. Vielleicht in einer "Agenda 2010 für die Selbstständigkeit" oder einem "Projekt pro Autonomie", was deutlich macht, dass es sich hier nicht um eine kleine unbedeutende Splittergruppe handelt, sondern um eine rasant wachsende Gruppe Selbständiger, die an entscheidenden Hebeln der Wirtschaft und Verwaltung tätig sind und ohne deren Wirken bestimmte Aufgaben überhaupt nicht mehr zu bewerkstelligen wären. Selbstständige, die sich freiwillig und bewusst für ihre Selbständigkeit entschieden haben, die keinen aufgezwungenen Sozial- oder Rentenversicherungsschutz benötigen und die sich eigentlich nur gerechte, nachvollziehbare und verlässliche Rahmenbedingungen für die Ausübung ihrer selbstständigen Tätigkeit wünschen.

So - und ich befürchte, nur so - lässt sich die Abschaffung der Selbstständigkeit letztlich verhindern! (oe)

Der Autor Dr. Benno Grunewald ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Mediator (DAA) und Justitiar des Berufsverbands Selbstständige in der Informatik (BVSI) e. V.

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Tel.: 04124 605087, E-Mail: rechtsanwalt@dr-grunewald.de, Internet: www.dr-grunewald.de