Erfolgreiche Organisation von Wachstum

Systemhäuser in der Wachstumsfalle

29.01.2015 von Wolfgang Vogl
Laut Statistischem Bundesamt schaffen es 98 Prozent aller deutschen IT-Unternehmen nicht, mehr als fünf Millionen Euro Umsatz im Jahr zu erwirtschaften. Die meisten verharren in einer "ungesunden" Unternehmensgröße zwischen 0,5 und 5 Millionen. Doch das muss nicht sein.
Wachstum wird möglich wenn die Balance zwischen Chaos und Ordnung erreicht wird, ohne Stillstand zu erzeugen.
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Die Gründung wurde mit Champagner gefeiert. Erste Aufträge werden erfolgreich umgesetzt. Wir sind gut, das Unternehmen wächst. Zunächst nur der Gründer, dann kommen die ersten Mitarbeiter. Zwei, drei, heute sind es bereits zwanzig. Die Fixkosten steigen, kein Problem, weitere Aufträge können akquiriert werden. Unsere Lösungen werden nachgefragt, alles bestens.
Oder doch nicht? Plötzlich oder besser schleichend beginnt sich das Blatt zu wenden. Die ersten Kunden werden unzufrieden. Es mehren sich kritische Stimmen der Mitarbeiter. Von hoher Arbeitsbelastung ist die Rede, von schlechter Organisation. Alles muss immer im letzten Moment erledigt werden. Überstunden sind die Regel, nicht die Ausnahme. Krisen-Meetings und "Feuerwehreinsätze" für eskalierte Kundenprojekte treten immer häufiger auf. Erste Mitarbeiter kündigen.

Was ist passiert?

Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts Arbeitswirtschaft und Organisation zur "Organisations- und Personalentwicklung in schnell wachsenden Unternehmen" praktizieren die meisten Unternehmer in der Gründungsphase ein sogenanntes Commitment Modell. Das heißt, wir sind ein starkes Team. Die Bindung erfolgt über gewachsene Werte und die Kultur des Unternehmens. Jeder weiß zunächst noch was zu tun ist. Die Koordination erfolgt informell auf Zuruf direkt oder über die Geschäftsleitung.
Bei wachsenden Unternehmen wird es aber immer schwieriger, diese direkten Kontakte, die nicht selten bis in private Aktivitäten hinein reichen, aufrecht zu erhalten. Prozesse und Strukturen werden komplexer. Neue Mitarbeiter müssen schnell integriert werden. Gründer oder Gründerteams können sich plötzlich nicht mehr allen Aufgaben persönlich widmen. Es gibt aber keine definierte Aufgabenverteilung und vor allem keine eindeutige Zuordnung der Verantwortung. Die Dynamik der Entwicklung und die Notwendigkeit, interne, meist informelle Prozesse und Strukturen der neuen komplexen Situation angemessen anzupassen, überfordert die Geschäftsführung.

Was ist zu tun?

Ein Musterwechsel in der Organisation des Unternehmens ist dringend erforderlich. In der Start-Up-Phase haben die Gründer naturgemäß mehrere Rollen zu übernehmen. Da ist die Rolle der Fachkraft, das ist der Macher, direkt am Kunden, in der Entwicklung oder im Vertrieb. Dann die Rolle des Managers, das ist derjenige, der koordiniert und Ordnung schafft. Und nicht zuletzt der Unternehmer, mit langfristigen Visionen, Strategien und Zielen. Die Krux ist, so Stefan Merath in seinem Buch "Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer", dass sich diese Rollen widersprechen. In der Praxis wird dann meist 90% der Zeit für Fachaufgaben verwendet und Organisation und Strategie bleiben auf der Strecke.

Die Probleme und der Druck steigen weiter. Jedem wird immer deutlicher, dass es so nicht weiter gehen kann. Mehr Organisation muss her, eine erste Leitungsebene - schnell. Mit wachsender Unternehmensgröße muss die Unternehmensführung erkennen, dass mehr und mehr Verantwortung und Kompetenz delegiert werden muss, damit das Unternehmen handlungsfähig bleibt. Die aktive, bewusste und professionelle Mitarbeiterführung nimmt dabei an Wichtigkeit ständig zu. Der weitere Unternehmenserfolg hängt maßgeblich mit von ihr ab.

Weitere Ursachen und Defizite in der Führungsqualität beim Unternehmenswachstum liegen oft darin, dass sich die Gründer und Führungskräfte der Start-Up-Phase mit ihrem eigenen Rollenwandel schwer tun. Als besonders problematisch erweist sich dabei der mehr oder weniger ausgeprägte erforderliche Rückzug aus dem operativen Geschäft und die Fähigkeit, loslassen und konsequent delegieren zu können. Eng verknüpft damit ist die Notwendigkeit, den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Führungsaufgaben hineinwachsen sollen, entsprechendes Zutrauen entgegen zu bringen.

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High tech needs high touch

In der Praxis werden dann meist »alt-gediente« Mitarbeiter aufgrund von Fachkompetenzen als erste Führungskräfte ernannt. Eine Führungsposition erfordert jedoch ganz andere Qualifikationen, die in der Regel nicht vorhanden sind. Neben Fach- und Methodenkompetenz gilt es nun eben auch Sozialkompetenz aufzubauen. In jungen Unternehmen fehlt dazu oft auch die Reife. Viele Fachspezialisten möchten aber gar keine Personalverantwortung, sie beschäftigen sich lieber mit ihrer »Technik«. Hier muss man ganz klar und hart sagen: Wer sich nicht mit Menschen beschäftigen möchte, ist als Führungskraft ungeeignet.

Zudem ist bei dieser natürlichen, aus dem Tagesgeschäft heraus entstandenen, internen Rekrutierung auf die Definition des genauen Aufgabenspektrums und eines entsprechenden Anforderungsprofils oft verzichtet worden. Obwohl das Problem mangelnder Qualität und Qualifikation der Führungskräfte diffus vorhanden ist, werden trotzdem wenig Zeit und Ressourcen in den systematischen Aufbau von Führungskompetenzen investiert. Das Element Coaching als wichtiger Teil von dauerhaft erfolgreichem Führungsverhalten fehlt nahezu vollständig.

Wachstum beherrschen

Daher ist es eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, sich bei Wachstum die Frage zu stellen, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. Wie sind die neuen Ziele zu erreichen und wie können neue Strukturen geschaffen werden, die diesen Veränderungen Rechnung tragen? Walter Ganz, Herausgeber der Fraunhofer Studie fasst das treffend zusammen: "Die Herausforderung dabei ist, in einer Balance zwischen Chaos und Ordnung, Stabilität zu erreichen, ohne Stillstand zu erzeugen. Sowie Flexibilität zu gewährleisten, ohne Auflösung zu bewirken".

Oft, teilweise zum ersten Mal, sind dabei Organisationsstrukturen so zu gestalten, dass sowohl die Flexibilität der informellen Strukturen als auch die Effektivität und Effizienz von formellen Prozessen optimal zum Tragen kommen. Verlässliche und verbindliche Regelungen reduzieren die Komplexität. Der Wandel vom informellen Agieren zu formellen flexiblen und effizienten Strukturen ist gestaltbar. Soviel formale Strukturen und geplante Prozesse wie nötig, so wenig wie möglich. Aber, rechtzeitiges Handeln ist dringend notwendig. Entwicklungen verlaufen oft zunehmend beschleunigt, das heißt sie eskalieren und werden, wie eine Lawine, ab einem bestimmten Punkt nicht mehr beeinflussbar. Entweder Sie wachsen mit oder das Unternehmen wächst Ihnen über den Kopf. (bw)