All-IP-Umstellung

Systemhäuser in der Beziehungskrise

30.11.2017 von Christoph Wichmann
Die Grenzen zwischen Festnetz, Mobilfunk und Internet verschwimmen zunehmend. Neue Akteure wie Netzbetreiber und Provider drängen in einen Markt vor, der bisher von Systemhäusern dominiert war. Wie können diese der neuen Konkurrenzsituation begegnen und dabei nicht nur ihre Kundenbeziehungen sichern, sondern durch den Vertrieb innovativer Technologien neues Wachstum generieren?

Nichts wird bleiben, wie es war: Kommunikationswege und Anbieter, die vorher klar voneinander getrennt funktionierten und arbeiteten, werden durch den Technologiewandel von ISDN hin zu All-IP vereint. Dienste wachsen zusammen. Sprache, Daten, Mobilfunk und TK-Anlage sind nur noch Funktionen auf ein und demselben IP-Netz und können reibungslos integriert werden. Als Folge bröckelt die bisherige Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Systemhaus, Festnetz-Carrier und Mobilfunk-Carrier. Und langsam zeichnet sich die entscheidende Frage ab: Wer wird am Ende die Kundenbeziehung halten, die einen Großteil der direkten Wertschöpfung ausmacht?

Mit der All-IP-Umstellung stellt sich die Frage, wer die direkte Beziehung zum Endanwender künftig hat. Der Netzbetreiber oder das Systemhaus?
Foto: Andrey Burmakin - shutterstock.com

Die Netzbetreiber sind hier eindeutig im Aufwind. Durch die neuen technischen Möglichkeiten der All-IP-basierten Kommunikation stehen ihnen mit einem Schlag alle Handlungsoptionen offen. Die Konsequenz: Netzbetreiber, denen Systemhäuser heute vielleicht Anschlüsse vermitteln, werden für deren Kunden künftig höchst interessante Anbieter für integrierte Kommunikationsdienste aus der Cloud sein. Sie werden damit letztlich zum direkten Konkurrenten der Systemhäuser.
Akteure wie die Deutsche Telekom und Vodafone besetzen dabei beispielsweise eine Cloud-Strategie mit integrierten und für die Kunden hochinteressanten Produkten.

Es steht außer Frage, dass der Eintritt der großen TK-Konzerne den Markt nachhaltig verändern wird. Mit ihrem Fokus auf die Cloud sind sie fraglos auf dem richtigen Weg. Laut Cloud Monitor 2017 von BITKOM Research hat sich die Menge der Cloud-Nutzer seit 2011 mit 28 Prozent hin zu 2016 mit 65 Prozent mehr als verdoppelt. Die Tendenz ist eindeutig: In zwei Jahren werden Unternehmen, die keine Cloud akzeptieren, voraussichtlich Nischenmärkte sein.

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Whitelabel-Services als Zukunftsmodell für Systemhäuser

Wer bestehen will, sollte sich vorbereiten und den nötigen Transformationsprozess entschlossen und zeitnah angehen. Doch welche Möglichkeit bietet sich Systemhäusern, für ihre Kunden ein starker und wertvoller Partner zu bleiben? Eine der Möglichkeiten ist das Geschäft mit Whitelabel-Services.

Die Hersteller richten ihr Whitelabel-Angebot sukzessive auf das gesteigerte Bedürfnis der Systemhäuser aus, nicht länger nur als Vermittler, sondern in der Wahrnehmung des Anwenders als direkter Anbieter aufzutreten. Durch ausgefeilte Whitelabel-Modelle steht Systemhäusern nunmehr das komplette Portfolio von ISDN Derivat über SIP Trunk (auch mit netzseitiger Mobilfunk Integration) bis zur Komplettlösung aus der Cloud zur Verfügung. Der Kunde erhält die kompetente Beratung des Systemhauses und anschließend die Lösung, die am besten zu ihm passt.

Dass sich der Channel auf neue Bedingungen einstellen muss, liegt auf der Hand. In der Vergangenheit schloss der Endanwender mit dem Systemhaus einen langjährigen Vertrag über die TK-Anlage sowie gegebenenfalls über weitere IT-Dienstleistungen. Das Systemhaus bezog die nötige Hardware vom Lieferanten. Parallel dazu ging der Kunde weitere Vertragsbeziehungen ein. Dazu gehörten etwa ein Provider für Dienste wie Festnetz, Mobilfunk und eventuell IP-Access. Üblicherweise vermittelt das Systemhaus diese Verträge und es fließen Provisionen.

Das gleiche Prinzip gilt für den Fall, dass der Kunde zusätzlich Cloud-Dienste nutzten möchte. Auch hierbei vermittelt das Systemhaus gegen eine Provision an einen entsprechenden Anbieter. Insgesamt ergeben sich also bis zu drei Kundenverträge mit verschiedenen Anbietern, wobei das Systemhaus für alle Dienste als direkter Ansprechpartner des Anwenders fungiert.

Ein Whitelabel-Modell versetzt das Systemhaus in die Lage, unter eigener Marke mit eigenem Vertrag seine gute Kundenbeziehung auszubauen und die Provider- und Cloud-Dienste selbst anzubieten. Das ermöglicht es, die wertvolle Kundenbeziehung auch bei komplexen Kommunikationskonzepten nicht durch die Hinzunahme von Drittanbietern auffächern zu müssen. Damit stärkt das Systemhaus seine Position als kompetenter Partner gegenüber dem Kunden.

Welche Hürden gibt es?

Skeptiker mögen dem entgegenhalten, dass die Zusammenarbeit mit den Providern jahrelang gut funktioniert hat. Warum sollte man das in Frage stellen? Rekapituliert man die Entwicklung des Marktes, werden die Gründe deutlich.
So haben sich der Festnetz- und Mobilfunkbereich vergleichsweise unabhängig voneinander entwickelt. Sie waren damals technisch strikt vom TK-System getrennt und allenfalls durch eine FMC-App (Fixed Mobile Convergence) auf dem Handy mit relativ niedrigem Level an das Festnetz angebunden. Bis 2010 hat die Deutsche Telekom ihren Mobilfunkableger T-Mobile sogar separat geführt.

Zudem war ISDN eine klar definierte Schnittstelle, an die sich die Hersteller angepasst haben. Damit markierte ISDN zugleich die Grenze der Verantwortlichkeit für das Systemhaus. Das Resultat dieser klaren Zuständigkeitsgrenzen: Der Anwender war in erster Instanz Kunde des Systemhauses. Das früher eindeutig markierte Revier der Systemhäuser verschwindet nun. Gründe, aus denen diese dennoch zögern, selbst als Anbieter und eigener Marke aufzutreten, sind beim Betrieb und Billing der Services sowie bei rechtlichen Hürden zu suchen. Schließlich gibt es einige Formalien zu beachten. Bei den Anforderungen für Nachweise über speziellere gesetzliche Vorgaben wie etwa der Sicherheitsverletzungsmeldung sollte der Enabler, also der Anbieter des Whitelabel-Portfolios, das Systemhaus unterstützen. Dies gilt auch für Verträge und Formulare, deren Erstellung und Anpassung wiederkehrende Aufgaben sind und die der Enabler für seine Partner vorhalten sollte. Durch die konsquente Unterstützung des Anbieters sind die Anforderungen mit vergleichsweise geringem Aufwand für das Systemhaus zu handhaben.

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Fazit

Zusammenfassend lässt sich heute sagen, dass der TK-Markt kein Wachstum mehr generiert. Er verändert sich und verschiebt sich hin zur IT. Innerhalb des stagnierenden Marktes werden Umverteilung, Verdrängung und Konsolidierung immer mehr das Tagesgeschäft prägen. Die bisherigen Partner aus der Vergangenheit konkurrieren im Verdrängungswettbewerb mit den Systemhäusern. Insbesondere große Netzbetreiber sind in diesem Zusammenhang zu nennen, da All-IP die integrierten Dienste von Cloud-Anbietern und Carriern stärkt. Der entscheidende Trumpf der Systemhäuser: Sie arbeiten nah am Kunden, haben einen starken lokalen Vertrieb und können mit den richtigen Whitelabel-Lösungen die Führung im zweifellos verstärkten Wettbewerb übernehmen.