Unternehmensalltag. Das Top-Management beschließt eine neue Strategie und fast alle Personen - zumindest im oberen Führungskreis - sind von ihr begeistert. Doch dann beginnt die Umsetzung, und nach einiger Zeit stellt die Unternehmensspitze frustriert fest: Leider entfaltet die neue Strategie nicht die gewünschte Wirkung - nicht weil sie schlecht oder falsch gewesen wäre, sondern weil
die Führungskräfte auf der operativen Ebene (und ihre Mitarbeiter) die Strategie nur bedingt mittragen,
die Mitarbeiter nicht wissen, auf welche Ziele sie ihre Aktivitäten fokussieren sollen,
ihnen die erforderliche Kompetenz fehlt, um die Strategie im Arbeitsalltag umzusetzen, und
in den Abteilungen und Bereichen ein Silodenken dominiert und sie deshalb "Insellösungen" produzieren.
Diese Schwächen bei der Strategieplanung und -umsetzung sollen bei der Arbeit mit Hoshin Kanri vermieden werden, indem
alle Führungskräfte top-down in den Prozess der Strategieentwicklung sowie Umsetzungsplanung involviert werden,
sogenannte "Breakthrough-" oder Durchbruchziele definiert werden, auf die die gesamte Organisation ihre Energie fokussiert,
eine crossfunktionale Abstimmung der (Detail-)Ziele sowie Maßnahmenpläne zwischen den Bereichen und Abteilungen erfolgt und
den Mitarbeitern die Kompetenz vermittelt wird, die eigene Leistung sukzessiv zu erhöhen.
Dabei lautet das übergeordnete Ziel dieses auch unter dem Namen Policy Deployment bekannten Managementsystems: In der Organisation sollen die (Führungs-)Kompetenzen aufgebaut sowie die Kultur und Struktur geschaffen werden, die nötig sind, damit das Unternehmen langfristig mit Erfolg im Markt agiert.
Das Silo- und Bereichsdenken überwinden
Bei Hoshin Kanri spielt der aus dem Lean Management und der Lean Production bekannte PDCA-Zyklus eine Schlüsselrolle. Das heißt, der Hoshin-Prozess besteht aus den vier Phasen
Plan (Vereinbaren der Ziele und Maßnahmen),
Do (die Mitarbeiter und Führungskräfte befähigen),
Check (die Entwicklung sichtbar machen und überprüfen) und
Act (Hoshin Kanri institutionalisieren).
Hoshin Kanri unterscheidet sich von anderen Managementsystemen dadurch, dass das Top-Management die Vision mit allen Führungskräften der nächsten Ebene entwickelt. Dasselbe gilt für die aus der Unternehmensvision und -strategie abgeleiteten Breakthrough-Ziele, auf die das Unternehmen seine Aktivitäten in den kommenden drei bis fünf Jahren fokussiert. Auch sie werden in sogenannten Zielklausuren vom Top-Management und den (oberen) Führungskräften erarbeitet. Aus den Breakthrough-Zielen leitet das Top-Management dann erneut mit der zweiten Führungsebene die jährlichen Hoshin-Ziele ab, die die Meilensteine auf dem Weg zum Erreichen der Breakthrough-Ziele sind.
Die Maßnahmen verzahnen
Die Hoshin-Ziele werden nach ihrer Festlegung wie beim Management by Objectives ("Führen mit Zielen") auf die nächsten Ebenen kaskadiert. Ein zentraler Unterschied zwischen Hoshin Kanri und dem Management by Objectives ist jedoch: Nach dem Definieren der Ziele und Erstellen der Pläne erfolgt eine crossfunktionale Abstimmung zwischen den Abteilungen, Gruppen und Teams.
Diese Abstimmung erfolgt in einem sogenannten Catchball-Prozess. Das heißt, in den Zielklausuren haben alle Teilnehmer wie bei einem Ballspiel die Möglichkeit, zunächst Ideen hin und her zu "werfen", bevor eine Verständigung auf Ziele, Maßnahmen und Kennzahlen erfolgt. Im Idealfall umfasst dieser Prozess jeden Mitarbeiter.
Die Führungskompetenz erhöhen
In vielen Unternehmen wird fleißig geplant, doch, wenn die Umsetzung ansteht, passiert wenig - unter anderem weil den Mitarbeitern wichtige Kompetenzen fehlen. Ein weiteres häufiges Manko ist: Die Zielvorgaben sind nicht ausreichend in den Arbeits- und Führungsalltag integriert. Deshalb legt Hoshin Kanri ein besonderes Augenmerk darauf, bei den Führungskräften die (Leadership-)Fähigkeiten zu entwickeln, die nötig sind, um im Team herausfordernde Ziele zu erreichen.
Dabei orientiert sich die Führungskräfteentwicklung meist am Lean Leadership-Development-Modell. Dieses unterscheidet bei der Kompetenz-Entwicklung vier Stufen.
Stufe 1: Sich als Führungskraft selbst entwickeln. Dahinter steckt die Annahme, dass künftig eine Kernkompetenz von Führungskräften ist, das eigene Verhalten und Wirken zu reflektieren und die eigene Performance systematisch zu erhöhen.
Stufe 2: Andere Menschen coachen und entwickeln. Die zweite Kompetenz-Stufe besteht in der Fähigkeit, als Führungskraft andere Personen so zu entwickeln, dass diese ihrerseits die Kompetenz erwerben, ihr Verhalten und ihr Wirken zu reflektieren und eigene Lernprozesse zu initiieren.
Stufe 3: Das tägliche Sich-Verbessern (Kaizen) unterstützen. Hier geht es darum, Gruppen von Mitarbeitern (Teams, Abteilungen, Bereiche) in eine Richtung auszurichten und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu sichern.
Stufe 4: Eine Vision schaffen und die Ziele abstimmen. Die letzte Entwicklungsstufe zielt darauf ab, das "Silo-Denken" zu überwinden und alle Aktivitäten so aufeinander abzustimmen, dass die übergeordneten Unternehmensziele erreicht werden.
Den Mitarbeitern Hilfsmittel geben
Ein weiteres Merkmal von Hoshin Kanri ist: Die Mitarbeiter erhalten Werkzeuge, um neben ihrem Tagesgeschäft die Breakthrough-Verbesserungen umzusetzen. Eines dieser Instrumente sind die A3-Reports. Sie gehen auf den Wirtschaftsingenieur Joseph M. Juran zurück. Er empfahl vor circa 60 Jahren japanischen Top-Managern, Problemlösungen und Strategien auf einem Blatt Papier darzustellen.
Ein A3-Report soll den Prozess der Problemlösung transparent machen - unter anderem, um bei den Mitarbeitern die Kompetenz zu entwickeln (allein oder im Team), Probleme eigenständig zu lösen. Ein A3-Report spiegelt sozusagen den Denkprozess bei der Problemlösung wider.
Stabile Prozesse installieren
Insbesondere in der Check-Phase von Hoshin Kanri spielt das Shopfloor-, sprich "Hallenboden"-Management eine zentrale Rolle. Denn eine Maxime von Hoshin Kanri lautet: Statt mit administrativen Aufgaben sollen sich die Führungskräfte mit den wertschöpfenden Prozessen befassen: "Go and see" statt "meet and mail". Durch die regelmäßige Präsenz der Führungskräfte in den wertschöpfenden Bereichen und ihre Fokussierung auf Abweichungen vom Standard werden Entscheidungen beschleunigt. Zudem werden die Mitarbeiter allmählich zu Verbesserungsmanagern entwickelt, die eigenständig Probleme erkennen und lösen.
Ein übergeordnetes Ziel hierbei ist: In der Organisation sollen stabile Prozesse installiert werden, um ein zufallsunabhängiges Erreichen der geplanten Ergebnisse zu gewährleisten. Das heißt, die Abläufe werden standardisiert. Dabei wird die Standardisierung als ein fortlaufender Prozess gesehen. Folglich existiert auch ein standardisierter Problemlöseprozess, der bei (Ziel-)Abweichungen ausgelöst wird.
Den Entwicklungsprozess steuern
Die hierfür erforderliche Kommunikation findet weitgehend im Betriebsalltag statt. In täglichen Shopfloor-Meetings werden die Mitarbeiter immer wieder auf die Hoshin-Ziele fokussiert, indem die Performance des Vortags und die Ziele für den heutigen Tag besprochen werden. Auch die übergeordneten Ebenen (zum Beispiel Werks- und Gruppenleiter) treffen sich regelmäßig, um den Stand der Hoshin-Zielerreichung zu verfolgen.
Neben den traditionellen Review-Methoden kennt Hoshin Kanri die Presidents Diagnosis. Sie wird so genannt, weil hierbei das Top-Management persönlich die Standorte, Werke und Bereiche besucht, um deren "Fitness" zu beurteilen. Bei der Presidents Diagnosis wird der Fortschritt des Unternehmens auf Basis von elf Kriterien analysiert: Management, Finanzmanagement, Human Resources, Supply Chain Management, IT, Qualität, Vertrieb und Marketing, Engineering, Herstellung, Instandhaltung sowie Material und Logistik.
Die Presidents Diagnosis umfasst folgende drei Schritte:
Selbst-Diagnose durch die Bereiche beziehungsweise Hoshin-Teams,
Presidents Diagnosis durch das Topmanagement und
Anerkennung der Zielerreichung durch das Topmanagement.
Das Erreichte durch Standardisierung sichern
Ein starkes Augenmerk wird bei Hoshin Kanri darauf gelegt, das Erreichte durch Standardisierung zu sichern und in der Act-Phase Folgeaktivitäten anzustoßen, um die Prozesse weiter zu verbessern. Standardisierung bedeutet hierbei, dass die Prozesse, die Werte für den Kunden schaffen, jederzeit wiederholt werden können - und zwar personen-, zeit- und ortsunabhängig. Dabei werden mehrere Ebenen der Prozess-Standardisierung unterschieden - abhängig davon, ob sie sich auf einfache Tätigkeiten oder komplexe Abläufe und Prozesse beziehen.
Nach der Standardisierung kann Kaizen eingeführt werden. Basierend auf dem PDCA-Zyklus bedeutet Kaizen das kontinuierliche, schrittweise Verbessern von standardisierter Arbeit. Das Kaizen soll sozusagen das System im Unternehmensalltag am Leben erhalten, indem es das kontinuierliche Verbessern und die damit verbundenen Lernprozesse stimuliert.
Das Lean-Denken institutionalisieren
Die letztendliche Institutionalisierung von Hoshin Kanri und des Lean-Denkens erfolgt in der Führungskräfteentwicklung. Deshalb wird bei Hoshin Kanri auch regelmäßig überprüft, wie sich die Kompetenz der Führungskräfte entwickelt hat. Dabei lauten ausgehend vom Lean Leadership-Development-Modell die zentralen Prüffragen:
Wie haben sich die Führungskräfte selbst entwickelt?
Wie gut haben sie andere entwickelt?
Führen sie täglich Kaizen durch? Und:
Führen sie ihre Teams in Richtung der strategischen Ziele?
Wichtig für das Institutionalisieren von Hoshin Kanri ist auch, dass die Nachfolgeplanung auf Basis des Lean Leadership-Development-Modells erfolgt, damit sichergestellt ist: Alle nachrückenden Führungskräfte haben das Lean-Denken und die Lean Leadership-Kompetenzen verinnerlicht, die zum Weiterentwickeln der Kultur einer kontinuierlichen Verbesserung nötig sind. (oe)